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Gefühle der Zukunft

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am01.08.2024Auflage
Was bedeutet die Idee von fühlenden Maschinen für uns Menschen?  Alle reden über ChatGPT, LaMDA und ähnliche »große Sprachmodelle«, die Wissensfragen beantworten, Texte schreiben und sogar persönliche Gespräche mit uns führen.? Obwohl die Erfindung und Gestaltung dieser Sprachsysteme nicht auf Gefühle abzielen, sondern ausschließlich auf die Sprachverarbeitung, hat sich in den letzten Jahren eine Debatte um die Frage entzündet, ob diese Systeme auf irgendeine Weise fühlen oder eine Art Bewusstsein entwickeln könnten. Und selbst wenn sie alles nur simulieren: Was bedeutet das für uns und unsere Emotionalität? Welcher Umgang mit ihnen ist problematisch, verwerflich oder aber eine willkommene Ergänzung unserer Lebenswelt?   »Affective Computing« ist der Zweig der KI-Forschung, bei dem man für dieses Thema ansetzen muss, denn er hat die technischen Grundlagen: die Nachbildung menschlicher Emotionalität, die Fähigkeit, Gefühle bei anderen zu erkennen, gezielt zu stimulieren und zu simulieren. Eva Weber-Guskar klärt darüber auf, in welchen Bereichen diese emotionalisierte KI bereits verwendet wird, und regt aus philosophischer Perspektive zur Diskussion darüber an, wie sie verantwortungsvoll weiterentwickelt und angewandt werden sollte. 

Eva Weber-Guskar ist Heisenberg-Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bochum und dort Principal Investigator im interdisziplinären Forschungsprojekt »INTERACT! Neue Formen sozialer Interaktion mit intelligenten Systemen«. Vorher war sie u.a. Visiting Scholar an der New York University und Gastprofessorin in Wien, Zürich, Berlin und Erlangen. Sie wurde mit einer Arbeit über das Verstehen von Emotionen an der FU Berlin promoviert und habilitierte sich mit einem Buch über den Begriff der Menschenwürde in Göttingen. Aktuell arbeitet sie zu Themen der emotionalisierten Künstlichen Intelligenz und zu zeitlichen Aspekten in Theorien des guten Lebens. Seit 2020 ist sie Gründungsmitglied der Redaktion von philpublica.de, einer Onlineplattform zur Vermittlung akademischer Philosophie in der Öffentlichkeit. Seit Herbst 2023 leitet sie außerdem die philosophische Diskussionsreihe »Denkraum« am Theater Oberhausen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextWas bedeutet die Idee von fühlenden Maschinen für uns Menschen?  Alle reden über ChatGPT, LaMDA und ähnliche »große Sprachmodelle«, die Wissensfragen beantworten, Texte schreiben und sogar persönliche Gespräche mit uns führen.? Obwohl die Erfindung und Gestaltung dieser Sprachsysteme nicht auf Gefühle abzielen, sondern ausschließlich auf die Sprachverarbeitung, hat sich in den letzten Jahren eine Debatte um die Frage entzündet, ob diese Systeme auf irgendeine Weise fühlen oder eine Art Bewusstsein entwickeln könnten. Und selbst wenn sie alles nur simulieren: Was bedeutet das für uns und unsere Emotionalität? Welcher Umgang mit ihnen ist problematisch, verwerflich oder aber eine willkommene Ergänzung unserer Lebenswelt?   »Affective Computing« ist der Zweig der KI-Forschung, bei dem man für dieses Thema ansetzen muss, denn er hat die technischen Grundlagen: die Nachbildung menschlicher Emotionalität, die Fähigkeit, Gefühle bei anderen zu erkennen, gezielt zu stimulieren und zu simulieren. Eva Weber-Guskar klärt darüber auf, in welchen Bereichen diese emotionalisierte KI bereits verwendet wird, und regt aus philosophischer Perspektive zur Diskussion darüber an, wie sie verantwortungsvoll weiterentwickelt und angewandt werden sollte. 

Eva Weber-Guskar ist Heisenberg-Professorin für Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universität Bochum und dort Principal Investigator im interdisziplinären Forschungsprojekt »INTERACT! Neue Formen sozialer Interaktion mit intelligenten Systemen«. Vorher war sie u.a. Visiting Scholar an der New York University und Gastprofessorin in Wien, Zürich, Berlin und Erlangen. Sie wurde mit einer Arbeit über das Verstehen von Emotionen an der FU Berlin promoviert und habilitierte sich mit einem Buch über den Begriff der Menschenwürde in Göttingen. Aktuell arbeitet sie zu Themen der emotionalisierten Künstlichen Intelligenz und zu zeitlichen Aspekten in Theorien des guten Lebens. Seit 2020 ist sie Gründungsmitglied der Redaktion von philpublica.de, einer Onlineplattform zur Vermittlung akademischer Philosophie in der Öffentlichkeit. Seit Herbst 2023 leitet sie außerdem die philosophische Diskussionsreihe »Denkraum« am Theater Oberhausen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843732352
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.08.2024
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse3445 Kbytes
Artikel-Nr.14293031
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Meine Gefühle. Selbsterkenntnis mittels Selbstvermessung?

Schon heute blicken manche auf ihre Uhr, wenn man sie fragt, wie sie geschlafen haben. Die Smartwatch oder das Fitbit-Band zeichnet die REM-Phasen der Nacht auf, hält die Gesamtzahl der geschlafenen Stunden auf die Minute genau fest und errechnet daraus einen Wert, der die Güte des Schlafs mit der von anderen Nutzenden vergleicht. Sich einfach ausgeschlafen zu fühlen oder nicht, der direkte Zugang zur eigenen Verfassung, scheint nicht mehr auszureichen. In Zukunft könnten ähnliche Wearables, also smarte Geräte, die man am Körper trägt, auch dazu dienen, Aufschluss über eigene Emotionen zu geben. Sehen wir dann auch auf das Armband, wenn wir uns nicht sicher sind, ob wir wütend oder eifersüchtig, traurig oder beschämt sind? Dass es so kommen könnte, legen zumindest ebenso verheißungsvolle wie warnende Vorhersagen nahe, die die Self-Tracking-Bewegung mit Affective Computing zusammendenken und eine große Verbreitung solcher Anwendungen antizipieren. Die einen kündigen einen Zuwachs an emotionaler Intelligenz an. Die anderen sehen uns schon auf dem schnellsten Weg zur Alexithymie, zur Gefühlsblindheit. Was ist dran an den Versprechungen wie Warnungen? Wie so oft wird eine realistische Bewertung in der Mitte liegen. Um zu einer solchen zu gelangen, ist es wichtig, sich sowohl klarzumachen, was die Technik bisher kann und in absehbarer Zukunft können wird, als auch, wo überhaupt genau Bedürfnisse liegen, denen mit dem Einsatz der Technologie vernünftigerweise begegnet werden könnte und sollte. Anschließend können die Gefahren eines solchen Einsatzes mit den damit verbundenen Vorteilen abgewogen werden.
Emotionen erkennen, verstehen und kultivieren

Vielleicht waren Sie schon einmal mit einer befreundeten Familie im Urlaub. Ein Landhaus in der Toskana, die Kinder rennen im großen Garten den Hühnern hinterher, während die Erwachsenen auf der Terrasse lesen oder einen Wein trinken. Doch irgendwie lief es nicht so, wie Sie es sich vorgestellt haben. Sie fühlten sich unwohl, leicht reizbar, ohne selbst genau zu wissen, warum. Erst langsam oder vielleicht sogar erst im Nachhinein schälten sich aus den vagen Gefühlen klare Emotionen heraus. Die Art, wie die Freunde sich in die Erziehung Ihrer Kinder einmischten, ärgerte Sie. Wäre Ihnen das früher klar geworden, hätten Sie das Gespräch dazu suchen können oder mit sich selbst ins Reine kommen können, ob das Verhalten der Freunde in einer Woche Urlaub wirklich so relevant ist, dass es überhaupt einen Grund gibt, sich zu ärgern. Es hätte auch Gelegenheit gegeben, die freie Zeit im Urlaub dazu zu nutzen, zu erforschen, warum Sie bei dem Thema offensichtlich sensibel sind - was das mit Ihrer momentanen Verfassung oder mit Ihrer Biografie zu tun hat. Das ist nur ein kleines von unzähligen möglichen Beispielen, das zeigt, dass das genaue Wissen um unsere Emotionen für uns wichtig ist - für das eigene Selbstverständnis und aus praktischen Gründen, um mit ihnen und indirekt mit unseren Mitmenschen besser umgehen zu können.

Unsere Gefühle zu erkennen beziehungsweise zu kennen, heißt zunächst, festzustellen beziehungsweise zu wissen, welche Gefühle man hat. Ganz basal bedeutet das, zu unterscheiden, ob es sich nur um eine Empfindung wie ein Magengrummeln, eine schlechte Stimmung oder doch um eine bestimmte Emotion handelt. Dann geht es darum, diese Emotion genauer zu bestimmen, zum Beispiel, wenn man Ärger verspürt, ob er sich auf das eigene Verhalten oder das von anderen bezieht, sodass im ersten Fall genauer von Frustration und im zweiten Fall von moralischem Groll zu sprechen wäre. Und weiter stellt sich die Frage, was genau der Gegenstand der Emotion ist, etwa ob man sich über das eigene Unvermögen ärgert, sich gegen die Freunde in der Kindererziehung zu behaupten, oder über die ungeliebte, hartnäckige Gewohnheit, Kleinigkeiten zu schwer zu nehmen. Man kann bei diesen Differenzierungen auch von der Granularität von Gefühlen sprechen: wie feinkörnig wir sie benennen, selbst erfahren und bei anderen wahrnehmen können.

Gefühle zu verstehen, geht noch einen Schritt weiter. Es bedeutet, mindestens auch ihren Anlass und Grund ausmachen zu können; vielleicht auch ihren Ursprung erklären zu können, d. h. wie sie mit Überzeugungen, Werturteilen und anderen Emotionen zusammenhängen und welche individuellen Prägungen einer Person dabei eine Rolle spielen.

Emotionen derart detailliert zu verstehen, ist nicht nur wichtig, um ein umfassendes, wahres Bild von sich selbst zu haben, sondern auch, um sie regulieren und kultivieren zu können, das heißt, dass man beeinflussen kann, wann man welche Emotionen mit welcher Intensität und Dauer hat.16 Damit ist keine beliebige Manipulation gemeint, sondern das Bemühen um angemessene Emotionen. Die Idee, dass es angemessene wie unangemessene Emotionen gibt, entstammt nicht unserer durchrationalisierten Gegenwart, wie manche argwöhnen mögen. Sie findet sich schon seit der Antike in philosophischen Schriften. Und seitdem werden auch die Hindernisse für angemessene Emotionen diskutiert. Bei Aristoteles, im 4. Jahrhundert v. Chr., heißt es etwa, »dass es zwar für jeden möglich und leicht ist, zornig zu werden [...]. Dagegen [...] demjenigen zu zürnen, dem man soll, und wie viel, wann, weswegen und wie man soll, das ist [...] nicht leicht«17.

Heute spricht man von emotionaler Intelligenz, einem Konzept, das in den 1990er-Jahren von Peter Salovey und John D. Mayer in der Psychologie eingeführt und von Daniel Goleman popularisiert wurde.18 Es ist als Ergänzung zum klassisch-eindimensionalen Intelligenz-Begriff gedacht. Mit »emotionaler Intelligenz« ist nicht gemeint, dass wir mit Emotionen besser logisch denken, rechnen, räumliche Vorstellungen konzipieren oder andere Fähigkeiten beherrschen würden, die bei einem klassischen Intelligenztest abgefragt werden. Vielmehr dient der Ausdruck dazu, auf eine Reihe weiterer Fähigkeiten hinzuweisen, auf die es beim herkömmlichen Test nicht ankommt, die aber zentral für ein gutes Leben sind und die der Mensch besser oder schlechter ausführen kann - in denen sich also seine Intelligenz ebenfalls zeigen kann. Wenn unter Intelligenz allgemein und grob die Fähigkeit zur Problemlösung verstanden wird, wie es zumindest prominent, wenn auch nicht ausschließlich, seit dem Psychologen William Stern üblich ist,19 dann liegt nahe, dass auch die Fähigkeit, mit gefühlsbezogenen Problemen umzugehen, dazuzuzählen ist. Diese Fähigkeit umfasst das Erkennen von Emotionen und Stimmungen bei sich selbst und bei anderen, das Kultivieren eigener Emotionen, den Umgang mit den Emotionen und Stimmungen von anderen genauso wie Empathie als die Fähigkeit, sich in die Situation von anderen hineinzuversetzen und ihre Emotionen bis zu einem gewissen Grad nachempfinden zu können.

Warum ist es wichtig, diesen Teil menschlicher Intelligenz zu betonen? Zum einen kann man die Bedeutung von Emotionen und Stimmungen für das Verständnis des menschlichen Lebens gar nicht überschätzen. Auch wenn das diejenigen irritieren mag, die sich zu sehr mit der Idee des animal rationale identifizieren. Der Punkt ist: Ohne Emotionen und Stimmungen ginge uns nichts etwas an. Nicht nur das Leben anderer, auch unser eigenes wäre uns gleichgültig. Zwar könnten wir auch ohne diese Gefühlsphänomene eine gewisse Art von Werturteilen fällen. Wir könnten den Wertunterschied zwischen 10 und 1000 Euro erfassen, könnten ein Shakespeare-Stück für komplexer als eine Seifenoper halten und könnten Essen, das uns nährt, willkommen heißen. Aber nichts wäre uns über diese Werturteile hinaus als bedeutsam spürbar, nichts käme dem umfassenden Weltbezug gleich, in dem wir mit Emotionen etwas in der Welt als für uns in bestimmter Weise bedeutungsvoll erfassen, und zwar körperlich involviert, qualitativ hedonisch (das heißt als positiv oder negativ) fühlbar und zu Handlungen motivierend.

Seit Charles Darwin wird angenommen, dass sich Emotionen zumindest unter anderem deshalb evolutionär entwickelt haben, weil sie die Überlebenschance der Art erhöhten.20 Diesen Zweck erfüllen sie in unseren heutigen Lebenswelten freilich nur noch selten direkt, etwa wenn wir uns bei einem lauten Geräusch im Straßenverkehr aus Furcht unmittelbar umdrehen oder zur Seite springen - was lebensrettend sein kann. In anderen Fällen wirken sie gegen unsere Interessen, wenn wir zum Beispiel durch das gute Gefühl, das Zucker oder eine neue Nachricht in uns auslösen, durch ungesunde Ernährung oder zu viel Zeit mit den sozialen Medien einen nachteiligen Lebensstil pflegen. Oder wenn wir vor Ärger auch körperlich aggressiv werden, obwohl es heute gegen Ungerechtigkeit Rechtsmittel statt Fäuste gibt. Manchmal aber kann ein »Bauchgefühl« auch vor falschen Entscheidungen warnen oder zur richtigen Tat im richtigen Moment anleiten, nämlich in solchen Situationen, die rein kognitiv nicht zu überblicken sind und von denen man ähnliche schon mehrfach erlebt hat. Die Erinnerung an damalige Emotionen schlägt schneller und...
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