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Damals, jetzt und überhaupt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am09.11.20151. Auflage
Die Sweets - Mutter, Vater, zwei Kinder - leben in einem Städtchen in Neuengland, wo auf den ersten Blick alles beschaulich erscheint. Mrs Sweet kam einst von einer Karibikinsel 'auf einem Bananendampfer ins Land'. Mr Sweet, ein wenig erfolgreicher Komponist, wuchs in New York in einem großbürgerlichen Haushalt auf. Diese Unterschiede entwickeln Sprengkraft, und die Zeit macht die Gefühle brüchig. Im Strom der Erinnerungen schießt Unausgesprochenes empor. Mr Sweet hasst das Landleben - und in seinen Fantasien sieht er den abgetrennten Kopf seiner Frau auf der Arbeitsplatte liegen. Mrs Sweet ahnt schon, dass er sie verlassen wird. In die Liebe zu ihren Kindern mischt sich der Vorwurf, dass sie ihr das Leben geraubt haben. Jamaica Kincaid erzählt vom schwierigen Miteinander und allmählichen Auseinanderbrechen einer Familie. Sie scheut sich nicht, in die Abgründe der Seele zu leuchten, und sie kreist ein, was die Zeit mit den Menschen anstellt.

Jamaica Kincaid, geboren 1949 auf der Karibikinsel Antigua, wanderte mit sechzehn Jahren in die USA aus, wo sie zunächst als Au-Pair-Mädchen arbeitete. Kincaid hat mehrere Prosabände und Romane veröffentlicht, darunter Die Autobiografie meiner Mutter und Lucy. Ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sie unterrichtet Literatur am kalifornischen Claremont McKenna College und an der Harvard University.
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Produkt

KlappentextDie Sweets - Mutter, Vater, zwei Kinder - leben in einem Städtchen in Neuengland, wo auf den ersten Blick alles beschaulich erscheint. Mrs Sweet kam einst von einer Karibikinsel 'auf einem Bananendampfer ins Land'. Mr Sweet, ein wenig erfolgreicher Komponist, wuchs in New York in einem großbürgerlichen Haushalt auf. Diese Unterschiede entwickeln Sprengkraft, und die Zeit macht die Gefühle brüchig. Im Strom der Erinnerungen schießt Unausgesprochenes empor. Mr Sweet hasst das Landleben - und in seinen Fantasien sieht er den abgetrennten Kopf seiner Frau auf der Arbeitsplatte liegen. Mrs Sweet ahnt schon, dass er sie verlassen wird. In die Liebe zu ihren Kindern mischt sich der Vorwurf, dass sie ihr das Leben geraubt haben. Jamaica Kincaid erzählt vom schwierigen Miteinander und allmählichen Auseinanderbrechen einer Familie. Sie scheut sich nicht, in die Abgründe der Seele zu leuchten, und sie kreist ein, was die Zeit mit den Menschen anstellt.

Jamaica Kincaid, geboren 1949 auf der Karibikinsel Antigua, wanderte mit sechzehn Jahren in die USA aus, wo sie zunächst als Au-Pair-Mädchen arbeitete. Kincaid hat mehrere Prosabände und Romane veröffentlicht, darunter Die Autobiografie meiner Mutter und Lucy. Ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sie unterrichtet Literatur am kalifornischen Claremont McKenna College und an der Harvard University.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293308350
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum09.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2264 Kbytes
Artikel-Nr.3421045
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe






Sieh jetzt, damals, die liebe Mrs Sweet, die mit ihrem Mann, Mr Sweet, und ihren zwei Kindern, der schönen Persephone und dem jungen Heracles, in einem kleinen neuenglischen Dorf im Shirley-Jackson-Haus wohnte. Dieses Haus, das Shirley-Jackson-Haus, stand auf einer Kuppe, und vom Fenster aus konnte Mrs Sweet auf die tosenden Wasser des Paran River hinuntersehen, die wild und rasch dahineilend aus dem See stürzten, einem von Menschenhand geschaffenen See, der ebenfalls Paran hieß; und wenn sie nach oben schaute, konnte sie um sich herum die Berge sehen, die Bald und Hale und Anthony hießen und alle Teil der Green Mountain Range waren; und sie konnte das Feuerwehrhaus sehen, wo sie gelegentlich an Bürgerversammlungen teilnehmen und ihrem Regierungsvertreter dabei zuhören konnte, wenn er etwas sagte, das für ihr Wohlbefinden und das ihrer Familie womöglich ernsthafte Folgen haben würde, oder den Feuerwehrleuten dabei zusehen, wie sie die Feuerwehrfahrzeuge aus der Garage fuhren, sie teilweise zerlegten und wieder zusammensetzten und dann sämtliche Wagen polierten und dann unter großem Aufhebens damit durchs Dorf fuhren, ehe sie sie wieder im Feuerwehrhaus abstellten, und sie erinnerten Mrs Sweet an den jungen Heracles, der mit seinen Spielzeugfeuerwehrwagen oft ähnliche Dinge anstellte; doch als Mrs Sweet gerade jetzt aus dem Fenster des Shirley-Jackson-Hauses blickte, machte ihr Sohn das nicht mehr. Aus ebendiesem Fenster konnte sie auch das Haus sehen, wo der Mann gelebt hatte, der die Zeitrafferfotografie erfunden hatte, doch er war jetzt tot; und sie konnte das Haus sehen, Yellow House, das Homer so sorgfältig und liebevoll renoviert hatte, die Fußböden geschliffen, die Wände gestrichen, die Wasserleitungen ersetzt, und das alles in dem Sommer vor dem schrecklichen Sturz, als er auf der Jagd mit Pfeil und Bogen den größten Rehbock erlegt hatte, den er je geschossen hatte, und bei dem Versuch tot umgefallen war, ihn hinten auf seinen Pick-up zu laden. Und Mrs Sweet sah ihn im Beerdigungsinstitut Mahar in seinem Sarg liegen und dachte damals, warum Beerdigungsinstitute von außen immer so willkommen heißend, so einladend wirkten, die Stühle im Innern so bequem, und angenehm golden schimmernder Lampenschein jeden Gegenstand im Raum in ein weiches Licht tauchte, vor allem die Toten, warum war das so, fragte sich Mrs Sweet, als sie Homer ganz allein und behaglich in seinem Sarg liegen sah, wohlausstaffiert mit nagelneuer Jagdkleidung, einer rot-schwarz karierten Jacke aus Wolle und einer roten Strickmütze, alles von Woolrich oder Johnson Bros. oder irgendeinem dieser Outdoor-Ausstatter; und Mrs Sweet hätte gern mit ihm gesprochen, da er so sehr wie er selbst aussah, und ihn gefragt, ob er nicht vorbeikommen und ihr Haus anstreichen wolle, das Shirley-Jackson-Haus, oder ob er kommen könne und etwas tun, irgendetwas, die Wasserleitungen reparieren, die Dachrinnen säubern, nachsehen, ob Wasser in den Keller gelaufen war, da er so sehr wie er selbst aussah, doch seine Frau erzählte ihr, Homer habe den größten Rehbock seines Lebens geschossen und sei bei dem Versuch gestorben, ihn hinten auf seinen Pick-up zu laden; und Mrs Sweet hatte Verständnis für die weltliche Seite der Toten, es gelang ihr, sich das Heer von Würmern und Parasiten vorzustellen, das ohne bösen Vorsatz schon begonnen hatte, von Homer zu zehren, und das ihn demnächst auf die Sphäre der Verwunderung und Ernüchterung reduzieren würde, so traurig, so traurig war das alles, dass Mrs Sweet es damals sehen konnte, als sie am Fenster des Hauses stand, in dem einmal Shirley Jackson gewohnt hatte, gegenüber dem Haus, in dem die alte Mrs McGovern gestorben war und in dem sie viele Jahre gelebt hatte, bevor sie alt geworden war; sie hatte in ihrem Haus gewohnt, das in einem neoklassizistischen Irgendwas-Stil errichtet war, der einer anderen, längst vergangenen Epoche angehörte, lange bevor Mrs McGovern geboren und eine erwachsene Frau geworden war, die heiratete und mit ihrem Mann in Yellow House wohnte und einen Garten nur mit Pfingstrosen anlegte, großen weißen mit einem dunklen weinroten Streifen auf den Blütenblättern nahe den Staubgefäßen, wie eine imaginäre Nacht, die sich mit einem imaginären Tag kreuzt, so waren diese Pfingstrosen in Mrs McGoverns Garten gewesen; sie hatte auch noch andere Dinge gepflanzt, doch niemand konnte sich erinnern, was, nur ihre Pfingstrosen hatten sich dem Gedächtnis eingeprägt, und als Mrs McGovern gestorben und so von der Erdoberfläche verschwunden war, hatte Mrs Sweet die Pfingstrosen aus diesem Garten ausgegraben, Festiva Maxima hießen sie, und hatte sie in ihren eigenen Garten gepflanzt, einen Ort, den Mr Sweet, die schöne Persephone und sogar der junge Heracles hassten. Die Pembrokes, Vater und Sohn, mähten den Rasen, obwohl der Vater manchmal nach Montpelier fuhr, in die Provinzhauptstadt, um für oder gegen etwas zu stimmen, je nachdem, wie er meinte, es wäre zum Besten der Menschen, die in diesem Dorf in Neuengland lebten, das sogar jetzt noch am Ufer des Flusses Paran liegt; und die übrigen Menschen in diesem Dorf, die Wolmingtons, wohnten immerfort in ihrem Haus, und die Atlas ebenfalls, und ebenso die Elwells, die Elkins, die Powers; die Bibliothek war voller Bücher, doch niemand ging hin, außer Eltern mit ihren Kindern, Eltern, die wollten, dass ihre Kinder Bücher lasen, als wäre Bücherlesen in Wirklichkeit eine mysteriöse Form von Liebe, ein Geheimnis, das auch eins bleiben sollte. In dem kleinen Dorf in Neuengland gab es all dies und viel mehr und all dies und viel mehr, damals und jetzt, Zeit und Raum verschwammen ineinander, wurden eins, und das alles in den Gedanken von Mrs Sweet.

â§

All das war sichtbar für Mrs Sweet, als sie im Fenster, am Fenster stand, doch so vieles war für sie damals nicht sichtbar, es lag vor ihr, ganz still und klar, wie auf Leinwand gebannt, eingefasst von einem Rechteck verdorrter Betula-nigra-Zweige, und sie konnte es nicht sehen und konnte es nicht verstehen, obwohl sie es sehen konnte: ihr Mann, der liebe Mr Sweet, hasste sie sehr. Er wünschte sich so oft, sie wäre tot: einmal, damals, eines Abends, als er nach einem Klavierkonzert von Schostakowitsch nach Hause gekommen war, das er vor Menschen gegeben hatte, die in den umliegenden Dörfern wohnten und deshalb das Gefühl hatten, dass sie hin und wieder aus dem Haus müssten, gleichzeitig jedoch auf der Stelle wieder umkehren wollten, sobald sie ihr Zuhause verlassen hatten, denn nichts war nah und nichts war so schön wie ihr eigenes Heim, und Mr Sweet Klavierspielen zu hören, ließ sie schläfrig werden, manchmal sackte ihnen plötzlich der Kopf nach vorn, und sie kämpften dagegen an, dass ihnen das Kinn auf die Brust sank, doch es geschah ohnehin, und es entstand ein Schlingern und Ruckeln und Schlucken und Hüsteln; und obwohl Mr Sweet seinem ländlichen Publikum den Rücken zuwandte, konnte er das alles spüren, er empfand jedes Zucken und jeden Schauder, die jeden Einzelnen überkamen. Er liebte Schostakowitsch, und wenn er die Musik spielte, die dieser Mann geschrieben hatte - »Der Schwur des Volkskommissars«, »Das Lied von den Wäldern«, »Acht Präludien für Klavier« -, übermannten Mr Sweet die schweren Sorgen und Ungerechtigkeiten, von denen er heimgesucht wurde, und er war sehr bewegt von diesem Mann und der Musik, die dieser Mann geschrieben hatte, und er weinte beim Spielen und legte seine ganze Verzweiflung in diese Musik und stellte sich vor, dass sein Leben, sein kostbares Leben, mit dieser schrecklichen Frau zugebracht wurde, seiner Frau, der lieben Mrs Sweet, die es liebte, ihren kleinen Kindern ein dreigängiges französisches Essen zu kochen, die es liebte, in ihrer Gesellschaft zu sein, die Gärten liebte und ihn liebte, und er war ihrer Liebe am allerwenigsten wert, denn er war ein so kleiner Mann, dass die Menschen ihn manchmal versehentlich für ein Nagetier hielten, er huschte so herum. Doch er war alles andere als ein Nagetier, er war ein Mann, der Wittgenstein verstehen konnte und Einstein und jeden anderen Namen, der auf -stein endete, Gertrude eingeschlossen, die Komplexität des Universums an sich, die Komplexität der menschlichen Existenz an sich, die Einsicht, dass Jetzt Damals ist und wie aus Damals Jetzt wird; wie gut er das alles wusste, doch er konnte es nicht ausdrücken, er konnte der Welt, zumindest jener Welt, wie sie sich in Gestalt der Bewohner mancher kleiner neuenglischer Dörfer darbot, nicht zeigen, was für ein bemerkenswerter Mensch er war und damals gewesen war und in Zukunft sein würde, diesen Menschen, die tagelang dieselben Socken trugen und sich die Haare nicht färbten, wenn sie ihre natürliche Farbe und ihren jugendlichen Glanz verloren, und die gerne Speisen aßen, die unvollkommen waren, Speisen, die beispielsweise durch natürliche Krankheitserreger oder Insekten ihre Kraft verloren hatten, Menschen, die sich darüber Sorgen machten, dass die Zündflamme des Boilers erlöschen und die Wasserleitungen einfrieren könnten, da das Haus kalt war, und dann der Klempner gerufen werden musste, und dieser Klempner sich über die Arbeit des Klempners beschweren würde, der vor ihm da gewesen war, da Klempner stets an der Arbeit eines anderen herummäkeln; sein Publikum machte sich Sorgen über allerlei Dinge, von denen Mr Sweet noch nie etwas gehört hatte, da er in einer Stadt aufgewachsen war und in einem großen Gebäude mit vielen Wohnungen gewohnt hatte, und wenn etwas nicht klappte, wurde jemand gerufen, den man den Super nannte, um es zu reparieren: Der Super konnte eine Glühbirne auswechseln, den Aufzug wieder in Gang setzen, wenn er nicht mehr funktionierte, den...


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Autor

Jamaica Kincaid, geboren 1949 auf der Karibikinsel Antigua, wanderte mit sechzehn Jahren in die USA aus, wo sie zunächst als Au-Pair-Mädchen arbeitete. Kincaid hat mehrere Prosabände und Romane veröffentlicht, darunter Die Autobiografie meiner Mutter und Lucy. Ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sie unterrichtet Literatur am kalifornischen Claremont McKenna College und an der Harvard University.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt