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Jahreszeiten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am27.03.2024
Was kann uns halten, wenn das Leben aus dem Takt gerät? Worauf kommt es im Leben wirklich an? Tess wünscht sich das Chaos zurück, das bis vor Kurzem ihr Leben gewesen ist: ihre Zwillinge Sonny und Max, die von ihren Abenteuern Blütensammlungen, Vogelstimmen und Dreck ins Haus tragen, ihren Ehemann Richard, der das ganze Dorf kennt und über alles Bescheid weiß. Doch Max verlässt sein Zimmer nur noch unter Murren und Richard geht jedem Gespräch aus dem Weg, in dem er sich stundenlang seinen Pflanztunneln widmet. Spürt niemand außer Tess, dass das Leben der Familie aus den Fugen geraten ist? »Jahreszeiten« ist der Roman einer Familie, die ihre Vielstimmigkeit wiederfinden muss, um gemeinsam loslassen zu können. Er erzählt die tröstliche Geschichte einer Frau und Mutter, einer Ehe und Familie, die aus dem Takt geraten ist, die Trost und Hoffnung im Rhythmus der Jahreszeiten sucht.

Fiona Williams ist in Südlondon aufgewachsen, hat eine Farm in Australien betrieben, in Singapur gewohnt und lebt mittlerweile mit ihrer Familie in den Somerset Levels, einem Feuchtgebiet im Südwesten Englands. Sie hat Biowissenschaft und kreatives Schreiben studiert. Für »Jahreszeiten« hat sie schon vor Veröffentlichung den renommierten Bridport Prize gewonnen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextWas kann uns halten, wenn das Leben aus dem Takt gerät? Worauf kommt es im Leben wirklich an? Tess wünscht sich das Chaos zurück, das bis vor Kurzem ihr Leben gewesen ist: ihre Zwillinge Sonny und Max, die von ihren Abenteuern Blütensammlungen, Vogelstimmen und Dreck ins Haus tragen, ihren Ehemann Richard, der das ganze Dorf kennt und über alles Bescheid weiß. Doch Max verlässt sein Zimmer nur noch unter Murren und Richard geht jedem Gespräch aus dem Weg, in dem er sich stundenlang seinen Pflanztunneln widmet. Spürt niemand außer Tess, dass das Leben der Familie aus den Fugen geraten ist? »Jahreszeiten« ist der Roman einer Familie, die ihre Vielstimmigkeit wiederfinden muss, um gemeinsam loslassen zu können. Er erzählt die tröstliche Geschichte einer Frau und Mutter, einer Ehe und Familie, die aus dem Takt geraten ist, die Trost und Hoffnung im Rhythmus der Jahreszeiten sucht.

Fiona Williams ist in Südlondon aufgewachsen, hat eine Farm in Australien betrieben, in Singapur gewohnt und lebt mittlerweile mit ihrer Familie in den Somerset Levels, einem Feuchtgebiet im Südwesten Englands. Sie hat Biowissenschaft und kreatives Schreiben studiert. Für »Jahreszeiten« hat sie schon vor Veröffentlichung den renommierten Bridport Prize gewonnen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104917863
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum27.03.2024
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4735 Kbytes
Artikel-Nr.12564485
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

MAX

Mum ist spät dran für ihren Vormittagsbesuch bei Cyril. Sie hat verschlafen, und ihre Augen sehen verquollen aus. Nach einer heruntergeschlungenen Scheibe Toast zieht sie ihre dicke Jacke an und stülpt sich eine Wollmütze über die Haare. Auf der Küchentheke stehen schon eine Portion vom gestrigen Abendessen und eine Plastiktüte mit Glühbirnen, einem Packen Geschirrtücher und einer Flasche Rotwein bereit.

»Ich kann auch allein gehen. Dad würde sich bestimmt auch über Hilfe freuen«, sagt sie an der Hintertür zu uns. Unsere Haustür vorn, die direkt ins Wohnzimmer führt, wird nie benutzt, weil Mum sagt, wir würden den Schlamm auf den Teppichen breit treten. Außerdem führt die Hintertür auch in den Windfang, wo Dad für unsere Jacken und Schuhe lauter Haken und Regale angebracht hat. Auch wenn wir sie nicht oft benutzen.

»Wir wollen aber mitkommen«, antworte ich.

»Ja«, fügt Sonny hinzu.

Sie seufzt. »Na dann, Beeilung. Ich will jetzt los.«

Wir kramen unsere Anoraks aus dem Wust an Regenkleidung, die überall im Windfang verstreut liegen, und folgen ihr raus in den Garten. Dad hockt in den Gemüsebeeten und schneidet die letzten Kürbisse von den Pflanzen. Obwohl sie riesig sind, kann er mühelos zwei auf einmal tragen. Seine Hände sind knallrot, was bedeutet, dass er seit Stunden hier draußen ist, wahrscheinlich schon vor Sonnenaufgang begonnen hat. Eigentlich steht er immer als Erster auf. Sonny und ich hören dann, wie er die Treppe nach unten schleicht, um sich einen Kaffee zu holen und im Radio die Nachrichten zu hören. Früher leistete Mum ihm Gesellschaft. Wir hörten immer gedämpftes Lachen hinter ihnen herziehen. Jetzt kommt sie erst aus dem Schlafzimmer, wenn er sein Frühstück beendet und die Küche verlassen hat.

Dad schneidet weiter Kürbisse, ohne den Kopf zu heben und Guten Morgen zu sagen. Hoffentlich ist er nicht sauer auf mich, weil ich ihm nicht mit den Saubohnen helfe.

»Nein. Das liegt an dem Streit gestern Abend«, flüstert Sonny, als wir an Mums leerem Blumengarten vorbeigehen und über die auf dem Weg zum Tor aufgetürmten Holzkisten springen. The Veggie Man ist mit dicker schwarzer Schrift auf jede drauf gepinselt, genau wie auf den Seiten von Dads Lieferwagen. Von den Pferdeäpfeln neben dem Zaun steigt Dampf auf, und der Gestank erfüllt die kalte Oktoberluft.

Wir gehen hoch zu Cyrils Haus, vorbei an Barbara nebenan im The Gables, Marge im Willow Cottage, dann dem Riverside, wo der Lkw-Fahrer wohnt, den wir nie sehen, und zuletzt vorbei an Mr. Brewers einstöckigem Haus. In unserer Straße stehen die Häuser nur auf einer Seite, mit dem Fluss dahinter, der wie ein Geheimnis dahinfließt. Auf der anderen Seite sieht man bis zur Winslow Farm ausschließlich Korbweidenpflanzungen und Felder. Manchmal wünschte ich, wir würden mitten im Dorf wohnen wie all die anderen Kinder in der Schule, entweder in Salter Close oder in der Puttford Lane. Aber Dad sagt, dass er alte Häuser am liebsten mag und es ihm hier draußen in unserer verschlafenen Straße am besten gefällt. Ich bummle an Hectors Feld vorbei, wo die Schafe zwischen den Brombeeren grasen. Schon bald werden die Früchte verfault und dem Volksglauben nach vom Teufel bespuckt sein. Die Straße ist still, aber das Aufheulen der Traktoren auf der Farm weiter oben und das Klacken der Vogelabwehr an den Stromleitungen durch den Wind höre ich trotzdem. Bald ist Winter, und die Weiden werden alle leer sein. Sonny läuft vorneweg, summt vor sich hin und kickt die Wespen von den heruntergefallenen Äpfeln.

Cyrils Haus ist größer als alle anderen Cottages am Fluss und bis rauf zum Dach mit Efeu bewachsen. Dad sagt, früher ist es mal ein kleiner Laden mit Poststelle gewesen, aber mittlerweile haben wir einen richtigen Dorfladen, Ted and Janet´s, direkt neben dem Pub. Auf der Veranda schlängeln wir uns an Töpfen mit sterbenden Kräutern vorbei, und die Stare, die das Vogelhaus in Beschlag nehmen, fliegen zwitschernd davon. Ich suche nach runtergefallenen Federn, während Mum den Ersatzschlüssel aus seinem Versteck in der rostigen alten Keksdose unter der kleinen Bank holt, auf der Cyril bei Sonnenschein immer gerne sitzt.

»Cyril? Bist du wach? Wir sinds«, ruft sie beim Aufschließen der Haustür.

Drinnen ist es kalt und dunkel. Die Rollos an den Fenstern sind halb runtergezogen. Sonny und ich bedienen uns an Cyrils leckeren Mandelkeksen, während Mum den Topf mit unseren Abendessensresten auf die Kochplatte stellt, die Tragetasche auspackt und den Kessel mit Wasser füllt. Sie wuselt in der Küche rum, räumt Teller und Schüsseln in die Schränke und wischt Krümel weg. Staub steigt in die Luft und umkreist die verblassten Holzpapageien, die von der Decke hängen. Antiquitäten drängen sich auf der breiten Kommode, die die ganze Wand einnimmt. Es gibt Tassen mit knorrigen Griffen, einen großen indischen Gott aus Holz mit Elefantenkopf, teuer aussehende blau-weiße Porzellanteller und eine Tabakdose, die angeblich von der Titanic stammt. Ich streife mit der Hand über eine verführerische Sammlung goldener Tierfiguren, die Cyril aus Kolumbien mitgebracht hat. Er sammelt auch Fossilien, hat aber die besten Stücke schon alle an Sonny weitergereicht, bis auf den riesigen Megalodonzahn, den Sonny unbedingt haben will, der aber laut Dad ziemlich wertvoll sein dürfte.

»Max, sieh doch mal nach, wo Cyril ist«, sagt Mum. »Und bitte nichts anfassen.« Sie ermahnt uns immer, nicht mit den Figuren und Preisen und Pokalen in den Regalen zu spielen, obwohl sie weiß, dass das unmöglich ist. Hier drinnen ist es wie in einem Museum voll mit coolem Zeug, das Cyril auf seinen Reisen gefunden hat. Früher war er Schauspieler in richtigen Filmen, aber inzwischen ist er zu alt und schreibt höchstens noch schmutzige Gedichte.

Die zitronengelben Wände im Flur sind vom Boden bis zur Decke mit alten Filmpostern bedeckt. Die meisten sind schwarzweiß, aber es gibt eines in Farbe, auf dem ein junger Cyril mit einem schmalen Schnauzer in einem schicken schwarzen Anzug zu sehen ist. Die Arme sind um eine lachende Frau in einem engen roten Kleid geschlungen. Sonny und ich finden ihn an dem massiven Holztisch in der Ecke im Wohnzimmer, ganz still sitzt er da in seine Decke gemummelt und wirkt fast unsichtbar. Seine dünnen Hände umklammern die Lehnen seines Liegesessels. An seinem Kinn laufen Spuckebläschen runter. Als er uns sieht, zucken seine Lider und er winkt uns zu sich an den Tisch. Irgendwas braucht er ganz dringend, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich bin erstarrt, von dem rasselnden Geräusch, das aus seiner Brust kommt, und von den kleinen Schnappatmungen, die er macht, während er um Luft ringt. Es wirkt, als ob er unter Wasser ist. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich habe dieses Geräusch schon mal gehört. Mit einer schwachen Bewegung zeigt Cyril zum Tisch. Er ist verzweifelt, aber ich kann nichts tun, außer die Luft anzuhalten und zuzusehen, wie sein Gesicht immer mehr zusammenfällt. Seine Lippen verfärben sich blau. Sonny scheint es nicht zu stören, was Cyril für Geräusche macht oder wie seine Augen wegrollen, bis man fast nur noch das Weiße sieht.

»Schnell - sein Inhalator muss hier irgendwo sein«, sagt er zu mir. »Wir müssen ihn finden.« Der Tisch ist zugemüllt und wir suchen unter Tablettenpackungen, aufgeschlagenen Büchern, Zeitungen und Bergen benutzter Taschentücher. »Hier!« Sonny entdeckt den Inhalator hinter einer Tasse kaltem Kaffee. Ich drücke ihn Cyril in die zittrigen Hände, und wir sehen zu, wie er gierig einen Zug nach dem anderen nimmt. Endlich schießt ihm wieder Blut in die Wangen.

»Alles gut hier drinnen?«, fragt Mum, die mit einem Tablett ins Zimmer kommt. »Max! Was ist los? ... Cyril?« Sie stürzt zu ihm und verschüttet Tee auf den Teppich. Sonny tritt zur Seite, um ihr Platz zu machen.

»Alles okay, Mum. Es geht ihm schon wieder besser.«

»Cyril? Geht es dir gut?« Sie legt Cyril die Hände auf die Schultern, was ihn offenbar entspannt. Sein Rücken und Nacken, seine Arme und Beine strecken sich, ein bisschen wie ein funkelnagelneuer Schmetterling, und er wirkt größer und überhaupt nicht geschrumpft.

»Beruhigt euch«, antwortet er. »Natürlich geht es mir gut. Hast du mir Wein mitgebracht?«

Bis zum Mittag sitzen wir hier fest, wenn Mum das Essen vom Vorabend warm machen wird und sich das ganze Haus mit dem würzigen Geruch von Ochsenschwanz füllt. Wahrscheinlich die einzige richtige Mahlzeit, die Cyril die ganze Woche zu sich genommen hat. Normalerweise ernährt er sich von angetrocknetem Brot, Oliven, Dosenmakrelen in Tomatensoße und Butterscotch Mousse. Er hat nie Hunger. Er sagt, Mums Essen ist das Einzige, für das er sich begeistern kann. Bevor er krank wurde, hat er uns immer Pancakes mit Pfirsichen oder Fruchtcocktail aus der Dose, bestäubt mit Puderzucker, gemacht. Als er im Krankenhaus war, hat Mum seine Pflanzen gegossen und seinen Kater Brutus versorgt, der im Frühling von einem Auto überfahren wurde. Jetzt besucht Mum ihn fast jeden Samstag, meist am Vormittag, bevor der Pflegedienst kommt. Cyril sagt, Mum sei die geborene Krankenschwester, wie fast alle Frauen aus der Karibik. Mum kriegt dieses Zucken um den Mund, wenn er so was sagt. Dad findet, Cyril wäre in einem Pflegeheim besser aufgehoben.

»Nur über meine Leiche«, sagt Cyril zu uns.

Sonny und ich turnen auf den Sofalehnen rum, während er Mum sein neues Gedicht vorliest, irgendwas über die feuchte, weiche Spalte von Lo. Er schreit, um...
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Autor

Fiona Williams ist in Südlondon aufgewachsen, hat eine Farm in Australien betrieben, in Singapur gewohnt und lebt mittlerweile mit ihrer Familie in den Somerset Levels, einem Feuchtgebiet im Südwesten Englands. Sie hat Biowissenschaft und kreatives Schreiben studiert. Für »Jahreszeiten« hat sie schon vor Veröffentlichung den renommierten Bridport Prize gewonnen.Maria Hummitzsch, 1982 in Magdeburg geboren, studierte in Leipzig, Lissabon und Florianópolis Übersetzung, Psychologie und Afrikanistik. Seit 2011 arbeitet sie als Literaturübersetzerin aus dem Portugiesischen und Englischen, u.a. von Masande Ntshanga, Chinelo Okparanta und Ayòbámi Adébáyò, und regelmäßig als Moderatorin. Von 2017-2021 war sie 2. Vorsitzende des VdÜ. 2015 begründete sie das Übersetzerzentrum auf der Leipziger Buchmesse, das sie mit Franka Reinhart kuratiert. Sie ist regelmäßig als Moderatorin und Dozentin tätig, aktuell am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Maria Hummitzsch lebt in Leipzig.