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Frag nicht nach gestern

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Querverlagerschienen am01.03.20181. Auflage
Grau und trist präsentiert sich Finnland, als die 19-jährige Leonie dort ankommt. Nach ihrem Aufenthalt in einem deutschen Gefängnis soll sie nun den Rest ihrer Zeit in einem Resozialisationsprojekt absitzen. Dort leben acht junge Frauen gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin auf einem Hof an einem abgelegenen See. Leonie ist, nett ausgedrückt, sehr skeptisch, auch dann noch, als sie erfährt, dass sie sich auf dem Gelände frei bewegen kann und nicht überwacht wird. Sie beschließt abzuhauen, doch während sie ihre Fluchtpläne schmiedet, gibt sie vor, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Dabei lernt sie ihre Mitgefangenen besser kennen und freundet sich mit einigen an. Besonders zu Mia baut Leonie ein enges Verhältnis auf, denn Mia scheint ganz anders zu sein als die anderen, und so drängt sich Leonie die Frage auf: Warum ist Mia überhaupt im Camp? Doch die Antwort behält Mia für sich. Im Laufe der ersten Monate wird Leonie klar, dass Mia mehr für sie bedeutet, als sie sich eingestehen wollte. Als Mia eines Abends Hals über Kopf im Wald verschwindet, merkt Leonie, dass die Dunkelheit kein ungefährlicher Ort ist.

Sophie Herrndorf wurde 1984 geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Köln. Mit dreizehn Jahren sagte sie: 'Entweder werde ich Nonne oder lesbisch' und entschied sich drei Jahre später für Zweiteres. Nach ihrem Abitur folgte sie ihrer ersten Liebe nach Berlin und absolvierte dort ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Später wurde sie Grundschullehrerin. Heute lebt sie mit ihrer Liebsten und ihrer Tochter wieder in Köln. Im Querverlag erschien 2017 ihr erster Roman Frag nicht nach gestern.
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Produkt

KlappentextGrau und trist präsentiert sich Finnland, als die 19-jährige Leonie dort ankommt. Nach ihrem Aufenthalt in einem deutschen Gefängnis soll sie nun den Rest ihrer Zeit in einem Resozialisationsprojekt absitzen. Dort leben acht junge Frauen gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin auf einem Hof an einem abgelegenen See. Leonie ist, nett ausgedrückt, sehr skeptisch, auch dann noch, als sie erfährt, dass sie sich auf dem Gelände frei bewegen kann und nicht überwacht wird. Sie beschließt abzuhauen, doch während sie ihre Fluchtpläne schmiedet, gibt sie vor, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Dabei lernt sie ihre Mitgefangenen besser kennen und freundet sich mit einigen an. Besonders zu Mia baut Leonie ein enges Verhältnis auf, denn Mia scheint ganz anders zu sein als die anderen, und so drängt sich Leonie die Frage auf: Warum ist Mia überhaupt im Camp? Doch die Antwort behält Mia für sich. Im Laufe der ersten Monate wird Leonie klar, dass Mia mehr für sie bedeutet, als sie sich eingestehen wollte. Als Mia eines Abends Hals über Kopf im Wald verschwindet, merkt Leonie, dass die Dunkelheit kein ungefährlicher Ort ist.

Sophie Herrndorf wurde 1984 geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Köln. Mit dreizehn Jahren sagte sie: 'Entweder werde ich Nonne oder lesbisch' und entschied sich drei Jahre später für Zweiteres. Nach ihrem Abitur folgte sie ihrer ersten Liebe nach Berlin und absolvierte dort ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Später wurde sie Grundschullehrerin. Heute lebt sie mit ihrer Liebsten und ihrer Tochter wieder in Köln. Im Querverlag erschien 2017 ihr erster Roman Frag nicht nach gestern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783896566478
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum01.03.2018
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse613 Kbytes
Artikel-Nr.3395316
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Leonie

Das Schwarz der Nacht weicht langsam dem Grau eines dichten Morgennebels, der nur widerwillig den Blick auf die Welt vor dem Autofenster freigibt. Ich starre hinaus und die Welt starrt zurück, als wäre sie zu Eis gefroren. Vorgestern bin ich im T-Shirt durch den Sonnenschein der ersten warmen Tage spaziert und nun fahre ich in einem uralten Volvo durch einen finnischen Winterwald. Die Straße ist vereist und die Spikes der Autoreifen geben ein nervtötend klackerndes Geräusch von sich. Am Rand liegt der Schnee meterhoch, dahinter der finstere Wald. Der Schnee auf den Bäumen lässt kaum Licht hindurch.

Ich stelle mir vor, wie wir ankommen werden. Lange kann es nicht mehr dauern, wir sind schon ewig unterwegs. Sieben andere junge Frauen warten dort auf mich, so viel weiß ich schon, ebenfalls abgeschoben in Kälte und Einsamkeit. Vielleicht ist es so günstiger für den Steuerzahler.

Der Nebel lichtet sich etwas und hängt nun in Fetzen zwischen den Fichten und Kiefern. Es tropft von den Bäumen und ab und zu rutscht eine Ladung Schnee von den Zweigen auf den Boden.

Es könnte schön sein, denke ich, aber es kommt keine Freude in mir auf. Dieses Land scheint so zu sein, wie ich mich fühle, und bietet dabei nichts, wonach ich mich sehne.

Bald kommt der Frühling , erklärt Su vom Fahrersitz. Es hat nun schon länger nicht mehr geschneit und wenn wir Glück haben, tut es das auch nicht mehr. Du kannst froh sein, im Frühling hierherzukommen. Der Winter ist nicht immer ganz so leicht.

Ich antworte nicht. Was soll ich auch sagen? Dass ich es jetzt schon hasse? Dass ich hier nicht bleiben werde? Verstohlen mustere ich Su. Ich schätze sie auf Mitte dreißig. Sie hat kurze Haare, die zu allen Seiten abstehen, und trägt eine alte, zerschlissene Jeans, klobige Wanderschuhe und eine Outdoorjacke. Als sie mich an dem kleinen Flughafen abholte, konnte ich sehen, wie darunter ein Flanellhemd hervorguckte. Ob es hier üblich ist, sich so bescheuert zu kleiden?

Ich schließe die Augen und sehe sie vor mir. Sieben Gesichter, misstrauisch und zugleich neugierig. Vermutlich wird eine von ihnen vor den anderen stehen, mit harter Miene und gekreuzten Armen. Und dann wird die obligatorische erste Frage kommen: Und? Warum bist du hier?

Diese Frage dient zweierlei: Zum einen macht die Fragende gleich klar, dass sie an der Spitze der Gruppe steht. Zum anderen wissen danach alle, zu welcher Sorte die Neue gehört: Unschuldslamm, Heldin oder Kratzbürste.

Die Ersten erzählen gleich ihre ganze Lebensgeschichte, schildern detailliert, wie sie auf die schiefe Bahn geraten sind, und schauen dabei unschuldig drein. Typ zwei gibt eine knappe Auskunft, die ihrer Polizeiakte entstammen könnte. Raubüberfall oder Beschaffungskriminalität heißt es dann, oft mit dem stolz wirkenden Zusatz in 23 Fällen . Die dritte und letzte Kategorie lässt das Gegenüber aggressiv wissen, dass das niemand etwas angeht .

Hierzu gehöre auch ich. Ich hasse diese Frage nach der Vergangenheit. Ich will mich weder als Unschuldslamm noch als Superheldin darstellen. Ich will nur meine Ruhe. Aber die werde ich in den ersten Tagen nach der Ankunft wohl kaum bekommen.

Nun lichtet sich der Wald und ich entdecke die dunkle Oberfläche eines Sees. Die Straße ist zu einem Weg geworden, der sich am schneebedeckten Ufer entlangschlängelt.

Su deutet mit einem Finger übers Lenkrad: Da vorne ist es.

Ich sehe nur Wald. Der Volvo biegt um eine Kurve und folgt dem Schotterweg um eine Bucht herum. Da taucht eine Gruppe von Häusern auf.

Es sind Häuser aus Holz, hellgelb gestrichen. Aus den Schornsteinen steigt Rauch auf und ich bemerke, wie ich mich nach einer heißen Dusche sehne. Etwas irritiert mich beim Anblick der Häuser, doch schon habe ich keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Noch während der Wagen auf den Hof rollt, öffnen sich mehrere Türen.

Sie sind so alt wie ich. Keine Jugendlichen mehr und noch keine Frauen, vielleicht Anfang zwanzig. Sie rotten sich zusammen und glotzen ins Auto. Ich versuche, nicht hinzusehen. Su dreht sich zu mir um und bemerkt wohl, dass mir die Situation überhaupt nicht passt. Sie sind nur neugierig. Warte ab, bald wirst du sie mögen.

Sie steigt aus und öffnet mir die Tür. Ich schaue hinaus und da fällt mir auf, was mich vorhin irritiert hat: Dies hier sieht nicht aus wie ein Gefängnis. Keine Mauer, kein Zaun, kein Wachpersonal. Nirgendwo erklingt das vertraute Rasseln der fetten Schlüsselbunde. Rasch fährt mein Blick die Giebel der Häuser entlang, doch ich kann keine Kameras entdecken. Ich habe keine Ahnung, was ich mir unter einem Resozialisationsprojekt straffälliger junger Frauen mitten in Finnland vorgestellt hatte, jedenfalls nicht das.

Mit steifen Beinen von der langen Fahrt und dem Flug stehe ich auf und strecke mich so unauffällig wie möglich. Ich will mir nichts anmerken lassen, nicht meine Müdigkeit, meine Verwunderung, erst recht nicht meine Aufregung. Ich versuche, ihnen nicht in die Augen zu sehen, sondern schaue zwischen ihnen vorbei über den Hof zu den Häusern. Alle drei stehen in einem Halbkreis um den Hof. Das Ufer dahinter folgt diesem Halbkreis. Ich entdecke noch ein viertes Haus, etwas zurückgesetzt zwischen dem zweiten und dem dritten.

Zum Schluss lasse ich meinen Blick über die Mädels schweifen. Sie sehen mich erwartungsvoll an. Ich deute auf meinen Rucksack und frage: Wohin? Meine Stimme hört sich dabei in meinen eigenen Ohren fremd an, müde und ein wenig schroffer als beabsichtigt. Es ist das Erste, was ich überhaupt sage, seit Su mich vom Flughafen abgeholt hat. Ihre Stimme klingt sanft, als sie mir erklärt: Das sind Joanna, Lea und Mia. Sie wohnen mit dir hier. Lucie, Tatze, Nic und Flora wohnen auf der anderen Seite. Sie dreht sich zu ihnen um und sagt: Nun, wie ihr euch wohl schon denken könnt, ist das hier Leonie. Während ich langsam meinen Fingernagel in die raue Haut neben dem Daumennagel drücke, zeigt sie auf das mittlere Gebäude und erklärt: Hier im Haupthaus sind Küche, Esszimmer und Bad. Im ersten Stock wohne ich. Dort hinten ist der Stall und gleich daneben der Gemüsegarten.

Sie erzählt noch mehr, doch ich konzentriere mich auf den angenehmen Schmerz an meinem Daumen, vertraut, immer da, wenn ich ihn brauche. Ich höre weder zu noch schaue ich mich um. Niemand soll glauben, ich könnte mich hier zu Hause fühlen. Es ist ein Gefängnis. Getarnt vielleicht, aber nicht frei. Ich werde nicht so tun, als wäre ich dreizehn und für eine Woche Reitferien hier. Plötzlich ist es still und ich blicke auf. Eines der Mädels sieht mich auffordernd an, doch weil ich nicht zugehört habe, weiß ich nicht, was sie will. Ich gehe einen Schritt auf sie zu und da lächelt sie, dreht sich um und geht auf das Haus auf der linken Seite zu. Ich folge ihr unsicher.

Als sie die Tür aufzieht, schlägt mir Wärme ins Gesicht. Ich trete in einen völlig zugestellten, bunten Flur. Zwei Türen gehen ab und eine steile Treppe führt nach oben. Die Wände sind orange gestrichen und über und über mit Bildern und allerlei Kram behängt. Mir fällt eine Kuckucksuhr auf, deren Schnörkel in grellem Pink nachgemalt wurden, eine goldene Schatztruhe, die von der Decke baumelt, und ein Bild, das aussieht, als hätte es ein Kind gemalt.

Meine Mitgefangene streift sich ihre klobigen Schuhe von den Füßen und schmeißt die Jacke in eine Ecke. Ich mustere sie verstohlen. Sie ist schlank, trägt eine braune Strickjacke und eine dunklere Cordhose, unter der orange-rot-geringelte Socken hervorblitzen. Ihre kleinen, roten Löckchen fallen locker über ihre Schultern.

Hier wohnt Lea , erklärt das Mädel mit den Locken und deutet nach links. Diese Tür ist von oben bis unten mit Metal-Postern beklebt. Und dort Joanna , ergänzt sie. Die Tür geradeaus ist wild mit Farbe bespritzt und beschmiert worden. Da hat wohl jemand eine Maltherapie verordnet bekommen. So was gab es in Deutschland auch, nur malte man da sauber auf Papier oder Leinwand. Auf Sauberkeit scheint man hier weniger Wert zu legen. Immerhin etwas.

Der Lockenkopf steigt die wackelige Treppe hinauf und erklärt dabei mit wichtigtuerischem Unterton: Die Zimmer der anderen sind grundsätzlich tabu, wenn man nicht eingeladen wurde. Mir entfährt ein geknurrtes Wer sagt das? , doch die Locke nimmt die Frage ernst. Das haben alle gemeinsam in der Vollversammlung beschlossen.

Während ich ihr die Treppe hinauf folge, merke ich, dass ich nun wirklich gerne duschen würde. Ich war knapp zwanzig Stunden unterwegs und kann mich nun schon selbst riechen.

Der Flur oben wirkt nicht anders als der unten, nur sind die Wände gelb. Auf die Dielen hat jemand vor nicht allzu langer Zeit einen leuchtend roten Stern gemalt. Auch die Türen sind so angeordnet wie unten. Locke deutet nach links. Hier ist dein Zimmer. Nebenan wohne ich. Die Tür links ist völlig blank. Nur ein paar alte Tesafilmstreifen sind noch darauf zu finden. Die Tür geradeaus ist von oben bis unten mit Bildern aus Zeitungen beklebt. Darauf stehen politische Sprüche. In der Mitte klebt ein großer Umschlag, der ein Postzeichen und die Aufschrift Mia trägt. Locke heißt also Mia.

Sie steht vor mir und macht eine erwartungsvolle Miene....

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Autor

Sophie Herrndorf wurde 1984 geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Köln. Mit dreizehn Jahren sagte sie: "Entweder werde ich Nonne oder lesbisch" und entschied sich drei Jahre später für Zweiteres. Nach ihrem Abitur folgte sie ihrer ersten Liebe nach Berlin und absolvierte dort ein Freiwilliges Ökologisches Jahr. Später wurde sie Grundschullehrerin. Heute lebt sie mit ihrer Liebsten und ihrer Tochter wieder in Köln. Im Querverlag erschien 2017 ihr erster Roman Frag nicht nach gestern.