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Über Deutschland, über alles

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Carl Hanser Verlagerschienen am21.08.2017
Ein junger Schriftsteller bricht auf, 'deutschkrümelnder Idiotie in die Schnitte zu spucken'. Wie ein todesmutiger Stuntman mit Notizblock stürzt sich Pascal Richmann in Tänze mit hunderten Burschenschaftlern, besichtigt die Walhalla nach Mitternacht oder trinkt Schnäpse in der Kaschemme eines Ex-NPD-Chefs auf Mallorca. Wann immer er seine Gegenüber nach ihren Deutschlandbildern befragt, stößt er auf Wahnvorstellungen. Pascal Richmanns Debüt bebt vor absurden Beobachtungen, erstaunlichen Begegnungen und unverhofften Assoziationen. Es erzählt von neu entflammten Vaterlandsgefühlen und Nazis, die auch für Tiere bremsen. Und von einer zerrissenen Nation, die ohne solche Expeditionen kaum zu verstehen ist.

Pascal Richmann, geboren 1987 in Dortmund, studierte Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Heidelberg und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Er schreibt Theatertexte, Essays, Reportagen und Erzählungen. Pascal Richmann ist Mitglied der Akademie für Letalität und Lösungen. Bei Hanser erschien 2017 sein erstes Buch: Über Deutschland, über alles.
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Produkt

KlappentextEin junger Schriftsteller bricht auf, 'deutschkrümelnder Idiotie in die Schnitte zu spucken'. Wie ein todesmutiger Stuntman mit Notizblock stürzt sich Pascal Richmann in Tänze mit hunderten Burschenschaftlern, besichtigt die Walhalla nach Mitternacht oder trinkt Schnäpse in der Kaschemme eines Ex-NPD-Chefs auf Mallorca. Wann immer er seine Gegenüber nach ihren Deutschlandbildern befragt, stößt er auf Wahnvorstellungen. Pascal Richmanns Debüt bebt vor absurden Beobachtungen, erstaunlichen Begegnungen und unverhofften Assoziationen. Es erzählt von neu entflammten Vaterlandsgefühlen und Nazis, die auch für Tiere bremsen. Und von einer zerrissenen Nation, die ohne solche Expeditionen kaum zu verstehen ist.

Pascal Richmann, geboren 1987 in Dortmund, studierte Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Heidelberg und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Er schreibt Theatertexte, Essays, Reportagen und Erzählungen. Pascal Richmann ist Mitglied der Akademie für Letalität und Lösungen. Bei Hanser erschien 2017 sein erstes Buch: Über Deutschland, über alles.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446257719
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum21.08.2017
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1342 Kbytes
Artikel-Nr.2387527
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Marsch der Wirte

Klar, da waren eine Menge Katzen um mich herum, und klar, Karl Kraus hätte das hier gehasst. Aber weil es noch immer so ist, dass jeder, der den Plan verfolgt, deutschkrümelnder Idiotie in die Schnitte zu spucken, zuerst von Elsass-Lothringen bis nach Paris spazieren muss, stand ich auf dem Cimetière de Montmartre vor Heines Grab und las Briefchen, die irgendwelche Leute anstelle gelber Immortellen unter seine Büste gelegt hatten. Viel Loreley und Lobotomie am eigenen Frontallappen, ein bisschen Romantik und Rumtata.

Spätestens seit dem Wartburgfest 1817, vierzehn Jahre bevor Heine in sein linksrheinisches Exil gegangen ist, herrscht ja ein generelles Missverständnis in Bezug auf das, was der deutsche Weg zur Demokratie genannt wird. Unter der Regie von Friedrich Ludwig Jahn hatten sich die gerade erst gegründeten Burschenschaften in Eisenach versammelt, wo sie hoch über dem Astwerk des thüringischen Buchenwalds ein ganz und gar von germanischem Geist erfülltes Feuer entfachten. Darin verbrannten auch Saul Aschers Germanomanie und der Code civil. Und weil sich die Burschen und mit ihnen ihr Turnvater nicht sicher waren, ob nun der Jude oder der Franzose an sich ärger sei, begannen sie beide zu gleichen Teilen zu hassen. In seiner Skizze zu einem Zeitgemälde hatte Ascher die Ursache jedenfalls in einer esoterischen Gangart des Protestantismus ausgemacht. Christentum und Deutschheit war in eines verschmolzen , bald, so hatte er prophezeit, werde alles Fremdartige von Deutschlands Boden entfernt sein. Seine Feststellung, daß Deutschland nicht vorzugsweise den Urdeutschen zum Wohnsitz angewiesen ist , genügte den Burschenschaftern nun, um ein wenig mit den Buchseiten, auf denen sie stand, zu zündeln. Das ist nicht ganz unwichtig, schlug sich doch so das völkische Wesen zum ersten Mal und für jeden erkennbar auf die von Reck und Barren gestärkte Brust. Im selben Sommer eröffnete in Hamburg das Manufakturwarengeschäft Harry Heine & Co., das schon kurz darauf mangels kaufmännischen Talents des Inhabers Konkurs anmelden musste. In gewisser Hinsicht ist das Ganze ein tragischer Witz.

Da las ich also Botschaften an einen toten Dichter und brachte dabei auch noch die Kieselsteine vor seinem Grab durcheinander (obwohl Heine ja nur deshalb nicht auf dem Père Lachaise liegt, weil er davon ausgegangen war, hier nicht so oft gestört zu werden), als neben mir ein Mann mit Schiebermütze auftauchte. Er zog, seinem Alter entsprechend, einen Einkaufsrolli hinter sich her, zwischen den Fingern klemmte eine bis zum Filter runtergebrannte Zigarette. All die Katzen, sagte er, seien hier ausgesetzt worden, es seien jetzt die Katzen vom Montmartre, er nickte, so als würde ich schon verstehen, Montmartre, wiederholte er, Montmartre, als müsse mir dieses Wort genügen, aber es kümmerte mich nicht, genauso wenig wie mich die Katzen kümmerten, die Katzen, sagte er, seien ganz auf sich allein gestellt, also fast, sagte er, sie hätten niemanden außer ihm.

Wären es wenigstens Engel gewesen, die meine Stiefel wichsten, fragte ich mich dann schon, was ich hier überhaupt tat. Hatte ich erwartet, dass irgendwelche Burschen im Begriff waren, ihr Elsaß-Lothringen zurück ans Reich zu holen? Das ganze Deutschland soll es sein, man kennt das, und es ist ja auch nicht so, als würden sie nicht ständig über Volksdeutsche sprechen, die gezwungen seien, außerhalb der bestehenden Grenzen zu siedeln, und darüber, wie ihnen beim Deutschsein geholfen werden könne. Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn sieht darin so etwas wie ihren historischen Auftrag.

Seit 2011 die Protokolle des alljährlichen Burschentags geleakt wurden, kann sich jeder selbst ein Bild des zerrütteten, über alle Tellerränder hinausdriftenden Dachverbands Deutsche Burschenschaft, DB, machen. Zwar hatte es immer schon radikale Splittergruppen innerhalb der DB gegeben, etwa die Burschenschaftliche Gemeinschaft, deren Zielsetzung im Gründungsjahr 1961 darin bestand, die Wiederaufnahme österreichischer Verbände in den Dachverband durchzusetzen (schließlich bekannte man sich zum volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff ), was zehn Jahre später durch den Historischen Kompromiss, der zugleich die Pflichtmensur abschaffte, auch gelang, aber keiner dieser Konflikte hatte die Burschis endgültig spalten können.

Auf dem Burschentag 2002, um nur ein Beispiel zu nennen, untersuchte die DB eine Reihe von Vorkommnissen, die sich während einer Tagung am Annaberg in Oberschlesien ereignet hatten. Mit Bussen waren die Burschen in Polen eingefallen, wobei im »Südbus« besonders hart gekneipt worden war, die verdreckte Bordtoilette und die lallend vorgetragenen Soldatenlieder ließen keine Zweifel; und als sie dann das Pilgerheim erreichten, verpassten die Vollsten von allen einer Nonne feuchte Futzis, wofür sie ihre von Spucke benetzten Finger in gottgefällige Gehörgänge steckten, bevor sie auf die Empore der Kapelle kletterten, um das Horst-Wessel-Lied unter bestmöglichen Bedingungen anzustimmen, und von der herunterzukommen sie erst der Leiter des Pilgerheims überzeugen konnte. Den Protokollen zufolge machen sie solche Dinge andauernd, als litten sie an einer Art völkisch motiviertem Tourette.

Heine hingegen, der erst beim Anblick deutschen Unglücks in der Fremde so etwas wie Vaterlandsliebe empfand und seinem Exilkollegen Ludwig Börne die Worte in den Mund legte, dass wer nie im Exil gelebt habe, nur von Milchbreiliebe sprechen könne (was ein eher mäßiger Witz ist), und der sich bis in die Matratzengruft hinein nicht entscheiden konnte, ob Paris nun der beste oder schlechteste aller möglichen Orte sei, spottete einmal, dass Börne das Leben in Frankreich nur deshalb ertrage, weil es dort keine Kängurus und Zebras gebe, sondern ausschließlich Hunde, die genauso kläfften wie auf rechtsrheinischer Seite. Europa, die Nachbarn, alles nur auszuhalten als holographisches Prinzip.

Ich gab dem Alten etwas Kleingeld. Und während ich mit müden Füßen dastand, kramte er einige Konserven hervor, als wollte er beweisen, dass es wirklich nur Katzenfutter war, was er hinter sich her zog. Langsam entfernte er sich ins Grün zwischen den Barrieregittern. Als er fort war, trat ich seine Kippe aus.

 

Es muss 2003 gewesen sein. Die Schule, die ich besuchte, trug Heines Namen, weshalb klar war, dass sein Grab bei jeder Paris-Klassenfahrt Teil des Programms sein musste. Dabei kann ich mich nicht erinnern, dass wir ihn besonders viel gelesen hätten, und mit Ausnahme des Hinweises, ästhetisch auf Teetisch zu reimen, sei eine ziemliche Sensation, ist bei mir nichts hängengeblieben. Jedenfalls wartete in Paris ein Haufen geballter Adoleszenz mit Blick auf Heines Büste darauf, dass es endlich weiterging, als sich mein Freund Nils, der später selbst eine Art Bildhauer werden sollte, eine Zigarette ansteckte. Unser Deutschlehrer, den wir heimlich für Schnauzer, Goldkette und dafür bewunderten, dass er seine Marlboro Lights in zwei Zügen rauchen konnte, verpasste ihm einen ziemlichen Einlauf. Ob er denn gar keinen Respekt vor den Toten habe, wollte er von Nils wissen. Es ist nicht so, dass er damit nicht irgendwie auch Recht gehabt hätte, aber im Rückblick erscheint es mir schon ein bisschen merkwürdig, dass ausgerechnet jemandem, der einen Großteil seines Schaffens darauf verwandt hatte, respektlos gegen alles und jeden und vor allem die Toten zu sein, eine besonders pietätvolle Form der Andacht zukommen sollte.

Sein Spott richtete sich gegen die, von denen Heine meinte, dass sie es besser wissen müssten. Ludwig Börne. Eine Denkschrift, erst nach Börnes Tod veröffentlicht, demontierte nicht in erster Linie dessen politisches Wirken, da ironisierte Heine eher, galt ihm Börnes Aktionismus doch als der schauerliche Schmerz eines verlorenen Lebens , sondern zielte mit voller Wucht auf diejenigen Orte, die sich unterhalb der Gürtellinie Börnes befanden, indem seine Verbindung zu Jeanette Wohl plus Gatten als Dreiecksbeziehung ausgebreitet wurde; wobei Heine klar gewesen sein muss, dass die Vorwürfe, er betreibe Tratsch und schlechten Stil, dadurch schon bald ein neues, ungleich höheres Level erreichen würden.

Heines Briefe und Reisebilder, die mal eben so im Vorbeigehen eine neue literarische Form etablierten, hatte Börne ihrer undogmatischen Haltung wegen nicht akzeptieren können. Ein schwacher Charakter wie Heine , schrieb Börne an die Wohl, wie er mir schon aus seinen Schriften hervorleuchtete, muß in Paris völlig ausarten. - Die scheelsüchtige Impotenz , entgegnete Heine dieser Sorte von Gesinnungszwang hatte endlich, nach tausendjährigem Nachgrübeln, ihre große Waffe gefunden gegen die Übermüten des Genius; sie fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter , und wandte sich dann an die, die es mit Börne hielten, indem er schrieb, dass jeder lüge, der behauptet, mein Spott träfe jene Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit sind und für die ich selber so viel gestritten und gelitten habe. Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe beständig vorschweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen aufgefaßt werden können.

Börne unterstellte ihm, eine Melancholie zu affektieren, die er gar nicht hat , und bewies gleich darauf, dass ihm das moralische Maß, das er an Heine anlegte, selbst nur bis zum Schritt reichte. Ich sage Mädchen , schrieb er, Heine aber gebrauchte den gemeinsten Ausdruck dafür , er läuft den gemeinen Straßendirnen bei Tag und Nacht nach und spricht in einem fort von...

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Autor

Pascal Richmann, geboren 1987 in Dortmund, studierte Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Heidelberg und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Er schreibt Theatertexte, Essays, Reportagen und Erzählungen. Pascal Richmann ist Mitglied der Akademie für Letalität und Lösungen. Bei Hanser erschien 2017 sein erstes Buch: Über Deutschland, über alles.