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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
396 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20161. Auflage
Über weite Strecken autobiographisch erzählt Adrienne Thomas, die vor 1933 zu den meistgelesenen Autorinnen ihrer Generation gehörte, das Schicksal einer österreichischen Familie. Sie berichtet vom Alltag unter dem Nationalsozialismus, vom Zerfall von Familie und Freundschaft, von Vertreibung und Flucht als Folge der unmenschlichen politischen Verhältnisse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Adrienne Thomas, 1897 in St. Avold/Lothringen geboren, wuchs zweisprachig auf, übersiedelte nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin; ihr Anti-Kriegsroman ?Die Katrin wird Soldat? wurde 1933 öffentlich verbrannt; Flucht über mehrere Stationen nach New York, wo sie als Journalistin arbeitete und 1941 den vormaligen sozialistischen österreichischen Minister und republikanischen Spanien-Offizier Julius Deutsch heiratete; 1947 Rückkehr nach Wien; Autorin mehrerer Romane und Kinderbücher. Adrienne Thomas starb 1980 in Wien.
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Produkt

KlappentextÜber weite Strecken autobiographisch erzählt Adrienne Thomas, die vor 1933 zu den meistgelesenen Autorinnen ihrer Generation gehörte, das Schicksal einer österreichischen Familie. Sie berichtet vom Alltag unter dem Nationalsozialismus, vom Zerfall von Familie und Freundschaft, von Vertreibung und Flucht als Folge der unmenschlichen politischen Verhältnisse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Adrienne Thomas, 1897 in St. Avold/Lothringen geboren, wuchs zweisprachig auf, übersiedelte nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin; ihr Anti-Kriegsroman ?Die Katrin wird Soldat? wurde 1933 öffentlich verbrannt; Flucht über mehrere Stationen nach New York, wo sie als Journalistin arbeitete und 1941 den vormaligen sozialistischen österreichischen Minister und republikanischen Spanien-Offizier Julius Deutsch heiratete; 1947 Rückkehr nach Wien; Autorin mehrerer Romane und Kinderbücher. Adrienne Thomas starb 1980 in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105613139
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.09.2016
Auflage1. Auflage
Seiten396 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2090789
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Nein und Ja

Als im Jahr 1917 das amerikanische Repräsentantenhaus über Krieg und Frieden abstimmte, kam von allen Mitgliedern des Hauses ein »Ja!« - ein einziges Mitglied ausgenommen. Dieses Mitglied war eine Frau. Als Mrs. Jeanete Rankin ihre Stimme abgeben sollte, kam von ihr ein tränenersticktes »Nein!«.

Ich war damals noch ein Kind; aber ich stand schon an Sterbebetten französischer und deutscher Soldaten, oft auch noch halbe Kinder, kaum älter als ich. Ich kannte den Krieg, ich wußte, wozu die Amerikanerin »Nein« gesagt hatte, und während ich von einem Sterbelager zum anderen ging, war in mir der gleiche heiße Protest der Frau von der anderen Seite des Ozeans. Aus ihrem »Nein« und aus allem, was ich gesehen und erlebt habe in vier Kriegsjahren, ist dann mein Buch »Die Katrin wird Soldat« entstanden.

Ein Jahr lang schrieb ich an dem Buch, arbeitete Tag und Nacht. Millionen hatten ihr Leben gegeben. Ich mußte wenigstens dieses eine Jahr geben für die, nach denen die Kriegsmaschine eines Tages wieder greifen konnte. Schon marschierte man wieder durch die Straßen Berlins. Schon gab es wieder militärische Feiern und Paraden, schon schlug man sich.

Durch Zufall hatte ich erfahren, daß der anglo-amerikanische Verlag Harper, Brother & Heinemann ein Preisausschreiben veranstaltete. Die einzigen sich an den Wettbewerb knüpfenden Bedingungen waren, daß es sich um einen jungen, unbekannten Autor handeln müsse. Beide Bedingungen konnte ich restlos erfüllen. Ende Dezember 1929 sandte ich mein Manuskript nach Amerika.

Inzwischen war mein Buch durch einen bekannten Schriftsteller an den Verlag Ullstein-Berlin empfohlen worden. Ich schickte mein Buch an Ullstein, und vierzehn Tage später war es wieder da, wohlversehen mit einer höflichen Absage. Diese höfliche Absage holte ich mir noch ein halbes Dutzend Mal von den bekanntesten deutschen Verlegern. Solch eine Serie von Fehlschlägen sind für jeden Autor bitter. Ein Anfänger aber packt alle vorhandenen Durchschläge ein und geht zum Ofen. Jemand, der verständiger war als ich, verhinderte aber den Verbrennungsakt: »Ob das Buch gedruckt wird oder nicht - es ist das menschlichste Dokument aus dieser Zeit.« Dies war meine erste Buchkritik. Sie kam ein paar Tage früher als ein Brief aus Amerika. Er war von dem anglo-amerikanischen Verlag. Nein, den Preis habe ich nicht bekommen. Immerhin war in dem Schreiben die Rede davon, daß mein Buch unter mehr als vierhundert eingegangenen Manuskripten den dritten Platz erhalten, und daß man ihm eine »Honourable mention« zuerkannt habe. Gleichzeitig erbat der Verlag eine Option auf meinen Roman.

»Die Katrin wird Soldat« wurde dann in 15 Sprachen übersetzt, und ich hatte in Deutschland den größten Bucherfolg, den eine Frau dort jemals hatte. Trotzdem war es der größte Mißerfolg, den ein Buch dieser Art nur haben kann. Wie das »Nein« der Amerikanerin vergeblich ausgesprochen worden war, so war auch das der Europäerin vergeblich geschrieben worden. Wieder kam Krieg. Ein ganz anderer diesmal, einer, der eigentlich nichts mehr mit dem bisherigen Begriff Krieg zu tun hatte. Das, was an dessen Stelle getreten ist, hat man oft als die Herrschaft des Antichrist bezeichnet. Es ist schlimmer. Es ist die Herrschaft des Antimensch. Unter seiner Herrschaft führt man zunächst nach Möglichkeit nicht wirklich Krieg, stellt sich tunlich nicht wirklich in offener Schlacht. Da reicht man mit teuflischer Freundlichkeit die Hand, da greift man unter tausend Friedensversicherungen zur Feder, um Freundschaftspakte zu unterzeichnen, und hinterm Rücken, in der Linken, hält man die Handgranate.

Der Antimensch führt nicht gern wirklich Krieg. Er überfällt die Länder, mit denen er gerade Bündnisse abgeschlossen hat, beinah im Schlaf, rottet ganze Völker aus durch Hunger, Konzentrationslager oder raffiniertere Marter. Wir Europäer sind der Fratze des Antimensch auf Schritt und Tritt begegnet. Und wo wir ihn trafen, war Lüge, Verrat, Massenverhetzung, Meuchelmord. Sechs Jahre züngelte sein giftiger Atem bereits über Deutschland und dann über ganz Europa und schluckte, was immer seinen Appetit reizte. Hunderttausende hatte er schon in seinem Ursprungslande ausgeraubt, hatte stolze, verdienstvolle Menschen zu heimatlosen Bettlern gemacht. Und noch immer wußte man nicht, daß dies alles schon das war, was an die Stelle des veralteten Begriffes »Krieg« getreten war.

Es gab Zeiten, da man sich fagte: war man ein Überlebter oder ein Überlebender? Es gab Zeiten, da man sich fragte: wozu noch schreiben, da man zwar gelesen, aber nicht mehr gehört wurde? So kam März 1938 und Hitlers Überfall auf Österreich. Man ging viele Wochen durch das überfallene, das blutende Wien, sah und hörte alles und fing alles auf. Und nachts saß man dann doch am Schreibtisch, machte Notizen, stellte Begebenheiten zusammen und wußte doch gar nicht wozu. Ich bin kein Held. Ich weiß, was Angst ist. In Wien hatte ich Angst. Man brauchte nur das Radio anzustellen und die plebejischen Stimmen der neuen Machthaber zu hören, ihren niedrigen Hohn und ihr beispiellos ordinäres Gejohle. Man brauchte nur durch die Straßen zu gehen, in denen plötzlich Tausende von Menschen so aussahen wie der eine, der Antimensch aus dem Wiener Obdachlosenasyl. Ich hatte Angst vor dieser braunen Pestwelle, vor diesem Unterweltabschaum, der plötzlich das Straßenbild beherrschte. Ich hatte Angst; aber nachts saß ich dann doch an irgend einem Tisch und schrieb. Man durfte doch nicht schweigen. Man mußte doch zeigen, wer die hier waren. Alle moralischen, alle menschlichen Kräfte der Welt mußten sich vereinen gegen den Antimensch. Jede Stimme, auch die kleinste, mußte mit einstimmen in den Ruf zum Großen Sammeln: »Ja!«

In Wien, im Jahr 38 begann ich mein »Ja«. Ich begann es in der Wohnküche einer kleinen Verkäuferin, die mir Obdach gewährte, schrieb weiter daran auf einer schönen Besitzung im Wienerwald bei Freunden und kehrte wieder zurück an den Küchentisch der Verkäuferin. Ein Zuhause hatte ich nicht mehr. Zuhause war ich nur noch an irgend einem Schreibtisch. Die Nazis waren gewiß nicht nach Wien gekommen, um mich zu suchen. Da sie mich aber durch einen Zufall entdeckten, befahlen sie mir, mich am kommenden Morgen um sechs Uhr in einer ihrer Kasernen einzufinden. Als ich diesem Befehl nicht nachkam, ließen mir die neuen Herren mitteilen, ich würde mir, bei nochmaliger Gehorsamsverweigerung, die Folgen selbst zuzuschreiben haben.

Natürlich hatte ich Angst vor diesen Methoden; aber mein Buch schrieb ich doch. Und tagsüber trieb ich mich in der Stadt herum, und begleitete die Weltgeschichte auf ihren Abwegen. Bis ich, mit Hilfe französischer Freunde, Wien und Österreich verlassen konnte. Ein französischer Arzt, den ich gar nicht kannte, holte mich ab. Da ich meine Manuskripte nicht mitnehmen konnte, genossen sie monatelang Gastfreundschaft bei einem Nazi-Funktionär, der natürlich von dem Gefallen, den er mir erwies, nichts wußte. Desto besser wußte seine Köchin von jedem Stück, wo sie es versteckt hatte; sie war die Freundin meiner Schneiderin. Eines Tages wurde das alles in ein hakenkreuzbeflaggtes Auto gepackt. Es gehörte einer deutschen Offizierstochter. »Camouflage«, sagte sie lakonisch, als sie mir später erzählte, wie sie zu dieser Fahrt ihre erste Hakenkreuzfahne gekauft hatte. Die Hand zum Hitlergruß erhoben, ihren Wagen vollgepackt mit Dingen, die die Nazis brennend interessiert haben würden, verließ diese mutige Deutsche Österreich. Ein paar Wochen später kam mein Manuskript über England zu mir ins Elsaß.

Es war im Winter 38. In den Verrat an der Tschechoslowakei hatte die Welt gerade eingewilligt. Nun war man dazu übergegangen zuzusehen, wie in Deutschland Gotteshäuser angezündet und tausende von Menschen gemartert und totgeschlagen wurden. Präsident Roosevelt allerdings berief seinen Botschafter aus Deutschland ab; Frankreich aber lud Herrn von Ribbentrop nach Paris ein. Ich hörte in Straßburg die unwürdige Zeremonie im Radio übertragen. Ribbentrops hartes, holpriges Französisch macht dem Ort, wo er es gelernt hat, keine Ehre. Er ist in meiner Heimatstadt Metz zur Schule gegangen. Seine Schwester Edith ging in meine Klasse. Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut. Nur von einem Adel war damals keineswegs die Rede. - Herr Ribbentrop machte übrigens in Frankreich einen ausgezeichneten Eindruck. Die Zeitungen waren voller Anerkennung für den kunstverständigen und kultivierten Herrn, der sich den Louvre nachts in der berühmten Beleuchtung zeigen ließ. In vielen französischen Salons schämte man sich damals nicht, den Abgesandten des Antimenschen zu empfangen.

Dies war nicht mehr Frankreich. Ich schloß das soeben erhaltene Manuskript fort und begann ein Kinderbuch. Vielleicht konnte man zu Kindern noch reden. Mit den Erwachsenen hatte ich keine gemeinsame Sprache mehr. Im Frühjahr 39 übersiedelte ich in eine kleine Stadt bei Paris. In dem kleinen Haus mit Garten wollte ich den Sommer über bleiben und mein Kinderbuch fertig schreiben. In dieser Kleinstadt traf ich andere Menschen, einfache, aufgeschlossene. Es waren Bauern, kleine Beamte und Hausbesitzer, Arbeiter und Geistliche. Sonderbar, hier hatte man »Mein Kampf« gelesen. Hier wollte man sich nicht nur unterhalten, hier wollte man wissen. Ich hatte bald Freunde. Eines Tages unterhielt ich mich mit einer aus der Normandie stammenden Arbeiterfrau. Sie hatte zwei Söhne in der Marine, sprach voller Sorge von dem Krieg, der doch kommen müsse, aber sie fügte entschlossen hinzu: »Meine Buben müssen alle beide gehen. Und wenn ich könnte, ginge ich selber...
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