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Tuff

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.01.2022
East Harlem, New York. Winston 'Tuffy' Foshay, neunzehn Jahre alt und 150 Kilo schwer, kann sich und seine junge Familie mit Gaunereien und Drogendeals nur leidlich über Wasser halten. Als Anführer einer bunten Truppe aus Beat-Poeten, Black Panthern, marxistischen Revolutionären und afroamerikanischen Rabbinern wäre er bereit, an der Gesellschaft etwas zu verändern. Als man ihm 20.000 Dollar anbietet, um für den Stadtrat zu kandidieren, scheint das die Lösung für alles zu sein. Und so startet Tuffy eine der ausgefallensten Wahlkampagnen der Geschichte, die sowohl seine Vision von der Welt als auch seinen Platz darin völlig über den Haufen wirft.

PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEast Harlem, New York. Winston 'Tuffy' Foshay, neunzehn Jahre alt und 150 Kilo schwer, kann sich und seine junge Familie mit Gaunereien und Drogendeals nur leidlich über Wasser halten. Als Anführer einer bunten Truppe aus Beat-Poeten, Black Panthern, marxistischen Revolutionären und afroamerikanischen Rabbinern wäre er bereit, an der Gesellschaft etwas zu verändern. Als man ihm 20.000 Dollar anbietet, um für den Stadtrat zu kandidieren, scheint das die Lösung für alles zu sein. Und so startet Tuffy eine der ausgefallensten Wahlkampagnen der Geschichte, die sowohl seine Vision von der Welt als auch seinen Platz darin völlig über den Haufen wirft.

PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641222529
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum10.01.2022
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2484 Kbytes
Artikel-Nr.5691728
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



ALS WINSTON FOSHAY AUF DEN DIELEN einer Drogenhöhle in Brooklyn langsam wieder zu Bewusstsein kam, war sein erster Impuls nicht, die Augen zu öffnen, sondern sie noch fester zusammenzukneifen.

Anstatt zu zwinkern, bis er wieder den Wachheitsgrad eines normalen Menschen erreicht hatte, stand er auf und suchte, die Augen fest geschlossen, die Arme nach vorn gestreckt, nach dem Garderobenspiegel, von dem er wusste, dass er irgendwo zwischen dem Ledersofa und der Halogenlampe stand. Winston kam sich vor wie das Geburtstagskind, das dem Esel den Schwanz anstecken sollte, fand den Spiegel, fuhr mit den Fingerspitzen sanft über das Glas, öffnete langsam die Augen und musste feststellen, dass der Esel ganz genau so aussah, wie er ihn sich vorgestellt hatte.

Der Muli, der ihn anblickt, hat das vom Trommeln matte, von der Hitze verfinsterte Herz und Antlitz eines Eingeborenen an einem der Flüsse Joseph Conrads. Auf seinem Kinn windet sich krauses Lockengewürm. Tiefe Sorgenfalten zieren seine Stirn. Die Augenlider auf Halbmast. Die dicken, festen Lippen zeigen weder Zorn noch Lächeln. Winston hat ein Gesicht, das einen genauso gut nach der Uhrzeit fragen wie um Geld anhauen könnte. Seine Miene ist so randvoll mit East-Harlemer Coolness, dass er meistens selbst nicht weiß, was er denkt, aber diesmal ist alles anders. Diesmal sind die eigenen Gedanken ihm so klar wie sein ramponiertes Spiegelbild. Er tastete das Einschussloch ab, das seine Nase in eine krass weiße Delle aus Glassplittern verwandelt hatte, und dachte: Nigger bleibt Nigger.

Gerade eben war er noch so bewusstlos wie ein weißer Schwergewichtler gewesen, und genau wie der Boxer, beide eine Schande für ihre Rasse eigentlich, traute er der gesunden Anmutung des eigenen Spiegelbilds nicht recht. Er klopfte sich hektisch ab, als würde er nach einem Feuerzeug suchen. Als er keine Einschusslöcher finden konnte, schlug er sich mit einer Faust auf die Brust. »Damn, der Nigger atmet noch wie ein Motherfucker.«

Willkürlich auf dem Boden der kleinen Wohnung in Brooklyn verteilt lagen drei andere Ghetto-Phänotypen, seelenlos, jung und vogelfrei, stocksteif, die Mäuler aufgesperrt, die Augen offen, wie in der Verbrecherabteilung eines Wachsfigurenkabinetts. Im Zimmer war es zenmäßig still, abgesehen von den zerschlissenen Vorhängen, die an die Wände schlugen, und dem Dauergurgeln eines Aquarienfilters. Die selbstsichere Ruhe, die Winston erst vor wenigen Minuten während der Schießerei verlassen hatte, kehrte rasch zurück. Er legte sich die Linke über die Eier und stiefelte zur nächstgelegenen Leiche hinüber, der eines Mannes, den er nur als Chilly Most aus Flatbush gekannt hatte. Chilly Most hing über den Couchtisch gebeugt, die Stirn zwischen Backpulver und Waage. Fünf Minuten zuvor hatte er noch mit den Tariergewichten gespielt, auf das Freebase gewartet und Volksreden über die Blödheit des Bürgermeisters gehalten, der sich im Radio das Lob für die sinkende Kriminalitätsrate an die Brust geheftet hatte. »Der Bürgermeister glaubt, ein paar gereimte Soundbites, Nähe der Polizei zur Bevölkerung und die Todesstrafe halten die Trottel davon ab, sich ihren Lohn zu verdienen. Das kannst du mir doch nicht erzählen, ich bin ein Krimineller im letzten Semester Kriminellogie. Glaubst du, ein Idiotenslogan wie Jesus gibt Sicherheit, ein Raubüberfall nicht , ein Cop auf einem Moped und die Gaskammer machen, dass ich mir das alles noch mal überlege? Also wirklich, wenn man beschlossen hat, das Verbrechen zu begehen, hat man sich doch schon alles überlegt. Von hinten anschleichen oder Frontalangriff? Sage ich: Her mit den Mäusen , oder mehr alte Schule: Hände hoch ? Du steckst einem Nigger den Lauf in die Nase und denkst: Scheiße, ich sollte dem Motherfucker echt kein Oberlicht in die Kuppel blasen, und dann sagst du: Scheiß drauf. Da ist schon wieder Überlegung drin. Alter, mit Todesstrafe mordet man noch mehr. Wenn du einen alle machst, stecken sie dich ins Duftstübchen, da machst du doch den Zeugen gleich auch noch alle. Jeder Idiot mit einem Funken logischem Denkvermögen würde darauf kommen. Und wenn die Stadt so sicher ist, warum läuft der Bürgermeister dann noch immer mit neun Bodyguards rum? Diese ganze hohle Wahlkampfscheiße - wenn es weniger Verbrechen gibt, dann deshalb, weil Nigger andere Nigger umbringen. So wie wenn die Nahrung knapp wird und die Alligatoren andere Alligatoren fressen. Bevölkerungskontrolle.«

Jetzt war Chilly Most end-bevölkerungskontrolliert. Oben auf seinem Schädel prangte ein Loch so groß wie eine mit dem Golfschläger herausgeschlagene Grassode, und aus der rußgeschwärzten Einschusswunde schwappten sämig das Blut und die Erstsemester-Hirnmasse. Winston zuckte vor dem Anblick des Schlachtfests zurück, saugte an seinen Zähnen, warf ein Kaugummi ein und murmelte: »Mann, wie ich Brooklyn hasse.«

Zur Feier seines achten Geburtstages hatte Winstons Vater mit ihm und seinen rauflustigen Cousins und Cousinen aus Brooklyn einen Tagesausflug nach Coney Island gemacht. Winstons Geschenk war die Teilnahmegebühr für das alljährliche Hot-Dog-Wettessen gewesen. Er kam auf den ersten Platz, um dann disqualifiziert zu werden, weil er die dreiunddreißig Zentimeter langen Frankfurter Würstchen mit dem abgestandenen Bier seines Vaters runtergespült hatte. Statt einer Jahresration Wiener Würstchen vom Allerfeinsten bekam er fünfzig Dollar Strafe für Alkoholkonsum als Minderjähriger.

Anschließend zog die Festgesellschaft ins Tingeltangelzelt um, wo Harry Hortensia, die bärtige Dame, auf einem Nagelbrett lag und alle anderen Kinder über ihren Bauch laufen ließ. Als Hortensia dann aus dem Augenwinkel Winston erspähte, der wie ein kleines Nilpferd auf sie zu trampelte, setzte sie sich mit einem Ruck auf, rieb ihm für ein paar schnelle Lacher den Bauch und gab dem verärgerten Kind seinen ersten Kuss. Während Salamander Sam, der Echsenjunge, brennende Keulen jonglierte, lief Vetter Carl dann durch die Ränge, spielte Fernsehmoderator, hielt den Leuten ein unsichtbares Mikro ins Gesicht und fragte sie: »Die bärtige Dame hat meinen Vetter Winston geküsst, heißt das, er ist schwul?« Und schon ging es weiter in den Höllenpfuhl.

Der Höllenpfuhl war ein aufrecht stehender Blechzylinder, der sich so schnell drehte, dass die Mitfahrenden von der Zentrifugalkraft an der Wand klebten wie Kühlschrankmagneten. Der Fahrer nahm Winstons Eintrittskarte, warf einen Blick auf den pummeligen schwarzen Jungen, dann auf die rostigen Haltekabel, die über ihnen baumelten. »Wie viel wiegst du, Kleiner?«

»Nicht so viel«, antwortete Winston, Tränen in den Augen. »Bitte, Mister, ich habe Geburtstag.« Wider besseres Wissen winkte der Fahrer Winston durch. »Aber weit weg von der Tür bleiben. Ihr anderen kleinen Scheißer stellt euch gegenüber von Buddha-Boy auf, zum Ausbalancieren.« Winston drückte sich an die kalte Stahlwand und wich den Blicken seiner erlebnishungrigen Verwandtschaft aus. »Hör mal, Winston, mit deinem fetten Arsch dreht sich das Ding nicht schnell genug.« Mit einem schrillen Jaulen setzte der Höllenpfuhl sich in Bewegung, immer schneller, bis die g-Kräfte selbst den dicken Winston an die Wand klatschten. Alles war wieder gut, und seine Cousins und Cousinen kreischten und lachten und brüllten dem Fahrer zu, er solle die Bodenplatte absenken. Zu Schmerzenslauten der Mechanik tat sich nach und nach der Boden auf, und einen Augenblick lang war Winstons Gewicht kein Hindernis mehr: Er klebte an der Wand wie eine platt geklatschte Fliege, genau wie alle anderen. Dann, kaum hatte er sich ein Lächeln erlaubt, rutschte er wie ein Tropfen Farbe langsam nach unten. War die Höllenfahrt schon vorbei? Nein, Cousine Julie war noch in der Horizontalen und schwamm innen am Zylinder. »Guckt mal, Winston«, kreischte sie, »kracht runter wie ein toter Vogel!« Die Kids wirbelten über dem hilflosen moppeligen Achtjährigen herum und ließen Spott auf ihn herabregnen, der im Strudel des eisernen Wirbels gefangen war. Winston sammelte Spucke im Mund und schoss sie in die Richtung seines mädchenhaften Vetters Antoine ab, des lautesten seiner Quälgeister. Eine aufreizende Sekunde lang hing der Schleimpropf in der Luft, dann kam er zurückgeflogen und klatschte Winston auf den Nasenrücken. Sogar sein Vater musste lachen. Winston fing an zu weinen. doch die Tränen rannen ihm nicht die Wangen hinunter, sie flossen ihm rückwärts über die Schläfen und suchten sich hinter seinen Ohrmuscheln ihren Weg. In Winstons Ohren legte sich der Sound des dreizehn Jahre alten Spotts jetzt über den Nachhall des Geballers. »Scheiß auf Brooklyn und scheiß auf euch Brooklyn-Nigger!«

Nun, in dieser letzten kühlen Sommernacht, gab es für Winston in Brooklyn drei Nigger weniger zu hassen. Obwohl Chilly Most alle Schwarzen mit »Gott« anredete, war er selbst offenbar ganz und gar nicht göttlich und konnte sich selbst nicht wieder zum Leben erwecken. Zoltan Yarborough, der sich nicht hatte einkriegen können vor lauter Stolz auf seine Brooklyner Wurzeln - »Brownsville, ihr werdet mich nie vor was weglaufen sehen« -, personifizierte jetzt starr und steif seinen eigenen Spruch. Eines seiner Beine hing aus dem Fenster, und mit der Pistolenkugel war es so gewesen wie mit allem, was seine Mutter ihm je gesagt hatte: in ein Ohr rein, zum anderen wieder raus. Demetrius Broadnax aus dem »Do-or-die-Bed-Stuy«, dem knallharten Bedford-Stuyvesant, lag ohne Hemd auf dem Fußboden, vom Brustbein bis an den Bauchnabel Einschusslöcher im schlammbraunen Leib. Mit klammheimlicher Freude stand Winston über Demetrius´ Leiche, sah seinem Ex-Boss in die glasigen Augen und hätte fast »Ich kündige« gesagt und eine Abfindung...

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PAUL BEATTY, 1962 geboren, zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Begonnen hat er als Lyriker, schnell avancierte er zum Star der New Yorker Slam-Poetry-Szene. Seine Romane haben in den USA Kultstatus. Für »Der Verräter« wurde Beatty mit dem National Book Critics Circle Award sowie - als erster Amerikaner - mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Paul Beatty lebt in New York.