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Täuschland

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
256 Seiten
Deutsch
Schruf & Stipeticerschienen am06.11.2023
In Täuschberg, einem verlassenen Dorf in der ehemaligen DDR, tritt Timo seine erste Stelle an. Hier soll er eine Gruppe Geflüchteter unterbringen und bei der Integration begleiten. Das Dorf ist umgeben von dichtem Wald - für Timo eine neue, unheimliche Welt. Die Bewohner des Nachbarorts Täuschenbach hingegen verehren den Wald und feiern dort alte Bräuche. Timo ist fasziniert von ihrer Naturverbundenheit und will alles verstehen. Er akzeptiert ihre Lebensweise, auch wenn sie alles Fremde ablehnen. Als die Geflüchteten ihr Dorf bezogen haben, beobachtet er zufrieden, wie zwischen Täuschberg und Täuschenbach dennoch erste Kontakte geknüpft und Waren getauscht werden. Aber es kommt auch zu Konflikten, die Timo bald nicht mehr verharmlosen kann, und er muss entscheiden, ob er es mit einer Gruppe schrulliger Heimatschützer zu tun hat oder mit völkisch gesinnten Rassisten.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,90
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextIn Täuschberg, einem verlassenen Dorf in der ehemaligen DDR, tritt Timo seine erste Stelle an. Hier soll er eine Gruppe Geflüchteter unterbringen und bei der Integration begleiten. Das Dorf ist umgeben von dichtem Wald - für Timo eine neue, unheimliche Welt. Die Bewohner des Nachbarorts Täuschenbach hingegen verehren den Wald und feiern dort alte Bräuche. Timo ist fasziniert von ihrer Naturverbundenheit und will alles verstehen. Er akzeptiert ihre Lebensweise, auch wenn sie alles Fremde ablehnen. Als die Geflüchteten ihr Dorf bezogen haben, beobachtet er zufrieden, wie zwischen Täuschberg und Täuschenbach dennoch erste Kontakte geknüpft und Waren getauscht werden. Aber es kommt auch zu Konflikten, die Timo bald nicht mehr verharmlosen kann, und er muss entscheiden, ob er es mit einer Gruppe schrulliger Heimatschützer zu tun hat oder mit völkisch gesinnten Rassisten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783944359885
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum06.11.2023
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1199 Kbytes
Artikel-Nr.12745798
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Menarchenfeier

Nach der Präsentation beim Landrat nahm Timo den Zug und fuhr wieder nach Hause. In der folgenden Zeit joggte er viel, traf sich mit Freunden, schlief lange, kochte für seine Eltern fremde Gerichte, die sie eigentlich nicht mochten, und antwortete unentschlossen auf Stellenausschreibungen, die nur entfernt seinem Profil entsprachen. Inzwischen nahm er an, man habe bei der Diakonie seine Bewerbung vergessen. Dann aber rief zu seiner Überraschung der Bezirksleiter an. Die Diakonie hatte den Zuschlag bekommen.

»Und warum?«, fragte Timo ungläubig, denn die Nutzungskonzepte der Immobilienfirmen hatten eigentlich viel überzeugender geklungen.

Der Bezirksleiter verstand die Frage nicht. »Aber das war doch von vornherein klar.«

»Echt?«

»Natürlich. Wussten Sie das nicht? Warum sollte der Kreis einer privaten Firma ein ganzes Dorf überschreiben? Mit dem Wald drum herum. Das Ganze ist eine Goldgrube, Herr Hornung. Fördergelder für den Denkmalschutz. Aber vor allem europäische Integrationsgelder für Geflüchtete. Der Bund und das Land werden auch noch was drauflegen. Da kommt eine ordentliche Summe zusammen.«

Das war also von vornherein klar gewesen.

»Sie werden das höchste Budget in unserem Bezirk verwalten. Wir müssen Sie gut darauf vorbereiten.«

Sie wollten ihm die Aufgabe übergeben. Ihm! Ohne Zweifel. Er musste sich nicht einmal erneut bewerben. Manches gelang offensichtlich von selbst. Manches allerdings erst über Widerstände. Oft geschah beides innerhalb einer Entwicklung.

Warum er? Nur weil er schon einmal damit begonnen hatte? Aber vielleicht wollte wirklich niemand diese Aufgabe übernehmen, weil sie zu ungewöhnlich war und weil der Ort zu weit entfernt in der hintersten Ecke des Landes lag. Nein, wahrscheinlich traute es sich niemand zu. Er hatte eine passgenaue Qualifikation für diese außergewöhnliche Aufgabe. Nur so war es zu erklären.

Die Diakonie mailte noch am gleichen Tag einen Vertragsentwurf, den Timo sofort kritisch überprüfte. Sein erster wirklich richtiger Arbeitsvertrag immerhin. Auf keinen Fall wollte er sich unter Wert verkaufen. Doch sooft er den Text auch las, fiel ihm nichts auf, was er hätte ändern wollen, nicht einmal sein Gehalt. Er fand keinen Haken, nicht den kleinsten, nichts, worum man sich hätte streiten müssen. Aber eigentlich wollte er auch nichts finden.

Am Ende druckte er den Vertrag aus, unterschrieb, schickte ihn zurück und fügte noch einmal die Kopien seines Lebenslaufs und aller Zeugnisse hinzu, falls man sie verlegt hatte. Arbeitsbeginn am 15. März. Zwei Wochen in der Diakonie. Dann nach Täuschberg. Ersteinzug der Geflüchteten am 1. Mai.

»Toll, Timo«, sagte seine Mutter, und er wusste nicht, ob sie es so meinte. Sein Vater lächelte abwesend. Aber er schien stolz auf seinen Sohn zu sein. Nach dem langen Studium hatte er endlich eine feste Arbeit gefunden, war nun wirklich erwachsen und unabhängig von seinen Eltern, eine wichtige Zäsur im Leben aller.

Timo rief jeden und jede an, die er kannte, um darüber zu berichten, auch einige, die er kaum kannte. Vor allem informierte er Marie-Lou, die sich mit ihm freute und wie seine Mutter »Toll, Timo« sagte. Mit einigen Freunden feierte er in den Tagen danach den Vertrag.

Schon wenig später fanden in der Diakonie die ersten Gespräche über das Budget statt. Vorfinanziert, weil der Landkreis noch nichts überwiesen hatte. Timo erhielt eine Kurzeinführung in die Buchhaltung, den Aufbau und die Arbeitsweise der Diakonie, sogar ins Kirchengesetz. Diakonía heiße Dienen oder Helfen, lernte er. Auch Jesus war ein Diákonos gewesen. Vom Apostel Markus erfuhr er, was Jesus zu seinen Jüngern gesagt hatte, und das schrieb er sich auf, denn damit änderte sich kurzfristig sein Blick auf das Christentum: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

Er war nun ein Diákonos, ein Diener, ein Knecht wie Jesus und Markus und die anderen, deren Namen er vergessen hatte, außer Judas. Doch zunächst musste er sich selbst helfen, kaufte für das Projekt und deshalb auch für sich eine fünfsitzige VW-Pritsche mit Allrad, Matratzen, Bettzeug, Bettbezüge, Haushaltswaren und Verpflegung. Das Bett, einige Möbel und sogar Kanister für Wasser erhielt er im sozialen Möbellager der Diakonie. Er wurde noch mit einem Laptop, einigen Akkus, einem Handy und einer Flatrate ausgestattet und floh dorthin, wo danach nichts mehr kam. Und davor eigentlich auch nichts.

»Gott beschütze Sie, Herr Hornung.«

Timo war jetzt so etwas wie ein Missionar im Inneren, das sich aber wie das Äußere anfühlte. Er fuhr wieder an der einsamen Esche und später an Täuschenbach vorbei, schlingerte zwei Kilometer auf den schiefen Betonplatten des dunklen Waldweges, umkurvte einige tiefe Löcher und versuchte auf dem schmalen Weg zu bleiben, der jetzt dicht und dunkel durch den fast schon schneelosen Wald führte. Schließlich erreichte er in der letzten Kurve den blinden Verkehrsspiegel und dann das Dorf.

Sein Dorf. Das alte Amtsgebäude. Sein neues Zuhause. Davor ein knallblaues Baustellen-Klo im Schneematsch. Daneben ein großer Haufen Braunkohle, abgedeckt mit einer Plane. Beides hatte er kurz vorher bestellt. Dieses Klo passte allerdings überhaupt nicht in das Gesamtambiente.

Er parkte vor seinem Amt und strich noch einmal durch sein Dorf. Man hatte jetzt sogar die Holzplatten von den Fenstern der Häuser abmontiert. Der Ort sah dadurch weniger verlassen aus.

Ihm fielen zum ersten Mal die verrosteten Eisenzäune vor den Häusern auf, zusammengeschweißt aus Rohren und Moniereisen. Sterne. Quadrate. Oder nur aufrecht stehende Stangen. DDR-Zäune. Auf einigen noch Farben. Beige. Hellblau. DDR-Farben. Alles DDR. Konserviert. All die Jahrzehnte. Eines Tages wäre der Wald drüber gewachsen. Zwischen den Gärten standen keine Zäune. Alles eine große Fläche. Auch hinter den Häusern.

Keine Gehwege. Die mit Kopfstein gepflasterte Straße schief und schmal. Durch einen Vorgarten ging er zu einem der Häuser. Dünne Fensterscheiben. Vergilbte Gardinen, etwas verzogen, zu kurz. Davor verstaubte Spinnweben. Tote Insekten auf den Fensterbänken. Aufgeplatzte Farbschichten. Staub und Dreck.

Er blickte durch ein anderes schlieriges Fenster. Im Haus war es fast dunkel, aber einzelne Möbelstücke waren zu erkennen. Tiefer in der Wohnung erkannte Timo einen alten Kachelofen. Einige Bilder hingen an den Wänden. Alle schief. Das Leben war noch zu spüren, vage. Ein hartes, freudloses Leben. Aber vielleicht auch nicht. Timo kannte so ein Leben ja gar nicht.

In den Vorgärten erste Farbflecken. Einige Krokusse im plattgedrückten Gras. Dazwischen kleine gelbe Blumen. Auch einige Schneeglöckchen. Dicht an den Häusern noch trockene, hoch gewachsene Gräser. Gras auch zwischen den Gehsteinen, auch auf den Dächern, in den Dachrinnen. Verdorrte Blätter vor den alten Haustüren. Vor einer Tür lag noch ein großer Lappen als Fußabtreter, zusammengerutscht, zerwühlt beim letzten Mal. Alles mit eigener Geschichte. Und nichts davon war ihm bekannt.

Auf dem Rückweg zu seinem Amt fand er einen alten Briefkasten, der mit Moos überzogen und in Sträuchern versteckt war, die auffällig gelb blühten. Das Gelb des Briefkastens war dagegen kaum noch zu erkennen. Leerung 10.00 Uhr. Montags bis samstags. Vielleicht war er noch gefüllt mit Briefen und Karten? Glückwünsche, wichtige Termine, Abschiedsbriefe. Mit den Jahren hatten sie ihre Bedeutung verloren.

Ein alter Glaskasten daneben. Bekanntmachungen kaum noch leserlich am oberen Teil des Rahmens. Vergilbte Zettel, runtergefallen und zusammengerollt. Daneben verrostete Reißzwecken. Tote Insekten.

Er stieg eine der beiden Treppen zum alten Amtsgebäude hinauf und versuchte wie beim letzten Mal, die Haustür zu öffnen. Sie klemmte ein wenig, doch er konnte eintreten.

Ein dunkler Flur, kalt, muffig. Drei Türen, rechts, links, hinten. Zuerst links. Auch dunkel. Vorsichtig tastete er sich zu einem der Fenster und öffnete es. Dann drückte er mit aller Kraft die widerspenstigen Fensterläden nach außen.

Ein Schreibtisch mitten im Raum. Darauf eine olivgrüne Schreibmaschine. Erika stand mit geschwungenen Buchstaben über der Tastatur. Drei Stühle. Ein leerer Aktenschrank. Ein grüner Kanonenofen, Gusseisen mit einem schwarzen Rohr quer durch den Raum. Der Holzboden abgewetzt. Es roch nach feuchtem Papier. Er öffnete die anderen Fenster.

An der Wand hing eine alte Straßenkarte von Sachsen. Daneben die Karte des ehemaligen Kreises in einem verglasten Rahmen, schon etwas verblichen. Und eine Karte von Täuschberg. Kaum noch zu erkennen. Überall die gleiche Tapete, rosa und grüne Rauten, an manchen Stellen auch schon abgelöst. Ein Büro. Sein Büro.

Vor der Schreibmaschine sah er erst jetzt einen braunen Umschlag. Herrn Hornung. Ein Brief des Bauingenieurs. Alle Häuser seien...
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