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»Dieses ist der Mittelpunkt der Welt«

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
270 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20161. Auflage
Von 1788 bis 1791 (und ein zweites Mal 1793) hielt sich Wilhelm von Wolzogen im Auftrage Carl Eugens von Württemberg in Paris auf und wurde Augenzeuge der Französischen Revolution. Seine Eindrücke und Reflexionen notierte er in Tagebüchern. Das Leben in den Pariser Straßen, Kaffeehäusern, Theatern und am Hofe Ludwigs XVI., die Begegnungen mit Künstlern, Abenteurern, Politikern, Reisenden, illustren Gestalten, scharf gezeichnete Portraits der tragenden Gestalten, und natürlich die Ereignisse um den 14. Juli - »daß zur Ehre der Menschheit die Bastille nicht mehr ist« - spiegeln sich in diesem einzigartigen Dokument. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Wilhelm von Wolzogen (1762-1809) ist in der Schiller-Literatur als Freund und Schwager des Dichters bekannt geworden. Ein, wie Goethe ihm bescheinigte, »glänzendes und immer beschäftigtes Leben« führte ihn, nach einer Ausbildung zum Architekten an der Karlsschule und einer Ernennung zum Württembergischen Legationsrat, schließlich an die Seite des Geheimrats im Weimarer Consilium.
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Produkt

KlappentextVon 1788 bis 1791 (und ein zweites Mal 1793) hielt sich Wilhelm von Wolzogen im Auftrage Carl Eugens von Württemberg in Paris auf und wurde Augenzeuge der Französischen Revolution. Seine Eindrücke und Reflexionen notierte er in Tagebüchern. Das Leben in den Pariser Straßen, Kaffeehäusern, Theatern und am Hofe Ludwigs XVI., die Begegnungen mit Künstlern, Abenteurern, Politikern, Reisenden, illustren Gestalten, scharf gezeichnete Portraits der tragenden Gestalten, und natürlich die Ereignisse um den 14. Juli - »daß zur Ehre der Menschheit die Bastille nicht mehr ist« - spiegeln sich in diesem einzigartigen Dokument. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Wilhelm von Wolzogen (1762-1809) ist in der Schiller-Literatur als Freund und Schwager des Dichters bekannt geworden. Ein, wie Goethe ihm bescheinigte, »glänzendes und immer beschäftigtes Leben« führte ihn, nach einer Ausbildung zum Architekten an der Karlsschule und einer Ernennung zum Württembergischen Legationsrat, schließlich an die Seite des Geheimrats im Weimarer Consilium.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105613214
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.09.2016
Auflage1. Auflage
Seiten270 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2090775
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1789

d. 1ten Januar 1789     So wenig Ceremonien auch sonst der Pariser sich unterwirft, so viel ist er genötigt, heute zu machen. Es scheint, er verdient sie auf diesen Tag für alle folgenden des Jahres ab. Er ist dabei so müßig und weiß sich so gut darein zu schicken, daß man glauben sollte, er hätte das ganze Jahr darauf studiert; dies ist doch dem Franzosen allein eigen, daß er sich in alles zu schicken weiß, daß er in jede Lage sich so hineinschafft, als wenn sie ihm nie fremd gewesen wäre.

Diesen Tag also ist das ganze Heer von Protegierten genötigt, zu ihren Protecteurs zu gehen. Man kann sich leicht denken, daß darunter fast alle Einwohner von Paris begriffen; denn wer ist ohne Protecteur: der Minister so gut als der geringste Clerc, der erste Banquier so gut als der Schwefelhölzchenskrämer. Wer also nicht krank ist oder einen Rock anzuziehen hat, findet sich auf der Straße, entweder in Equipage oder Fiacre oder Pironette oder Portechaise oder zu Fuße. In einer Stadt nun, wo eine Million Menschen sind, ist denn das ein ganz artiges Hin- und Herrennen. Wer ein schwarzes Kleid und einen Degen vermag, legt ihn an, und in diesem Putz sieht man die meisten einherwandeln. Der Neujahrswunschpflichten bei den Protecteurs entledigt man sich zuerst - dann kommen die Besuche bei Freunden und Bekannten -; und da kann man denn wieder fragen: wer ist so ganz isoliert, so ganz unglücklich, keinen zu haben. Wenn in der erstem Classe viele Weiber nicht inbegriffen sind, so stehen sie doch in der zweiten. Die Großen machen ihre Visiten durch Billets. Sie setzen ihre Kammerdiener in einen zugemachten Staatswagen, der fährt dann herum, und der Bediente gibt das Billet ab. Dem Kaiserlichen Gesandten Grafen v.Mercy geschahe es einmal bei der Gelegenheit, daß er bei dem *** war, als eben auch sein Kammerdiener vorfuhr, um ein Billet abzugeben - ein Versehen, das viel Lachens verursachte.

Übrigens müssen heute alle Gesandten nach Versailles, um dem König das Neue Jahr zu wünschen. Der Nonce macht den Anfang, dann kommt der Kaiserl. Gesandte etc. Sind alle Ambassadeurs vorbei, so schlägt man den HE. Envoyés einen Türflügel (Gattant) vor der Nase zu. Ferner gehen alle Ministers nach Versailles, kurz, fast alles, was vom Hof dependiert und Protection bei Hof und den Ministers sucht. Die Menge der Presente, die heute ausgeteilt werden, ist unglaublich: Von der Stadt Paris, die den König beschenkt, bis auf den Garçon de Caffé, der eine Tüte mit Bonbons presentiert, - alles gibt Geschenke hin. Kindern ist dieser Tag, was bei uns der Christtag. Manche Maitresse bekommt heute von ihrem Liebhaber für 20-30000 Livr. Presente. Kommt man in der Bourgeoisie in ein Haus, so embrassiert man Kind und Kegel, alte Mütterchens und junge Frauen, schöne Mädchens und garstige Tanten. Man gibt ihnen sodann mehr oder weniger, Bonbons den Kindern, Orangen den Weibern. Hat man in einem Haus gegessen, und oft gegessen, so muß man denn auch ins Haus, den Domestiquen ein kleines Present in Gelde machen. Kommt man in ein Caffee, so wird der Garçon nicht ermangelen, eine Tüte mit Zucker zu presentieren, das man mit 12-60 Sols bezahlen muß. Der Perruquier, die Handwerksleute, die einem arbeiten, ihre Garçons: alles will haben und für seinen Neujahrswunsch bezahlt sein. Oft ist dieser Tag der Versöhnungstag von ganzen Familien: Kinder, die mit ihren Eltern zerfallen, Brüder, Schwestern, Verwandte, die nicht gut miteinander stehen, meist heute sich sehen, und das gibt Anlaß zur Wiederherstellung der Freundschaft.

Der Garçon de la Maison hat das Wort an sich: »Allons«, er trate ins Zimmer, »bonjour, Monsieur. Je vous souhaite la nouvelle année. Comment vous portés vous, allons.« Mit diesem fing sich mein erster Tag im Jahr an. Kam sodann mein Herr Schneider und brachte mir anstatt einem schwarzen Rock einen Sack. Ich schickte ihn wieder mit fort. Sodann fertigte ich meine Briefe aus und packte sie ein. Mittags speiste ich im Hause, ging sodann auf´s Caffee de Chartres, wo ich mit dem Bruder von Dieterichs, Rößle (Hartmeyer) einen Streit über die deutsche Sprache hatte. [...]

 

d. 2t     Mein Schneider brachte mir meinen schwarzen Rock wieder, der noch ebenso schlecht ist; ich behielte ihn indessen doch und bezahlte ihm alle seine Conto, um auf immer von ihm loszukommen. Ich ging sodann aus zu Rieger. Ich traf keinen Portier an, mußte mich also durch den Kutscher melden lassen, weil er mir nicht sagen konnte, ob sein Herr visible seie oder nicht. Unterdessen mußte ich mich bei dem - Portier aufhalten: Der Herr Minister hätten Affaire, und der Herr Sohn wären indisposé. So schickt man einen Gläubiger fort, aber nicht jemand, der höflichkeitshalber kommt, das Neue Jahr zu wünschen! Von da gab ich bei Blumendorf ein Billet ab. Dann kaufte ich in der Fauxbourg Monmartre 6 St. Orangen u. entledigte mich dessen bei Münnichs.

Ich war sodann bei Anting und ging von da zu meinem Architekten, den ich nicht antrafe. Dann war ich bei Harwey und sodann bei Balletti. Da ich in schwarzem Rock, Degen und Porte-épée war, so sagte sie mir, man wäre so geniert an diesem, weil man sich als Petit maitre anziehen müßte. Ich sagte ihr, daß dies für die wahr [sei], die sich als solche anzögen. Da überdem HE. Reinewald sich immer auf die unschicklichste Art für das Kamin pflanzt und einen groben, unmanierlichen Ton hat, so werde ich wegbleiben, bis sich die Sachen ändern. Ich hatte indessen das Mittagsessen versäumt, ich ging also nach Hause, von wo ich dann zu Meyers ging, um bei ihnen zu Nacht zu essen.

Heute, als ich den Abbé aufsuchte, hieß es, er wäre fort, hätte auch sehr schlechte Streiche gemacht, unter andern Stücken Ketten für 40 Louisd´or gestohlen, dem armen kleinen Engländer Lewis Geld und silberne Schnallen mitgenommen und nichts bezahlt. Er hat auch wahrscheinlich den doppelten Louisd´or, der mir fehlte, gestohlen; denn damals an eben dem Tag war er bei mir. Auch hat er die 3 Teile von Descr. de Paris von mir entlehnt und mitgenommen. Dies ist denn mein Lehrgeld in Paris.

 

d. 3t     [...] Ich erfuhr, daß mein Nachbar neben mir Hoyer wäre, den ich in Gotha hatte kennenlernen. [...]

 

d. 4t     Ein junger Mensch von Stuttgard, Scheffner, Jouaillier, war des Morgens bei mir nebst Mordstein. [...]

 

d. 5t     Ich machte die Bekanntschaft mit Hoyer. Er ist Secretaire de l´Academie de Copenhague. Ich glaube, er ist nur wegen der Mädchens nach Paris gekommen - wo er schon vor etl. 20 Jahren in dem näml. Zimmer logiert hat -, denn er liebt sie sehr. Abends war Allaix bei mir, wir tranken Tee. Er erzählte mir von Italien.

 

d. 6t     Morgens war ich bei David. Er gab mir die Liste seiner Gemälde; es schmeichelte ihm, als ich ihm sagte, daß ich sie in ein deutsches Journal einrücken würde. Seine Frau, nicht garstig und nicht schön, kam in Tränen herein - ich konnte sie also nicht kennenlernen. Seine Kinder, er hat 4e, die Buben liefen im Hemde herum, eine alte Tante kam, und sie zankte, wie es bei uns auch geschieht: daß die Kinder nicht verwahrt wären, daß es grausam seie, etc. Je mehr ich sein Gemälde (das kleinere), die Horatier, betrachte, je besser gefällt es mir. Vortreffl. u. rührend ist in seinem Belisaire der Gedanke, daß Belisaire Almosen in seinem Helm sammlet; man denkt sich da den ganzen Abstand von der Zeit, wie dieser Helm das Haupt des Generals zierte, bis dahin, wo er die notdürftige Gabe, die man dem blinden Bettler gibt, empfängt.

Ich suchte Perrin in der Rue de Centiez auf. Er zeigte mir ein Modell von einem Bett, das mir nicht sonderlich gefiele; es ist zu schwer. Die Säulen sind zu nahe, und der Platz engt sich noch mehr zusammen durch die zwei garstigen Säulenstühle. Der Himmel des Bettes ist auch zu plump. Ich hätte in der Tat etwas bessers von Perrin erwartet. Jetzt lief ich nach Hause, um noch zum Essen zu kommen, denn heute ist der Bohnenkönig. D.h., ein Kuchen wird zusammengeschnitten, jeder bekommt ein Stück, und wer eine Bohne, die in den Kuchen gegeben ist, in seinem Stück findet, ist König. Man läßt dann einige Bouteillen Wein mehr kommen und sucht auf Kosten des Königs sich einen fröhligen Tag zu machen. Der König wählt sich eine Königin, ist sie schön, so kann er durch diese Anstalt einige Küsse gewinnen. Trinkt er, so schreit alles: »Le roi boit«; und je mehr man schreit, desto besser glaubt man sich vergnügt zu haben. Huber befande sich sehr übel, er mußte sich in mein Bett legen. HE. Scheffner kam, ich ginge mit ihm ins Palais Royal, machte meine Cour Mlle Felicité, suchte Perrodin auf, ging alsdann zu Allaix, von da zu Ravoisé; wo es mir aber mißfiele. Mde Pichini, eine Frau von 32 Jahren, die schon 12 Kinder gehabt, ließ sich da die Cour von einem gar fatalen Gesicht machen. Ich ging also zu Meyers, wo ich niemanden antrafe. Jean sagte mir, daß die Mlle krank wäre, wahrscheinl. vom letzten sonntägl. Ball; die Mutter seie bei Münnichs und käme vielleicht spät nach Hause; HE. von Blumendorf hätte es absagen lassen. Ich...
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Wilhelm von Wolzogen (1762-1809) ist in der Schiller-Literatur als Freund und Schwager des Dichters bekannt geworden. Ein, wie Goethe ihm bescheinigte, »glänzendes und immer beschäftigtes Leben« führte ihn, nach einer Ausbildung zum Architekten an der Karlsschule und einer Ernennung zum Württembergischen Legationsrat, schließlich an die Seite des Geheimrats im Weimarer Consilium.