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Rasse im Recht - Recht gegen Rassismus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
489 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am10.05.2021Originalausgabe
Über »Rasse« im Grundgesetz wird derzeit viel gestritten. Ist es ein rassistisches Wort, das es zu ersetzen gilt, oder eine für die Bekämpfung von Diskriminierung notwendige Kategorie? Doris Liebscher geht der Frage historisch, rassismustheoretisch und rechtsdogmatisch auf den Grund. Sie rekonstruiert, wie der Begriff ins Grundgesetz kam, und untersucht, wie Gerichte und Rechtswissenschaft heute das auf »Rasse« bezogene Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 GG auslegen. Auch das Recht der DDR sowie europäische, US-amerikanische und weitere internationale Rechtsdebatten unterzieht sie einer kritischen Analyse, um schließlich für ein postkategoriales Antidiskriminierungsrecht zu plädieren: die Ersetzung des Rechtsbegriffs »Rasse« durch »rassistisch«.



Doris Liebscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Ombudsfrau des Landes Berlin zur Umsetzung des ersten deutschen Landesantidiskriminierungsgesetzes. Für ihr Buch Rasse im Recht - Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten rechtlichen Kategorie wurde sie mit dem Konrad-Redeker-Preis ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR25,99

Produkt

KlappentextÜber »Rasse« im Grundgesetz wird derzeit viel gestritten. Ist es ein rassistisches Wort, das es zu ersetzen gilt, oder eine für die Bekämpfung von Diskriminierung notwendige Kategorie? Doris Liebscher geht der Frage historisch, rassismustheoretisch und rechtsdogmatisch auf den Grund. Sie rekonstruiert, wie der Begriff ins Grundgesetz kam, und untersucht, wie Gerichte und Rechtswissenschaft heute das auf »Rasse« bezogene Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 GG auslegen. Auch das Recht der DDR sowie europäische, US-amerikanische und weitere internationale Rechtsdebatten unterzieht sie einer kritischen Analyse, um schließlich für ein postkategoriales Antidiskriminierungsrecht zu plädieren: die Ersetzung des Rechtsbegriffs »Rasse« durch »rassistisch«.



Doris Liebscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Ombudsfrau des Landes Berlin zur Umsetzung des ersten deutschen Landesantidiskriminierungsgesetzes. Für ihr Buch Rasse im Recht - Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten rechtlichen Kategorie wurde sie mit dem Konrad-Redeker-Preis ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518768440
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum10.05.2021
AuflageOriginalausgabe
Reihen-Nr.2352
Seiten489 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5407305
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



131. Zur Einleitung



Die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit erfordert gewiss ein Wissen um Fakten, aber das genügt nicht, nötig ist auch der Versuch ihrer Deutung, ohne die keine Folgerung und keine Lehre gezogen werden können.

Fritz Bauer[1] 


1945 ging eine lange Zeit gesetzlich verordneter rassistischer Segregation in Deutschland zu Ende. Mit Wirkung zum 20. September 1945 setzte das Kontrollratsgesetz Nr.1 die Nürnberger Rassengesetze außer Kraft und erklärte, keine deutsche Gesetzesverfügung sei mehr anzuwenden, durch die »irgendjemand auf Grund seiner Rasse [...] Nachteile erleiden würde«.[2]  An diese Prämisse schloss 1949 Art 3. Abs.3 GG an: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.«[3]  Auch die DDR nahm ein antirassistisches Bekenntnis in Art.6 Abs.2 VerfDDR auf. Seither ist das Recht in Deutschland als nicht-rassistisches Recht konzipiert. Es kennt keine vorgeschriebene rassistische Segregation; es gibt keine strafgesetzliche, familienrechtliche oder sonstige fachrechtliche ausdrückliche Unterscheidung entlang der Kategorie Rasse.[4] 

Zugleich ist Recht einer der wenigen Orte, in denen Rasse als personale Kategorie noch Verwendung findet. Der Begriff taucht in Art.3 Abs.3 S.1 GG und auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz mit der antirassistischen Intention auf, Benachteiligungen »zu verhindern und zu beseitigen« (§1AGG). Recht ge14gen Rassismus teilt dabei den Begriff der Rasse mit rassistischen Konzepten. Deshalb steht der Begriff zur Debatte. Diskutiert wird seine Ersetzung durch die Kategorie »ethnische Herkunft«, durch den Terminus »angebliche Rasse« oder durch die postkategoriale Formulierung »rassistisch«.[5]  Begründet wird das vor allem mit der biologistischen Konnotation des Begriffs und seiner kolonialen und nationalsozialistischen Geschichte als Instrument zur Kategorisierung und Diskriminierung von Menschen.[6]  Das ist ein Unterschied zum angloamerikanischen Sprach- und Rechtsraum, wo es eine lange Tradition kritisch-affirmativer Bezugnahmen auf race gibt. Die Befürworter:innen des Rassebegriffs verweisen auf diesen racial turn und auf die international etablierte Verwendung des Begriffs als rechtliche Kategorie zur Bekämpfung von Rassismus.[7] 

Die Debatte zeigt: Als rechtlicher Begriff ist Rasse kontingent, als Ergebnis diskursiver Kämpfe umstritten. Wie Geschlecht ist auch Rasse kein originär rechtswissenschaftliches Konzept. Bedeutungen von Rasse werden in lebenswissenschaftlichen, kultur- und sozialwissenschaftlichen, aber auch in politischen Diskursen verhandelt. Dabei stellen sich Fragen, die entlang extremer Polaritäten verortet sind: Ist Rasse eine naturwissenschaftliche Realität oder ein ideologisches Konstrukt? Sind rassialisierende Zuordnungen immer diskriminierend oder kann Rasse auch eine selbstermächtigende Identitätskategorie sein? Handelt es sich um einen diskriminierenden Begriff, der zu verabschieden wäre, oder um einen analytischen Begriff, den es zu schärfen gilt? Die vorliegende Untersuchung begibt sich auf die Suche nach den Bedeutungen von Rasse in diesem Recht gegen Rassismus. Sie rekonstruiert, wie Rasse ins Recht gelangte, legt Entwicklungen des Wissens über rassische Kategorisierungen im Rechtsdiskurs dar und plädiert für ein postkategoriales Antidiskriminierungsrecht, das die strukturelle Verfasstheit von Rassismus berücksichtigt.


151.1. Die Schwierigkeit, Rassismus im Recht zu besprechen


Der Umgang mit der Gleichheit ist als eine grundsätzliche Herausforderung beschrieben worden, er verlangt von Jurist:innen sowohl rechtsdogmatische Kompetenz als auch Kompetenz im Umgang mit Diskriminierungsrealitäten.[8]  Das gilt auch für Rassismus. Den neutralen Ort, von dem aus die Wissenschaft die sozialen Dynamiken gesellschaftlicher Verhältnisse distanziert beobachtet und analysiert, gibt es nicht; so beschreiben Kimberlé Crenshaw und Neil Gotanda, zwei Gründer:innen der Critical Race Theory, ein Credo rassismuskritischer Wissenschaft.[9]  Rassistische Diskriminierung als solche zu erkennen, zu benennen und sie rechtlich zu beurteilen - all das fordert heraus: rechtsdogmatisch, rassismustheoretisch und ganz persönlich, denn Rassismus betrifft uns alle, aber sehr unterschiedlich.

Meine ersten Erfahrungen mit Rassismus und Recht machte ich in Leipzig, wo ich geboren wurde und zur Schule ging, wo ich 1989 die Wende erlebte und ab 1993 Jura studierte. Die Wende brachte nicht nur Freiheit und ein neues, demokratischeres Rechtssystem, sie brachte auch neue Ungleichheit und führte schnell in einen nationalen Wiedervereinigungstaumel, der nicht alle inkludierte. Die Zeit war durch eine Verschärfung der gesellschaftlichen Debatten um Flucht und Migration geprägt und durch die Zunahme rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt. Sie traf People of Color, Migrant:innen, Rom:nja, Juden und Jüdinnen, Linke, Obdachlose und Schwule. Baseballschlägerjahre werden diese Jahre heute auch genannt. Sie waren auch durch eine Abwesenheit des Rechtsstaats, durch ein Klima der Straffreiheit für rechten Terror geprägt. Rostock, Mölln, Solingen und Hoyerswerda zählen dabei zu den bekanntesten, jedoch nicht den einzigen Orten. Am 23. Oktober 1996 verteidigte der 30-jährige Achmed Bachir in einem Leipziger Gemüseladen seine Kolleginnen vor rassistischen Pöbeleien durch zwei Neonazis. Achmed Bachir hatte sich allein nach Deutschland durchgeschlagen, um von hier aus seine Familie in Damaskus zu unterstützen: seine Frau, seine Tochter, die 1996 drei Jahre alt war und die er noch nie gesehen hatte, seine kranke Mutter. Er lebte 16in einer Flüchtlingsunterkunft in Leipzig und half im Gemüsegeschäft seines Freundes aus. Seine Zivilcourage bezahlte er mit dem Leben.[10]  Es war der erste rassistische Mord in Leipzig nach 1990, der erste Gerichtsprozess, den ich beobachtete und dessen Verlauf ich mit einer Mischung aus Sprachlosigkeit und Wut verfolgte. Die Staatsanwaltschaft konnte kein rassistisches Motiv erkennen. Von Rassismus war auch im Urteil nicht die Rede. Es blieb antifaschistischen und antirassistischen Gruppen vorbehalten, dagegen zu demonstrieren. Erst 2012, im Zuge der Diskussion um die Morde des rechten Terrornetzwerkes NSU, wurde Achmed Bachir in die Statistik der Opfer rechter Gewalt aufgenommen.

Seither hat sich die Benennung rassistischer und antisemitischer Tatmotive und die konsequentere Verfolgung rechter Gewalt mit den Mitteln des Rechts zunehmend durchgesetzt.[11]  Doch die Schwierigkeit, Rassismus in rechtlichen Verfahren zu besprechen, besteht weiter, nicht nur im Strafrecht. Rassismus war als Begriff zur Diagnose gegenwärtiger Verhältnisse in Deutschland lange verpönt, besonders in institutionellen Settings, das zeigen die aktuellen Diskussionen um Racial Profiling. Die Bundesregierung bezeichnete den Hinweis auf institutionellen Rassismus bei den polizeilichen Ermittlungen zu den Taten des NSU noch 2016 als »undifferenzierte Sichtweise«.[12]  Namhafte Juristen sehen »übertriebene politische Korrektheit« am Werk, wenn rassistische Diskriminierung jenseits von Gewalt und in der Mitte der Gesellschaft rechtlich adressiert wird.[13]  Mitunter wird versucht, Rassismus- 17oder Antisemitismusvorwürfe mit rechtlichen Mitteln abzuwehren.[14] 

Diese Schwierigkeit, über Rassismus zu sprechen, und die kontroversen Bezüge auf den Begriff der Rasse im Recht führen auch bei der Mobilisierung von Antidiskriminierungsrecht zu Verunsicherung. Das zeigen die vergleichsweise wenigen seit Erlass des AGG geführten Verfahren in Fällen rassistischer Diskriminierung. Die Verfahrensbeteiligten und die Richter:innen vermeiden den Begriff...


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Autor

Doris Liebscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und Ombudsfrau des Landes Berlin zur Umsetzung des ersten deutschen Landesantidiskriminierungsgesetzes. Für ihr Buch Rasse im Recht - Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten rechtlichen Kategorie wurde sie mit dem Konrad-Redeker-Preis ausgezeichnet.