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Das Ruhrgebiet

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
144 Seiten
Deutsch
Tropenerschienen am21.08.20211. Aufl. 2021
Das Ruhrgebiet gibt es (noch) nicht! Erkenne dich selbst! Was würde es für das heutige Ruhrgebiet bedeuten, diesem Imperativ zu folgen? Zunächst die Einsicht, dass es (noch) nicht wirklich existiert. Es ist nirgends amtlich registriert, seine Grenzen sind nicht beschrieben. Es ist Mythos und doch Heimat. Wolfram Eilenberger, einer der besten Philosophen des Landes, versucht, diesem Paradox nachzugehen. Denn als Kernregion Europas ist das Ruhrgebiet am Ende ein Modell für uns alle. Ein Jahr ist der Philosoph Wolfram Eilenberger vor Ort in Mülheim an der Ruhr. Seine dortige Mission: das Ruhrgebiet verstehen, gar lieben lernen. Aber wie eine Region lieben, die sich selbst oft missversteht? Auf keiner Landkarte verzeichnet, in keinem Register vermerkt, in keinem Kunstwerk verewigt, ist das Ruhrgebiet bis heute auf der Suche nach sich selbst. Irgendwo zwischen Kumpel und Kohlen, Stadien und Halden, Brachen und Lachen, bleibt er also zu bergen: der Schatz eines Reviers, das aus mehr bestehen will als nostalgischer Rückschau.

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen und ist Mitglied der Programmleitung der ?phil.COLOGNE?. In zahlreichen Talkshowauftritten im Deutschen Fernsehen gibt er der Philosophie eine Stimme und ein Gesicht. Sein Buch »Zeit der Zauberer« stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2018 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2019 mit dem in Frankreich renommierten Prix du Meilleur Livre Étranger ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Bestseller »Feuer der Freiheit«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDas Ruhrgebiet gibt es (noch) nicht! Erkenne dich selbst! Was würde es für das heutige Ruhrgebiet bedeuten, diesem Imperativ zu folgen? Zunächst die Einsicht, dass es (noch) nicht wirklich existiert. Es ist nirgends amtlich registriert, seine Grenzen sind nicht beschrieben. Es ist Mythos und doch Heimat. Wolfram Eilenberger, einer der besten Philosophen des Landes, versucht, diesem Paradox nachzugehen. Denn als Kernregion Europas ist das Ruhrgebiet am Ende ein Modell für uns alle. Ein Jahr ist der Philosoph Wolfram Eilenberger vor Ort in Mülheim an der Ruhr. Seine dortige Mission: das Ruhrgebiet verstehen, gar lieben lernen. Aber wie eine Region lieben, die sich selbst oft missversteht? Auf keiner Landkarte verzeichnet, in keinem Register vermerkt, in keinem Kunstwerk verewigt, ist das Ruhrgebiet bis heute auf der Suche nach sich selbst. Irgendwo zwischen Kumpel und Kohlen, Stadien und Halden, Brachen und Lachen, bleibt er also zu bergen: der Schatz eines Reviers, das aus mehr bestehen will als nostalgischer Rückschau.

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen und ist Mitglied der Programmleitung der ?phil.COLOGNE?. In zahlreichen Talkshowauftritten im Deutschen Fernsehen gibt er der Philosophie eine Stimme und ein Gesicht. Sein Buch »Zeit der Zauberer« stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2018 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2019 mit dem in Frankreich renommierten Prix du Meilleur Livre Étranger ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Bestseller »Feuer der Freiheit«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608117073
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum21.08.2021
Auflage1. Aufl. 2021
Seiten144 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4014 Kbytes
Artikel-Nr.5726449
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Abwärts


Alles Erkennen ist Erinnern. Doch wie sich an einen Ort erinnern, an dem man nie war?

Gut eine Fahrstunde südwestlich der Porta Westfalica - die Überlebensschlacht mit den Kleintransportern Osteuropas ist lang geschlagen - geht es noch immer leicht bergab. Just an der Stelle, da der Blick sich befreiend weitet, ragt der Betonkessel eines Kraftwerks dampfend aus der Ebene. Und dann erscheint es, nicht autobahnblau, nicht bundeslandweiß, sondern erdbraun informativ: Deutschlands denkwürdigstes Straßenschild.

Unter der Strichsilhouette einer angedeuteten Skyline zwei Worte. Keine eingetragene Stadt oder Gemeinde wird hier angekündigt, keine historische Stätte, ja nicht einmal eine konkret benennbare Sehenswürdigkeit. Sondern etwas durch und durch Imaginäres. Das kompromissgestählte Artefakt Dutzender Ausschusssitzungen, Ursprung gewiss zahlloser innerparteilicher Fehden, zentrales Produkt einer millionenschweren Imagekampagne: »Metropole Ruhr«. Auf keiner Karte dieser Welt verzeichnet, in keiner Verwaltungsdatei vermerkt, in keinem Förderplan als solche erwähnt. Ein klassischer »Nicht-Ort«. Oder, in vielleicht nicht allzu alten Worten: ein »U-Topos«. Nicht einmal Mama Google weiß, wie dorthin zu gelangen wäre.

Dennoch glaubt man, sofort zu erfassen, was gemeint ist. Zumal es konkrete Hilfen gibt. Gemäß dazugehöriger Premium-Website handelt es sich bei der »Metropole Ruhr« um eine

einzigartige Mischung aus mehr als fünf Millionen Menschen und 53 Städten. Eine Mischung, die so in Europa nicht zu finden ist. Eine Mischung, die die Region zu einer der großen Metropolen des Kontinents macht, ... um eine Stadt der Städte.[1]

Ja, was denn nun? Merke: Jede Beschreibung ist eine Problembeschreibung.

Die mit der Wortfolge »Metropole Ruhr« verbundene Perplexität ist natürlich weder neu noch gelöst. Vielmehr begleitet sie besagtes Gebiet von dessen imaginärem Ursprung an.[2] Also seit mindestens 100 Jahren, als der Soziologe und Volkskundler Wilhelm Brepohl den Begriff des »Ruhrvolkes« ersann, um damit eine etwaige habituelle Eigenheit und regionale Selbstständigkeit des Menschenschlages zwischen Westfalen und dem Rheinland zu markieren. Nur zehn Jahre darauf, zu Ende der auch für das Ruhrgebiet - oder zumindest dessen Barone - Goldenen Zwanziger Jahre, wies der Publizist Erik Regner auf die bleibende Problemlage hin, die betreffende Region und deren Menschen auf einen Begriff zu bringen:

Die Ruhr ist jung und unbekannt ... ein von hundert widersprüchlichen Fluchtlinienfestsetzungen ineinander geschachteltes Straßendickicht, ein von widersprüchlichen Ideologien überschwemmtes und von den Heuschreckenschwärmen sogenannter Kulturträger heimgesuchtes Menschenmaterial. Viele sprechen davon, wenige haben es gesehen, keiner hat es durchschaut.[3]

Wie ein spätes Echo auf Regner wird Heinrich Böll seinen Essay »Im Ruhrgebiet« im Jahre 1958 dann mit den Sätzen beginnen:

Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden: die Provinz, die diesen Namen trägt, weil man keinen anderen für sie fand, ist weder in ihren Grenzen noch in ihrer Gestalt genau zu bestimmen. Entdeckt ist das Ruhrgebiet noch nicht. Es bleibt Mystik oder Begriff und ist doch Heimat, so geliebt wie jede andere Heimat.[4]

So verstanden ist die Prägung »Metropole Ruhr« das vorläufig letzte Glied einer seit 100 Jahren währenden Unpässlichkeit. Das »Ruhrgebiet« ist ein sprachliches Zeichen ohne bestimmbaren Referenten. Und doch, wie Böll seinen ersten Paragrafen schließt, ein Menschengebiet: »Heimat, so geliebt wie jede andere Heimat.«



Horizonte


Meine erste bewusste Erinnerung an das Ruhrgebiet ist ein Fernsehsketch von Adolf Tegtmeier. Wenn Tegtmeier auf dem Bildschirm erschien, rief meine Mutter verlässlich aus: »Den kann ich nicht verputzen!«

Mit klassisch schiefer Mundbeuge und ebenjener Schiebermütze, die, wer weiß schon genau wie und weshalb, über Bertolt Brecht und Willi Brandt zum Habitus-Marker des denkwilligen Proletariats geworden war, sitzt Tegtmeier in meiner Erinnerung mit Bierglas in einer Kneipe und - ja, wie darf man es nennen? - philosophiert: »Dieset Bier, zum Beispiel, allet Atome. Dat ganze Bier, nix als Atome.«

Ich erinnere mich - wohl im neunten Lebensjahre wird es gewesen sein - noch genau an den mit dieser Tegtmeier-These verbundenen Existenz-Schock. Vor allem an dessen letzte, da unüberbietbare Kränkung: Klar, es gab keinen Weihnachtsmann. Auch mein Leben würde irgendwann enden. Und ja, selbst die eigenen Eltern hatten Sex. Das alles war schon enttäuschend genug. Aber jetzt noch das: der Fernseher, der Hausdackel, Jesus Christus, mein Bewusstsein, all dies, in Wahrheit »nix als Atome«, zielblinde Materie? Das gesamte Sein, ein unentwegtes, sinnloses Aufeinanderprallen kleinster Partikel?

In der ersten Ruhrgebiets-Erinnerung meines Lebens wurde dann sofort umgeschaltet. Wie gesagt, meine Mutter konnte diesen Adolf nicht verputzen. Und auch derart gottlose Thesen und Fragen schätzte sie in unserem Hause nicht. Wir hatten also, will ich sagen, zu Beginn der achtziger Jahre keinen allzu guten Start, das Ruhrgebiet und ich.



Ein Kind mit vielen Namen


Die Frage nach dem Sinn stellt sich bekanntlich erst, wenn der Sinn nicht mehr da ist. Die nach der Gegenwart, wenn die dazugehörige Zukunft fehlt. Die nach der Identität, wenn die alten Wege nicht mehr leiten. Das gilt für sämtliche menschlichen Bereiche und unterscheidet sie von allem anderen, was sonst noch aus Atomen bestehen mag. Von allem also, was damit zufrieden scheint, durch andere benannt zu werden, anstatt sich selbst zu bestimmen.

Forscht man ein wenig länger nach, erweist sich »Metropole Ruhr« als eine Marketing-Schöpfung des Jahres 2005. Es ist der aufgefrischte Nachfolger eines einst krachend gescheiterten Großprojekts, nämlich der infrastrukturellen Zusammenführung der Region zu einer einzigen »Ruhrstadt«, welches wiederum auf dem »Regionalverband Ruhr« auflehnt, dessen Ursprünge in die zwanziger Jahre zurückreichen, als die damals vier größten Städte des Gebiets - Essen, Dortmund, Duisburg und Bochum - zu einer Verwaltungseinheit zusammengefasst werden sollten. Nichts davon hat je wirklich gegriffen, weshalb wohl auch die Bezeichnung »Metropole Ruhr«, wie Wikipedia lakonisch kommentiert, »nicht in die Alltagssprache der Menschen einging«.[1]

Zumal die Alltagssprache ja bereits verschiedene, bestens verankerte Eigennamen zu bieten hatte und hat. Allen voran die geografisch nüchterne, wenn auch sachlich kaum gedeckte Bezeichnung »Ruhrgebiet« (sieht man auf die Karte, wäre »Emschergebiet« ebenso treffend). Nebst deren gängigsten Synonymen, also das männlich beinhebende »Revier« sowie das nach wie vor bestens sitzende, da zärtlich eigen-deprivierende, »Pott«.

Die Kosenamen offenbaren es. Was dem Ruhrgebiet, anders als fast allen Regionen Deutschlands, seine distinkte Identität verleiht, ist weder eine landschaftliche Prägung noch eine adelshistorische Tradition. Vielmehr handelt es sich als eingrenzbares Ergebnis menschlicher Vorstellungskraft um eine Region, die ihre kulturelle Existenz weitestgehend einer bestimmten Form des Arbeitens verdankt. Genauer gesagt, dem »Abbauen« und »Fördern«, dem »Schachten« und »Schichten«, dem »Bohren« und »Bergen«. Wäre die Identität des Ruhrgebiets am Ende eine selbst gegrabene Grube, in die es permanent zurückfällt, aus Scheu vor dem Licht eines neuen Tages?

Andererseits, was würde dieser Region, gerade jetzt, da die endgültig letzte Schicht des Reviers am 31.12.2018 gefahren wurde, mehr entsprechen, als sich im Angesicht seiner triefenden Abgründe und gebietsübergreifenden Aushöhlung der Aufgabe zu stellen, einen weiteren Anfang zu bergen? Einmal mehr als eine Art Modellregion hervorzutreten, die in ihrem mutigen Bergungsdrang etwas zutage fördert, dessen Bedeutung und Wert weit über die eigenen Grenzen hinaus wirkt?



DU-Wedau

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