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Meine Lüge ist deine Wahrheit

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
400 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am21.09.2023
Ein vielschichtiger Psychothriller. »Warst du mal wieder auf Seelvlieth Island? Ist schön hier.« - Was aussieht wie eine gewöhnliche Postkarte, versetzt Elena in größte Alarmbereitschaft. Doch nicht nur sie sieht sich im Fadenkreuz des Absenders, sondern auch ihre beiden Freundinnen Teresa und Miriam. Die drei verbrachten vor vielen Jahren einen gemeinsamen Sommer, an den sie sich immer weniger erinnern. Doch mit einem Schlag ist die Vergangenheit zurück und zieht ihre Schlinge immer enger um das Trio, das lange versucht hat zu vergessen . . .

Kerstin Ruhkieck schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten kann. Sie machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studierte Deutsche Sprache und Literatur in Hamburg. Kerstin Ruhkieck ist verheiratet und hat zwei Söhne.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextEin vielschichtiger Psychothriller. »Warst du mal wieder auf Seelvlieth Island? Ist schön hier.« - Was aussieht wie eine gewöhnliche Postkarte, versetzt Elena in größte Alarmbereitschaft. Doch nicht nur sie sieht sich im Fadenkreuz des Absenders, sondern auch ihre beiden Freundinnen Teresa und Miriam. Die drei verbrachten vor vielen Jahren einen gemeinsamen Sommer, an den sie sich immer weniger erinnern. Doch mit einem Schlag ist die Vergangenheit zurück und zieht ihre Schlinge immer enger um das Trio, das lange versucht hat zu vergessen . . .

Kerstin Ruhkieck schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten kann. Sie machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studierte Deutsche Sprache und Literatur in Hamburg. Kerstin Ruhkieck ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783987070693
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum21.09.2023
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3646 Kbytes
Artikel-Nr.12464855
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

KAPITEL 66

Das ist die Hölle, dachte sie, ein Gedanke, der sich mit rostigen Nägeln in den harten Knorpel hinter ihrer Stirn rammte, blutige Schlieren hinterließ und hängen blieb.

Es war heiß. Flammendes Licht brannte durch die geschlossenen Lider in ihren Augen, kokelte das dünne Häutchen weg wie ein Bunsenbrenner die erste Eisschicht eines zugefrorenen Sees.

»Alles wird gut«, wisperte jemand frohlockend in der Ferne, und das Versprechen, ob es nun ihr galt oder nicht, machte sie wütend. Es war eine Lüge, niederträchtig und bösartig. Nichts würde gut werden, nie wieder, und jeder, der sich weigerte, die Wahrheit zu akzeptieren, widerte sie an. Sie tat es schließlich auch, sie akzeptierte alles, akzeptierte die hässliche Realität und ihre eigene Rolle darin.

»Wünsch dir was!«, brüllte eine ranzige Stimme, Madita kannte sie, doch die Erinnerung daran war vage, Multiversen entfernt, immer noch zu nah. Sie reckte den Hals, niemand war zu sehen â¦ Nein, niemand war da.

»Wünsch dir was!«, grölte es in ihrem Ohr, Madita wollte sich wegdrehen, abwenden von der Stimme und dem Schmerz, den sie auslöste, doch es gelang ihr nicht.

Eine Wolke, schwül und schwer, waberte den Gang entlang und kam auf sie zu. Ihr eigener Körper erschien ihr fremd, er gehorchte nicht, richtete sich gegen sie, nur deshalb blieb Madita liegen, bewegungslos, als der Nebel sie erfasste, sie einschloss in eine klamme ungewollte Umarmung. Schweiß und Kondenswasser sammelten sich auf ihrer Stirn, durchtränkten ihre Kleidung, klebten den Stoff an ihre Haut. Tote Nervenenden, erstarrte Muskeln und doch spürte sie alles. Die feuchte Dunstwolke, Gewächshausluft, die Madita zu verdauen versuchte, machte ihren wunden Körper zu einem brennenden Inferno. Spitze Finger pikten sie, hielten sie in ihrem irdischen Dasein, ließen sie nicht entkommen aus dem Grauen.

»Wünsch dir was!« Das Dröhnen der Stimme war ohrenbetäubend, ein Höhnen in ihrem Kopf, als fände der lähmende Lärm nur dort statt.

Sie verbot sich zu weinen.

Die Welt setzte sich in Bewegung, Maditas Arme waren taube Stümpfe, sie hatte keine Möglichkeit, sich festzuhalten, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Mit zusammengekniffenen Augen ließ sie es geschehen, presste die Lippen aufeinander, erwartete den Moment, in dem sie auf den Boden schlug und aufplatzte wie ein mit Blut und Organen gefüllter Ballon.

Aber sie fiel nicht.

Dann war es vorbei. Madita versuchte, ihre Lider zu heben, sie waren schwer, wollten sie vor dem schützen, was ihre Welt erschüttert hatte, wenn es auch nur die Einsicht war. Aber es gab keinen anderen Weg, es musste sein, wenn der bloße Wille nicht genügte, würde sie sich eben die Augenlider aus dem Gesicht reißen. Keine Wahrheit konnte die Grausamkeit dieser Hölle übersteigen.

Lüge.

Madita wich zurück, verstört, wollte schreien, als sie die Fratze erblickte, doch ihre Stimme starb zeitgleich mit einem Teil von ihr. Hände statt Augen, rot gewundene Hörner wucherten aus einer Stirn und statt einer Zunge eine Python, die sich aus dem Mund schlängelte. Sie schnellte ihr entgegen, des Teufels Tochter lachte, ein erschütternder, bösartiger und grauenvoller Laut, der den Wahnsinn brachte â¦

Madita schlug die Augen auf. Tageslicht blendete sie, und auch ihre übrigen Sinne schienen sich zurückgezogen zu haben. Sie blinzelte, Sternchen tanzten auf ihrer Netzhaut, und benommen versuchte sie, sich von ihrem Hitzetraum zu lösen. Sie wollte ihn loswerden, ihn von sich schütteln, doch er haftete an ihrem Bewusstsein wie der Schweißfilm auf ihrer Haut. Auf der Seite liegend, nicht wirklich wach, aber auch nicht mehr schlafend, starrte sie auf einen schmuddeligen Holzfußboden. Ihre Wangen fühlten sich heiß an, schienen zu glühen, das dumpfe Pochen in ihrem Kopf glich einer tickenden Zeitbombe.

Und schlagartig war alles zurück, alles, bis ins letzte hässliche Detail, der Alptraum kehrte aus ihrem Verstand in die Realität ein und machte ihn zur Gewissheit. Madita fühlte sich wie geschlagen, fast wünschte sie sich, jemand hätte es getan.

Das Ferienlager.

Die Holzhütte mit den Etagenbetten.

Die anderen Mädchen. Chaos. Innen wie außen.

Was sie Ophelia angetan hatte.

Übelkeit ätzte sich ihre Speiseröhre hinauf. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, das Entsetzen war ein Meteoriteneinschlag mit einer Wucht, die alles Leben auszulöschen vermochte.

»Habe ich dich geweckt?« Die samtige Stimme war direkt neben ihr, und Madita erschrak. Beinahe erwartete sie, die teuflische Kreatur aus ihrem Alptraum zu sehen, die sich bereit machte, über sie herzufallen. Doch es war Luzie, die auf Maditas Bett saß und sie aus unergründlichen Augen beobachtete.

Verlegen ließ Madita ihre Hand sinken, setzte sich schwerfällig auf, ihr Kopf eine heftige Verneinung, die sie schwindelig machte. Das ihr vertraute Gefühl, diesem wunderschönen Mädchen mit der bleichen Haut und dem dunklen Haar gefallen zu wollen, überwältigte sie einmal mehr und machte es ihr unmöglich, den Fehler in diesem Gefühlskonstrukt zu erkennen.

Der verstörende Gesang eines Kinderchors aus der anderen Ecke der Hütte, der aus dem Nichts einsetzte und mit Gewalt an dem Stacheldraht in Maditas Magen zog, brachte sie wieder zu Verstand.

»Mach die Scheißmusik aus«, zischte Luzie quer durch die Hütte, und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Madita, etwas Fremdartiges in dem Gesicht des anderen Mädchens zu sehen, ein kosmisches Flackern, das Luzies Züge beinahe teuflisch entstellte.

Eine Sinnestäuschung, mehr nicht.

Oder eine Offenbarung?

Maditas Kopf drohte zu zerspringen, triefende Fetzen aus Hirnmasse würden ihnen jeden Augenblick um die Ohren fliegen. Schlagartig wurde es still, die Musik brach ab, und was blieb, war der verstörende Krach in ihrem Kopf. Madita spürte den Blick des anderen Mädchens auf sich, mehr brauchte es nicht, Luzie musste sie nur ansehen, um sie zu verunsichern. Nervös ließ sie den Augenkontakt zu, versank in dem tiefen Saphirgrün ihrer Iriden, das sie gleichermaßen anzog und abstieß. Eine verlockende Gefahr ging von ihr aus, doch Maditas schreiender Impuls, die Flucht zu ergreifen, schrumpfte stetig, ihr Herz hingegen begann zu pochen, wild und ungestüm. Tobende Energie fand ihren Weg in ihre Venen, weckte ihren Körper aus seiner Trägheit, und Madita fühlte eine Lebendigkeit, die sie nur bei Luzie empfand. Sie konnte sich nichts Erstrebenswerteres vorstellen als Luzies Aufmerksamkeit, ihre Freundschaft machte Madita erst zu etwas Besonderem. An ihrer Seite war sie nicht länger das hübsche, aber langweilige Mädchen, sondern die schöne, aufregende Frau, die schon immer in ihr geschlummert hatte.

Ophelia, dieses plumpe Mauerblümchen, hatte Madita in der Belanglosigkeit gefesselt, während ihr wahres Ich längst bereit war für den Ausbruch.

Gefangen von Luzies Augen, dem unergründlichen grünen Ozean mit den verborgenen Kreaturen an dessen Grund, wurde Madita verschluckt, erneuert und schließlich als anderer, als besserer Mensch wiedergeboren.

Als sie aus ihnen auftauchte, verachtete sie sich für die Zweifel, die sie manchmal an Luzie gehegt hatte. Auch das war allein Ophelias Schuld gewesen, sie hatte versucht, sie vor Madita schlechtzumachen, dabei war sie selbst es, die ihren Charakter einmal überdenken sollte. Luzie war nicht schlecht. Sie war gut. Sie war Macht und Wille und Verlangen. Luzie war Leben, und das alles wollte Madita.

»Du hast nach mir gesucht«, durchbrach Madita die aufgeladene Stille, eine Erkenntnis, keine Frage, und sie konnte sich nicht erklären, woher sie plötzlich gekommen war.

Etwas in ihr regte sich, ein erbärmliches Aufbäumen der Vernunft, doch das ergab keinen Sinn, also drängte sie es in die Abgeschiedenheit ihres Unterbewusstseins. Sie ahnte nicht, dass nur ihr Gewissen es jetzt noch vermocht hätte, sie zu retten. Zu retten vor ihrem Platz in der Unterwelt, aufgespießt auf Satans Schoß.

Ob sie etwas anders gemacht hätte, hätte sie es gewusst? Vermutlich nicht. Für Luzie war sie zu allem bereit, würde alles ertragen und über brennende Scherben wandern, wenn sie es verlangte.

Luzie nickte, ein wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als kannte sie ihre Gedanken, und es zog Maditas Blick an, ihr Schönheitsfleck neben ihrem rechten Mundwinkel betörte sie. Mit ansteigender Nervosität verlagerte Madita ihr Gewicht, Sprungfedern bohrten sich in ihre Hüften, der spitze Schmerz erweckte eine dunkle Erregung in ihr.

»Es geht um deine Freundin. Wir müssen es tun«, wisperte Luzie, näher zu Madita gebeugt, ihre Worte waren nur für sie gedacht. Sie streckte ihre feingliedrigen Finger aus und berührte Maditas nackten Oberschenkel, bewegte ihren Daumen in einer sachten Liebkosung, und ein Brennen brach sich von dieser Stelle Bahn, wurde größer und mächtiger, bis Madita unter einem erstickten Stöhnen langsam nickte. Etwas tobte in ihr, etwas Mächtiges, und sie schwelgte darin bis zur Unerträglichkeit. Sie wusste, was Luzie von ihr verlangte.

Ophelia.

Madita und Ophelia waren zusammen ins Ferienlager gekommen, augenscheinlich als Freundinnen, doch die Wahrheit lag wie so oft viel tiefer vergraben. Erst Luzie hatte ihr die Augen geöffnet, ihr aufgezeigt, dass die scheue und reizlose Ophelia sie mit ihrer sozialphobischen Einfältigkeit bremste, sie im Schatten hielt und ihr das Licht verwehrte.

Damit war es nun vorbei. Madita wollte ins Licht, endlich. Sie beugte sich vor, bis sie Luzies Gesicht nahe war. So nahe, es fehlte nicht viel, bis sich ihre Lippen berührten. Mit einem Lächeln, das den letzten und schlimmsten Verrat an ihrer Freundin Ophelia besiegelte, drang...
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