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Eyes Closed

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Loewe Verlagerschienen am17.07.2024
Blendende Lügen Mit sechzehn Jahren lernt Maëlle im Internet Mokhtar kennen. Mokhtar und seine Versprechen des IS. Kurze Zeit später reist sie mit gefälschten Papieren nach Syrien, um ihn zu heiraten. Als sie die Schrecken des Kriegs jedoch hautnah erlebt, gelingt ihr die Flucht. Jetzt ist Maëlle zurück in Frankreich, aber eine Frage bleibt: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein eindrücklicher Roman über Extremismus, Radikalisierung von Jugendlichen und die Rolle der Sozialen Medien In Eyes Closed beschreibt Patrick Bard einnehmend, wie ein junges Mädchen in die Fänge des radikalen Islamismus gerät, warum sie als Islambraut sich dem Dschihad anschließt  und welche Rolle Social Media dabei spielt. Zudem zeigt er die Konsequenzen nach Maëlles Rückkehr auf.  Ein hochaktueller Roman, der zum Nachdenken anregt und sich perfekt als Schullektüre eignet.

Patrick Bard ist Autor, Reiseschriftsteller und Fotojournalist aus Frankreich. Grenzen und die Frauenfrage stehen im Mittelpunkt seiner Arbeit. Bard wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextBlendende Lügen Mit sechzehn Jahren lernt Maëlle im Internet Mokhtar kennen. Mokhtar und seine Versprechen des IS. Kurze Zeit später reist sie mit gefälschten Papieren nach Syrien, um ihn zu heiraten. Als sie die Schrecken des Kriegs jedoch hautnah erlebt, gelingt ihr die Flucht. Jetzt ist Maëlle zurück in Frankreich, aber eine Frage bleibt: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein eindrücklicher Roman über Extremismus, Radikalisierung von Jugendlichen und die Rolle der Sozialen Medien In Eyes Closed beschreibt Patrick Bard einnehmend, wie ein junges Mädchen in die Fänge des radikalen Islamismus gerät, warum sie als Islambraut sich dem Dschihad anschließt  und welche Rolle Social Media dabei spielt. Zudem zeigt er die Konsequenzen nach Maëlles Rückkehr auf.  Ein hochaktueller Roman, der zum Nachdenken anregt und sich perfekt als Schullektüre eignet.

Patrick Bard ist Autor, Reiseschriftsteller und Fotojournalist aus Frankreich. Grenzen und die Frauenfrage stehen im Mittelpunkt seiner Arbeit. Bard wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732022816
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum17.07.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse2691 Kbytes
Artikel-Nr.14705971
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


MAËLLE

Vorort von Le Mans, September 2014

Manchmal frage ich mich, ob ich tot bin.

Aber nein, ich bin am Leben und das Baby, das sich in meinem Bauch bewegt, erinnert mich daran. Ich bin am Leben und Redouane ist tot. Durch das Fenster sehe ich den Garten unseres Einfamilienhauses mit den Geranien, dem gemähten Rasen und den verwelkten Rosenbüschen. Unser Haus sieht genauso aus wie die Häuser der Nachbarn rechts und links von uns. Würden auf den Eingangstüren keine Nummern stehen, könnte man sie nicht voneinander unterscheiden.

Ich betrachte dieses unwirkliche Zimmer und die hellen Stellen an den Wänden, wo einmal Beyoncé-Poster hingen. Eine Jugendliche, in der ich mich nicht wiedererkenne, hat sie abgerissen.

Ich möchte rausgehen. Aber das darf ich nicht. Noch nicht. Außer um mich bei den Behörden zu melden. Morgens, mittags und abends.

Ich gehe dreimal am Tag die Straße entlang, vorbei an dem Geschäft für Gartengeräte, an der Turnhalle, dem Baumarkt, der Bäckerei und dem Café. Schließlich komme ich bei der Gendarmerie an, wo ich das Meldeformular unterschreibe, um meine Anwesenheit zu bestätigen - morgens, mittags und abends, abends und morgens und mittags.

Danach gehe ich denselben Weg zurück nach Hause.

Dass ich manipuliert wurde, ist für mich am schwersten zu akzeptieren. Ich würde so gerne auf Facebook gehen, um mit meinen Schwestern zu reden und mich mit ihnen auszutauschen. Wir haben das ständig getan, sie waren wirklich für mich da. Aber Mama hat meinen Internetzugang gesperrt und mein Handy hab ich nicht mehr. Das wurde beschlagnahmt. Ich hab mich noch nie so einsam gefühlt. Sie versteht nicht, dass Maëlle nie wieder zurückkommen wird, dass ich Ayat bleiben werde, und das für immer. Sie versteht nicht, dass ich nach allem, was passiert ist, noch ein Kopftuch trage - es ist nicht mal ein Hidschab! - und immer noch kein Schweinefleisch mehr esse. Neulich hat sie mich dabei ertappt, wie ich auf dem Teppich gekniet und gebetet habe. Sie hat angefangen zu schreien, ich hätte mich ihnen wieder angeschlossen. Sie hat die Leute vom Deradikalisierungs-Programm angerufen, doch selbst die konnten sie nicht beruhigen. Schließlich hat Mama auf Papas Rat hin die Tür meines Zimmers ausgehängt, um mich Tag und Nacht bewachen zu können. Aber sie muss ja auch irgendwann mal schlafen.

Zum Glück ist gegen vier Uhr morgens, wenn ich für Fadschr, das Morgengebet, aufstehe, niemand wach, um mich auszuspionieren. Das ist gut so. Was denken die eigentlich? Ich bin mir vollkommen bewusst, was mit mir passiert ist.

Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich fühle mich wie eine Gefangene.

Wenn sie mich wieder in ihre Arme treiben wollten, könnten sie es nicht besser machen.

Nicht einmal einen Vorhang darf ich haben. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Religion mir hilft. Dass ich sie brauche, um zurechtzukommen, dass das Gebet das Einzige ist, das mir noch Halt gibt. Mama glaubt nicht an Gott, sie kann das nicht verstehen. Ich verzeihe ihr, weil ich weiß, wie sehr sie mich lieb hat. So kurz vor der Geburt meines Babys wird mir langsam bewusst, wie stark diese Liebe ist. Mama hat sehr viel Liebe gebraucht, um mich aus der Türkei zu holen. Und auch noch nach unserer Rückkehr. Nie werde ich den Blick vergessen, mit dem sie mich angesehen hat, als mich die Polizei am Flughafen in Paris verhaftet hat.

Manchmal fühle ich mich völlig verloren. Wenn ich könnte, würde ich sogar zurückkehren. Dort würde man mich besser verstehen, habe ich das Gefühl. Ich glaube eigentlich immer noch, dass sie recht haben und man mich hier anlügt. Wenn sie Redouane nicht umgebracht hätten, wäre ich vielleicht zu ihnen zurückgekehrt. Mit ihm. Oder auch nicht. Wer weiß.

Sein Tod hat eine große Leere in mir hinterlassen, eine Leere, die das Baby nicht füllen kann. Ich spreche oft mit Redouane, auch wenn ich weiß, dass er tot ist. Ich hoffe, er ist im Paradies. Ich kann nicht glauben, dass er in der Hölle ist. Redouane war kein Verräter. Und schon gar kein Ungläubiger. Er war nur ein sanftmütiger Mensch. Genau deshalb haben sie ihn umgebracht. Zum Glück kann ich auch mit dem kleinen Mädchen in meinem Bauch sprechen. Bis zu ihrer Geburt sind es nur noch vier Monate. Der Gedanke daran macht mir ein bisschen Angst. Wenn der Herbst vorbei ist, wird sie schon da sein. Dann habe ich schon meinen siebzehnten Geburtstag gefeiert. »Gefeiert«, wenn man das so sagen kann.

Ich bin Witwe, zweifache Witwe, und ich bin gerade mal sechzehn Jahre alt. Mein erster Mann wurde von einer Rakete zerfetzt, noch bevor ich ihn überhaupt kennenlernen konnte. Den zweiten haben sie umgebracht, als wir gemeinsam aus Syrien geflüchtet sind.

In dieser Nacht machten wir kein Auge zu. Wir gingen unseren Plan immer wieder und wieder durch - bis wir Kopfschmerzen davon bekamen. Schließlich standen wir gegen sechs Uhr morgens so leise wie möglich auf. Die Brüder schliefen im Zimmer nebenan. Wir durften sie auf keinen Fall wecken. Redouane legte seine Kalaschnikow auf das Bett. Er hat sie absichtlich zurückgelassen. Wir bereiteten unsere Flucht schon seit zwei Wochen vor und verließen Raqqa zu Fuß, um nicht aufzufallen. Ich trug einen Niqab und er einen Kamis, die Uniform des IS. Das sah so gut aus mit seinem schönen langen Bart. Bei der Straßensperre an der Stadtgrenze ließen uns die Brüder passieren. Sie kannten uns schon.

Redouane hatte einen alten syrischen Händler aufgetrieben, der mit seinem Lieferwagen voller Waren jeden Samstag in die Türkei fuhr. Er bezahlte ihn und der Mann ließ uns hinten einsteigen. Von Raqqa bis zur Grenze sind es acht Stunden Fahrt. Jedes Mal, wenn wir anhielten, schaute ich nervös durch ein kleines Loch in der Plane. Ich bekam kaum Luft vor Angst. Die Wachen hatten den Alten hinter seinem Steuer wohl schon so oft kontrolliert, dass irgendwann ihre Wachsamkeit nachließ. Mittlerweile achteten sie überhaupt nicht mehr auf ihn. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, unterhielten sie sich weiter und gaben ihm lediglich mit einer lässigen Handbewegung zu verstehen: »Los, fahr schon!«

Redouane und ich hielten uns an den Händen, den Kopf gesenkt, um die Angst in den Augen des anderen nicht zu sehen. Uns war klar, dass man uns als Verräter betrachten würde. Darauf waren wir nicht stolz.

Schließlich bog der Alte von der Hauptstraße auf einen kleinen ruhigen Weg ab. In der Nähe war ein Wald. Er bremste kaum und schrie nur: »Jetzt, los, beeilt euch, schnell, schnell! Bleibt auf keinen Fall stehen, sonst sehen euch die Brüder und fangen euch wieder ein.« Dreihundert Meter weiter war der Wald und der Weg zur Grenze. Wir sind direkt aus dem fahrenden Lieferwagen gesprungen und losgestürmt. Fast augenblicklich hörte ich die Schreie. Ich habe nicht alles verstanden, weil mein Arabisch nicht besonders gut ist und sie noch weit weg waren, als sie anfingen zu schießen. Aber das typische Taktaktak der AK-47-Gewehre erkannte ich sofort wieder. Wir hatten den Wald schon fast erreicht, als Redouane aufschrie. Als ich mich umdrehte, lag er auf dem Bauch. Mit einer Hand hielt er sich die Seite und hob den Kopf. Er war ganz blass. Hundertfünfzig Meter hinter uns kamen auch schon die Brüder angerannt.

Ich machte kehrt. Ich wollte Redouane aufhelfen, ihn bis zum Wald stützen.

»Nein! Dafür ist keine Zeit! Renn! Verschwinde von hier! Ich flehe dich an!«, schrie Redouane.

Es ging nicht, ich stand wie angewurzelt da.

»Rette dich! Tu´s für das Baby! Bitte, schnell!«

Ich konnte ihn nicht zurücklassen, es ging einfach nicht. Ich wusste erst nicht, was ich tun sollte, und stand einfach nur da wie ein dummes Schaf. Aber als er unser Kind erwähnte, wachte ich auf. Ich wusste, was sie mit Deserteuren anstellten. Sie enthaupteten sie. Ich wusste auch, dass immer mehr Leute flohen und erst kürzlich sogar eine Einheit eigens für Leute wie uns ins Leben gerufen worden war.

An das, was danach passiert ist, erinnere ich mich nur noch verschwommen. Es ist, als hätte jemand anderes die Entscheidungen getroffen. Ich drehte mich um und stürzte ohne zu überlegen davon. Ich sah nichts mehr, weil mir die Tränen übers Gesicht liefen und mir die Sicht nahmen. Ich rang unter meinem Niqab nach Luft. Er blieb an den Ästen hängen. Ich weiß nicht mal, wie ich es geschafft habe, ihn auszuziehen, ohne stehen zu bleiben oder mich mit den Füßen darin zu verheddern. Ich rollte ihn zu einer Kugel zusammen und klemmte ihn mir unter den Arm. Ich wusste, dass ich ihn später brauchen würde. Sie fingen wieder an zu schießen. Ich war schon immer eine sehr gute Sprinterin gewesen und beim Handball erst recht. Mit drei großen Schritten erreichte ich den Wald. Meine Beine bewegten sich wie die Kolben eines Motors. Ich konnte nicht aufhören zu rennen. Da erinnerte ich mich an die Bio-Stunde, in der wir die Funktion von Adrenalin im menschlichen Körper behandelt hatten, und verstand, dass meine Angst mir half. Ich hörte, wie hinter mir Äste knackten. Ich wusste, dass die Brüder von ihren Waffen und ihren Patronengurten behindert wurden und ich schneller war als sie. Sie schossen weiter blindlings und gaben nach einer Weile die Verfolgung auf. Ich hörte sie noch untereinander reden. Und dann war es still. Sie hatten wahrscheinlich kehrtgemacht, um Redouane zu holen. Ich hoffte, dass er bereits tot war. Ich wollte gar nicht daran denken, was sie mit ihm anstellen würden.

Als ich die Grenze überquerte, wurde es noch einmal brenzlig. Es wimmelte nur so von Wachleuten. Ich brauchte über vier Stunden und fast wäre wieder auf mich geschossen worden, weil türkische Soldaten mich bemerkt...
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Autor

Patrick Bard ist Autor, Reiseschriftsteller und Fotojournalist aus Frankreich. Grenzen und die Frauenfrage stehen im Mittelpunkt seiner Arbeit. Bard wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert.