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Das Vogeltribunal

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am08.09.2015
Die Dozentin Allis hat für eine Affäre alles aufs Spiel gesetzt -und verloren. Nun will sie nur noch möglichst weit weg von ihrem alten Leben und antwortet auf die Anzeige von Sigurd Bagge, der für den Sommer jemanden sucht, der ihm in Haus und Garten hilft. Wider Erwarten trifft sie jedoch nicht auf einen pflegebedürftigen Greis, sondern auf einen seltsam verschlossenen Mittvierziger, der sofort klarstellt, dass sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste zu beschränken hat. In dem einsamen Haus am Fjord sind beide aber aufeinander angewiesen und kommen sich zwangsläufig immer näher -- doch wer sich zu nahe kommt, kann nichts mehr vor dem anderen verbergen ......

Agnes Ravatn wurde 1983 in Norwegen geboren. Sie ist eine preisgekrönte Journalistin, Essayistin und Autorin. Mit ihrem auch international erfolgreichen Roman 'Das Vogeltribunal' kam sie 2018 auf die Longlist des Dublin Literary Award.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR8,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextDie Dozentin Allis hat für eine Affäre alles aufs Spiel gesetzt -und verloren. Nun will sie nur noch möglichst weit weg von ihrem alten Leben und antwortet auf die Anzeige von Sigurd Bagge, der für den Sommer jemanden sucht, der ihm in Haus und Garten hilft. Wider Erwarten trifft sie jedoch nicht auf einen pflegebedürftigen Greis, sondern auf einen seltsam verschlossenen Mittvierziger, der sofort klarstellt, dass sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste zu beschränken hat. In dem einsamen Haus am Fjord sind beide aber aufeinander angewiesen und kommen sich zwangsläufig immer näher -- doch wer sich zu nahe kommt, kann nichts mehr vor dem anderen verbergen ......

Agnes Ravatn wurde 1983 in Norwegen geboren. Sie ist eine preisgekrönte Journalistin, Essayistin und Autorin. Mit ihrem auch international erfolgreichen Roman 'Das Vogeltribunal' kam sie 2018 auf die Longlist des Dublin Literary Award.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641159412
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum08.09.2015
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1180 Kbytes
Artikel-Nr.1560646
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Draußen goss es in Strömen. Er stand vom Frühstückstisch auf und bedankte sich für das Essen. Ich wischte mit einem Lappen über die Tischplatte.

»Entschuldigung?«, sagte ich. Er hielt auf dem Weg in sein Zimmer inne.

»Sie haben nicht zufällig ein Paar Stiefel zu verleihen?«

»Nein, habe ich leider nicht«, sagte er kurz.

»Ihre Frau hat keine, die ich mir leihen könnte?«

Er bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck, bevor er den Kopf schüttelte.

»Sie können meine nehmen und dicke Socken darunterziehen.«

Er ging auf mich zu, strich auf dem Weg in die Diele an mir vorbei und kam mit seinen grünen, hohen Stiefeln zurück. Stellte sie vor mir auf den Boden. Ich dankte. Als er in sein Zimmer gegangen war, kam ich darauf, dass ich auch eine Regenjacke brauchte. Klopfte zögernd an. Er öffnete sofort.

»Es gibt hier nicht zufällig eine Regenjacke, die ich ...«

»Leider.«

Dass sie nicht einmal eine Regenjacke hat, dachte ich. In diesem Klima. Sie existiert nicht.

»Welche Größen haben Sie?«, fragte er, als ich mich zum Gehen gewandt hatte.

»Was?«

»Sie sollen schließlich weiterhin im Garten arbeiten.«

Er wartete auf eine Antwort.

»Sie wissen ja, welches Wetter wir hier haben. Ich fahre in die Stadt und kaufe für Sie ein.«

War das nicht erstaunlich drastisch, fast aggressiv gesagt?, dachte ich. Er machte deutlich, dass er allen zukünftigen derartigen Fragen ein für alle Mal ein Ende setzen wollte. Dass er willens war, ein Exemplar von absolut allem zu kaufen, was ich auf dieser Welt brauchte, wenn es ihm nur Frieden bescheren würde.

»Bei Schuhen?«

»Bei Schuhen, Regenjacken, allem, was Ihnen einfällt, das Sie brauchen, um hier zu arbeiten.«

Mir fiel außer den beiden Dingen nichts mehr ein.

»Eine Hose«, stellte er fest.

Ich nickte.

Er verschwand wieder in seinem Zimmer und kam kurz darauf heraus, schlüpfte in seine Schuhe, zog sich eine Jacke an und ging aus der Tür, ohne ein Wort zu sagen. Zuerst traute ich mich nicht, irgendetwas Verbotenes zu tun, für den Fall, dass ich ihn missverstanden hätte, aber als er nicht zum Mittagessen auftauchte, begriff ich, dass die Luft rein war. Eineinhalb Stunden in die Stadt, eineinhalb Stunden nach Hause. Ich sah auf die Wanduhr und rechnete mir aus, dass er frühestens in einer Stunde zu Hause sein würde. Mein erster Impuls war, es mit der Schlafzimmertüre zu versuchen. Mein Herz pochte so stark, dass ich bei jedem Schlag die Trommelfelle vibrieren fühlte, ich drückte die Türklinke herunter, und die Tür glitt auf. Kreideweiß beim Gedanken, dass er kommen könnte, sprang ich schnell hinein - gemachtes Bett an der rechten Wand, Stuhl, Tür an der Wand gegenüber -, trippelte auf Zehenspitzen hinüber und drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen, ich grübelte mich krank darüber, was er dort drinnen wohl machte. Ich hörte die ganze Zeit Geräusche, ging rückwärts aus dem Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir, wurde plötzlich beim Gedanken, dass er vielleicht Staub über den Boden gestreut hatte, um ihn beim Nachhausekommen auf Spuren zu überprüfen, von Schreck erfasst, und öffnete wieder - ging in die Hocke, um nachzusehen, ob es stimmen könnte, ob er wirklich so verrückt sein könnte, aber der dunkle Holzboden war sauber und blank. Ich stand auf und fühlte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter - ließ einen Schrei los! -, aber war nur mit der Schulter gegen die Türklinke gestoßen. Ich schloss zitternd die Tür und beschloss, es nie mehr zu tun. Sah Schatten, meinte, ihn durchs Fenster zu sehen, draußen vorbeigleitend, seinen Hinterkopf, der immer wieder aus dem Blickfeld verschwand, dieser Schreck, das war es nicht wert. Zurück in der Küche begann ich, Wasser ins Spülbecken einzulassen, aber aus einem Einfall heraus kehrte ich zu seiner Schlafzimmertür zurück und sah auf den Boden, dort war etwas, ich ging in die Hocke, hob eine Tannennadel auf. Ein uralter Trick. Ich konnte es fast nicht glauben. Konnte auch Zufall sein, ich hatte den Boden einige Tage nicht gewischt, aber ich konnte es nicht riskieren. Legte die Tannennadel mit zitternden Fingerspitzen auf die Türklinke.

Spätabends kam er zur Tür herein, als ich gerade in der Küche stand und wartete, bis der Tee gezogen hatte.

»Soll ich Ihnen das Abendessen aufwärmen?« Ich fühlte mich plötzlich ein bisschen wie eine Ehefrau: Der Mann kam von der Arbeit nach Hause, hier stand ich.

»Nein. Ich esse es morgen.«

Er ging vorbei, seine Schulter streifte mich, ich stand ganz still, den Dampf des Tees in den Augen. Vor der Schlafzimmertür hielt er einen Moment inne, bevor er die Hand auf die Türklinke legte. In diesem Moment trafen sich unsere Blicke, blitzschnell bewegte ich meinen zur Arbeitsfläche hinunter, er verschwand. Kurz darauf kam er wieder heraus, mit einer knallgelben Regenjacke und ein Paar Stiefeln von der gleichen Art wie seine, und dazu einer dunkelblauen Arbeitshose wie die, die in der Diele hing. Er hatte wohl ein Stammgeschäft in der Stadt. Er sagte, sie sei wasserdicht. Nun würde ich eine Miniaturausgabe von ihm werden. Ich war töricht genug, einen kurzen Moment lang glücklich über diese Anerkennung zu sein. Er legte mir alles in die Arme, und ohne zu wissen, wie ich mich verhalten sollte, sagte ich gute Nacht und rannte die Treppe hinauf, als wäre ich so froh über die Geschenke, dass ich in ihnen schlafen wollte.

Das scheußliche Wetter hielt sich bis zum nächsten Tag. So konnte er sehen, wie dankbar ich war, als ich in der neuen Jacke im Garten herumging und mich fühlte wie Knut Hamsuns Nagel, ein gelb gekleideter, deplatzierter Narr, der das Leben für sich selbst und alle in seiner Nähe sonderbar machte. In der steifen, dampfenden Wärme fühlte ich mich sicher und beinahe froh. Mit den neuen Stiefeln gab es keine Hindernisse mehr, ich konnte überall herumlaufen. Der Steg war im Regen grau und schön, die Ringe im Wasser, tiefer Nebel über dem Fjord. Die Steine an der Bergwand waren glatt unter den Stiefeln, ich stützte mich mit einer Hand ab. Hinter dem Bootsschuppen konnte man den feuchten, glatten Felsen vorsichtig hinaufklettern, nasse Erde machte es schwierig, nicht auszurutschen, ich hielt mich an Grasbüscheln und Wacholderbüschen fest und schaffte es zum Schluss hinauf. Ein Krebspanzer knirschte unter den Stiefeln. Man konnte ein gutes Stück auf die Landschaft hinaussehen. Ein paar kleinere verfallene, ausgeblichene Bootsschuppen lagen längs der südlichen Küstenlinie, ich sah das Dach eines Hauses oder einer Hütte ein Stück hinter unserem Steg, in der nächsten Bucht, das war der nächste Nachbar. Ansonsten nur Gebüsch, Wald und steile Felsen. Ein warmes Gefühl durchströmte meinen Bauch, kein Mensch war hier. Die niedrigen Sträucher gingen nach einer Weile in Laubwald über, mit der einen oder anderen Kiefer. Vor ein paar Tagen waren die Laubbäume noch nackt gewesen, nun kitzelte der Geruch von winzigen, feuchten, knallgrünen Blättern kalt und scharf in der Nase. Überall das Geräusch von kleinen Tropfen auf Blättern, ein weicher und feuchter Waldboden, Wurzeln kreuz und quer, Bärlapp und Farne. Kiefernnadeln blieben an den Stiefeln kleben. Das Rauschen des kleinen Baches hinter dem Haus. Das hatte ich schon immer gemocht. Einen stillen Wald, mit Wurzeln und Zapfen. Keine Wege zu sehen. Noch besser; dann war es mein Wald. Die herrlich klare Luft, die ich einatmete, war meine. Im Sommer würden hier Beeren wachsen. Pilze im Herbst. Ich merkte mir verschiedene Baumarten, während ich tiefer hineinging. Es gab viele Birken, aber auch Eichen, Erlen und Espen. Nach einer halben Stunde, in einer großen Runde um die Stelle, an der ich das Haus vermutete, kam ich zu einer kleinen Lichtung. Es waren ein paar braune dünne Grasbüschel dort, totes, gelbes Gras und ein paar winzige junge Bäume, doch als ich näher kam, sah ich, dass sie um den Rand eines schwarzen Kreises von vielleicht zwei Metern Durchmesser wuchsen. Dort musste ein Feuer gemacht worden sein. Neugierig ging ich in die Hocke, mein ganzer Körper glühte von dem Waldspaziergang, ich fühlte mit den Fingern über den Boden. Es war ein merkwürdiger Ort, um ein Lagerfeuer zu machen. Die Finger fuhren über kaltes Metall, und ich hob einen Nagel auf, schwarz von Ruß, und hielt ihn gegen das Licht. Als ich ein wenig mit dem Daumen rieb, kam Kupferfarbe hervor, ich warf ihn weg, entdeckte aber im selben Augenblick noch einen und noch einen, alles lag voller schwarzer Nägel.

Wieder zurück stellte ich meine Stiefel auf die Treppe an der Vorderseite des Hauses. Aus Bagges Arbeitszimmer drang Licht. Als ich meine Jacke unter das Vordach auf der Veranda hängte, fühlte ich, dass ich durchnässt von Schweiß war. Der Pferdeschwanz hing in nassen Strähnen über den Nacken herunter. Er durfte mich nicht so sehen, verschwitzt und rot, er würde meinetwegen peinlich berührt sein, aber als ich mich auf Socken hereinschlich, saß er am Esstisch mit einem Glas Rotwein ohne irgendetwas anderem und starrte in die Luft. So war er noch nie dagesessen. War das eine Art Einladung zu sozialem Umgang? Ich hasste es, an ihm vorbeizugehen, wusste nie, ob er wollte, dass ich ihn grüßte, oder ob ich einfach nur weitergehen sollte, als ob weder er noch ich existierte, was war auffälliger, das eine oder das andere? Ich nickte, als ob er jemand wäre, den ich täglich auf dem Weg zur Arbeit auf der Straße traf, aber bevor ich die Treppe erreicht hatte, wurde ich aufgehalten.

»Allis.«

»Ja?«

Mein Haar klebte am Kopf, die Ohren standen hervor. An der Treppe wartend fuhr ich mit der Hand durch das...

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Autor

Agnes Ravatn wurde 1983 in Norwegen geboren. Sie ist eine preisgekrönte Journalistin, Essayistin und Autorin. Mit ihrem auch international erfolgreichen Roman "Das Vogeltribunal" kam sie 2018 auf die Longlist des Dublin Literary Award.