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Der dunkle Raum

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Verlag Antje Kunstmannerschienen am15.08.2024
Was bedeutet es, unter chronischem Schmerz zu leiden? Welche Auswirkungen hat er auf Identität, Selbstverständnis und Lebensfreude? Celia Svedhem gibt tiefe Einblicke in ihre Suche nach einem Weg mit Migräne zu leben in einer Gesellschaft, die auf Leistung und Perfektion ausgerichtet ist, und erzählt eine spannende Kultur- und Medizingeschichte der Krankheit. Celia Svedhem leidet seit ihrer Jugend an Migräne. Sie ist Anfang dreißig, Psychotherapeutin und Mutter zweier kleiner Kinder, als die Anfälle immer extremer werden. Sie nimmt starke Schmerzmittel, doch diese zeigen kaum Wirkung. Ihren Alltag kann sie kaum noch bewältigen. Die rasenden Schmerzen, die ihr Umfeld nicht nachvollziehen kann, zwingen sie dazu, einen Großteil ihres Tages in einem abgedunkelten Raum zu verbringen. Sie fühlt sich isoliert, hat Schuldgefühle ihrer Familie, ihren Patient:innen gegenüber. Doch der Druck verstärkt die Schmerzen nur - ein Teufelskreis. Vom Durchbohren der Schädeldecke über Aderlass und Senfkuren bis hin zu Botox - vieles wurde im Laufe der Jahrhunderte versucht, um die bis heute mysteriöse Erkrankung zu bewältigen; Virginia Woolf, Salvador Dalì, Joan Didion und viele andere Kunstschaffende litten daran. Svedhem beschäftigt sich mit deren Aufzeichnungen, taucht tief ein in die Geschichte der Migräne, probiert verschiedene psychosomatische und medikamentöse Therapien aus - und findet dabei nicht nur ihren eigenen Weg, die Schmerzen zu lindern, sondern auch einen neuen Zugang zu sich selbst.

Celia Svedhem, geboren 1984, ist Psychotherapeutin, freie Journalistin und Autorin zweier Kinderbücher. In Göteborgs-Posten, Vi, Psykologitidningen und Svenska Yle schreibt sie über literarische und psychologische Themen. Sie lebt mit ihrer Familie in Jönköping.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextWas bedeutet es, unter chronischem Schmerz zu leiden? Welche Auswirkungen hat er auf Identität, Selbstverständnis und Lebensfreude? Celia Svedhem gibt tiefe Einblicke in ihre Suche nach einem Weg mit Migräne zu leben in einer Gesellschaft, die auf Leistung und Perfektion ausgerichtet ist, und erzählt eine spannende Kultur- und Medizingeschichte der Krankheit. Celia Svedhem leidet seit ihrer Jugend an Migräne. Sie ist Anfang dreißig, Psychotherapeutin und Mutter zweier kleiner Kinder, als die Anfälle immer extremer werden. Sie nimmt starke Schmerzmittel, doch diese zeigen kaum Wirkung. Ihren Alltag kann sie kaum noch bewältigen. Die rasenden Schmerzen, die ihr Umfeld nicht nachvollziehen kann, zwingen sie dazu, einen Großteil ihres Tages in einem abgedunkelten Raum zu verbringen. Sie fühlt sich isoliert, hat Schuldgefühle ihrer Familie, ihren Patient:innen gegenüber. Doch der Druck verstärkt die Schmerzen nur - ein Teufelskreis. Vom Durchbohren der Schädeldecke über Aderlass und Senfkuren bis hin zu Botox - vieles wurde im Laufe der Jahrhunderte versucht, um die bis heute mysteriöse Erkrankung zu bewältigen; Virginia Woolf, Salvador Dalì, Joan Didion und viele andere Kunstschaffende litten daran. Svedhem beschäftigt sich mit deren Aufzeichnungen, taucht tief ein in die Geschichte der Migräne, probiert verschiedene psychosomatische und medikamentöse Therapien aus - und findet dabei nicht nur ihren eigenen Weg, die Schmerzen zu lindern, sondern auch einen neuen Zugang zu sich selbst.

Celia Svedhem, geboren 1984, ist Psychotherapeutin, freie Journalistin und Autorin zweier Kinderbücher. In Göteborgs-Posten, Vi, Psykologitidningen und Svenska Yle schreibt sie über literarische und psychologische Themen. Sie lebt mit ihrer Familie in Jönköping.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783956146206
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse199 Kbytes
Artikel-Nr.17490156
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1
SUMATRIPTAN

Ich erwache mit diesem metallischen Hämmern im Kopf. Sigge hat sich aufgesetzt und schlägt mit dem Schnuller gegen die Stäbe seines Gitterbetts.

»Mamm mamm mamm«, macht er im Takt. Ich sehe ihn an und verziehe die Lippen, es ist als Lächeln gemeint.

»Sollen wir dir ein Fläschchen machen?« Beim Aufstehen fährt mir die Übelkeit in den Hals. Ich hebe Sigge hoch. Konzentriere mich auf dem Weg in die Küche auf den warmen, kompakten kleinen Körper an meinem. Mein Kopf dröhnt, ich messe Wasser und Pulver für das Fläschchen ab. Während die Mikrowelle läuft, lehne ich meine Stirn vorsichtig an die Kühlschranktür. Aus dem Wohnzimmer ist das Trappeln kleiner Füße zu hören und Elsa taucht auf, verstrubbelt und verschlafen. Ich nehme sie in den Arm. Dann öffne ich die kindersichere Schublade mit den Medikamenten und drücke eine Sumatriptan aus der Metallverpackung. Spüle sie mit einem Glas Wasser hinunter. Die zehnte in dieser Woche? Als das Fläschchen fertig ist, landen wir alle drei auf dem Sofa. Elsa lehnt sich an meine Schulter. Sigge legt den Kopf auf meinen Schoß, das Fläschchen fest im Griff seiner kleinen runden Fäuste. Er schließt die Augen und ich streiche ihm das feuchte Haar aus der Stirn. Mir ist übel und ich schlucke und schlucke. Ich brauche mehr. Zurück in der Küche, nehme ich das Röhrchen Citodon heraus. Es ist nur noch eine drin. Ich sehe zu, wie sich die Tablette in einem halben Glas Wasser auflöst, dann kippe ich es hinunter. Beim Gedanken, dass ich nächste Woche wieder arbeiten soll, dreht sich mir der Magen um. Zwar erst mal nur donnerstags und freitags - aber wie soll das gehen, mit dieser Migräne?

Während ich in der Warteschleife des Gesundheitszentrums meine Versicherten- und meine Telefonnummer angebe, überlege ich, wann die Kopfschmerzen eigentlich so dermaßen überhandgenommen haben. Seit Herbst habe ich sie permanent. Oder schon länger? Im Sommer hatte ich noch gedacht, es würde besser, wenn ich erst mit dem Stillen aufhörte. Dass es vielleicht daran läge, dass ich zu wenig schlief, oder dass ich komisch lag, wenn ich nachts stillte. Den Arm nach oben verdreht und auf die Seite gekauert, damit Sigge gut an die Brust kam.

Das Gesundheitszentrum ruft zurück, als ich mit den Kindern auf dem Spielplatz bin. Ich sitze mit einer anderen Mutter am Sandkasten und sehe zu, wie die Kinder gelbes und rotes Laub sammeln, das zu Boden gefallen ist. Unser Atem bildet beim Sprechen kleine weiße Wolken vor dem Mund.

»Gesundheitszentrum hier - Sie hatten versucht, uns anzurufen?«

Ich entschuldige mich, stehe auf und gehe ein Stück beiseite, zu den Rutschen.

»Ja, hallo, es geht um meine Migräne. Zum einen bräuchte ich ein neues Rezept für Sumatriptan und Citodon.«

»Rezeptwünsche können Sie auf unserer Homepage eingeben«, sagt die Sprechstundenhilfe und klingt wie ein automatischer Anrufbeantworter.

»Ich weiß, aber ich hätte auch noch eine Frage. Wie viele Sumatriptan darf man am Tag nehmen? Ist es okay, wenn man eine morgens nimmt und noch eine am Nachmittag, wenn die Migräne zurückkommt?«

»Ich glaube schon.«

»Mir kommt es seltsam vor, dass ich zwei davon brauche. Vielleicht sollte ich es doch noch mal mit einem anderen Medikament versuchen?«

Am anderen Ende bleibt es kurz still, ich höre, wie die Sprechstundenhilfe über die Tastatur etwas eingibt, mit der Maus klickt.

»Ich sehe mir gerade Ihre Patientenakte an. Sie waren wegen dieser Beschwerden ja bereits mehrmals bei Doktor Olof. Und Sie haben sowohl Präventiv- als auch Akutmedikamente verschrieben bekommen.«

»Das stimmt, aber irgendwie wird es immer schlimmer. Heute ist der achtzehnte Tag in Folge mit Migräne, so schlimm war es noch nie. Vielleicht könnte ich doch noch mal mit Doktor Olof sprechen?«

»Ich kann Ihnen leider keinen Termin mehr geben, Sie bekommen bereits alles, was wir in so einem Fall verschreiben können.«

Ich seufze und knete meine Stirn. Mein Hals fühlt sich plötzlich dick und zugeschwollen an.

»Außerdem sehe ich gerade, hier ist ein Vermerk in Ihrer Akte: Wir dürfen Ihnen dieses Jahr kein Citodon mehr verschreiben. Es besteht das Risiko einer Abhängigkeit.«

»Aber was soll ich denn dann nehmen?«

»In der Apotheke bekommen Sie rezeptfrei Ibuprofen und Paracetamol.« Ihre Stimme ist um eine Oktave höher geworden.

»Aber ich glaube nicht ...«

»Und das Rezept für Sumatriptan liegt ab 17 Uhr für Sie bereit.«

»Okay, aber ...«

»Das wär´s dann. Tschüss, und machen Sie´s gut.

Am Nachmittag treffen wir uns mit Irina und ihren Kindern. Jeden Montag gehen wir zusammen zur offenen Geschwistergruppe in Elsas Kindergarten. Den ganzen Weg dorthin erzählt Irina von den Hausbesichtigungen, an denen sie und ihr Mann teilgenommen haben.

»Und wie geht es dir so?«, fragt sie schließlich, als wir bereits auf den Hof des Kindergartens einbiegen.

»Ich habe Migräne.«

»Mhm, lästig. Ach, übrigens, gehst du Samstag zu Natalie?«

»Ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe.«

Sie sieht mich fragend an.

»Ich habe die ganze Zeit solche Kopfschmerzen.«

»O Gott, das klingt ja anstrengend. Hast du das mal untersuchen lassen?«

»Ja, aber es heißt immer, man könne da nicht mehr tun«, antworte ich frustriert.

»Echt? Wie ätzend. Jedenfalls habe ich gedacht, wir könnten ihr vielleicht gemeinsam was schenken? Was meinst du?«

Am Abend zähle ich die Minuten, bis Jonas von der Arbeit kommt und ich mich endlich hinlegen kann. Mein Kopf dröhnt so heftig, dass ich mir nicht mehr zu helfen weiß. Und so mache ich einfach weiter, wechsle Windeln, brate Fischstäbchen, puste auf Elsas Finger, nachdem sie ihn sich zwischen zwei Legosteinen geklemmt hat. Als Jonas endlich kommt, gehe ich auf direktem Weg ins Schlafzimmer, mache die Tür zu, schalte das Licht aus, lasse die Jalousie herunter, steige ins Fegefeuer hinab. Der Schmerz explodiert in meinem Kopf. Roter und beigefarbener Dampf hinter meinen Lidern. Wie habe ich noch mal bei den Geburten geatmet? Durch die Nase ein. Den Schmerz annehmen. Keinen Widerstand leisten. Ausatmen und ihm nachgeben.

*

Ich sitze zum Kick-off-Gespräch bei meiner Chefin. Ein leichtes Stechen im Kopf. Als ich nach dem Mittagessen meine Einträge in die Krankenakten mache, hat das Stechen sich zu einem starken Pochen entwickelt. Aber ich habe nur noch eine Patientin, dann kann ich nach Hause. Im Laufe des Termins werden die Schmerzen so heftig, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Ich, die ich normalerweise so strukturiert bin, schaffe es nicht, einem roten Faden zu folgen. Die Patientin spricht, und ich strenge mich wirklich an, zu verstehen, was sie sagt. Als mir übel wird, schaue ich auf die Uhr. Noch fünf Minuten. Schweiß tritt mir auf die Stirn und ich muss immer wieder schlucken, um mich nicht auf den kleinen Tisch zwischen uns zu übergeben. Als der Termin endlich vorbei ist und ich mich von ihr verabschiedet habe, renne ich auf die Personaltoilette, ohne hinter mir abzuschließen, reiße den Toilettendeckel auf und kotze. Mein Kopf dröhnt. Als mein Magen endlich leer ist, vermag ich kaum aufzustehen, um abzuschließen. Nachdem ich eine Weile auf der Toilette vor mich hin gedöst habe, kehre ich ins Sprechzimmer zurück und rufe Jonas an. Er packt die Kinder ins Auto und holt mich ab.

Am nächsten Morgen ist die Migräne immer noch da. Ich melde mich krank und rufe anschließend im Gesundheitszentrum an, bestehe darauf, einen Termin beim Arzt zu bekommen. Ich könne nicht arbeiten, wenn ich keine weitere Unterstützung bekäme. Diesmal wird mir ein Telefontermin mit dem Arzt zugestanden. Ein paar Tage später ruft er zurück, ich liege gerade mit den Kindern in einem Meer von Spielzeugautos, Barbies und Bauklötzen auf dem Wohnzimmerboden.

»Helfen Sie mir«, flehe ich ihn an.

»Sie nehmen das Metoprolol genau nach Anweisung ein?«

»Ja, absolut! Aber es hilft nicht. Ich kann so nicht arbeiten gehen. Ich glaube, ich muss mich krankschreiben lassen.«

Er räuspert sich und seufzt.

»Da sind die Kassenvorschriften leider sehr streng. Melden Sie sich am besten jeweils an den Tagen krank, an denen Sie Migräne haben. Sie können allerdings bei der Krankenkasse einen Hochrisikoschutz beantragen. So bekommen Sie wenigstens zehn Krankheitstage im Jahr bezahlt.«

»Okay, da erkundige ich mich mal. Aber irgendwie muss es doch besser werden. Wenn Sie nichts mehr für mich tun können, können Sie mich dann vielleicht irgendwohin überweisen?«

Wieder seufzt der Arzt.

»Klar, wir können versuchen, Sie zum Neurologen zu schicken. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Als Migränepatientin bekommen Sie dort schwer einen Termin.«

*

Während ich auf einen Termin beim Neurologen warte, überlege ich, wie andere eigentlich mit dieser Art von Migräne umgehen, wie sie es schaffen, im Alltag zu funktionieren. Eines Vormittags, als ich in der Personalteeküche auf den Kaffee warte, sehe ich dort eine Kollegin, die allein etwas abseits in einer Sitzgruppe sitzt. Sie gehört zu einem anderen Team und ich kenne sie nicht wirklich, habe aber gerüchteweise gehört, dass sie jahrelang an Migräne gelitten und wirklich alles versucht hat. Als der Kaffee durchgelaufen ist, gehe ich mit der Kanne zu ihr, frage, ob ich ihr nachschenken darf, und setze mich zu ihr.

»Ich habe...
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