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Tee für die Geister

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am11.09.2024
In »Tee für die Geister« führt uns Chris Vuklisevic zu den Geistern der Vergangenheit, die uns besser kennen, als wir ahnen. Agonie, sagt man, hat dunkle, übersinnliche Fähigkeiten. Und Félicité kann mit Geistern sprechen. Seit dreißig Jahren herrscht Schweigen zwischen den beiden Schwestern, bis der plötzliche Tod ihrer Mutter sie unfreiwillig zusammenführt. Was war es, was die Mutter ihnen vor ihrem Tod noch hinterlassen wollte? Und wer war diese geheimnisvolle Frau wirklich? Ihre Suche nach der Wahrheit führt die Schwestern aus ihrer Heimat, dem Tal der Wunder, durch die lichtdurchfluteten Gassen Nizzas, in die verlassenen Dörfer der Provence und weit in die Tiefen des familiären Schweigens - bis hinein in ihr wirkliches Zuhause, das Teehaus, in dem die Geister zu Gast sind.

Chris Vuklisevic, geboren 1992, wuchs im Hinterland der französischen Riviera auf und ging mit siebzehn nach Nizza ins Internat. In Paris arbeitete sie als Redakteurin bei einer Zeitschrift für Jugendkultur, bevor sie 2021 ihren ersten Roman veröffentlichte. »Tee für die Geister« ist ihre zweite Buchveröffentlichung. Sie lebt abwechselnd in Irland und Frankreich.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextIn »Tee für die Geister« führt uns Chris Vuklisevic zu den Geistern der Vergangenheit, die uns besser kennen, als wir ahnen. Agonie, sagt man, hat dunkle, übersinnliche Fähigkeiten. Und Félicité kann mit Geistern sprechen. Seit dreißig Jahren herrscht Schweigen zwischen den beiden Schwestern, bis der plötzliche Tod ihrer Mutter sie unfreiwillig zusammenführt. Was war es, was die Mutter ihnen vor ihrem Tod noch hinterlassen wollte? Und wer war diese geheimnisvolle Frau wirklich? Ihre Suche nach der Wahrheit führt die Schwestern aus ihrer Heimat, dem Tal der Wunder, durch die lichtdurchfluteten Gassen Nizzas, in die verlassenen Dörfer der Provence und weit in die Tiefen des familiären Schweigens - bis hinein in ihr wirkliches Zuhause, das Teehaus, in dem die Geister zu Gast sind.

Chris Vuklisevic, geboren 1992, wuchs im Hinterland der französischen Riviera auf und ging mit siebzehn nach Nizza ins Internat. In Paris arbeitete sie als Redakteurin bei einer Zeitschrift für Jugendkultur, bevor sie 2021 ihren ersten Roman veröffentlichte. »Tee für die Geister« ist ihre zweite Buchveröffentlichung. Sie lebt abwechselnd in Irland und Frankreich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104919058
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum11.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse4921 Kbytes
Artikel-Nr.14433382
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Salon der Kuriosi-Tees

Man darf nicht glauben, was man sieht. Das ist jedes Mal Schwachsinn.

Nein. Man darf nur glauben, was man sich anschaut.

 

Und damit meine ich nicht die Zwanziguhrnachrichten oder ob noch Milch übrig ist. Ich meine: sich etwas anschauen mit dem, was man tief in den Augen, hinter den Augen hat, was einen auf Ideen, auf Geschichten bringt und Sehnsucht nach Felsklippen und Wind hervorruft.

 

Ja, wirklich, man darf nicht alles glauben, was man sieht.

 

Das ist wie mit der Wirtin hinter der Kasse. Wenn man die so sieht, denkt man: Die ist eine Hexe. Ja, da gebe ich Ihnen recht; sie hat alles, was eine Hexe ausmacht. Fehlt nur noch der rote Apfel, und man könnte meinen, man wäre bei Schneewittchen. Aber die Wahrheit ist, wenn man sie kennt, ist sie gar nicht so böse ... Sie ist sogar der netteste Mensch von ganz Nizza. Na ja, das sage ich lieber nicht zu laut: Wenn sie mich hört, schmeißt sie mich aus dem Salon.

 

Also, ja, es sieht so aus, als wären die Stühle leer. Aber schauen Sie mal genauer hin.

 

Glauben Sie, die Teekannen würden sich von alleine heben und senken? Und die Tassen sich einfach so leeren, weil der Tee verdunstet? Also bitte, mal im Ernst.

Das machen natürlich die Geister. Die Geister von Nizza, die sich Tee eingießen und ihn trinken.

Jetzt verstehen Sie, warum die Wirtin Sie gebeten hat, sich zu mir zu setzen. Ihr Teesalon ist nie wirklich leer. Wenn man lebt, setzt man sich auf die Plätze, die die Toten freigelassen haben. So lautet die Regel.

 

Aber mal ehrlich, was haben Sie sich nur dabei gedacht, zu dieser Zeit des Jahres herzukommen? Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Sie pitschnass werden. Meine Güte, Sie triefen ja richtig, fast wie ein Pan Bagnat. Bestimmt stand in Ihrem Reiseführer nicht, dass es während des Festivals von Cannes immer regnet wie bei den Iren. Wenn man wegen der Strände hergekommen ist, ärgert man sich natürlich. Hätten die Verfasser Ihres Reiseführers vorher mich gefragt, hätten sie schreiben können, dass der Himmel hier eifersüchtig ist, weil mehr auf einen Teppich als auf ihn geschaut wird. Deshalb macht er uns jedes Jahr eine Riesenszene.

 

So ist es nun mal, man kriegt den Himmel, den man verdient.

 

Also, wenigstens sind Sie hier am richtigen Ort. An Regentagen sollte man sich in Nizza lieber hier als anderswo aufhalten, das kann ich Ihnen sagen. Ich jedenfalls fühle mich hier wie ein Kuchen, der gerade im Ofen bräunt. Eine schöne weiche Sessellehne im Rücken, umgeben von friedlichen Geistern und den vielen Teekannen, dazu das Prasseln der Regentropfen gegen die Fensterscheibe und draußen, wenn man mal die beschlagenen Fenster freiwischt - bitte schön: der Cours Saleya. Das Herz der Altstadt von Nizza. Im Moment ist er pitschenass. Auch so ist er hübsch, aber man muss ihn sich bei schönem Wetter vorstellen, mit seinen gestreiften Sonnenschirmen, die den Blumenmarkt überspannen. Ich hoffe, Sie erwischen wenigsten einen sonnigen Tag, damit Sie dort den Duft der Dahlien und das grüne Aroma der Blumenkübel riechen können.

 

Sie zögern? Ich persönlich würde Ihnen den Kuriosi-Tee von La Masque empfehlen, aber alle Sorten sind ausgezeichnet, sie stammen nämlich hier aus der Gegend. Aus dem Vallée des Merveilles, dem Tal der Wunder, zwei Stunden von hier entfernt. Wie, Sie haben noch nie davon gehört? Geben Sie mir mal Ihren Reiseführer. Lassen Sie mich mal sehen. Was ist denn das? Erprobte Wege, der Expertenführer für Ihre geheimen Wanderungen ... Da kann ich ja nur lachen. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, der ist Experte für rein gar nichts. Von solchen Möchtegernexperten gibt es drei pro Löwenzahn am Wegesrand.

 

Was im Grunde genommen schade für Sie ist. Denn als ich Sie hereinkommen sah mit Ihrer am Rucksack baumelnden Wasserflasche, dachte ich sofort: Ah, da ist jemand, der Geheimnisse liebt. Echte Geheimnisse. Nicht solche, wie man sie auf den Seiten von »Hätten Sie´s gewusst?« findet, die einen beim Sonnenbaden schlauer machen sollen. Nein, Ihnen sieht man an, dass Sie lieber einem echten Geheimnis hinterherjagen als einem Knirps mit Schwimmflügeln auf den glühend heißen Strandkieseln.

 

Wenn Sie auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem sind, dann habe ich da was für Sie. Mit einem richtigen Dorf, in dem es spukt. Etwas so Geheimnisvolles, dass Ihr Führer sich nicht mal im Traum vorstellen könnte, dass es etwas derart Geheimnisvolles überhaupt gibt.

Aber Achtung: Die Tour, von der ich rede, kennen nur sehr wenige Lebende. Ich selbst, dann die, die im Archiv meinen Bericht gelesen haben, und außerdem noch die Hexe hinter der Theke. Also nicht viele Leute. Und reden Sie nicht zu oft darüber, verstanden? Wir möchten nicht gern in drei Monaten da hochlaufen und einen Kiosk vorfinden, der I-love-Bégoumas-Schlüsselanhänger verkauft.

 

Na gut.

 

Also, wenn Sie dahin wollen, müssen Sie ins Hinterland fahren. Nizza können Sie sich später noch anschauen, keine Sorge, die Stadt gibt es seit zweitausend Jahren, es besteht also keine Gefahr, dass sie sich in Luft auflöst. Sie werden genug Zeit haben, den Schlosshügel zu besichtigen, die Promenade entlangzulaufen, Nuss-Nougat-Eis bei Fenocchio zu essen, Mangoldpastete zu probieren oder was auch immer Sie tun wollen. Aber fahren Sie zuerst ins Hinterland.

 

Wenn Sie es schaffen, die Staus und die Autobahn lebend hinter sich zu lassen, können Sie schon mal dem Himmel danken. Dann fahren Sie über die Brücke, die über die Vésubie führt. Die können Sie nicht verfehlen: Sie sieht aus wie die rot geschnürte Korsage einer entkleideten Riesin. Hinter der Brücke geht es rauf in die Berge. Sie folgen der Straße, die sich an der Vésubie entlang durch die Schlucht windet.

 

Anfangs werden Sie den Weg hübsch finden, breit und friedlich.

 

Genießen Sie es.

 

Bald sinkt der Wasserpegel, und die Felswände rücken dichter zusammen. Unten am Fuße der Schlucht fließt der Gebirgsbach über verrostete Autowracks und vom Sturm entwurzelte Baumstämme. An den Steilwänden sind nur dünne Netze gespannt, um die Steine zurückzuhalten, die Sie erschlagen könnten.

 

Castagniers. Utelle. Le Colombier. Lantosque.

 

Ab hier kennen die Leute von der Küste die Namen der Dörfer nicht mehr. Nur wir im Archiv natürlich und der Hausdiener-Kartograph, der dort oben jede Sackgasse und jedes Fleckchen Erde kennt, das Trippeln der Igel und sogar das Knirschen der Eierschalen, wenn die Vogeljungen schlüpfen.

 

La Bollène. Gordolon. Roquebillière.

 

Seit fast hundert Jahren haben die Häuser in Roquebillière-Vieux, dem alten Teil von Roquebillière, lange Blocksteine über den Fenstern und Risse in den Wänden, die breiter sind als meine Hand. Verlassene Ortschaften gibt es überall im Tal, weil die Berge manchmal erschrocken zusammenzucken, als erwachten sie aus einem Albtraum, und um sie zu trösten, verschluckt die Vésubie dann ein oder zwei kleine Dörfer.

 

In Rocca Sparvièra zum Beispiel haben die Bewohner sich jahrhundertelang mit Pest, Heuschrecken und Erdbeben herumgeschlagen. Irgendwann haben sie dann das Weite gesucht. Angeblich irrt dort noch der Geist von Königin Johanna, Gräfin der Provence, umher, seit sie ihren Mann getötet und ihre eigenen Kinder zu Ragout verarbeitet und verschlungen hat.

Aber sicher kann ich es Ihnen nicht sagen, ich war nie da oben.

 

Auch in Tournefort hat ein Erdbeben alles kräftig durchgerüttelt. Das war vor hundertfünfzig Jahren. Heute findet man dort nur noch Schlossruinen, von weißen Nachtnelken und wildem Lavendel überwuchert.

 

Roquebillière ist noch mal eine andere Sache. Leute, so zäh, dass sie eine Zecke an ihrer Berufung zweifeln lassen könnten. Wie alle anderen haben sie ihre Erdrutsche und Überschwemmungen abgekriegt, aber sie haben nicht aufgegeben. Sechsmal sind sie umgezogen und haben ihr Dorf woanders wieder aufgebaut. Sechsmal sind sie rauf- und wieder ins Tal runtergewandert, von einer Seite der Schlucht zur anderen. Aus dem alten Namen Rocabiera wurde Roquebillière, viele starben, andere wurden geboren, der Fluss hat sie weitergetrieben, und sie haben sich treiben lassen.

Vielleicht sagen sie sich, mit der Zeit werde der Fluss schon begreifen, dass er sie nicht loswerden wird, dass sie noch dickköpfiger sind als er, und dann wird er aufhören, über sie herzufallen. Sie werden die Vésubie müde gemacht haben. Vielleicht. Im Grunde aber packen die Leute in einem Winkel ihres Gehirns ständig ihre Koffer. Eines ihrer beiden Ohren erwartet immer, dass aus der Tiefe der Schlucht ein Grollen ertönt.

 

Aber ich schicke Sie nicht dorthin, sondern höher hinauf, ins allergeheimste Geisterdorf der Gegend: Bégoumas.

 

Wenn Sie Roquebillière-Vieux verlassen, führt Sie eine Kurve um einen Felsen herum. Da werden Sie einen Strauß vertrockneter Blumen sehen und das vergilbte Foto eines Kindes. Die Art Erinnerung, die es eher schafft, Raser auszubremsen, als ein Blitzer.

 

Weiter oben wird die Straße immer schmaler und ist irgendwann nur noch ein unbefestigter Weg. Ein langer, holpriger Weg, der die Neugierigen oder besser die, die nicht neugierig genug sind, abschreckt. Am Ende, ganz am Ende, da, wo der Weg aufhört, muss man das Auto stehen lassen und zu Fuß einen...
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Autor

Chris Vuklisevic, geboren 1992, wuchs im Hinterland der französischen Riviera auf und ging mit siebzehn nach Nizza ins Internat. In Paris arbeitete sie als Redakteurin bei einer Zeitschrift für Jugendkultur, bevor sie 2021 ihren ersten Roman veröffentlichte. »Tee für die Geister« ist ihre zweite Buchveröffentlichung. Sie lebt abwechselnd in Irland und Frankreich. Maria Hoffmann-Dartevelle, 1957 in Bad Godesberg geboren, studierte Romanistik in Heidelberg und Paris. Seit Beginn der neunziger Jahre übersetzt sie Literatur aus dem Französischen und Spanischen, darunter Werke von René Crevel, Daniel de Roulet, Virginie Grimaldi, M. Vázquez Montalbán, César Aira, Elena Poniatowska.
Weitere Artikel von
Vuklisevic, Chris