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Urlaub Macht Geschichte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
BeBra Verlagerschienen am01.08.2022
In keinem Land der Welt wurde mehr gereist als in der DDR. Der Tourismus stand dabei von Anfang an im Spannungsfeld zwischen staatlicher Regelungswut, politischen Interessen und privater Urlaubssehnsucht. Hasso Spode gibt in diesem Buch einen profunden Überblick über die Welt der gewerkschaftlichen und betrieblichen Ferienheime, der HO- und Interhotels, der Jugend-Ferienlager, der sozialistischen Urlaubsflotte, der Campingplätze und der Nacktbadestrände. Er beschreibt, wie DDR-Bürger innerhalb und außerhalb ihres Landes Urlaub machten - und wirft zudem einen Blick auf die DDR als Reiseziel für Touristen aus dem Westen.

Hasso Spode, geboren 1951 in Friedrichshagen, leitet das Historische Archiv zum Tourismus an der Technischen Universität Berlin und lehrt Historische Soziologie an der Universität Hannover. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe »Tourismusgeschichte«, Mitherausgeber zahlreicher Fachzeitschriften und Vorstand der »Alcohol and Drugs History Society«. Daneben liefert er Experten-Beiträge für Rundfunk und Fernsehen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden bislang in zehn Sprachen übersetzt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextIn keinem Land der Welt wurde mehr gereist als in der DDR. Der Tourismus stand dabei von Anfang an im Spannungsfeld zwischen staatlicher Regelungswut, politischen Interessen und privater Urlaubssehnsucht. Hasso Spode gibt in diesem Buch einen profunden Überblick über die Welt der gewerkschaftlichen und betrieblichen Ferienheime, der HO- und Interhotels, der Jugend-Ferienlager, der sozialistischen Urlaubsflotte, der Campingplätze und der Nacktbadestrände. Er beschreibt, wie DDR-Bürger innerhalb und außerhalb ihres Landes Urlaub machten - und wirft zudem einen Blick auf die DDR als Reiseziel für Touristen aus dem Westen.

Hasso Spode, geboren 1951 in Friedrichshagen, leitet das Historische Archiv zum Tourismus an der Technischen Universität Berlin und lehrt Historische Soziologie an der Universität Hannover. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe »Tourismusgeschichte«, Mitherausgeber zahlreicher Fachzeitschriften und Vorstand der »Alcohol and Drugs History Society«. Daneben liefert er Experten-Beiträge für Rundfunk und Fernsehen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden bislang in zehn Sprachen übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839301609
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.08.2022
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse10232 Kbytes
Artikel-Nr.9743217
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1    Prolog

Reisefreiheit! Das war es, was die Menschen in der DDR wohl am meisten umtrieb, als sie im Herbst 1989 auf die Straße gingen. Damit war nicht nur, aber vor allem die Freiheit gemeint, all jene Länder zu besuchen, die ihnen kraft Gesetzes verschlossen waren. Viele wollten endlich einmal eine Maß auf dem Münchner Oktoberfest bestellen oder sich am Strand von Saint-Tropez aalen. Go Trabi, go! Der Tourismus spielte aber nicht nur eine zentrale Rolle beim Untergang der DDR, er war schon zuvor ein geradezu konstitutives Element dieses Staates - in der Politik und im Lebensalltag gleichermaßen.

Die Menschen in der DDR reisten - wie die Menschen zu allen Zeiten - aus den verschiedensten Motiven, ob zum Baden nach Usedom oder auf Montage nach Bitterfeld. Karl der Große, der kriegerische »Reisekaiser«, legte in seinem Leben 40â000 Kilometer zurück. Ein Durchschnittsdeutscher bringt es heute dank maschinengetriebener Verkehrsmittel auf eine Wegstrecke von weit über einer Million Kilometer. Den Löwenanteil daran machen »Freizeitwege« aus:[1] Hierzu zählen der Gang zum Italiener um die Ecke, die U-Bahn-Fahrt ins Kino und die Autofahrt zur Datsche; die mit Abstand meisten Kilometer aber werden auf der Reise in einen mehr oder weniger fernen Urlaubsort zurückgelegt.

Diese touristische Reise[2] ist ein seltsam nutzloses Unterfangen. Sie ist keine Investition in den Erwerb von Kapitalien jedweder Art: Geld, Macht, Gesundheit, Wissen oder was es sonst noch für triftige Gründe gibt, eine Reise anzutreten. Manches davon spielt auch im Tourismus eine Rolle und die Übergänge sind fließend - aber: Die touristische Reise ist nicht rational begründet, soll nichts Konkretes einbringen. Im Gegenteil. Man opfert Zeit und Geld, nur um woanders zu sein. In diesem Anderswo wird nicht gearbeitet, wird keine Pflicht erfüllt: »Wer noch gezwungen ist, seine Reisen ernst zu nehmen, kann kein Tourist sein«, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk.[3] Die touristische Reise ist spielerischer Konsum, Konsum von Raum, von Erlebnissen und von Symbolen. Sie ist Selbstzweck und als solcher ein Luxus.

Um diese seltsame Reiseform geht es in den folgenden Kapiteln, um den Urlaub der DDR-Bürger bis 1989 und um die Strukturen, in denen er sich entfaltete - und die zum Teil vor den Augen der Menschen sorgsam verborgen wurden.[4] Das Reiseleben der DDR war höchst facettenreich; erst im Laufe der Arbeit an diesem Buch wurde mir klar, wie facettenreich es war. Nicht alles kann hier in der vielleicht wünschenswerten Breite behandelt werden. Ein Punkt aber - in der Forschung nur stiefmütterlich thematisiert - erfordert einigen Raum: Tourismus in der DDR, das schließt Tourismus in die DDR ein, die ja auch ein Reiseziel für Menschen aus anderen Ländern war (wobei Geschäftsreisen und Tagestouren, obschon keine Urlaubsreisen, nicht ausgespart werden können). Gerade in diesem Bereich offenbart sich in der Rückschau besonders deutlich die erwähnte verborgene Ebene.

Die Geschichte des Tourismus in der DDR lässt sich nicht erzählen, ohne einen Blick auf die großen Zusammenhänge zu werfen. In der Menschheitsgeschichte war das Reisen in aller Regel mehr Last als Lust. Die touristische Reise ist daher keineswegs der heutige Ausdruck einer in nomadischer Urzeit erworbenen Wanderlust, wie bisweilen zu lesen ist. Sie ist noch keine dreihundert Jahre alt. Der »touristische Blick« auf Land und Leute entstand im Zuge der romantisch-zivilisationskritischen Neubewertung von Natur und Geschichte im Europa des 18. Jahrhunderts, als empfindsame Philosophen und Künstler die erhabene Größe schneebedeckter Berge und donnernder Meereswogen entdeckten und sich dem wohligen Schauder verfallener Burgruinen hingaben.[5]

Als im folgenden Jahrhundert der Industriekapitalismus Fahrt aufnahm, hielt der zuvor auf eine kleine Avantgarde beschränkte touristische Blick auf Land und Leute auch im wachsenden Bürgertum Einzug. Dank der Eisenbahn und des bezahlten Jahresurlaubs entstand ein ökonomisch-technisches System: der Fremdenverkehr, oder wie es seit den 1950er Jahren auch heißt: der Tourismus.

 


Von der Ostsee bis zur Sächsischen Schweiz: Das Urlaubsland DDR in einer illustrierten Karte aus den 1950er Jahren


 

Diese Art, Geld und Zeit zu verschwenden, ist ein mächtiger Wirtschaftszweig geworden - manchen Berechnungen zufolge der größte der Welt. Das Corona-Virus stoppte diesen Höhenflug im Frühjahr 2020. Die historische Analyse zeigt jedoch, dass dies nur eine Delle in einem langen, globalen Aufwärtstrend sein wird. Dieser Trend lässt sich als eine Demokratisierung des Tourismus auffassen: Immer mehr Menschen erheben Anspruch darauf zu verreisen und setzen diesen Anspruch auch durch. Zu einer eminent politischen Frage entwickelte sich dies erstmals im Europa der Zwischenkriegszeit. Der Ausschluss der großen Mehrheit von der schönen Urlaubswelt erschien als Sinnbild genereller Benachteiligung. Für die Legitimität eines politischen Systems wurde es somit zentral, dass es diese Benachteiligung aufheben konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand aus genau diesem Grund in der DDR das »Erholungswesen« weit oben auf der politischen Agenda, ungleich höher als in der Bundesrepublik. Eine Geschichte der DDR ist ohne die Geschichte des Tourismus in der DDR höchst unvollständig.

Genau besehen, kann es allerdings die Geschichte des Tourismus in der DDR gar nicht geben, so wenig wie es die Geschichte des Bleistiftanspitzers oder die Geschichte der Welt geben kann. Geschichte ist nur im Plural zu haben, historische Wahrheit ist stets »perspektivisch gebrochen«.[6] Denn stets muss die Geschichtswissenschaft - so wie letztlich jede Wissenschaft - konstruieren, muss eine Auswahl treffen aus der »schlechthin unendlichen Mannigfaltigkeit«, wie Max Weber schrieb. In der noch recht jungen Historischen Tourismusforschung finden sich denn auch vielfältige Ansätze.[7] Will man sie grob ordnen, scheint mir das wichtigste Kriterium die Reichweite der Darstellung zu sein, die wiederum meist - nicht immer - mit dem gewählten Gegenstand zusammenhängt. Sie kann von der akribischen Schilderung des Schicksals eines einzelnen Grand Hotels bis zur weitreichenden Gesamtschau touristischer Mobilität im Weltmaßstab reichen.

Aufschlussreich ist es, dabei verschiedene Ebenen zu unterscheiden, die die bestimmenden Faktoren menschlicher Existenz bilden, so wie es der große französische Historiker Fernand Braudel vorgeschlagen hat: Unter der flirrenden sichtbaren »Oberfläche« verbergen sich träge, mehr oder weniger unbewusste »Strukturen langer Dauer«. Ersteres, die sich bisweilen abrupt wandelnde Oberfläche der Erscheinungen, ist demnach das Feld der Politik- oder, wie es allgemeiner und etwas abwertend heißt, der Ereignisgeschichte. Letzteres ist ein Feld der Strukturgeschichte, die wirtschaftliche Kennziffern ebenso untersucht wie Muster des Denkens und Fühlens. Mein Herz schlägt eher für die Tiefenstrukturen, die - nicht zuletzt anhand des Tourismus - Auskunft geben können über das, was im Goethischen Sinne »die Welt im Innersten zusammenhält«.

Das Thema dieses Buches gebietet aber, eine »mittlere Reichweite« zu wählen und dabei einen Schwerpunkt auf ereignisgeschichtliche Aspekte zu legen. Sie dominieren auch die Forschung zur DDR. Den Hintergrund der inzwischen kaum mehr überschaubaren Literatur bildet fast immer das Politisch-Staatliche, in den meisten Arbeiten steht es sogar explizit im Zentrum.[8] Dieser Bereich kann auch hier nicht ausgeblendet werden - Vorwissen über die DDR wird nicht vorausgesetzt. Allerdings kann ich mich dabei angesichts der guten Forschungslage meist kurzfassen.

Zu den wissenschaftlichen Arbeiten über die DDR gesellt sich eine Fülle von Populärwissenschaftlichem: teils schlechte, teils gute Bücher mit bunten Bildern und teils oberflächliche, teils vorzügliche TV-Dokumentationen - auch und gerade zum Thema Reisen. Hier findet sich allerdings auch besonders viel Verklärt-Ostalgisches: Wie unbeschwert, wie putzig war doch das Leben damals, als wir noch mit dem Dachzelt auf dem Trabi an der Müritz übernachteten! Indes, von den legendären Dachzelten wurden nicht einmal zweitausend Stück gebaut und sie waren keineswegs ein Unikum der DDR; schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es sie in einigen Ländern. Empirisch ist Ostalgie wenig ergiebig.

Dennoch ist eine solche Verklärung vergangener Reiseabenteuer höchst aufschlussreich, verweist sie doch auf grundlegende psychische Mechanismen. Das Erleben im Fremdraum ist intensiver als im gewohnten Umfeld, bleibt länger haften, prägt das Ich. Reiseerlebnisse bilden oft Höhepunkte im Leben.[9] Es ist wohl allen Menschen eigen, dass sie gerne an ihre wilden Wanderjahre zurückdenken; das tue ich selbst auch. Doch auch beruflich ist mir dieses Phänomen schon oft untergekommen, und zwar vornehmlich bei der Begegnung mit Menschen, die vor dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal in ihrem Leben verreisen konnten - und dies der NS-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF) verdankt hatten. Das waren keine unverbesserlichen Alt-Nazis, und doch schwärmten sie immer noch von ihren schönen KdF-Reisen, die sie als ein ausnahmsweise positives Produkt des NS-Regimes sahen. Die Parallelen zum ostalgischen Blick auf den...
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Autor

Hasso Spode, geboren 1951 in Friedrichshagen, leitet das Historische Archiv zum Tourismus an der Technischen Universität Berlin und lehrt Historische Soziologie an der Universität Hannover. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe »Tourismusgeschichte«, Mitherausgeber zahlreicher Fachzeitschriften und Vorstand der »Alcohol and Drugs History Society«. Daneben liefert er Experten-Beiträge für Rundfunk und Fernsehen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden bislang in zehn Sprachen übersetzt.