Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Im Schatten des Vogels

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
252 Seiten
Deutsch
Beck C. H.erschienen am12.09.20111. Auflage
Pálina Jónsdóttir wächst im späten 19. Jahrhundert in einer abgeschiedenen Gegend im Osten Islands auf, am Fuß eines Gletschers, mit Blick auf gewaltige Gebirgszüge und das stürmische Meer. In einfachsten Verhältnissen lebend, in einer vielköpfigen Familie und großen, engen Hofgemeinschaft, schwankt sie zwischen Heimatgefühl und Fernweh, träumt von einer glücklichen, sonnigen Zukunft und fühlt sich doch auf der Mädchenschule in Reykjavík nicht wohl. Von Kind an leidet sie unter seelischen Spannungen, die sich, als sie selbst eine Familie gründet und in ihre Heimat zurückgekehrt ist, verschärfen. Die enge, ambivalente Beziehung zum Vater hat ihr Leben großen Belastungen ausgesetzt.
"Im Schatten des Vogels" ist Kristíns Steinsdóttirs dritter Roman für Erwachsene, eine auch autobiographisch geprägte und bewegende, poetisch geschriebene Geschichte vom Leid und Glück einer besonderen Frau.


Kristín Steinsdóttir, geboren 1946, lebt in Reykjavík und ist eine der meistgelesenen und preisgekrönten Kinderbuchautorinnen Islands. Ihr Roman «Eigene Wege» (C.H.Beck, 2009) erhielt u.a. den Isländischen Literaturpreis der Frau 2011 und wurde in viele Sprachen übersetzt. Sie ist derzeit Präsidentin des Isländischen Schriftstellerverbandes.
mehr

Produkt

KlappentextPálina Jónsdóttir wächst im späten 19. Jahrhundert in einer abgeschiedenen Gegend im Osten Islands auf, am Fuß eines Gletschers, mit Blick auf gewaltige Gebirgszüge und das stürmische Meer. In einfachsten Verhältnissen lebend, in einer vielköpfigen Familie und großen, engen Hofgemeinschaft, schwankt sie zwischen Heimatgefühl und Fernweh, träumt von einer glücklichen, sonnigen Zukunft und fühlt sich doch auf der Mädchenschule in Reykjavík nicht wohl. Von Kind an leidet sie unter seelischen Spannungen, die sich, als sie selbst eine Familie gründet und in ihre Heimat zurückgekehrt ist, verschärfen. Die enge, ambivalente Beziehung zum Vater hat ihr Leben großen Belastungen ausgesetzt.
"Im Schatten des Vogels" ist Kristíns Steinsdóttirs dritter Roman für Erwachsene, eine auch autobiographisch geprägte und bewegende, poetisch geschriebene Geschichte vom Leid und Glück einer besonderen Frau.


Kristín Steinsdóttir, geboren 1946, lebt in Reykjavík und ist eine der meistgelesenen und preisgekrönten Kinderbuchautorinnen Islands. Ihr Roman «Eigene Wege» (C.H.Beck, 2009) erhielt u.a. den Isländischen Literaturpreis der Frau 2011 und wurde in viele Sprachen übersetzt. Sie ist derzeit Präsidentin des Isländischen Schriftstellerverbandes.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406621758
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum12.09.2011
Auflage1. Auflage
Seiten252 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1034539
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
I

Ich war noch klein, als er sich zum ersten Mal bemerkbar machte. Der Vogel, der ein untrennbarer Teil meines Lebens werden sollte.

Er breitete die Flügel aus, sang und erfüllte meine ganze Brust. Ich dachte, dass das so sein müsse, ahnte nichts. Warum fing er an, sich in meinen Hals zu zwängen? Zu versuchen, mich zu ersticken. Mir nachts den Schlaf zu rauben. Sich auf mich zu legen und zu zerquetschen. Die Realität und mich durcheinanderzubringen. Ich fand keine Antwort, doch die Frühlingstage waren sonnig, und der Vogel flog ohne Unterlass.

Die Sonne steht hoch am Himmel. Ich bin allein und träume vor mich hin. Plötzlich so etwas wie ein Brummen. Zuerst ist es dumpf, dann aber wird es deutlicher und schlüpft schließlich in die Traumwelt hinein. Drängt mich, drängelt sich ins Paradies. Eine Schmeißfliege, groß wie ein Koloss.

Ich springe auf die Beine, voller Entsetzen. Bösartige Rhabarberstängel sind mir im Weg, als ich fliehen will und die Fliege hinter mir her ist. Nicht nur eine, sondern viele. Eine ganze Geschwisterschar mit grünen und blauen Flügeln, die im Sonnenschein schimmern. Lasse einen durchdringenden Schrei los: «Papa! Papa!»

Ich spüre starke Arme um mich. Ich werde hochgehoben, eine Runde durch die Luft gewirbelt, und dann streift der rote Bart meine Wange, weich und warm.

«Mein kleiner Engel, was machst du im Gemüsegarten?»

Ich schmiege mich an ihn, spüre seine warmen Hände um mich. Besiege die Angst.

Wir sitzen im Gesellschaftszimmer, das zum Zerbersten voll mit Gästen ist, und Papa spielt Akkordeon. Ich lausche dem bezaubernden Lied und schaue durch die kleinen Fensterscheiben hinaus auf den Hof. Kann noch nicht zählen, weiß heute aber, dass es neun Fensterscheiben waren. Sie sehen wunderschön aus, wenn das gedämpfte Abendlicht hindurchscheint. Weiß, dass ich später viele solcher Fenster in meinem Gesellschaftszimmer haben möchte.

«Komm her, Engelchen, und begrüß die Gäste!», ruft Papa und hört einen Moment auf zu spielen. Mit tiefroten Wangen mache ich mich auf den Weg durch das endlos lange Zimmer. Dann bricht die Erinnerung ab.

Meist bin ich bei Mutter, Großmutter und meinen Schwestern Ninna, Gauja und Gunnhildur, möchte aber bei Papa sein. Er füllt den Hof bis in den letzten Winkel, sein Lachen, seine Anweisungen und die warmen Hände. Manchmal wünsche ich, dass er den Hof nie verlässt. Dass er immer bei mir daheim ist. Nur bei mir. Aber er ist Gemeindevorsteher und viel in der Gegend unterwegs. Viele Unbekannte kommen zu Besuch, um mit ihm zu sprechen und ihn um Rat zu fragen.

Er ist auch Homöopath und hat eine Tasche voller Medikamente. Diese Tasche nimmt er immer mit. Darin sind Tropfen in verschiedenen Fläschchen, manche grün, andere braun, einzelne auch durchsichtig. Niemand darf die Tasche berühren, aber ich darf zusehen, wenn er mit den Fläschchen hantiert. Er heilt Menschen und auch Tiere und wird oft auf Höfe gerufen. Es kommen auch Leute, die Tage oder ganze Wochen hierbleiben, Salben oder Tropfen bekommen und dafür auf dem Hof helfen. Einige der Gäste erzählen Geschichten, die wir nie zuvor gehört haben. Andere tragen Balladen vor.

Der Hof hat viele Giebel. Ganz im Osten ist der Lagerraum, im Westen die Werkstatt, vor beiden habe ich Angst. Im Lagerraum ist etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist. Spähe durch die Tür, als Papa ein Seil holt. Ich soll ihm das schreckliche Etwas zeigen, kann es aber nicht. Auch mit meinem Bruder Ingi gehe ich nicht hinein, obwohl er anbietet, mich zu beschützen.

Im Sommer wird der Lagerraum zu einem Schlafraum für Mahdhelfer. Ingi zieht zu ihnen und sagt, dass es dort viel lustiger sei und es mehr Platz gebe als in der Stube. Im fensterlosen Lagerraum ist Erdboden. Dort werden Geschichten erzählt, und bis in den Abend hinein ist Gelächter zu hören. Trotzdem schaudert es mich beim Gedanken an diesen Ort.

Auch die Werkstatt betrete ich nie. Dort hat sich ein Mann erhängt, und ich weiß, dass er dort herumgeistert, selbst wenn Mutter sagt, dass er das nicht tut. Sobald die Dämmerung einsetzt, renne ich blitzschnell an der Werkstatttür vorbei und lasse mich nicht dazu verleiten, einen Blick durch die Tür zu werfen.

Die alte Kristbjörg hat den Mann gesehen, und sie sagt, dass ihm die Zunge aus dem Mund gehangen habe. Sie sagt auch, dass er ein verfluchter Dummkopf gewesen sei, der den Höllenfürsten zum Lachen gebracht habe, und dass er auf direktem Weg beim Gehörnten gelandet sei, wo er auch hingehöre. Ich lausche Kristbjörg gebannt, spüre, wie mich ein Schauder durchströmt und sich auf den Armen bis hoch zu den Schultern die Gänsehaut ausbreitet.

Die Stallstube ist warm. Wir wohnen oben, wo das Fenster ist, im Dunkeln darunter sind die Kühe. Dazwischen ein Holzboden. Es ist schön, sie abends zu hören, wenn man einschläft. Manchmal kommt es aber auch vor, dass sie sich mitten in der Nacht im Stall unter der Stube streiten. Dann schrecke ich auf und fürchte mich. Papa sagt, dass sie sich wegen eines Bullen zanken. Dann lacht er laut auf.

Papa und Mutter schlafen ganz hinten links in der Stube. Ein kleiner Bruder hat bei ihnen geschlafen. Er lebte nur kurz, und bevor er starb, hat Papa ihn mit einer Nottaufe getauft. Er bekam den Namen Pálmar. Mutter befürchtet, dass Gott der Allmächtige nicht zufrieden ist, weil es Papa war, der ihn getauft hat. Großmutter sagt, dass alles in beste Ordnung komme und Großvater bis in alle Ewigkeit auf Pálmar aufpassen werde.

Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Großvater war fast blind, als er starb, und konnte nicht einmal auf sich selbst aufpassen. Wie soll er da auf Pálmar aufpassen? Großmutter sagt, dass Großvater im Himmel sofort neues Augenlicht bekommen habe. Ich sehe einen Engel vor mir, der in der Tür zum Himmel steht und allen Blinden beim Eintreten neue Augen in die Höhlen drückt. Hoffentlich blendet es Großvater jetzt nicht, mit den neuen Augen.

Es ist schön, auf der grasigen Torfmauer zwischen den Hofgebäuden zu sitzen und in den Himmel zu schauen, wo ich Pálmar im Abendrot sehe. Er hat ziemlich kleine Flügel. Wie sehr ich auch suche, Großvater taucht nicht auf. Ob ich ihn mit den neuen Augen vielleicht einfach nur nicht wiedererkenne?

Ich schlafe bei Kristbjörg und Ninna bei Magga, unserer Magd. Magga riecht gut, und am liebsten würde auch ich bei ihr schlafen. Ich selbst darf mich nachts kaum bewegen. Dann stöhnt Kristbjörg und hat Schmerzen im ganzen Körper.

Ingi und Gauja schlafen im selben Bett, doch sie will nicht bei ihm schlafen, weil er so viele Winde abgehen lässt. Ingi schubst Gauja und sagt, dass Furzen männlich sei. Trotzdem gibt er acht, dass Mutter ihn nicht sieht, und er vertraut darauf, dass Gauja sich nicht beklagt. Er findet, dass viel zu viele Frauen auf dem Hof sind. Papa findet das nicht. Er sagt, dass es nie genügend Frauenzimmer gebe. Dann zwinkert er mit dem rechten Auge und grinst schief.

Gunnhildur schläft bei Großmutter, die Knechte weiter vorn in der Stube. Der eine von ihnen heißt Sigurður, und ich glaube, dass er Magga heiraten möchte. Er hat ihr ein Tuch geschenkt, als er vor einigen Tagen vom Handelsplatz zurückkam. Ich träume davon, so gut wie Magga zu duften. Sie ist hübsch, hat blonde Zöpfe und trägt sie wie einen Kranz um den Kopf. Ihre Zähne sind weiß und außergewöhnlich schön. Hoffentlich schenkt mir auch mal jemand ein Tuch, vielleicht auch öfter als ein Mal.

Das Gesellschaftszimmer hat einen Holzgiebel und einen Dielenboden. Es gibt ein paar Stühle und einen Tisch mit einer hübschen gehäkelten Tischdecke. Auf dem Tisch liegt der Almanach des Verbands isländischer Patrioten mit der Jahreszahl 1884 auf dem Buchrücken. Dort steht auch MDCCCLXXXIV. Die Buchstaben bereiten mir Kopfzerbrechen, bis Papa erklärt, dass das römische Zahlen sind, und er mir beibringt, sie zu lesen. Das macht Spaß, und jetzt verwandle ich alle Zahlen in römische, aber meine Schwestern schimpfen mich aus und sagen, dass ich immer ein Dummkopf bleiben werde. Heimlich poliere ich die Glasfenster im Gesellschaftszimmer. Dort steht auch die braune Porzellankanne mit den aufgemalten Rosen, die niemand berühren darf. An der Wand hängt ein Bild von Maria und dem Jesuskind.

Meine Schwester Ninna sagt, dass Maria Jesus küsse, aber in Wirklichkeit beißt sie ihm in die Hand. Warum sollte sie sonst die Oberlippe so hochziehen und ihre Zähne zeigen, wie die Hunde es tun, wenn sie trockenen Fisch verschlingen? Ninna sieht das nicht und sagt, dass das hässliche Gedanken seien. Ich halte den Mund. Wenn man nicht dasselbe denkt wie Ninna, kann sie einen in die Hölle kläffen. Eigentlich müsste sie Kläfferin heißen, aber das wage ich nicht laut zu sagen.

Manchmal füllt sich die Küche mit Rauch. Der steht dann so dicht, dass die Frauen es irgendwann nicht mehr aushalten, wie sehr sie auch die Augen zukneifen. Als Erste schiebt sich die alte Kristbjörg nach draußen. Mit roten Augen schleppt sie sich hustend zum Fischstein, sinkt darauf nieder, schlägt um sich und flucht.

Ich gehe in ihre Nähe und spitze die Ohren. Wir dürfen...
mehr

Autor

Kristín Steinsdóttir, geboren 1946, lebt in Reykjavík und ist eine der meistgelesenen und preisgekrönten Kinderbuchautorinnen Islands. Ihr Roman «Eigene Wege» (C.H.Beck, 2009) erhielt u.a. den Isländischen Literaturpreis der Frau 2011 und wurde in viele Sprachen übersetzt. Sie ist derzeit Präsidentin des Isländischen Schriftstellerverbandes.