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Die rechte Mobilmachung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
250 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am24.01.2020Auflage
Sie lächeln freundlich auf Instagram-Fotos oder kochen auf ihrem YouTube-Kanal. Immer mehr extreme Rechte geben sich auf den ersten Blick harmlos. Doch sie nutzen das Netz als Radikalisierungsplattform. Die Folgen in der analogen Welt sind drastisch: vom Mord an Walter Lübcke bis zum Christchurch-Terroranschlag in Neuseeland. Patrick Stegemann und Sören Musyal recherchieren im rechten Netzmillieu, bewegen sich undercover in digitalen Untergrundnetzwerken, wo rechtsextreme Inhalte verbreitet, Reichweiten organisiert und Rechtsterroristen bejubelt werden. Ihr Befund: Vereine und Stiftungen finanzieren rechte Influencer, um Menschen in die rechte Szene zu locken. Plattformen wie Facebook und YouTube sind mitverantwortlich für die Propaganda und den Rechtsruck unserer Gesellschaft. Nur wenn wir verstehen, wie die neuen Rechten im Web agieren, werden wir ihren Einfluss stoppen können. Wie gut die rechte Mobilmachung im Internet tatsächlich funktioniert und organisiert ist, zeigt sich auch an Repliken auf im Buch vorkommenden rechten Kanälen sowie an den massenhaften 1-Sterne-Rezensionen. Einen besseren Beleg dafür, wie zutreffend die Analyse der Autoren ist, könnte es gar nicht geben.

Patrick Stegemann, *1989, ist Kommunikationswissenschaftler und Soziologe. Nach seinem Studium in Erfurt, Berlin, Haifa und Kairo entwickelt und realisiert er Bewegtbildjournalismus auf Facebook, Instagram, YouTube und im Fernsehen. Für den Film 'Lösch Dich. So organisiert ist der Hass im Netz' wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Reporterpreis und dem Otto-Brenner-Preis.
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Produkt

KlappentextSie lächeln freundlich auf Instagram-Fotos oder kochen auf ihrem YouTube-Kanal. Immer mehr extreme Rechte geben sich auf den ersten Blick harmlos. Doch sie nutzen das Netz als Radikalisierungsplattform. Die Folgen in der analogen Welt sind drastisch: vom Mord an Walter Lübcke bis zum Christchurch-Terroranschlag in Neuseeland. Patrick Stegemann und Sören Musyal recherchieren im rechten Netzmillieu, bewegen sich undercover in digitalen Untergrundnetzwerken, wo rechtsextreme Inhalte verbreitet, Reichweiten organisiert und Rechtsterroristen bejubelt werden. Ihr Befund: Vereine und Stiftungen finanzieren rechte Influencer, um Menschen in die rechte Szene zu locken. Plattformen wie Facebook und YouTube sind mitverantwortlich für die Propaganda und den Rechtsruck unserer Gesellschaft. Nur wenn wir verstehen, wie die neuen Rechten im Web agieren, werden wir ihren Einfluss stoppen können. Wie gut die rechte Mobilmachung im Internet tatsächlich funktioniert und organisiert ist, zeigt sich auch an Repliken auf im Buch vorkommenden rechten Kanälen sowie an den massenhaften 1-Sterne-Rezensionen. Einen besseren Beleg dafür, wie zutreffend die Analyse der Autoren ist, könnte es gar nicht geben.

Patrick Stegemann, *1989, ist Kommunikationswissenschaftler und Soziologe. Nach seinem Studium in Erfurt, Berlin, Haifa und Kairo entwickelt und realisiert er Bewegtbildjournalismus auf Facebook, Instagram, YouTube und im Fernsehen. Für den Film 'Lösch Dich. So organisiert ist der Hass im Netz' wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Reporterpreis und dem Otto-Brenner-Preis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843722643
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum24.01.2020
AuflageAuflage
Seiten250 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2544 Kbytes
Artikel-Nr.4942885
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe
1. Kapitel: Als der Kanarienvogel starb


2014 erfanden Internetaktivist*innen in den USA die Werkzeuge für die digitalen Konflikte von heute. Es hätte uns eine Warnung sein müssen: vor finsteren Foren, vor dem Potenzial digitaler Radikalisierung, vor der realen Gefahr des Troll-Terrorismus.


»Hi, mein Name ist Anon, ich glaube, dass es den Holocaust nie gegeben hat«, stellt sich der junge Mann vor. Ihm steht der Schweiß im Gesicht, aber er scheint zu lächeln. »Feminismus ist der Grund für die sinkenden Geburtenraten im Westen«, fährt er fort. Der Westen sei der Sündenbock für die weltweite Massenmigration. »Und die Wurzel all dieser Probleme ist der Jude.« Dann rotiert die Kamera. Sie ist an einem Helm befestigt - von jetzt an sieht das Publikum, was Anon sieht. Es ist der Anfang des 35-minütigen Videos, das der Attentäter von Halle am 9. Oktober 2019 live ins Internet streamt. Man wird darauf sehen, wie er versucht, in eine Synagoge einzudringen, um dort am höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur ein Massaker anzurichten. Man wird sehen, wie er mit seinen selbst gebauten Waffen an der Tür scheitert und daraufhin eine Passantin erschießt. Man wird dabei sein, wie er sich auf die Suche nach neuen Opfern macht und einen Gast in einem Dönerladen hinrichtet. Man wird hören, wie er all das kommentiert, wie er flucht und mit seinem Publikum die nächsten Schritte zu besprechen scheint. Der Terror von Halle sollte eine Kopie des Massakers werden, das wenige Monate zuvor im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen das Leben kostete. Damit steht der Anschlag in einer Reihe mit anderen Taten des Jahres 2019, die an verschiedenen Orten der Welt stattfanden. Sie alle verbindet, dass eine bestimmte Internetkultur sie ermöglicht hat.

März 2019, irgendwo in West Virginia, USA. Ein anderer junger Mann spricht in eine Kamera. Doch dieser hier ist besorgt: »This is getting out of hand«, sagt er eindringlich. Das gerät hier alles außer Kontrolle. Caleb Cain, Amerikaner, Mitte 20, hat sich entschlossen, in einem YouTube-Video zu erklären, warum er sich von der sogenannten Alt-Right, der »alternativen Rechten« in den USA, habe verschlingen lassen. Er sitzt in seiner Wohnung, ist sichtlich aufgeregt. »Mein Abstieg in die Pipeline der Alt-Right« heißt sein Video, in dem er in knapp 40 Minuten seine Geschichte erzählt: Wie er aus dem College ausschied, wieder bei seinen Eltern einzog und darüber in Depressionen versank. Wie er sich in seinem Zimmer vergrub und durchs Netz surfte - auf der Suche nach Identität. »Ich wollte stark sein und Macht haben«, sagt Cain. Auf YouTube stößt er - wie so viele - irgendwann auf rechte Kanäle, saugt deren Videos auf, taucht immer tiefer ein in eine Welt aus Verschwörungstheorien, Rassismus und Homophobie. Innerhalb kurzer Zeit radikalisiert er sich. Seine Scherze über Minderheiten sind irgendwann keine Scherze mehr. Drei Jahre verbringt Caleb Cain im rechten Netz. Dann kommt der 15. März 2019 - der Tag, an dem er beschließt, dass sich etwas ändern muss, dass er sein Schweigen brechen wird.

Es ist jener Freitag, an dem ein Terrorist in zwei neuseeländischen Moscheen 51 Menschen hinrichtet. Seine Tat kündigt er etwa eine halbe Stunde vorher im Internet an. In einem Forum namens 8chan schreibt er, dass es an der Zeit sei, aufzuhören mit dem »Shitposting«. Zeit für eine echte Aktion. Auch Caleb Cain ist in diesem Forum unterwegs. Es ist einer der wichtigsten Treffpunkte einer Szene, die als Alt-Right bezeichnet wird. Als er mit eigenen Augen sieht, wie aus dieser Community ein Anschlag entspringt und wie der Täter für den Massenmord gefeiert wird, beginnt er zu verstehen, an welcher Welt er all die Jahre mitgebaut hat. 4chan und 8chan, diese größtenteils unmoderierten Foren, gelten als Schmuddelecke des Netzes. Hier stehen Rassismus, Pornografie und dumme Witze nebeneinander. Schon immer. Dass nun eines dieser vermeintlichen Schmuddelkinder Ernst gemacht hat, schockiert und überrascht viele gleichermaßen. Wie konnte es nur dazu kommen?

Zum Zeitpunkt des Attentats hat die Onlinekultur, die sich auf 8chan versammelt, bereits einen jahrelangen Prozess der Politisierung und Radikalisierung hinter sich. Der Terroranschlag in Christchurch ist auf mehrfache Weise der vorläufige tragische Höhepunkt dieser Entwicklung. Denn wie sich zeigen wird, ist Christchurch zwar die verheerendste, nicht aber die erste Tat, die diesem Umfeld entspringt. Die chans, also verschiedene anonyme Foren, wurden lange als apolitische Räume belächelt, in denen Nerds und Freaks ihren kruden Humor und ihre Fetische ausleben. Mitunter werden sie mit dem Darknet verwechselt, jenem Teil des Internets, der nur über eine bestimmte Software zugänglich ist und in dem von Auftragsmorden über Waffen bis zu Drogen alles erhältlich ist. Die chans aber sind gewöhnlich aufrufbare Webseiten.

Dabei ist vor allem 4chan einer der einflussreichsten Produzenten von Onlinekultur. Bilder, Witze, Memes, die wir von YouTube oder Facebook kennen, haben oftmals hier ihren Ursprung. Die chans sind sogenannte Imageboards. Auf ihnen werden Bilder gepostet, die dann von anderen verbreitet, verändert und mit anderen Botschaften versehen werden - Memes entstehen. Dabei handelt es sich um Wort- und Bildzitate, die aufgegriffen und in einen neuen Kontext gesetzt werden. Das Wort »Meme« erinnert englisch ausgesprochen an das Worte »Gene« für Gen und ist dem griechischen Wort für Imitieren entlehnt. Es ist also etwas, das sich durch Nachahmung immer weiter und weiter vererbt. Theoretisch kann das alles sein: Lieder, Gesten, Geschichten oder eben Bilder, die mit einem neuen Text versehen oder in einem ganz anderen Zusammenhang verwendet werden.

Auf Imageboards wie 4chan oder 8chan geht es lange vor allem darum, lustige Bilder zu posten und die besten Memes zu erfinden, die von anderen geteilt und verbreitet werden. Eines der wohl bekanntesten Bild-Memes zeigt ein Paar, das Hand in Hand geht, doch der Mann dreht sich mit bewunderndem Blick nach einer anderen Frau um. Seine Partnerin quittiert dies mit Empörung. Im Internet kursieren unzählige Variationen dieses Bildes, bei denen die drei Personen jeweils unterschiedlich beschriftet sind. Ein Beispiel? Der Mann ist bezeichnet mit »Ich«. Seine Freundin: »Wissenschaftliche Beweise, dass es ungesund ist, direkt in eine Sonnenfinsternis zu starren.« Die Frau, nach der er sich umdreht: »Sonnenfinsternis.« Oftmals ist das witzig, nicht selten aber auch anstößig, rassistisch, frauenfeindlich.

Die Geschichte von 4chan beginnt relativ harmlos. Inspiriert von einem anonymen japanischen Textboard namens 2chan, gründet der damals 15-jährige Amerikaner Christopher Poole es im Jahr 2003. Die Nutzer*innen tauschen sich vor allem über Anime und Mangas, asiatische Comics, aus. Sogenannte Original Posters, kurz OPs, verfassen einen Beitrag zu einem Aspekt, der sie interessiert, und fügen ein Bild an; andere Nutzer*innen können Kommentare hinterlassen oder eigene Bilder hochladen. All das passiert anonym und führt dazu, dass das Forum begeistert aufgenommen wird und schnell wächst. Andere Themen kommen hinzu, es werden neue Unterforen gebildet, sogenannte Boards. Heute ist 4chan eine viel besuchte Website und unterhält 70 Boards zu den unterschiedlichsten Themen wie Waffen, Fotografie, Fashion, Videospiele oder Pornografie. Dem Betreiber zufolge besuchen monatlich 27,7 Millionen Menschen die Plattform. Pro Tag werden zwischen 900.000 und 1.000.000 Posts erstellt. Zum Vergleich: Die Website des Spiegel hat als meistgelesene Nachrichtenseite in Deutschland im Jahr 2019 knapp 23 Millionen Besucher*innen im Monat.

Doch mit der Bekanntheit wächst auch der Hass im Forum. Vor allem das Board /new/, auf dem aktuelle Geschehnisse debattiert werden können, driftet bald in rassistische und antisemitische Diskussionen ab; aber auch in anderen Teilen 4chans ist die Atmosphäre vergiftet, etwa im Board /b/ für gemischte Themen. Weil es zur Philosophie von 4chan gehört, für radikale freie Meinungsäußerung einzutreten, wird nichts gelöscht, was nicht gegen US-Gesetze verstößt. Es muss also ein anderer Weg gefunden werden, wenn das Forum normale Nutzer*innen (und natürlich Werbekund*innen) nicht verschrecken soll. Gründer Poole entscheidet sich, den Hass zu kanalisieren, und gründet 2011 ein neues Board mit dem Namen /pol/, das zur bekanntesten und berüchtigtsten Abteilung der Website wird. Schnell sammeln sich hier Leute, die, wie die Journalistin Talia Lavin es ausdrückte, »das N-Wort offen sagen wollen, die Feminist*innen dämonisieren und glauben, es gäbe einen teuflischen jüdischen Einfluss«. Kurz: Im Schatten der Anonymität und im Schutze der freien Rede wird /pol/ - das nicht etwa für »politics« steht, sondern für »politically incorrect« - zu einem Hort des konzentrierten Antifeminismus, Rassismus, Antisemitismus und der Verherrlichung des Nationalsozialismus. Laut der amerikanischen NGO Southern Poverty Law Center...
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Patrick Stegemann, *1989, ist Kommunikationswissenschaftler und Soziologe. Nach seinem Studium in Erfurt, Berlin, Haifa und Kairo entwickelt und realisiert er Bewegtbildjournalismus auf Facebook, Instagram, YouTube und im Fernsehen. Für den Film "Lösch Dich. So organisiert ist der Hass im Netz" wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Reporterpreis und dem Otto-Brenner-Preis.
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