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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
168 Seiten
Deutsch
Carl Hanser Verlagerschienen am27.01.20201. Auflage
'Houellebecq hat eine Erbin.' (Marianne). Marion Messina blickt auf das Leben und Scheitern einer jungen Frau in Paris - ihr furioses Debüt ist ein Stich ins Herz unserer krisengeschüttelten Gegenwart.
Als ihre erste Liebe scheitert, zieht die neunzehnjährige Aurélie von Grenoble nach Paris. Dort will sie endlich in vollen Zügen leben und mit ihrem Jurastudium die provinziellen Arbeiterbiographien ihrer Eltern hinter sich lassen. Aber in Paris reicht es gerade mal für einen Job als Empfangsdame, der Wohnungsmarkt entpuppt sich als anarchische Zone und die Liebe ist eine Farce zwischen freundlichen Arrangements und Pornographie. Doch dann setzt Aurélie alles auf Anfang. Voll Zorn, Klarsicht und gnadenloser Ironie blickt Marion Messina auf das Leben einer jungen Frau und ins Innerste einer neuen verlorenen Generation. 'Ein furioses Debüt; beißend und unverschämt gut geschrieben' (Le Monde).

Marion Messina wurde 1990 in Grenoble geboren. Sie studierte zuerst Politik- und dann Agrarwissenschaften mit dem Vorhaben, später auf einem Bauernhof zu leben. Stattdessen begann sie als freie Journalistin für verschiedene Medien zu arbeiten und veröffentlichte ihren von der Kritik gefeierten ersten Roman 'Fehlstart', der 2020 bei Hanser erschien.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext'Houellebecq hat eine Erbin.' (Marianne). Marion Messina blickt auf das Leben und Scheitern einer jungen Frau in Paris - ihr furioses Debüt ist ein Stich ins Herz unserer krisengeschüttelten Gegenwart.
Als ihre erste Liebe scheitert, zieht die neunzehnjährige Aurélie von Grenoble nach Paris. Dort will sie endlich in vollen Zügen leben und mit ihrem Jurastudium die provinziellen Arbeiterbiographien ihrer Eltern hinter sich lassen. Aber in Paris reicht es gerade mal für einen Job als Empfangsdame, der Wohnungsmarkt entpuppt sich als anarchische Zone und die Liebe ist eine Farce zwischen freundlichen Arrangements und Pornographie. Doch dann setzt Aurélie alles auf Anfang. Voll Zorn, Klarsicht und gnadenloser Ironie blickt Marion Messina auf das Leben einer jungen Frau und ins Innerste einer neuen verlorenen Generation. 'Ein furioses Debüt; beißend und unverschämt gut geschrieben' (Le Monde).

Marion Messina wurde 1990 in Grenoble geboren. Sie studierte zuerst Politik- und dann Agrarwissenschaften mit dem Vorhaben, später auf einem Bauernhof zu leben. Stattdessen begann sie als freie Journalistin für verschiedene Medien zu arbeiten und veröffentlichte ihren von der Kritik gefeierten ersten Roman 'Fehlstart', der 2020 bei Hanser erschien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446266681
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum27.01.2020
Auflage1. Auflage
Seiten168 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1869 Kbytes
Artikel-Nr.4957930
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1


Alejandro war mit dem trockenen Mund und dem Halbsteifen eines verkaterten Morgens aufgewacht. Als er sich mühsam streckte, berührten seine schmalen Handflächen den Balken, der durch das einzige Zimmer seiner Wohnung lief. Er hatte Hunger. Der bei Emmaus gekaufte Kühlschrank roch säuerlich nach Nudeln mit Speck. Er zog dieselbe Unterhose wie seit drei Tagen an, streifte einen für den Winter in Grenoble zu dünnen Pullover über und überflog die Liste seiner Downloads. Mit scheelem Blick und hektischer Hand sah er zu, wie sich eine Vierzigjährige mit Strapsen und Highheels in den Arsch vögeln ließ, ging raus, um sich mit einem Restaurantgutschein einen Kebab zu kaufen, und kehrte in seine staubigen 18 m2 zurück. Inzwischen war es schon fünf, ein verregneter, kalter Dezembersamstag. Am Wochenende arbeitete er nicht. Das nächste Besäufnis mit seinen Landsleuten begann nicht vor neun. Er drehte sich einen Joint und legte sich wieder hin.

Er hauste in einem alten Einfamilienhaus im Île-Verte-Viertel. Aus den einstigen Kinderzimmern hatte der Eigentümer acht Miniapartments improvisiert, die von Studenten bewohnt wurden. Erregtes Röcheln, Alkoholorgien und das Klirren der Flaschen, die am Sonntagnachmittag in Eimern runtergetragen wurden, hatten Kinderlachen und Radau ersetzt. Der jüngste Mitbewohner war neunzehn, der älteste ein Physik-Doktorand hart an den vierzig, der seine Kahlheit sommers wie winters unter einer Rastamütze versteckte. Die verputzten Wände bebten unter Bässen von britischem Triphop, süßlichen Noten jamaikanischen Reggaes oder hippem electro irgendeines osteuropäischen DJs. Er hätte jeder beliebige Student in jeder beliebigen westeuropäischen Provinzstadt sein können. Aber Alejandro Manuel González Peña war sich seiner Haltlosigkeit halbwegs bewusst, und deswegen war er interessanter und viel neurotischer als jeder beliebige Kolumbianer in einer rein zufällig gewählten Stadt im Ausland.

Im letzten Jahr des pregrado für französische Literatur an einer Privatuniversität in Bogotá hatte Alejandro beschlossen, es seinen Idolen gleichzutun, und sich auf dem Alten Kontinent zu bilden. Erschüttert von der Erbärmlichkeit seiner Mitbürger und der Korruption ihrer nicht zu stürzenden Elite, hatte er fast ein Jahr lang Anträge geschrieben, die sein akademisches Französisch auf eine harte Probe stellten. Auf der Wikipedia-Seite zu Stendhal hatte er seine künftige Wahlheimat gefunden, obwohl ihn die geringe Einwohnerzahl zunächst erschreckt hatte. Grenoble war eine Notlösung, nachdem die kolumbianische Post seine Bewerbungen nie rechtzeitig nach Bordeaux und Lyon geschickt hatte.

Dank der Hilfe eines Onkels in den USA hatte er genug Geld zusammengekratzt, um ein Visum zu bekommen, das Flugticket zu kaufen und die Kaution für seine erste Bleibe aufzubringen, eine Dreizimmerwohnung an den großen Boulevards, die er mit vier anderen Südamerikanern teilte. Um seinen Traum von Ruhm und Gelehrtheit zu leben, hatte er Diana, seine novia seit der Oberschule, zurückgelassen. Schon im Flugzeug hatte er gemerkt, dass sie ihm nicht fehlen würde, oder kaum. Er brach auf, um seinem Schicksal zu begegnen, was kümmerte ihn, dass er die erste und größte Liebe ihres Lebens war.

Diana hatte vorgeschlagen, ihm zu folgen, da auch sie ihr Grundstudium abgeschlossen hatte und ihr Französisch viel besser war als seins. Er hatte abgelehnt, indem er Neruda zitierte und ihr erklärte, man müsse sich trennen, wenn die Liebe auf dem Höhepunkt sei. Nach seiner Abreise war sie in einer monatelangen Depression versunken und hatte zwanzig Kilo zugenommen. Etwas in ihr war zerbrochen. In langen Mails beschrieb sie das unerträgliche Gefühl des Verlassenseins, die grauenvollen Nächte voll obszöner Träume - sie sah ihn mit anderen Frauen vögeln -, ihre Bauchschmerzen, die Bulimie-Attacken und die endlosen Weinkrämpfe, die sie zu jeder Tages- und Nachtzeit überfielen. Er hatte nie geantwortet. Es gab nichts dazu zu sagen. Er bedauerte, dass sie litt, fühlte sich aber keineswegs dafür verantwortlich. Er wollte sich nicht den Kopf zerbrechen.

*

Alejandro war vor kurzem vierundzwanzig geworden. Er hatte in einer Latinobar gefeiert, deren gezwungen fröhliche Atmosphäre auf Franzosen geeicht war, die sich nach Sonnenklängen und höllischen Rhythmen sehnten. Das lateinamerikanische Lebensgefühl war in Grenoble kaum heimisch geworden, die Erwähnung des Kontinents genügte wenigstens, um einige weibliche Exemplare, von der vulgären, Reggeaton liebenden Schlampe bis zur in Neruda-Gedichten und Buñuel-Retrospektiven schwelgenden Zuständigen für Problemviertel geil und verfügbar zu machen.

Er fühlte sich alt und müde. Im September hatte er ein M. A. für Moderne Literatur begonnen. Er war schon mehr als ein Jahr in Frankreich; am Tag nach seiner Ankunft hatte er auf der Website des Jobcenters gesurft, CV + Bewerbung hingeschickt, in der UB Unterlagen zusammengestellt, bei der KV angestanden, die verschiedenen Stiftungen, die EU und Erasmus entdeckt, bei denen Geld zu holen war. Bald hatte er einen Minijob für zehn Wochenstunden als Reinigungskraft in einem privaten Studentenwohnheim bekommen. Jeden Morgen stand er um sechs Uhr auf und arbeitete bis halb neun, bevor er mit dem Fahrrad zum Hörsaal oder zu den Fertigteilgebäuden hinter der Südhalle der Universität fuhr. Er verdiente ein paar hundert Euro im Monat, zusammen mit dem Wohngeld reichte es knapp für die Miete und ein paar auf weniger als das Nötige reduzierte Ausgaben. Sein Vater war Bauingenieur, die Mutter Spanischlehrerin in einem angesehenen katholischen Gymnasium in Bogotá, aber Alejandro war mit einer bestimmten Vorstellung vom genialen und notleidenden Schriftsteller aufgewachsen, die er nicht durch liebende Eltern oder eine anhängliche Geliebte verderben wollte. Er hatte Dutzende Saufkumpane, die er nie zu sich einlud, weil der Platz und die Ausstattung fehlten. Sein Rechner brummte rund um die Uhr, immer damit beschäftigt, Pornos runterzuladen oder Radiohead auszuspucken.

Er führte ein in finanzieller Hinsicht maximal bohèmehaftes, in literarischer Hinsicht wiederum maximal langweiliges Dasein. Er hatte seine Examen knapp bestanden und eine mäßige Zwischenarbeit präsentiert, die allerdings hervorragend war, wenn man bedachte, dass er keine drei Wochen vor der mündlichen Präsentation mit dem Schreiben angefangen hatte. In den Lehrveranstaltungen hatte er abgesehen von einem komplexen Semantik-Wortschatz, der dem Spanischen eigentlich sehr nah war, nicht viel gelernt. Er hatte stundenlang Brel, Brassens, Booba, Gainsbourg und alle Gruppen der lokalen Musikszene gehört. Mit dummen Bemerkungen über den Hip-Hop und langen Zitaten von Cioran hatte er es geschafft, auf seiner zu weichen Matratze ein paar Mädchen zu vögeln, die er nur anhand der Festigkeit ihrer Brüste unterscheiden konnte. Er schrieb nicht mehr.

2008 waren die Titelseiten der Zeitungen voll von der Krise, von der niemand etwas begriff, zu der aber jeder eine Meinung hatte. Der Trotzkismus kam wieder in Mode, man fantasierte über bevorstehende Festnahmen von Firmenchefs, sprach von goldenen Fallschirmen, der Wall Street, der deregulierten Finanzwelt, vom wilden Kapitalismus; Sarkozy versuchte mehr recht als schlecht, ein System zu geißeln, das er im Wahlkampf ein Jahr zuvor in den höchsten Tönen gerühmt hatte. Man müsse die Ökonomie moralischer machen, ihr einen Platz zuweisen, wo sie im Dienste des Menschen stehe und nicht umgekehrt; für Werbeagenturen war es ein sehr gutes Jahr. Die Restaurantterrassen waren immer voll, und die Franzosen, dieses ungeduldige und reizbare Volk, stießen auf die Krise an, von deren Auswirkungen sie, auch Monate nachdem sie in den 20-Uhr-Nachrichten davon gehört hatten, noch nichts merkten. Journalistenschwachsinn, falscher Alarm oder Beginn einer neuen Ära; Fünfzigjährige, zu spät geboren für den Mai 68 und immer noch neidisch auf die Älteren, sagten eine Revolution voraus, die mit großen Schritten näher käme. Sie rissen ihre Restaurantgutscheine vom Block und redeten über ihre Immobilienpläne für die Rente, während sie von einer strahlenden, für immer von Spekulation und Heuschrecken mit Diplomatenkoffer befreiten Zukunft träumten, von einem Paradies der gewissenhaften Beamten, die sich für die edelste Sache einsetzten: den Fortbestand des Wohlfahrtsstaates. In diesem versifften und apokalyptischen Umfeld, inmitten von Tratsch und hohlen politischen Einschätzungen begann Alejandro seine Tage mit leerem Bauch und vollen Hoden. ...
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Autor

Marion Messina wurde 1990 in Grenoble geboren. Sie studierte zuerst Politik- und dann Agrarwissenschaften mit dem Vorhaben, später auf einem Bauernhof zu leben. Stattdessen begann sie als freie Journalistin für verschiedene Medien zu arbeiten und veröffentlichte ihren von der Kritik gefeierten ersten Roman "Fehlstart", der 2020 bei Hanser erschien.