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Demokratie als Versprechen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Europa Verlagerschienen am07.10.20221. Auflage
Die Feinde der Demokratie sind zahlreicher und lauter geworden: autoritäre Staatsmächte und korrupte Machtgruppen, Identitäre und Verschwörungstheoretiker, Neo-Nazis, rechtsextreme Parteien, gewaltfreudige linksradikale Gruppen, ausländische und inländische Terrorkommandos sowie psychisch kranke Einzeltäter, um nur einige zu nennen. Doch auch kollektive Apathie und schäumende Wut ('Wutbürger') stellen die Demokratie infrage. Nicht zu vergessen die großen Korruptionsskandale und der Missbrauch politischer Macht. Demokratie ist mühsamer geworden; sie erfordert Bürger:innen, die zugleich kritisch sind, Vertrauen haben und öffentlich tätig werden, wenn ihr Bestand gefährdet ist. Antonia Grunenberg lotet die wechselvolle Geschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie vor dem Hintergrund eigener jahrzehntelanger politischer Erfahrungen aus. Sie rekapituliert Ereignisse, Bewegungen und Konflikte, an denen sichtbar wird, welche Stärken und Schwächen eine Demokratie zeigt und wie die deutsche Demokratie an großen Konflikten, an eigenen und fremden Fehlern gewachsen ist.

Antonia Grunenberg, emeritierte Professorin, studierte Soziologie, Philosophie und Germanistik in Tübingen, Frankfurt am Main und Berlin. Sie promovierte in Philosophie, habilitierte sich in Politische Wissenschaft und hatte verschiedene WM-Stellen und Professuren inne, zuletzt eine Professur für Politische Wissenshaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat ein Archiv der Samisdat-Literatur der ausgehenden DDR an der Universität Bremen und ein Archiv mit dem Nachlass (in Kopie) der politischen Denkerin Hannah Arendt an der Universität Oldenburg aufgebaut. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kulturgeschichte und politisches Denken in der Weimarer Republik sowie die politisch-intellektuelle Geschichte Deutschlands (Ost und West) nach 1945. Antonia Grunenberg ist Mitgründerin und Vorstandsmitglied des 1995 gegründeten 'Hannah Arendt Vereins für politisches Denken', Bremen, der jährlich den 'Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken' vergibt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextDie Feinde der Demokratie sind zahlreicher und lauter geworden: autoritäre Staatsmächte und korrupte Machtgruppen, Identitäre und Verschwörungstheoretiker, Neo-Nazis, rechtsextreme Parteien, gewaltfreudige linksradikale Gruppen, ausländische und inländische Terrorkommandos sowie psychisch kranke Einzeltäter, um nur einige zu nennen. Doch auch kollektive Apathie und schäumende Wut ('Wutbürger') stellen die Demokratie infrage. Nicht zu vergessen die großen Korruptionsskandale und der Missbrauch politischer Macht. Demokratie ist mühsamer geworden; sie erfordert Bürger:innen, die zugleich kritisch sind, Vertrauen haben und öffentlich tätig werden, wenn ihr Bestand gefährdet ist. Antonia Grunenberg lotet die wechselvolle Geschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie vor dem Hintergrund eigener jahrzehntelanger politischer Erfahrungen aus. Sie rekapituliert Ereignisse, Bewegungen und Konflikte, an denen sichtbar wird, welche Stärken und Schwächen eine Demokratie zeigt und wie die deutsche Demokratie an großen Konflikten, an eigenen und fremden Fehlern gewachsen ist.

Antonia Grunenberg, emeritierte Professorin, studierte Soziologie, Philosophie und Germanistik in Tübingen, Frankfurt am Main und Berlin. Sie promovierte in Philosophie, habilitierte sich in Politische Wissenschaft und hatte verschiedene WM-Stellen und Professuren inne, zuletzt eine Professur für Politische Wissenshaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat ein Archiv der Samisdat-Literatur der ausgehenden DDR an der Universität Bremen und ein Archiv mit dem Nachlass (in Kopie) der politischen Denkerin Hannah Arendt an der Universität Oldenburg aufgebaut. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kulturgeschichte und politisches Denken in der Weimarer Republik sowie die politisch-intellektuelle Geschichte Deutschlands (Ost und West) nach 1945. Antonia Grunenberg ist Mitgründerin und Vorstandsmitglied des 1995 gegründeten 'Hannah Arendt Vereins für politisches Denken', Bremen, der jährlich den 'Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken' vergibt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783958904965
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum07.10.2022
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse895 Kbytes
Artikel-Nr.9933603
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 1
PARADOXIEN DER FREIHEIT:
VON OST NACH WEST

Hineingeboren in eine Familie im Osten Deutschlands, die den Horror der Bombennächte und der Evakuierung überlebt hatte, ist die Erinnerung an die frühe Kindheit in der Nachkriegszeit von Aufbruch und Zuversicht, aber auch von Hungerbildern geprägt. Jahrzehnte später fand ich im Nachlass meiner Mutter einen Text mit dem Titel »Hunger«. Er handelte von halb erfrorenen Händen, die vereiste Kartoffeln rieben, und von gekochten Kartoffelschalen, die ich gierig verschlang.

Die Mutter hatte ihre Kinder aus dem zerstörten Haus in der brennenden Altstadt Dresdens in ein erzgebirgisches Dorf hinübergerettet. Ein Zuhause gab es nicht mehr, wir waren ausgebombt.

Der Vater hatte sich nach der Kapitulation der deutschen Armeen der Gefangennahme durch die sowjetische Besatzungsmacht entzogen und war geflohen, hatte sich wochenlang in der Nähe unseres Evakuierungsortes im Wald versteckt und wurde dort von Einheimischen versorgt.

Der Krieg war zu Ende, und irgendwann bekam die Familie mit sechs Kindern ein Haus in Dresden zugewiesen. Die sowjetische Militäradministration und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) teilten damals die Bevölkerung in den ihr wohlgesinnten und den feindlichen Teil ein. Die ihr wohlgesinnten Gruppen wurden im Parteijargon Arbeiter der Faust und Arbeiter der Stirn genannt. Arbeiter der Stirn, dazu gehörten meine Mutter und ihr Freundeskreis. Leuten wie diesen gab die Partei Wohnungen, Häuser, zusätzliche Lebensmittelmarken und Erholungsurlaube. Im Gegenzug erwartete sie Loyalität.

Würde man die Stimmung in der Stadt beschreiben wollen, so müsste man sie als Erwartungshaltung beschreiben, gepaart mit dem Willen zum Aufbruch. Nach dem Terrorregime der Nationalsozialisten und der grauenvollen letzten Kriegsphase begann nun etwas Neues. Jeder und jede sollte nach dem Ende der großen Zerstörung am Aufbau einer antifaschistischen Gesellschaft mitwirken. Viel war die Rede von der antifaschistischen Demokratie - und die wollten fast alle. Die Vertreter der sowjetischen Militäradministration und die unter ihrem Kommando stehenden kommunistischen Parteiführer, aus dem sowjetischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt, verkündeten, dass nun eine demokratische Republik auf der Basis einer antifaschistischen Gesellschaft aufgebaut werde.

Von Demokratie in der Nachkriegszeit in Deutschland zu sprechen - ganz gleich, ob in Ost oder West - erscheint dennoch irgendwie bizarr. Wie sollten denn, nach einem jahrzehntelangen Autoritarismus im Kaiserreich, einer nur von einer Minderheit unterstützten schwächlichen Demokratie in der Weimarer Republik, dem duldend hingenommenen Terrorregime der Nationalsozialisten, der fast animalischen Existenz in den letzten beiden Kriegsjahren - von den Millionen Soldaten und ihrer täglichen Begegnung mit dem Tod ganz zu schweigen - nun unter dem Regime der Besatzungsmächte demokratische Traditionen wiederauferstehen? Und doch, was sich da an einigen Orten, in einigen Städten und Milieus nach dem Ende des Krieges im Mai 1945 ereignete, das war ein zartes Pflänzchen Zivilgesellschaft, die Grundlage aller Demokratie.

Die Mutter war in der Nazizeit zur Antifaschistin geworden; stolz erzählte sie, dass sie nicht im Bund Deutscher Mädel gewesen sei und - als fünffache Mutter - das Mutterkreuz der Nazis, das ihr im Rahmen einer feierlichen Zeremonie überreicht werden sollte, nur widerwillig irgendwann auf der Amtsstelle abgeholt habe. Für sie begann nun ein neues Leben jenseits der Mutterschaft.

In der zerbombten und zertrümmerten Stadt wuchsen Diskussionszirkel und politische Salons wie zarte Pflänzchen aus dem Boden. Hauskonzerte wurden wieder veranstaltet. Es kamen traumatisierte und invalide Rückkehrer, Idealisten, Verbitterte, Ahnungslose - junge Männer und junge Frauen - zusammen; sie alle wollten das Neue mit aufbauen.

Nächtelang stritten sie darüber, so erzählte es die Mutter später, wie gekommen war, was gekommen war, wer die Verantwortung (viele sagten Schuld) übernehmen sollte. Und wie es nun weitergehen sollte, in welcher Ordnung sie weiterleben wollten, worin Freiheit bestand, an was man noch glauben könne â¦

Noch wusste niemand Genaues über das Ausmaß des Genozids, den deutsche Mordtrupps im Auftrag von Partei, Regierung und Armeeführung an den europäischen Juden und anderen Völkern im Osten Europas begangen hatten. Die Erfahrungen, die alle - jeder auf seine Weise -, erlebt hatten, reichten aus, um den Neuanfang zu wollen.

Als demokratische Parteien gegründet werden konnten, als Zeitungen wieder erscheinen durften, versammelten sich in deren Redaktionen alle, die nicht dem Naziregime hinterhertrauerten und einen Neuanfang herbeigesehnt hatten. So auch meine Mutter; sie wurde Theaterkritikerin im Feuilleton der UNION, dem Organ der Ost-CDU.

In meinen frühen Jahren wuchs ich inmitten eines regen Netzwerks von Freunden und Bekannten der Eltern auf. Aus den Westsektoren Berlins kamen regelmäßig Besucher, brachten Zeitschriften, Bücher und Nachrichten mit, erzählten von Theaterpremieren und Neuerscheinungen. Es kamen Journalisten, Dichter und Schriftsteller, Maler und Bildhauer, Komponisten ⦠Trotz der allgemeinen Not war die Atmosphäre gastlich; irgendetwas gab es immer zu essen oder zu trinken. Einmal durfte die Mutter sogar mit Erlaubnis der sowjetischen Behörden zu einem Kongress in den Westen fahren.

Die Weltliteratur kehrte zurück; in den Theatern der Stadt wurde wieder gespielt. Das Lebensgefühl wuchs. Dazwischen unbeschwerte Kindheit auf lieblichen Elbhöhen über der zerstörten Altstadt. Kinderspiele auf der Straße und in den Gärten der Freundinnen. Sommergerüche: die Kiefern der Dresdner Heide, der dampfende Straßenteer in der Sommerhitze, der Gestank der mit Holzgas angetriebenen Lastwagen, der Trümmer- und Straßenstaub. Der größte Spielplatz, die Dresdner Heide, lag vor der Tür. Ganze Sommer verbrachten die Kinder und ihre Freundinnen im Schwimmbad, ausgestattet für den Tag mit trocken Brot, Salz und Tomaten aus dem Garten.

Die Politik der SED spielte zu Hause eine geringe Rolle. Das Dresdner Bildungsbürgertum war und ist selbstbewusst. Die allgegenwärtige Präsenz der sowjetischen Besatzungsmacht aber bekamen sogar wir Kinder mit. Das waren für uns die Fremden; sie hatten zwar die Macht und besetzten die schönsten Villen und Schlösschen auf den Elbhöhen. Aber wir wollten mit denen ebenso wenig zu tun haben wie sie mit uns. Wir sahen die Militärfahrzeuge und die Offiziere in Uniform. Wir waren das untergebene Volk, hatten die Kinder unter sich ausgemacht, weil die Erwachsenen so etwas Ähnliches gesagt hatten. Am meisten aber staunten die Kinder über die wohlbeleibten, um nicht zu sagen fetten Ehefrauen der Offiziere. Die badeten kreischend in der Elbe. Es schien, als sei der Fluss nur für sie da. Das war für die Kinder ein außergewöhnliches Augenfest, das wir einerseits genossen, das uns andererseits aber auch unheimlich war.

Als ich eingeschult wurde und zu Hause begeistert vom Fahnenappell auf dem Schulhof erzählte, bekam ich zu hören: Von Fahnenappellen haben wir genug! Ich durfte nicht wie meine Freundinnen die Uniform der Jungen Pioniere tragen, nicht den Eid schwören und nicht an den Gruppentreffen teilnehmen. Das Einzige, was noch blieb, war der Fahnenappell. Ausgeschlossen auf Befehl der Eltern also. Das verstand ich nicht. Was ich aber verstand, war, dass irgendwann nichts mehr stimmte. Zu Hause wurden die Kinder immer häufiger aus dem Zimmer geschickt, die Erwachsenen tuschelten dann hinter verschlossenen Türen. Und doch bekam das Kind mit, dass der Parteisekretär der SED an der Zeitung eine üble Gestalt war, die nicht nur die Meinungsfreiheit in der Redaktion, sondern auch die persönliche Freiheit der Journalisten bedrohte. Eines Tages hinter der Tür lauschend, hörte ich, wie die Erwachsenen darüber sprachen, den Mann durch einen inszenierten Treppensturz aus dem Verkehr zu ziehen. Ein Draht sollte über die Treppe in der Redaktion gespannt werden, über den er stolpern sollte - was dann nicht geschah. Später erzählte die Mutter, dass dieser Parteigenosse auf Redaktionssitzungen mit seiner Pistole herumgefuchtelt und die Redakteure in Angst und Schrecken versetzt habe.

Ein andermal hörten die Kinder den Vater mahnen, die Hintertür des Hauses solle immer unverschlossen bleiben, damit man unbemerkt hinausschlüpfen könnte, wenn vorne die Russen, die Polizei oder die Staatssicherheit klingelten. Der Vater hatte Angst, dass ihn als ehemaligen Major der deutschen Wehrmacht, der am Russlandfeldzug teilgenommen hatte, »die Russen abholen würden«. Die Mutter und der im Hause lebende Onkel befürchteten, von der Staatssicherheit abgeholt zu werden.

Erst viel später begriff ich: Ich war Zeugin der Entstehung wie der Zerstörung einer pluralen...
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Antonia Grunenberg, emeritierte Professorin, studierte Soziologie, Philosophie und Germanistik in Tübingen, Frankfurt am Main und Berlin. Sie promovierte in Philosophie, habilitierte sich in Politische Wissenschaft und hatte verschiedene WM-Stellen und Professuren inne, zuletzt eine Professur für Politische Wissenshaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat ein Archiv der Samisdat-Literatur der ausgehenden DDR an der Universität Bremen und ein Archiv mit dem Nachlass (in Kopie) der politischen Denkerin Hannah Arendt an der Universität Oldenburg aufgebaut. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kulturgeschichte und politisches Denken in der Weimarer Republik sowie die politisch-intellektuelle Geschichte Deutschlands (Ost und West) nach 1945. Antonia Grunenberg ist Mitgründerin und Vorstandsmitglied des 1995 gegründeten "Hannah Arendt Vereins für politisches Denken", Bremen, der jährlich den "Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken" vergibt.