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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Brandes & Apsel Verlagerschienen am19.08.2024
In diesem Band findet das gesellschaftskritische und kulturtheoretische Potenzial der Psychoanalyse und ihrer Nachbarwissenschaften (z. B. der Soziologie und der Geschichtswissenschaften) Anwendung auf aktuelle, politische Konfliktarenen (Gender, Postkolonialismus, Intersektionalität), Krisen (Pandemie, Kriege) und zeitgenössische Phänomene (Populismus, Verschwörungstheorien). Dabei soll ein historischer Bogen gespannt werden, der die Entwicklung der politischen Psychoanalyse aus ihren Anfängen bis hinein in die Gegenwart nachvollzieht.

Christine Bauriedl-Schmidt, Dr. biol. hum. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin (DGPT) in eigener Praxis; Mitglied des Vorstands und Dozentin der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Sprecherin des Netzwerk Freie Institute (NFIP); Veröffentlichung 2022: Klimagefühle, Abwehr und Hoffnung auf Psychotherapie. Markus Fellner, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, Psychoanalytiker (DGPT) für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Familien­therapeut (DGSF), Dozent der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Mitglied der PsychologistsForFuture (Psy4F). Veröffentlichung 2022: Was ist psychoanalytische Aufkla?rung heute? Eine Kultur der Fu?rsorge als Antwort auf die Verletzbarkeit des Subjekts im Angesicht der Klimakrise. Gregor Luks, Dr. des., Psychologischer Psychotherapeut (Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), Psychoonkologe (DKG); Promotion im Fach Europäische Ethnologie an der LMU München, Dissertationsthema: Vom annähernden Verstehen. Die psychischen Folgen des Krieges und das Trauma des Holocaust im intergenerationellen Diskurs von Juden und Nichtjuden in Deutschland nach 1945 - Drei Generationen im Vergleich; verschiedene Veröffentlichungen zu psychologischen und kulturellen Themen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR39,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR29,99

Produkt

KlappentextIn diesem Band findet das gesellschaftskritische und kulturtheoretische Potenzial der Psychoanalyse und ihrer Nachbarwissenschaften (z. B. der Soziologie und der Geschichtswissenschaften) Anwendung auf aktuelle, politische Konfliktarenen (Gender, Postkolonialismus, Intersektionalität), Krisen (Pandemie, Kriege) und zeitgenössische Phänomene (Populismus, Verschwörungstheorien). Dabei soll ein historischer Bogen gespannt werden, der die Entwicklung der politischen Psychoanalyse aus ihren Anfängen bis hinein in die Gegenwart nachvollzieht.

Christine Bauriedl-Schmidt, Dr. biol. hum. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin (DGPT) in eigener Praxis; Mitglied des Vorstands und Dozentin der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Sprecherin des Netzwerk Freie Institute (NFIP); Veröffentlichung 2022: Klimagefühle, Abwehr und Hoffnung auf Psychotherapie. Markus Fellner, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, Psychoanalytiker (DGPT) für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Familien­therapeut (DGSF), Dozent der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Mitglied der PsychologistsForFuture (Psy4F). Veröffentlichung 2022: Was ist psychoanalytische Aufkla?rung heute? Eine Kultur der Fu?rsorge als Antwort auf die Verletzbarkeit des Subjekts im Angesicht der Klimakrise. Gregor Luks, Dr. des., Psychologischer Psychotherapeut (Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), Psychoonkologe (DKG); Promotion im Fach Europäische Ethnologie an der LMU München, Dissertationsthema: Vom annähernden Verstehen. Die psychischen Folgen des Krieges und das Trauma des Holocaust im intergenerationellen Diskurs von Juden und Nichtjuden in Deutschland nach 1945 - Drei Generationen im Vergleich; verschiedene Veröffentlichungen zu psychologischen und kulturellen Themen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783955583613
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum19.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse913 Kbytes
Artikel-Nr.17354192
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1. Auszüge aus der Historie der Politischen Psychoanalyse

Eben weil der Mensch eine besonders bösartige Spezies ist, ist es so wichtig zu erkennen, daß er aber auch die Fähigkeiten besitzt, seine »Bestialität« zu überwinden und die ursprünglichen Triebe zu kulturvollem Tun umzugestalten.1

Der österreichisch-jüdische Psychoanalytiker und Holocaustüberlebende Ernst Federn (1914-2007) beschreibt in dem oben zitierten Satz einerseits das hohe Kränkungspotenzial der Psychoanalyse und andererseits den durch sie möglichen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die ganzheitliche menschliche Natur.2 Er selbst hatte als Überlebender des KZ Buchenwald in den menschlichen Abgrund des NS-Terrorregimes geblickt - ein Blick, welcher ihn nachhaltig geprägt und motiviert hatte, seiner Umwelt das selbst- und fremddestruktive Potenzial des Menschen näher zu bringen, um ihn vor sich selbst zu schützen. Federn schreibt hierzu:

Wenn aber Furcht vor Strafe und Einfluß der Umwelt wegfallen, wenn Mord nicht mehr als Verbrechen angesehen wird und straflos bleibt, können sehr viele Naturen ihren »bösen Trieben« nicht widerstehen. In solchen Situationen kann man am besten beobachten, wie nahe an der Grenze der »Bestialität« sich der Mensch noch befindet und wie leicht er in sie hinabstürzen kann.3

Neben seiner psychotherapeutisch/psychoanalytischen Tätigkeit und seinen theoretischen Beiträgen zur Politischen Psychoanalyse (v.a. dem 1946 erstmals erschienenen »Versuch einer Psychologie des Terrors«), arbeitete Federn sehr praxisnah und mitten im Leben, u. a. als Sozialarbeiter mit Strafgefangenen. Für ihn ist »[d]as stärkste, gewaltigste Mittel des Terrors [...] die Erzeugung der Angst«.4 Dabei existieren laut Federn für den/die Täter/in verschiedene Lustgewinne durch die Gewaltanwendung, »wie etwa Befriedigung des Sadismus oder der Eigenliebe, letztere durch das Gefühl der körperlichen Überlegenheit«.5 Er/sie verfalle bei fehlender Aussicht auf eine strafrechtliche Konsequenz in eine Regression der »atavistischen Triebe und Pubertätsphantasien«.6 Diese Regression in den Sadismus während totalitärer Zeiten bezeichnet Federn als »allgemein menschliche Erscheinung«7, wobei er der Regression im Allgemeinen (nicht derjenigen in den Sadismus) auch eine wichtige Funktion für die »notwendige Erholung«8 der seelischen Tätigkeit zubilligt. Als Hauptschutzfaktor gegen die Indoktrinierung durch das Gift eines totalitären Systems betont Federn die Rolle des Über-Ichs. Hierzu nochmals Federn:

Zusammenfassend möchte ich aber sagen, daß die Überwindung von schwerem Leid davon abhängt, daß das Über-Ich stark genug ist, die Regression möglichst zu verhindern, und dort, wo sie nicht aufzuhalten ist, einzuschränken und rasch wieder zu überwinden.9

Doch kommen wir nun zu den Anfängen der Politischen Psychoanalyse. Diese liegen, wie wenig verwunderlich, beim Hauptgründungsvater der Psychoanalyse des Individuums, bei Sigmund Freud (1856-1939). In »Massenpsychologie und Ich-Analyse« schreibt er im Jahre 1921 über ein Kernphänomen der Psychologie der Masse: »Ja, wie im Traum und in der Hypnose, tritt in der Seelentätigkeit der Masse die Realitätsprüfung zurück gegen die Stärke der affektiv besetzten Wunschregungen.«10 Diese »Steigerung der Affektivität«11 durch »Gefühlsansteckung«12 in der Masse hatte bereits im Jahre 1895 der französische Mediziner und Psychologe Gustave Le Bon (1841-1931) in seinem Hauptwerk »Psychologie der Massen« beschrieben:

Die Heftigkeit der Massengefühle wird, besonders bei den heterogenen Massen, auch durch das Fehlen jeder Verantwortlichkeit gesteigert. Die Sicherheit der Straflosigkeit, die mit der Größe der Masse zunimmt, sowie das Bewusstsein einer durch die Menge bedingten beträchtlichen Momentangewalt ermöglicht der Gesamtheit Gefühle und Handlungen, die für das isolierte Individuum unmöglich sind.13

Freud bezog sich in seiner »Massenpsychologie und Ich-Analyse« u. a. auch auf Le Bons Erkenntnisse, wobei er im Gegensatz zu diesem ein entscheidendes massenpsychologisches Merkmal herausarbeitete, nämlich dass »das Wesen einer Masse bestehe in den in ihr vorhandenen libidinösen Bindungen«.14 Diese »Liebes- und Leidenschaftsbindungen« würden zum einen unter den einzelnen Mitgliedern einer Masse existieren, zum anderen aber auch jeweils zu einem über der Masse stehenden Anführer. Freud führt hierzu aus:

Eine solche primäre Masse ist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben.15

Hierin zeigt sich eine tiefe Sehnsucht nach Unterwerfung und nach Verantwortungsabgabe in einem streng hierarchischen System. Sowohl Freud als auch Le Bon stellen diese Sehnsucht als charakteristisches Massenphänomen dar: »Alle Einzelnen sollen einander gleich sein, aber alle wollen sie von einem beherrscht werden.«16 Und bei Le Bon heißt es: »Stets zur Auflehnung gegen eine schwache Autorität bereit, beugt sich die Masse knechtisch vor einer starken Autorität.«17

Le Bons Ausführungen fallen ins Zeitalter des »Fin de Siècle« und waren zu diesem Zeitpunkt eher eine prophetische Vorahnung zukünftiger totalitärer Massenbewegungen, bei denen durch Regression das Primitive »wieder zum Vorschein gebracht werden«18 könne, wie es Freud in seiner 1930 erschienenen Schrift Das Unbehagen in der Kultur ausgedrückt hatte. Denn dieses Primitive, also das Archaische und Ur-Triebhafte im menschlichen Individuum und Kollektiv bestehe auch in der hoch zivilisierten und kultivierten Gesellschaft weiter, wie Freud ausführt: »Ein quantitativer Anteil einer Einstellung, einer Triebregung, ist unverändert erhalten geblieben, ein anderer hat die weitere Entwicklung erfahren.«19 Diese Weiterentwicklung hätte die Menschen zu geistig-kreativen Errungenschaften in der Wissenschaft und in der Kunst geführt, den »beiden Höchstleistungen des Menschen«,20 so Freud. Seine Hauptthese in diesem Werk über das Unbehagen in der Kultur lautet, dass »Kultur auf Triebverzicht aufgebaut«21 sei. Freud erläutert dazu:

Die Triebsublimierung ist ein besonders hervorstechender Zug der Kulturentwicklung, sie macht es möglich, daß höhere psychische Tätigkeiten, wissenschaftliche, künstlerische, ideologische, eine so bedeutsame Rolle im Kulturleben spielen.22

Der Preis für diese geistigen Erwerbungen liege auch in der Einschränkung von individueller Freiheit und den Rechten des Einzelnen durch die Kulturentwicklung. Freud schreibt in diesem Zusammenhang:

Diese Ersetzung der Macht des einzelnen durch die der Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt. Ihr Wesen besteht darin, daß sich die Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Befriedigungsmöglichkeiten beschränken, während der einzelne keine solche Schranke kannte.23

Hier taucht der individuell und gesellschaftlich verzahnte Konflikt nun in ganzer Deutlichkeit zutage: Kulturentwicklung auf der einen Seite versus Triebverzicht sowie Einschränkungen von Freiheit und Rechten des Individuums auf der anderen Seite. Im Besonderen bringt Freud hier nun auch die »Aggressionsneigung«24 des Menschen ins Spiel:

Infolgedessen ist ihm [dem Menschen] der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung, seine Aggression an ihm zu befriedigen, seine Arbeitskraft ohne Entschädigung auszunützen, ihn ohne seine Einwilligung sexuell zu gebrauchen, sich in den Besitz seiner Habe zu setzen, ihn zu demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, zu martern und zu töten. Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?25

Diese Aggressionsneigung sei »Abkömmling und Hauptvertreter des Todestriebes«,26 welchen Freud erstmals in »Jenseits des Lustprinzips« aus dem Jahre 1920 beschreibt und ihn nach dem Todesgott der griechischen Mythologie als »Thanatos« benennt. In seinem Briefwechsel mit dem Physiker Albert Einstein »Warum Krieg?« (1933) erklärt er:

Der Todestrieb wird zum Destruktionstrieb, indem er mit Hilfe besonderer Organe nach außen, gegen die Objekte, gewendet wird. Das Lebewesen bewahrt sozusagen sein eigenes Leben dadurch, daß es fremdes zerstört.27

Doch »Thanatos« herrscht nicht alleine über den Menschen, sondern er hat einen mächtigen Gegenspieler im sog. »Eros« (benannt nach dem griechischen Gott der Liebe und Begierde).

Wir nehmen an, daß die Triebe des Menschen von zweierlei Art sind, entweder solche, die erhalten und vereinigen wollen - wir heißen sie erotische, ganz im Sinne des Eros im Symposion Platos, oder sexuelle mit bewußter Überdehnung des populären Begriffs von Sexualität -, und andere, die zerstören und töten wollen; wir fassen diese als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen. [...] Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor.28

Zudem lassen sich auch vermischte oder, wie sich Freud ausdrückt, »legierte«29 Formen von beiden Triebsorten finden, welche sich auch im Phänomen der »Gefühlsambivalenz« bei libidinösen Beziehungen ausdrücken können. Freud macht sich keine...
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Autor

Christine Bauriedl-Schmidt, Dr. biol. hum. Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin (DGPT) in eigener Praxis; Mitglied des Vorstands und Dozentin der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Sprecherin des Netzwerk Freie Institute (NFIP); Veröffentlichung 2022: Klimagefühle, Abwehr und Hoffnung auf Psychotherapie.

Markus Fellner, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, Psychoanalytiker (DGPT) für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Familien­therapeut (DGSF), Dozent der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse (MAP), Mitglied der PsychologistsForFuture (Psy4F). Veröffentlichung 2022: Was ist psychoanalytische Aufklärung heute? Eine Kultur der Fu¿rsorge als Antwort auf die Verletzbarkeit des Subjekts im Angesicht der Klimakrise.

Gregor Luks, Dr. des., Psychologischer Psychotherapeut (Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), Psychoonkologe (DKG); Promotion im Fach Europäische Ethnologie an der LMU München, Dissertationsthema: Vom annähernden Verstehen. Die psychischen Folgen des Krieges und das Trauma des Holocaust im intergenerationellen Diskurs von Juden und Nichtjuden in Deutschland nach 1945 - Drei Generationen im Vergleich; verschiedene Veröffentlichungen zu psychologischen und kulturellen Themen.