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Auf gefährlich sanfte Art

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Atlantik Verlagerschienen am03.08.2024
Der Pariser Psychoanalytiker Docteur Faber hat eine eigenwillige Patientin: Die Fotografin Nathalia steckt seit ihrem letzten Foto in einer tiefen Krise. Tag für Tag blickt sie auf ihre geschäftigen Nachbarn und fragt sich: Wie meistern die ihr Leben bloß? Statt über sich selbst zu sprechen, erzählt sie dem Arzt lieber deren Geschichten. Sie alle handeln davon, wie Not uns erfinderisch machen und ein Sprungbrett in ein besseres Leben sein kann, vor allem, wenn wir nicht alleine sind. Erzählend hält Nathalia den Schlüssel zur Heilung eigentlich längst in der Hand. Spät beginnt der Arzt zu ahnen, warum sie wirklich zu ihm kommt und warum ihre Krise vielleicht mit seiner eigenen zusammenhängt ... Mit funkelnder Fabulierfreude und großem Herz erzählt Antoine Laurain in seinem neuen Roman davon, wie herrlich erfinderisch uns verzwickte Situationen machen können.

Antoine Laurain arbeitete als Drehbuchautor und Antiquitätenhändler in Paris. Der internationale Durchbruch als Romanautor gelang ihm mit Liebe mit zwei Unbekannten (2015). Auch Der Hut des Präsidenten (2016) war in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch Eine verdächtig wahre Geschichte (2022) und Das Glück im Sternbild Zebra (2023).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextDer Pariser Psychoanalytiker Docteur Faber hat eine eigenwillige Patientin: Die Fotografin Nathalia steckt seit ihrem letzten Foto in einer tiefen Krise. Tag für Tag blickt sie auf ihre geschäftigen Nachbarn und fragt sich: Wie meistern die ihr Leben bloß? Statt über sich selbst zu sprechen, erzählt sie dem Arzt lieber deren Geschichten. Sie alle handeln davon, wie Not uns erfinderisch machen und ein Sprungbrett in ein besseres Leben sein kann, vor allem, wenn wir nicht alleine sind. Erzählend hält Nathalia den Schlüssel zur Heilung eigentlich längst in der Hand. Spät beginnt der Arzt zu ahnen, warum sie wirklich zu ihm kommt und warum ihre Krise vielleicht mit seiner eigenen zusammenhängt ... Mit funkelnder Fabulierfreude und großem Herz erzählt Antoine Laurain in seinem neuen Roman davon, wie herrlich erfinderisch uns verzwickte Situationen machen können.

Antoine Laurain arbeitete als Drehbuchautor und Antiquitätenhändler in Paris. Der internationale Durchbruch als Romanautor gelang ihm mit Liebe mit zwei Unbekannten (2015). Auch Der Hut des Präsidenten (2016) war in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch Eine verdächtig wahre Geschichte (2022) und Das Glück im Sternbild Zebra (2023).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455017458
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum03.08.2024
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1490 Kbytes
Artikel-Nr.12577090
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteMottoAus dem unebenen Pflaster [...]Sie setzt sich auf [...]Sie legt sich genauso [...]Der erste Brief kam [...]ErdgeschossErster StockZweiter StockDritter StockFünfter StockÜber Antoine LaurainImpressummehr
Leseprobe


Sie legt sich genauso sanft hin wie beim ersten Mal.

Am liebsten würde ich auf ihr letztes Foto zurückkommen, aber bei Nathalia muss ich, glaube ich, einen anderen Ansatz wählen. Dennoch, Mord ... Die meisten meiner Patientinnen und Patienten reden sich hier recht banale Neurosen von der Seele: berufliche Probleme, komplizierte Scheidung, Minderwertigkeitskomplex. Die moderne Welt bringt sie aus dem Gleichgewicht - Coronakrise, internationale Spannungen, deren Auswirkungen auf ihre Ersparnisse sie tagtäglich sehen. Stress. Noch mehr Stress durch Kinder, die urplötzlich von bezaubernden kleinen Blondschöpfen zu rebellischen Teenagern heranwachsen. Oder der Klassiker: Ödipuskomplex.

Davon habe ich zwei: Lemont und Robotti. Man müsste fast einmal eine Gruppentherapie anberaumen, ein Wochenende auf dem Land, damit die beiden sich kennenlernen. Sie bilden, was meine amerikanischen Kolleginnen und Kollegen seit neustem twin complex nennen: zwei Menschen mit ähnlichen Problemen, die diese während der Therapie auch ähnlich zum Ausdruck bringen. Lemont und Robotti wurden beide in ihrer Kindheit von überbordenden Müttern erstickt und schleudern mir ihr Trauma mit nur leichten Abwandlungen entgegen. Und ich höre zu, versuche sie bei ihrem Erkenntnisprozess zu leiten. Das ist schwierig, manchmal sogar ermüdend, und es kommt äußerst selten vor, dass eine hübsche junge Frau auf meiner Couch Platz nimmt, nur um mir von einer künstlerischen Blockade zu erzählen. Mord. Keine künstlerische Blockade, Mord.

 

»Sie haben von Ihrem Beruf berichtet, nicht aber von Ihrem Privatleben«, sage ich. Diesen Weg beschreite ich nicht gern, aber er ist unumgänglich. Manche meiner Patientinnen und Patienten geraten in einen regelrechten Redezwang. Anders Nathalia. Sie antwortet nur:

»Ja.«

»Möchten Sie mir etwas darüber erzählen?«, hake ich nach und ernte bloß angenehmes Schweigen. Ich weiß nicht, ob mein Geist bereit gewesen wäre für Dutzende Kindheitserinnerungen, eine widerwärtiger als die andere. In der Regel sind Psychoanalysen eher unspannend. Hin und wieder allerdings sticht ein Patient oder eine Patientin hervor, ist begabt, intelligent, antwortet knapp - man erkennt sie sofort.

Manche bezeichnen das als Assistenz, weil das Gegenüber bei der Arbeit assistieren wird, statt teilnahmslos auf der Couch zu liegen und darauf zu hoffen, dass ein Wunder geschieht.

Fragen, auf die langes Schweigen folgt - so etwas gibt es eigentlich nur hier drinnen. Fragt man da draußen jemanden etwas und erhält keine Antwort, setzt das Unheimliche ein. Hier drinnen ist nichts unheimlich. Alles ist heimelig, sicher, normal. Also warte ich.

»Ich schaffe es nicht zu leben.«

»Das heißt?«

»Ich schaue anderen beim Leben zu und frage mich: Wie machen die das?«

»Und wie machen sie es?«

»Keine Ahnung.«

»Ist Ihr Fotoapparat eine Art Schutzbarriere zwischen Ihnen und der Welt?«

»Ein bisschen, ja.«

»Und weil Sie nicht mehr fotografieren, ist die Barriere nicht mehr da, und Sie fühlen sich schutzlos.«

»Vielleicht.«

 

»Was tun Sie den ganzen Tag?«

»Nichts.«

 

Ich warte darauf, dass sie weiterspricht. Aus Erfahrung weiß ich, wie viele Aktivitäten das Wort nichts nach sich ziehen kann. Als mein Patient Guichard auf die Frage nach seinen Mittwochnachmittagen nichts antwortete, folgte eine detaillierte Aufzählung aller möglichen und vorstellbaren Sadomasopraktiken sowie in der Szene bekannten einschlägigen Clubs, verbotenen Adressen und weiblichen Vornamen mit vorangestelltem »Herrin«. Nichts bedeutete für Guichard, sich von Herrin Caroline in einer hübschen kleinen Wohnung im sechzehnten Arrondissement anketten und bis aufs Blut auspeitschen zu lassen. Niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, dass dieses nichts uns vielleicht die Arbeit erleichtern könnte. Je randständiger, desto naiver.

 

»Ich schlafe und will nie wieder aufwachen.«

»Denken Sie über Suizid nach?«

»Nein.«

»Sind Sie sich da sicher?«

»Ja, ich will mich nicht umbringen.«

Meine Patientinnen und Patienten lügen oft. Aber Nathalia sagt die Wahrheit, zumindest möchte ich das glauben. Erführe ich morgen von ihrem Tod durch eine Überdosis Barbiturate, wäre ich wirklich überrascht.

»Und wenn Sie nicht schlafen?«, frage ich.

»Schreibe ich Tagebuch.«

»Sie schreiben gerne?«

»Ja.«

»Und wenn Sie nicht schreiben ...«

»Gehe ich spazieren.«

»Wo?«

»In meiner Wohnung. Ich beobachte die Leute von gegenüber. Auf der Nordseite.«

»Sie beobachten Ihre Nachbarn?«

»Ja. Eine Berufskrankheit, ich habe das Gefühl, nur ein Auge zu sein.«

 

Sie hat eine Perversion entwickelt - Voyeurismus - und durch ihren Beruf verklärt: Als Fotografin kann Nathalia ja gar keine krankhafte Spannerin sein. Das Beäugen ist für sie lediglich eine Fortführung ihrer Arbeit. Echte Voyeure dagegen haben nie eine Verbindung zu visuellen Berufen. Als reine Liebhaber geben sie ihr letztes Hemd für Teleobjektive, Nachtsichtbrillen und Laserentfernungsmesser. Sie verstecken sich in ihren Autos und »sind ganz Auge«, wie sie sagen. Manchmal wagen sie sich auch in die Sauna oder an den FKK-Strand und lassen ihre fast schon militärische Ausrüstung im Kofferraum zurück. Es handelt sich in der Regel um sanfte, sensible, schüchterne Menschen, die mit ihren Augen trotzdem die zwielichtigsten Szenen verschlingen. Man kann sie leicht erkennen: Sie werden nicht gern berührt. Vor Körperkontakt schrecken sie zurück wie eine Auster vor Zitronensaft. Ich weiß das, deshalb gebe ich ihnen nie die Hand. Dafür sind sie mir dankbar.

 

»Ein Auge, das sieht, aber nicht lebt?«

»Ja.«

»Wie viele Stockwerke hat diese Nordseite?«

»Fünf.«

»Und was sehen Sie in diesen fünf Stockwerken?«

»Geschichten, Leben. Das Leben.«

 

Lauern statt leben. Nathalia versteckt sich hinter ihren Augen, kauert sich in deren Höhlen zusammen wie ein Tier, hält Winterschlaf in der Tränenflüssigkeit gleich dem Fötus im Fruchtwasser, zurück an den Anfang. Sie ist ein schwierigerer Fall als zunächst angenommen. Melancholische Depression aufgrund beruflicher Orientierungslosigkeit ist nicht unüblich. Das betrifft Künstlerinnen genauso wie Führungskräfte, die ihnen unverständliche Umstrukturierungspläne nicht verwinden. Normalerweise versuche ich, bei diesen Menschen wieder Interesse für das Leben zu wecken, indem ich ihnen etwas zu tun gebe. Schon das winzigste bisschen hilft. Die entlassene Führungskraft zum Beispiel bitte ich um Aktientipps. Dabei achte ich immer darauf, dass meine kleine Aufgabe - die den Patientinnen und Patienten manchmal Übermenschliches abverlangt - im jeweiligen Kompetenzbereich liegt. Bei Nathalia wird das gar nicht so leicht, sie fotografiert nicht mehr und verlässt ihre Wohnung nicht.

»Ich möchte Sie um etwas bitten, Nathalia.«

»Ja?«

»Suchen Sie sich irgendetwas zu tun.«

»Ich will nicht fotografieren«, erwidert sie sofort.

»Das müssen Sie auch nicht.«

 

Wieder tritt Schweigen ein. Ich sehe nur ihre glänzenden schwarzen Haare und ihre schlanken Hände, die auf dem Rock liegen. So kommen wir nicht weiter. Das gesprochene Wort hat seine Grenzen, »manchmal muss man vom Kurs abweichen«, sagte schon Malevinsky, mein Lehrmeister. Und will man vom Sprechen abweichen, wechselt man zur anderen Form der Bekenntnis: dem Schreiben. »Das geschriebene Wort ist gedacht, also ist es Denken, ob es nun aus dem Mund oder der Feder strömt, es ist Existenz, der erste Körper dient nur als Träger für den zweiten, und das ist derjenige, der uns interessiert: das Unsichtbare.« Wieder Malevinsky. Schreiben tut man im Stillen, für sich allein, beide Zustände scheinen Nathalia nicht fremd zu sein. Also versuche ich es.

»Sie beobachten die fünf Stockwerke auf der Nordseite. Mein Vorschlag wäre: Wir beide wechseln die Strategie. Wir kommunizieren ab jetzt anders. Lassen Sie es mich erklären: Zu jeder Sitzung bringen Sie mir einen kurzen Text mit über das Leben in einem der Stockwerke. Ob es sich um eine wahre Geschichte oder eine erfundene handelt, ist dabei unwichtig. Wir arbeiten uns von Stockwerk zu Stockwerk vor, Erdgeschoss, erster Stock, zweiter, dritter ... bis zum fünften. Was meinen Sie?«

»Beim fünften hören wir auf?«

»Beim fünften werden wir schon ein gutes Stück vorangekommen sein«, sage ich.

»Und Sie glauben, dass ich Ihnen durch diese Geschichten etwas über mich verrate?«

Sie hat das Prozedere bereits durchschaut, wirkt aber wachsam. Also muss ich ihre letzten Wälle niederreißen, die des Bewusstseins, das das Ich zu schützen meint und es doch nur erstickt.

»Ich würde diese Übung gerne ausprobieren.«

»Okay, aber ich bringe Ihnen die Texte nicht mit«, erwidert sie. »Ich schicke sie per Post. Ich ertrage es nicht, wenn jemand das, was ich geschrieben habe, in meiner Gegenwart liest.«

»Einverstanden.«

Während sie bezahlt, erkläre ich ihr noch, dass sie während unserer Sitzungen ruhig rauchen könne.

»Woher wissen Sie, dass ich rauche?«, fragt sie.

»Das riecht man an Ihrer Kleidung«, antworte ich mit einem verschwörerischen Lächeln.

Nathalia richtet ihre blauen Augen auf mich und schaut mich fest an. Ich weiß nicht, ob in ihrem Blick eine Frage liegt oder eher ein Vorwurf. Ich...
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Antoine Laurain arbeitete als Drehbuchautor und Antiquitätenhändler in Paris. Der internationale Durchbruch als Romanautor gelang ihm mit Liebe mit zwei Unbekannten (2015). Auch Der Hut des Präsidenten (2016) war in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch Eine verdächtig wahre Geschichte (2022) und Das Glück im Sternbild Zebra (2023).