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Nach der Party

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am15.05.2024
Das Kultbuch aus Amerika: New York Times Bestseller, von der Presse gefeiert
Nur wer sich radikal neu erfindet, wer neue Wege findet im Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Identität, mit Freundschaft und Familie, hat eine Chance, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen...
In Stockton, einer Stadt in einem kalifornischen Tal weit entfernt vom Meer, florieren buddhistische Tempel und kambodschanische Lebensmittelläden, seit das völkermörderische Regime der Roten Khmer die Menschen aus dem eigenen Land hierhin vertrieben hat. In dieser Stadt, die weder ganz zu Amerika noch zu Asien gehört, begegnen wir allmächtigen Mönchen, nervigen Tanten, von der Langeweile zu Tode gequälten Heranwachsenden, stoßen auf einen ganzen Kontinent an verschwiegenen, verdrängten, verbotenen Geschichten, heimlichen Wünschen und sexuellen Fantasien. Respektlos und kühn erzählt Anthony Veasna So in seinem posthum erschienenen, gefeierten Erzählband vom Befreiungskampf der jungen Generation gegen die Stille und das Vergessen.

Anthony Veasna So, 1992 geboren und 2020 verstorben, stammte aus Stockton, Kalifornien, und machte seinen Master in fiktionalem Schreiben an der Syracuse University. Seine Texte sind u.a. im New Yorker, The Paris Review, n+1 und Granta erschienen. Der Erzählband 'Nach der Party' wurde ausgezeichnet mit dem National Book Critics Circle's John Leonard Prize sowie dem Ferro-Grumley Award for LGBTQ Fiction. Er war New-York-Times-Bestseller und u.a. in New York Times, Washington Post und Los Angeles Times eines der Bücher des Jahres.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextDas Kultbuch aus Amerika: New York Times Bestseller, von der Presse gefeiert
Nur wer sich radikal neu erfindet, wer neue Wege findet im Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Identität, mit Freundschaft und Familie, hat eine Chance, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen...
In Stockton, einer Stadt in einem kalifornischen Tal weit entfernt vom Meer, florieren buddhistische Tempel und kambodschanische Lebensmittelläden, seit das völkermörderische Regime der Roten Khmer die Menschen aus dem eigenen Land hierhin vertrieben hat. In dieser Stadt, die weder ganz zu Amerika noch zu Asien gehört, begegnen wir allmächtigen Mönchen, nervigen Tanten, von der Langeweile zu Tode gequälten Heranwachsenden, stoßen auf einen ganzen Kontinent an verschwiegenen, verdrängten, verbotenen Geschichten, heimlichen Wünschen und sexuellen Fantasien. Respektlos und kühn erzählt Anthony Veasna So in seinem posthum erschienenen, gefeierten Erzählband vom Befreiungskampf der jungen Generation gegen die Stille und das Vergessen.

Anthony Veasna So, 1992 geboren und 2020 verstorben, stammte aus Stockton, Kalifornien, und machte seinen Master in fiktionalem Schreiben an der Syracuse University. Seine Texte sind u.a. im New Yorker, The Paris Review, n+1 und Granta erschienen. Der Erzählband 'Nach der Party' wurde ausgezeichnet mit dem National Book Critics Circle's John Leonard Prize sowie dem Ferro-Grumley Award for LGBTQ Fiction. Er war New-York-Times-Bestseller und u.a. in New York Times, Washington Post und Los Angeles Times eines der Bücher des Jahres.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641274375
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.05.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse1443 Kbytes
Artikel-Nr.12649946
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DIE DREI FRAUEN VON CHUCK´S DONUTS

Als der Mann zum ersten Mal einen Apfelkrapfen bestellt, ist es drei Uhr morgens, die Straßenlaterne ist kaputt, und die verfallenen Gebäude am Ufer versinken im Nebel des kalifornischen Deltas, alle bis auf Chuck´s Donuts mit seinem kühl leuchtenden Neonlicht. »Ist es nicht ein bisschen früh für Apfelkrapfen?«, fragt Kayley, die zwölfjährige Tochter der Besitzerin, trocken hinter dem Tresen, und Tevy, vier Jahre älter, verdreht die Augen und sagt zu ihrer Schwester: »Du guckst zu viel Fernsehen.«

Der Mann ignoriert beide, setzt sich in eine Tischnische und starrt aus dem Fenster, auf das in Ruinen liegende Potenzial des Zentrums dieser Kleinstadt. Kayley schaut sich sein Spiegelbild im Fenster an. Er ist schon älter, aber nicht alt, jünger als ihre Eltern, und sein struppiger Schnurrbart wirkt fehl am Platz, aus einer anderen Zeit, einem anderen Jahrzehnt. Sein Gesichtsausdruck strahlt eine schwierige Gefühlslage aus, wie sie wohl nur Erwachsene kennen, so was wie schwermütig oder elend. Sein hellgrauer Anzug ist zerknittert, seine Krawatte offen.

Eine Stunde vergeht. Kayley sagt flüsternd zu Tevy: »Ich glaube, er starrt die ganze Zeit sein eigenes Gesicht an«, worauf Tevy antwortet: »Ich versuche zu lesen.«

Irgendwann geht der Mann schließlich. Sein Apfelkrapfen bleibt unangerührt auf dem Tisch liegen.

»War das schräg«, sagt Kayley. »Ich frage mich, ob er Kambodschaner ist.«

»Nicht jeder Asiate in der Stadt ist Kambodschaner«, sagt Tevy. Kayley geht zu seinem Tisch und schaut sich den Apfelkrapfen genauer an. »Warum kommt jemand hier rein, sitzt eine Stunde da und rührt sein Essen nicht an?«

Tevy blickt konzentriert in ein Buch auf dem Verkaufstresen.

Ihre Mutter kommt mit einem Tablett glasierter Donuts aus der Küche. Sie ist die Besitzerin, auch wenn sie nicht Chuck heißt, sondern Sothy, und noch nie in ihrem Leben einem Chuck begegnet ist; sie fand bloß, der Name klinge amerikanisch genug, um Kunden anzulocken. Sie schiebt das Blech in ein Abkühlregal und sieht sich dann im Raum um, nur um sicherzugehen, dass ihre Töchter nicht schon wieder einen Obdachlosen reingelassen haben.

»Wieso ist denn die Straßenlaterne aus?«, ruft Sothy. »Schon wieder!« Sie geht zum Fenster und versucht, nach draußen zu sehen, sieht aber vor allem ihr eigenes Spiegelbild - stämmige Gliedmaßen, die aus einer fettverschmierten Schürze hervorgucken, ein rundes Gesicht, darüber ein billiges Haarnetz. Eine übermäßig harsche Selbstwahrnehmung, aber Sothy sieht die Welt anders, wenn sie so lange in der Küche gestanden und Teig geknetet hat, dass die fertigen Donuts zur einzigen Zeiteinheit geworden sind. »Wir verlieren Gäste, wenn das so weitergeht.«

»Alles okay«, sagt Tevy, ohne von ihrem Buch aufzublicken. »Gerade war einer da.«

»Ja, da saß so ein komischer Mann, fast eine Stunde«, sagt Kayley.

»Wie viele Donuts hat er bestellt?«, fragt Sothy.

»Nur das da«, sagt Kayley, und zeigt auf den Apfelkrapfen, der noch immer auf dem Tisch liegt.

Sothy seufzt. »Tevy, ruf bei PG&E an.«

Tevy schaut von ihrem Buch auf. »Da wird jetzt keiner rangehen.«

»Dann hinterlass eine Nachricht«, sagt Sothy und sieht ihre ältere Tochter eindringlich an.

»Wir könnten seinen Apfelkrapfen nochmal verkaufen«, sagt Kayley. »Ich bin mir ganz sicher, dass er ihn nicht berührt hat. Ich habe ihn die ganze Zeit beobachtet.«

»Kayley, starr die Gäste nicht so an«, sagt Sothy, bevor sie in die Küche zurückgeht, wo sie neuen Teig vorbereitet und sich wieder einmal fragt, ob es richtig ist, ihre Töchter jeden Abend und die Nacht durch hier arbeiten zu lassen. Vielleicht sollte Chuck´s Donuts nur tagsüber offen sein und nicht vierundzwanzig Stunden, und vielleicht sollten die Töchter bei ihrem Vater leben, oder wenigstens teilweise, auch wenn man ihm nach dem, was er gemacht hat, nicht mehr trauen kann.

Sie begutachtet nachdenklich ihre Hände mit der verblichenen und rauen Haut, faltig und sehnig zugleich. Es sind die Hände ihrer Mutter, die selbst gemachte Cha Quai auf den Märkten von Battambang gebraten hat, bis sie alt und müde war und die Märkte verschwanden und ihre Hände nicht mehr Teig kneteten, sondern Reis ernteten, um den kommunistischen Idealen eines genozidalen Regimes zu dienen. Wie seltsam, denkt Sothy, dass sie Jahrzehnte nach den Lagern hier mitten in Kalifornien lebt, als Geschäftsfrau, mit ihren in Amerika geborenen kambodschanischen Töchtern, die zu gesunden und eigensinnigen Mädchen herangewachsen sind, und dass ihre Hände dennoch, in diesem neuen Leben, das sie sich aufgebaut hat, mit dem Alter zu den Händen ihrer Mutter geworden sind.

Vor einigen Wochen hat Sothys einziger Angestellter für die Nachtschichten gekündigt. Er hatte ihr eintöniges Angebot satt, sagte er, die verschobenen Schlafzeiten, seine immer wirrer werdenden Träume. Und so kam die Abmachung für den Sommer zustande: Sothy stellt bis September keinen neuen Mitarbeiter an, und Tevy und Kayley helfen ihrer Mutter bei der Arbeit, wobei das so gesparte Geld direkt in ihre College Funds fließt. Tevys und Kayleys gewohnter Tagesrhythmus wird auf den Kopf gestellt, sie werden während der heißen, drückenden Tage schlafen und nachts hinter der Kasse sitzen.

Trotz anfänglicher Empörung willigten Tevy und Kayley natürlich ein. In den ersten beiden Jahren nach der Eröffnung von Chuck´s Donuts, als Kayley acht war, Tevy noch keine eigensinnige Teenagerin und Sothy noch verheiratet, schien ihr Geschäft unter einem guten Stern zu stehen. Man stelle sich dazu die Straßen im Stadtzentrum vor der Immobilienkrise vor, bevor die Stadt Insolvenz anmeldete und zur Stadt mit den meisten Zwangsvollstreckungen in Amerika wurde. Man stelle sich Chuck´s Donuts umgeben von gut gefüllten Bars und Restaurants und einem neuen IMAX-Kino vor, alles voller Leute, die ihre unrealistischen Hypotheken verdrängen. Man stelle sich Tevy und Kayley jeden Tag nach der Schule bei Chuck´s Donuts vor - wie sie Insiderjokes mit ihrer Mutter machen, wie sie Donuts so schnell verkaufen, dass sie sich wie Sportlerinnen fühlen, und wie sie aus dem Fenster schauen und um sich herum einen Wirbel von Energie sehen.

Und jetzt stelle man sich vor, wie sich Tevy und Kayley an ihre Erinnerungen an Chuck´s Donuts klammern, seit sie von der zweiten Familie ihres Vaters in der Nachbarstadt wissen. Und man stelle sich selbst jetzt noch, da die Wirtschaftskrise fast alle anderen Geschäfte im Zentrum ausgelöscht hat und daher die nächtliche Kundschaft ausbleibt, bis auf ein paar vereinzelte Angestellte des nahegelegenen Krankenhauses, diese Sommernächte, endlos im Schein des Neonlichts, als die letzten Pfeiler dieser Familie vor. Man stelle sich Chuck´s Donuts als Mausoleum ihrer herrlichen Vergangenheit vor.

In der zweiten Nacht, in der der Mann einen Apfelkrapfen bestellt, sitzt er in der gleichen Nische wie beim ersten Mal. Es ist ein Uhr, und von der Straßenlaterne geht weiterhin nur dunkles Nichts aus. Er schaut trotzdem zum Fenster hinaus und rührt auch diesmal seinen Apfelkrapfen nicht an. Drei Tage sind vergangen seit seinem letzten Besuch. Kayley kauert sich hinter den Tresen und beobachtet den Mann durch die Vitrine mit den Donuts. Er trägt einen mittelgrauen Anzug, fällt ihr auf, statt des hellgrauen wie beim letzten Mal, und seine Haare wirken fettiger.

»Ist das nicht komisch, dass seine Haare fettiger sind als beim letzten Mal, obwohl es früher in der Nacht ist?«, fragt sie Tevy, worauf Tevy, tief versunken in ihr Buch, antwortet: »Das ist eine falsche Kausalität, dass die Fettigkeit seiner Haare eine direkte Folge der verstrichenen Zeit ist.«

Und Kayley antwortet: »Werden deine Haare denn nicht fettiger im Laufe des Tages?«

Worauf Tevy sagt: »Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Haare fettig werden. Wir wissen zumindest, dass deine Haare eklig werden im Sommer.«

Und Sothy, die gerade in den Raum kommt, sagt: »Ihre Haare wären nicht fettig, wenn sie sie waschen würde.« Sie legt den Arm um Kayley, zieht sie zu sich ran und riecht an ihrem Kopf. »Du riechst schlecht, meine Kleine. Wie komme ich zu so einer schmuddeligen Tochter?«, sagt sie laut.

»Wie die Mutter, so die Tochter«, sagt Tevy, und Sothy gibt ihr einen Klaps auf den Kopf.

»Ist das nicht eine falsche Kausalität?«, fragt Kayley. »Die Annahme, dass ich wie Mom bin, nur weil ich ihre Tochter bin.« Sie zeigt auf das Buch ihrer Schwester. »Wer immer das geschrieben hat, würde sich für dich schämen.«

Tevy schlägt ihr Buch zu und stößt es Kayley in die Seite, woraufhin Kayley ihre rissigen Fingernägel in Tevys Arm gräbt, was wiederum dazu führt, dass Sothy beide an den Handgelenken packt und auf Khmer zusammenstaucht. Während der Griff ihrer Mutter immer fester wird, sieht Kayley aus dem Augenwinkel, dass der Mann sich vom Fenster abgewandt hat und sie direkt anblickt, während alle drei »sich wie Hitzköpfe aufführen«, wie ihr Vater jetzt sagen würde. Der Blick des Mannes ist voller Geringschätzung, und in dem Moment wünscht sie sich, unsichtbar zu sein.

Sothy hat die Handgelenke ihrer Töchter noch immer fest im Griff und zieht die beiden jetzt in Richtung der Schwingtür zur Küche. »Helft mir Donuts glasieren!«, befiehlt sie. »Ich habe es satt, alles alleine zu machen.«

»Wir können den Mann nicht einfach da draußen sitzen lassen«, wendet Kayley ein, durch zusammengebissene...

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Autor

Anthony Veasna So, 1992 geboren und 2020 verstorben, stammte aus Stockton, Kalifornien, und machte seinen Master in fiktionalem Schreiben an der Syracuse University. Seine Texte sind u.a. im New Yorker, The Paris Review, n+1 und Granta erschienen. Der Erzählband "Nach der Party" wurde ausgezeichnet mit dem National Book Critics Circle's John Leonard Prize sowie dem Ferro-Grumley Award for LGBTQ Fiction. Er war New-York-Times-Bestseller und u.a. in New York Times, Washington Post und Los Angeles Times eines der Bücher des Jahres.