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Das indonesische Geheimnis

Roman
BuchGebunden
160 Seiten
Deutsch
Transit Berlinerschienen am26.08.2015Erstauflage
Provoziert durch die Anfrage eines Journalisten erinnert sich Herma Warner an ihre Kinder- und Jugendzeit im Indonesien der zwanziger und dreißiger Jahre. Als Tochter von Holländern in Batavia (Djakarta) geboren, wuchs sie dort privilegiert auf, befreundete sich mit indonesischen Mädchen und Familien, interessierte sich für deren Lebensweise und Sprache. Dann, gerade erwachsen, muss sie erfahren, dass die politischen Verhältnisse Anfang der vierziger Jahre (das harte Kolonialregime, der wachsende Widerstand dagegen und die Radikalisierung ihrer indonesischen Freundinnen und Freunde) alles in Frage stellen, was sie bis dahin als ihre Heimat, ihre Identität und ihre große Liebe begriffen hatte. Dieser Zeit nähert sie sich im Rückblick, in Details und Momenten, die sich erst langsam zu einem Puzzle zusammensetzen. Im Augenblick des Erinnerns und angesichts vieler Rätsel, die sich dabei ergeben, wird ihr klar, mit welcher fast unverzeihlichen Naivität sie damals in ihrer Familie als Teil der Kolonialgesellschaft gelebt hat, wie wenig sie von ihren Eltern, ihrer engsten indonesischen Freundin und ihrem indonesischen Freund wusste - der dann später, nach dem Ende der Kolonialzeit, ihr Mann wurde.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,80
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextProvoziert durch die Anfrage eines Journalisten erinnert sich Herma Warner an ihre Kinder- und Jugendzeit im Indonesien der zwanziger und dreißiger Jahre. Als Tochter von Holländern in Batavia (Djakarta) geboren, wuchs sie dort privilegiert auf, befreundete sich mit indonesischen Mädchen und Familien, interessierte sich für deren Lebensweise und Sprache. Dann, gerade erwachsen, muss sie erfahren, dass die politischen Verhältnisse Anfang der vierziger Jahre (das harte Kolonialregime, der wachsende Widerstand dagegen und die Radikalisierung ihrer indonesischen Freundinnen und Freunde) alles in Frage stellen, was sie bis dahin als ihre Heimat, ihre Identität und ihre große Liebe begriffen hatte. Dieser Zeit nähert sie sich im Rückblick, in Details und Momenten, die sich erst langsam zu einem Puzzle zusammensetzen. Im Augenblick des Erinnerns und angesichts vieler Rätsel, die sich dabei ergeben, wird ihr klar, mit welcher fast unverzeihlichen Naivität sie damals in ihrer Familie als Teil der Kolonialgesellschaft gelebt hat, wie wenig sie von ihren Eltern, ihrer engsten indonesischen Freundin und ihrem indonesischen Freund wusste - der dann später, nach dem Ende der Kolonialzeit, ihr Mann wurde.
Details
ISBN/GTIN978-3-88747-323-5
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum26.08.2015
AuflageErstauflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht334 g
Artikel-Nr.34476126
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Sehr geehrte Frau Warner,mein Name ist Bart Moorland. Ich bin freiberuflicher Journalist und habe Soziologie und Politologie studiert.Zurzeit arbeite ich an einer Studie über westliche Aktivisten für Menschenrechte und Umweltschutz in Südostasien. Bei meinen Nachforschungen bin ich mehrfach auf den Namen Mila Wychinska gestoßen, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine wichtige Rolle als Verbindungsperson zwischen verschiedenen internationalen Organisationen und der Lokalbevölkerung gespielt haben soll, unter anderem in Indonesien und Malaysia. Viele Leute, die ich traf, wussten zwar von ihrer Existenz, sind ihr jedoch noch nie persönlich begegnet und hatten außer vagen und widersprüchlichen Geschichten eigentlich auch nichts zu melden.Manche behaupten, sie sei während einer Reise auf Sumatra (oder Java, oder Timor, das bleibt unklar) gestorben. Auch ihr Sterbedatum und die Todesumstände sind mir nicht bekannt.Als ich hörte, dass sie (trotz des meiner Ansicht nach polnischen Namens) niederländischer Herkunft war, habe ich natürlich versucht, hier in den Niederlanden Informationen über sie zu sammeln. Ich konnte lediglich herausfinden, dass sie aus Batavia stammte, im früheren Niederländisch-Indien, und noch lange auf Java oder anderswo in Indonesien gelebt hat, auch während der Herrschaft Soekarnos.Ich interessiere mich besonders für ihre Kindheit und Jugend in den Tropen, vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sie sich offensichtlich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit, als das kaum diskussionsreif war, als Verfechterin eines unabhängigen Indonesiens geäußert hat.Warum ich mich an Sie wende? Natürlich kenne ich Sie als Kunsthistorikerin. Mir ist auch die interessante Arbeit bekannt, die Sie bei der Restaurierung von Gebäuden aus der Zeit der Niederländischen Ostindien-Kompanie verrichtet haben. Aus diesem Grund spreche ich Sie mit dem Namen an, unter dem Ihre wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht wurden (Ihrem Mädchennamen Herma Warner), und nicht als Frau Tadema.Auch Sie sind im kolonialen Niederländisch-Indien geboren und aufgewachsen, in Batavia, und zudem sind Sie eine Altersgenossin von Mila Wychinska. Jemand erzählte mir, Sie hätten möglicherweise dieselbe Schule besucht. Auf erhaltenen Listen von Schülern der europäischen Schulen in Batavia vor dem Krieg habe ich Milas Namen nicht finden können, wohl Ihren und den Ihres Ehemannes.Kannten Sie Mila? Falls ja, täten Sie mir einen großen Gefallen, wenn Sie mir gestatten, Ihnen einige Fragen zu stellen.Mit vorzüglicher HochachtungB.J. Moorland***Ohne diesen Brief hätte ich niemals damit angefangen.Ja, ich kannte sie, Adèle, Adé, Dee Mijers, die später wie ihre polnische Mutter Wychinska heißen wollte und aus Dee Mila machte, um alle holländischen und ostindischen Assoziationen aus ihrem Namen zu verbannen. Aber ich fürchte, was ich über sie erzählen könnte, wird diesem Journalisten nicht viel nützen. Ihr Leben, und auch meines, wurden von Umständen bestimmt, die ich als unwiderruflich überholt betrachte. Hat es Sinn, noch einmal aufzuwärmen, was niemand mehr nachvollziehen kann?Mir war schon lange klar, dass die versunkene Welt meiner Jugend zu einem großen Teil Illusion gewesen ist. Alle Stadien des Abschiednehmens und der Entwöhnung habe ich durchgemacht. Die sinnlichen und emotionalen Erlebnisse in meinem Geburtsland liegen auf dem Grund meines Bewusstseins begraben, sie bestimmen mich, aber ich kann nicht mehr auf sie zugreifen. Dass ich nirgends jemals ganz zu Hause war, habe ich als meinen natürlichen Daseinszustand akzeptiert. Das gibt mir Freiheit, und auch die Fähigkeit, mich anzupassen, oder gerade Abstand zu wahren, je nachdem, wie es passt. Dee betrachtete diese Eigenschaft - zu Unrecht - als typisch für den Belanda , der sich, wie sie mal sagte, wie ein Chamäleon verhalten kann, um sich die Umgebung, die er dominieren will, gefügig zu machen. Vielleicht hat sie später begriffen, dass es meine Art - und ihre! - war, mit der inneren Zerrissenheit zu leben, die uns beide ausmachte.Habe ich das Recht, Dee zu erklären ? Kann ich das, ohne selbst eine Rolle zu spielen? Ich habe Angst vor der Zwiespältigkeit, der Doppelsinnigkeit, der Abwehr, die ich verspüre. Ich will mich der Bitte nicht stellen, die der Brief enthält, oder vielleicht doch?Moorland bauscht meinen Beitrag an den Restaurierungsarbeiten der Holzschnitzereien an den paar Häusern aus dem achtzehnten Jahrhundert in Jakarta viel zu sehr auf. Viel gab es da nicht mehr zu tun. Wie lange es gedauert hatte, bis die Niederlande Geld zur Verfügung gestellt und Indonesien das Angebot auch akzeptiert hatte. Für die Behörden in Jakarta hatte die Wiederherstellung kolonialer Antiquitäten selbstverständlich keine Priorität, außer, wenn diese im wirtschaftlichen und sozialen Leben der Stadt eine Funktion erfüllten.Aber was soll s, Herr Moorland hat mir eben ein Kompliment machen wollen.Ich weiß nicht, ob ich ihn empfangen werde. Auch eine schriftliche Antwort bereitet mir Kopfzerbrechen. Hier, in meinem ländlichen, entlegenen Winkel, fühle ich mich wie aus der Zeit gefallen. Die alten Buchen und Kastanien auf dem Rasen vor diesem Haus, in dem einst meine Großeltern lebten, haben sich kaum verändert, seit ich als Kind in ihrem Schatten spielte während des einzigen Europa-Urlaubs meines Vaters, vor siebzig Jahren. Die schweren Baumstämme, die breit gefächerten Blätterkronen, geben mir ein ähnliches Gefühl für die Wirklichkeit wie das überwältigende Grün Javas, nämlich die Verbundenheit mit der Natur.Im Sommer verbringe ich bei gutem Wetter ganze Tage in meinem Gartenhaus mit Vordach und Veranda, versteckt zwischen dichten Bäumen. Genau wie zu Lebzeiten Tacos. Biwakieren im pondok nannten wir das. Dort spüre ich seine Anwesenheit wie sonst nirgends.So lebe ich auf meinen Tod zu, in Harmonie mit der unverständlichen Ordnung der Dinge. Bücher und Musik verstärken meine Ruhe. Ich verfolge die Nachrichten zwar, aber nehme sie mit einem Relativierungsvermögen auf, das mich oft erstaunt. Die Vergangenheit zieht sich in Nebeln zurück, und lässt sich nur aus der Gegenwart interpretieren, die ich ebenso wenig in ihrer wahren Gestalt sehen kann.Seit Tacos Tod, vor fast siebzehn Jahren, habe ich den Deckel der ebenhölzernen Kiste mit den Kupferbeschlägen, in der ich aufhebe, was ich noch immer Indien nenne, nicht mehr geöffnet. Irgendwann einmal wollte ich die Briefe, Unterlagen und Fotos vernichten. Jetzt könnten sie nützlich sein.Aber ich habe den Schlüssel verloren. Er hat eine auffällig abweichende Form. Die Zähne des Schlüsselbartes, der in das komplizierte antike Schloss passt, sind außergewöhnlich zackig, der ovalförmige Schlüsselkopf ist vergoldet und mit einem Ornament verschlungener Linien durchbrochen, das einem arabischen Schriftzug ähnelt. Ich muss diesen Schlüssel doch finden können. Tagelang habe ich mit Suchen verbracht, Schubladen leergeräumt, Kartons ausgeschüttet, verstaubte Regalbretter abgetastet. Das einzige Resultat war Verzweiflung über den ganzen Plunder, den ich im Laufe der Jahre angesammelt habe.Wie bekomme ich den Deckel auf? Er schließt nahtlos an den Kistenrand an. Ich werde Hilfe hinzuziehen müssen, einen Fachmann, einen Schlosser, der auf Feinarbeiten spezialisiert ist, falls es hier in der Gegend so jemanden gibt.Die Frage des Journalisten hat etwas ausgelöst, was mich nicht mehr ruhen lässt. Ich habe zwar keinen Zugang zum Inhalt meiner Kiste, aber jetzt ist es, als sei in meinem Gedächtnis ein Schloss aufgesprungen. Ich werde aufschreiben, was mir durch den Kopf geht.Wenn ich an Dee denke, sehe ich sie am liebsten vor mir, wie sie als Kind war: lebhaft, agil, gelenkig, und damals schon mit diesem funkelnden dunklen Blick, den viele Leute zu meinem Erstaunen frech und unberechenbar fanden. Ich war davon überzeugt, dass niemand sie so gut kannte wie ich. Also wusste ich, dass sie ungeduldig und fast körperlich unpässlich wurde, wenn ein Spiel oder eine Situation zu Hause oder in der Schule ihrem Empfinden nach zu lange dauerte. Aus reiner Langeweile konnte sie völlig außer sich geraten, reizen und triezen, oder sich gerade durch bockiges Schweigen unerreichbar machen. Andere sahen nicht, was ich sah: Die Neugier und das heimliche Vergnügen in dem Blick, mit dem sie die Wirkung ihres Verhaltens in sich aufnahm. Sie begriff natürlich, dass sie auf diese Weise eine gewisse Macht ausüben konnte, und gleichzeitig fand sie es auch lächerlich, dass Erwachsene und dumme Kinder sich von ihr gängeln ließen. Verachtung funkelte dann in ihren Augen.Weil ich nie das Gefühl hatte, zu denen zu gehören, die für Dee die Anderen waren, beachtete ich ihre tinkas nicht weiter. Plötzlich kehrte sie zu ihrem Kern zurück, war wieder verspielt und mitreißend. Nichts war geschehen.Später, als wir junge Mädchen waren, gelang es mir nicht immer, so unbefangen gleichmütig auf die unvorhersehbaren Schwankungen von Dees Stimmungen und Verhalten zu reagieren. Auch ich fand, dass ihr Blick ihrer Schönheit mitunter Abbruch tat.Dee war nämlich schön. Sie hatte eine matte, leicht gebräunte Haut, ein schmales Gesicht mit einer kurzen geraden Nase und Augen, die, je älter sie wurde, einen grünlich-bräunlichen Glanz bekamen. Durch ihre stolze Haltung wirkte sie größer, als sie war.Sogar der Schlosser aus Zutphen, der so nett war, an seinem freien Sonntagnachmittag bei mir vorbei zu sehen, bekam meine ebenhölzerne Kiste nicht auf. Er kann das Schloss gern austauschen, aber dazu müsste er die große und wunderbar verzierte Kupferplatte zerstören, die mit Dutzenden nahezu unsichtbaren Nägeln um das Schlüsselloch befestigt ist. Diesen irreparablen Schaden möchte ich nicht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, den Schlüssel zu finden, der schließlich nicht weg sein kann.Den Entscheidungen, die Dee im Laufe ihres Lebens getroffen hat - einige sind mir bekannt, die anderen kann ich nur erraten - liegt, vermute ich, eine tiefe Unsicherheit zugrunde. Früher habe ich nie etwas davon bemerkt, im Gegenteil, ich fand sie geradezu aufreizend selbstbewusst, und durch ihren Spott erhaben über die Vorurteile in der damaligen niederländisch-indischen Gesellschaft.Jetzt begreife ich, dass diese Haltung ein Täuschungsmanöver war. Sogar vor mir trug sie eine Maske. Hinter Stolz und Schneid verbarg sie die demütigende Überzeugung, nicht für voll angesehen zu werden. In dem stetig anwachsenden Groll hat sie Halt gesucht. Er machte sie hart.Zwischen ihr und mir steht etwas Dunkles und Undurchdringliches, woran ich lieber nicht rühre. Ich weiß nicht, wo sie im Moment ist. Ich weiß nicht einmal, wer sie ist - falls sie noch lebt.Heute, zusammen mit meiner treuen Stien, wieder lange vergeblich nach dem Schlüssel gesucht. Wir haben auch die Zimmer gründlich durchforstet, die ich nicht mehr benutze, obwohl mir nicht klar ist, wie das Ding da hätte hingeraten können. Stien hatte eine Nichte mitgebracht, ein kritisches sechzehnjähriges Schulmädchen, das mir sofort zu verstehen gab: Echt asozial, wie Sie hier wohnen. Ich sagte, das hätte ich selbst auch eingesehen und ich würde vermieten, sobald für mich in unserem Seniorenheim Het Hoge Bos, wo ich seit einigen Jahren auf der Warteliste stünde, ein Platz frei würde. Das stimmte sie nicht milder, obgleich sie nach Kräften bei der Suche mithalf, vor allem auf dem Dachboden, wo noch allerlei Sachen aus dem Hausrat meiner Großeltern liegen.Bevor sie eben wegging, im Besitz eines Kupferleuchters und eines Nachttopfes aus geblümter Emaille, hörte ich sie sagen: Shit, den halben Tag vertan. Den Schlüssel gibt s natürlich gar nicht. Sie ist alt, sie erinnert sich nicht mehr , sagte Stien besänftigend.Alte Leute führen oft Selbstgespräche, oder sprechen mit imaginären Personen. Ist dieses Geschreibe, mit dem ich angefangen habe, eine Variante dieser Unsitte? Und an wen bitte richte ich mich?***Sehr geehrte Frau Warner,vielen Dank für Ihren Brief. Ich weiß wirklich sehr zu schätzen, dass Sie meiner Bitte - trotz der unglücklicherweise hermetisch verschlossenen Kiste - dennoch nachkommen möchten. Dass Sie aus Ihrem Gedächtnis schöpfen müssen, mindert den Wert Ihrer Informationen nicht.Ich freue mich auf die versprochenen Angaben.HochachtungsvollB.J. Moorland***Angaben über Dee, schwarz auf weiß, von denen Bart Moorland was hat? Erstmal müsste ich erklären, wie kompliziert ihr Familienhintergrund war. In groben Zügen kenne ich ihn, weil ich unzählige Male darüber habe reden hören.Einst nahm, im siebzehnten Jahrhundert, Jonas Muntingh, ein Kaufmann im Dienst der Vereinigten Ostindischen Kompanie, eine einheimische Frau zu seiner rechtmäßigen Ehefrau. Er wurde reich und ließ an einer Flussbiegung des Tjiliwoeng, ein wenig außerhalb Batavias, ein Haus bauen, das er mit seiner Familie bezog.Auch Muntinghs Nachkommen waren zu Reichtum gelangt, im Handel, und durch Ehen mit Mitgliedern steinreicher chinesischer Familien. Sie kauften Land und aus Kaufleuten wurden somit Großgrundbesitzer. Die letzte Erbin des Landgutes Pakembangan, auf halber Strecke zwischen Batavia und Buitenzorg, heiratete im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts einen Sprössling aus dem adligen französischen Geschlecht Lamornie de Pourthié, der wegen Spielschulden nach Niederländisch-Indien ausgewichen war. Sie bekamen zwei Töchter, Louise und Adèle. Um sich der bleibenden Verbundenheit seines Assistenten zu versichern, der talentiert war und mit harter Hand über das Arbeitsvolk regierte und somit die Reisfelder und den Viehbestand ertragreicher machte, zwang Lamornie de Pourthié, der kein Geschäftsmann war und im Landbau nicht bewandert, seine Tocher Louise, diesen unersetzbaren Aufsichter zu heiraten. Erwartungsgemäß wurde sie todunglücklich.Adèle hatte ebenso wenig Glück. Ihr Mann, der Marineoffizier Johan Mijers, starb an Malaria, just als ihm eine Beförderung zum zweiten Adjutanten des Generalgouverneurs in Aussicht gestellt wurde. Mit ihren beiden kleinen Kindern, Louis und Aimée (die immer nur Non genannt wurde) ließ sie sich in dem großen ostindischen Haus nieder, in das die Muntinghs gezogen waren, als wohlhabende Stadtbewohner Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ihren Wohnsitz in die kühleren hohen Areale südlich der Unterstadt verlegt hatten.Da Louise kinderlos blieb, betrachteten die Schwestern es als eine unumstößliche Tatsache, dass Adèles Sohn Louis Mijers, der einzige männliche Nachkomme des Geschlechts Muntingh, irgendwann Pakembangan verwalten würde und zusätzlich zu dem seiner Mutter zustehenden Teil des Familienkapitals auch den Anteil seiner Tante erben würde.Als Junge war er ein Querulant, unfolgsam, frech, ein Flaneur, der mit unerwünschten Freunden die Stadt unsicher machte und im Preanger Bergland auf Abenteuer ausging. 1913 schickte Frau Mijers ihn nach Europa, um Manieren und Savoire-faire zu erwerben. Trotz des Ersten Weltkriegs war Louis Aufenthalt in London, Paris und der Schweiz erfolgreich. Mit seinem schönen, exotischen Äußeren und den großzügigen Zuwendungen seiner Mutter entwickelte er sich avant la lettre zu dem Typen des mondänen Lebensgenießers, der in den Zwanzigerjahren den Ton angeben sollte.In meiner ebenhölzernen Kiste muss ein Schnappschuss aus dem Jahre 1927 liegen. Louis Mijers, in einem für diese Zeit auffällig modernen Anzug aus leichtem Stoff, nicht in einem der steifen weißen Baumwollanzügen mit hochgeschlossenem toetoep, der Alltagskleidung meines Vaters und seiner Beamten-Kollegen. Statt des üblichen Tropenhelms trägt er einen Panamahut, und zweifarbige, amerikanische Schuhe. Seine obere Gesichtshälfte liegt im Schatten, aber in seinem lachenden Mund blitzen die Zähne unter dem dünnen Schnurrbart. Er lehnt lässig gegen seinen Studebaker, an den ich mich von unzähligen Ausflügen noch erinnere. Das Leinenverdeck ist zurückgeschlagen und liegt gefaltet über der Rückbank. Das Foto muss im Garten unseres ersten Hauses in Batavia aufgenommen worden sein, dessen Auffahrt von einer langen Reihe stacheliger Pflanzen umsäumt wurde. Alle fanden Dees Vater schneidig, einen Herzensbrecher. Auch als Kind bemerkte ich, dass er gut aussah, wie ein Filmstar aus Hollywood, aber hinter seinem Charme und seinem kühnen Auftreten verbarg sich etwas, was manchmal in seinem Blick kurz aufloderte, und mich verunsicherte. Niemals wurde ich das Gefühl los, dass er mich eigentlich nicht mochte, auch wenn er sich der besten Freundin seiner Tochter gegenüber noch so überschwänglich nett gab.Dee und ich sind zusammen aufgewachsen. Ihr Vater und mein Vater waren im Dezember 1918, kurz nach dem Waffenstillstand, mit demselben Postschiff aus Europa gekommen, und hatten ein Jahr später etwa zur gleichen Zeit geheiratet.Dee und ich wurden beide 1920 in Batavia geboren. Onkel Louis (so durfte ich ihn nennen) war oft bei uns zu Besuch, immer allein. Damals fragte ich mich nicht warum, denn Dee hatte ja Non, ihre Tante, die im Haus ihrer Großmutter Mijers für sie sorgte. Das Haus war in meinen Augen ein Palast, mit weißen Säulenreihen auf den Veranden vorne und hinten, und Marmorfußböden, in denen man sich spiegeln konnte. In diesem Viertel der Stadt hatten die Gärten parkähnliche Ausmaße. Das Laub der hohen Kenaribäume warf Schatten über die blühenden Pflanzen in den mit Kalk abgesteckten Beeten und über die Töpfe mit Rosen und Farnen. Es gab unzählige Stellen, an denen wir uns verstecken konnten, Bäume zum Reinklettern, Sträucher zum Darunterkriechen. In einer großen Voliere hielt Frau Mijers Kakadus und einen Beo. Am meisten aber hatte es mir das Vordach auf Pfählen angetan, der pendoppo, der an die Veranda hinten grenzte. Das war das Reich von Non Meijers und ihren Orchideen. Als Kind war ich vor allem von den bizarren Formen und wunderbaren Farben der Blumen verzaubert. Später bekam ich ein Auge für das komplizierte Zucht- und Pflegeverfahren, das Nons Leben beherrschte.Von Non besitze ich kein einziges Foto. Sie wollte nie geknipst werden, verbarg sich hinter anderen oder machte sich aus dem Staub, sobald ein Fotoapparat hervorgeholt wurde. Dass Louis Mijers und sie Geschwister waren, hätte niemand geglaubt, der es nicht wusste. Louis besaß den matten Teint und die geschmeidigen Bewegungen von Frau Mijers, Non jedoch war dunkelhäutig und mager, ohne Eleganz. In ihren zumeist weißen, halblangen Kleidern, Schlappen an den Füßen, ähnelte sie eher einer Hausangestellten zwischen baboe und Krankenschwester, oder einer armen entfernten Blutsverwandten, die als arbeitsame Mitbewohnerin in diese niederländisch-ostindische Familie aufgenommen worden war. Louis und seine Mutter hatten etwas Überhebliches in ihrem Blick, jeder auf eigene Weise, er herausfordernd selbstbewusst, sie damenhaft reserviert, aber Nons Augen waren wie stilles schwarzes Wasser. Fasziniert schaute ich auf ihre geschickten Finger, die sich vorsichtig und zielgerichtet zwischen den Stängeln und Luftwurzeln bewegten, den breiten lederartigen oder länglichen dünnen Blättern, den Blütentrauben auf ihren Farnwurzelballen, oder den bemoosten Baumrinden und Kokosborken, die am oberen Rand des Vordachs aufgehängt waren.Ich finde Non in ihrem pendoppo. Sie bereitet gerade eine Pflanze vor, wie sie es nennt, die sie in aller Frühe auf dem pasar von einem zuverlässigen Züchter gekauft hat. Dee hat an dieser Arbeit kein Interesse, sie schaukelt draußen im Garten. Sieh nur, Toet , sagt Non (diesen ostindischen Kosenamen hat sie mir gegeben, seit sie weiß, dass ich ihre Orchideen liebe), und sie zeigt mir, dass sich gerade ein neuer Stängel entwickelt, und darunter auch schon feine Wurzeln austreiben. Sie befestigt die Pflanze mit einer u-förmigen Klammer auf einem länglichen schwarzen Stück Farntorf und erzählt mir, dass dies eine Larat sei, die an dem bald erwachsenen Stängel eine Traube aus sechs, acht oder sogar noch mehr Blüten tragen wird, diesmal aber nicht in den Farben purpurrosa oder samtig dunkelrot, sondern schweeweiß, mit einem sanftgrünen Kelch. Die Albino, die ist sehr selten, und auch sehr teuer! Und sie nennt den dazugehörigen Namen, Hololeuca . Schöner als Lilien! Es ist das erste Mal, dass sie eine weiße Larat erstehen konnte. Jetzt vertraut sie mir auch an, dass sie endlich ausprobieren kann, was sie schon so lange hoffte, einmal tun zu können: Die weiße Sorte mit einer anderen kreuzen, sie weiß schon, mit welcher, mit der, die ich auch so prachtvoll finde, die gelb und dunkelbraun gefleckte Tigerorchidee. Weiß und braun, Toet! Boleh tjampoer, oder? Sie hält den Kopf schräg und schaut mich mit einem Lächeln in den Augen an, während sie sich eine Strähne ihres halblangen schwarzen Haares, die sich aus ihrer Haarspange gelöst hatte, hinters Ohr streicht.mehr
Kritik
'Dieses Buch hat alles: Dramatik, Spannung, Intrigen, zerbrochene Freundschaften, Konflikte zwischen Holland und Indonesien, zwischen Farbigen und Weißen.' NRC Handelsblad 'Dieser Roman nähert sich der Perfektion: ergreifend, bissig, aufklärerisch und fesselnd. Was will ein Leser mehr?' Algemeen Dagbladmehr

Autor

Hella S. Haasse, eine der bekanntesten und erfolgreichsten niederländischen Autorinnen der Gegenwart (dieses erstmals ins Deutsche übersetzte Buch hatte eine Auflage von 78.000 Ex.), wurde 1918 in Batavia geboren, ging 1940 zum Studium in die Niederlande und kehrte später öfter nach Indonesien zurück. Sie starb 2011 in Amsterdam. Das Original erschien bei Querido, Amsterdam.
Das indonesische Geheimnis