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16 x zum Himmel und zurück

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Dressler Verlagerschienen am05.01.2022
Pelle wünscht sich, unsichtbar zu sein. Dann würde nicht jeder ständig fragen, wie es ihm geht. Für Mama ist er schon unsichtbar, denn seit Papa vor einem Jahr gestorben ist, ist alles anders. Doch dann kommt der Schuhkarton voller Briefe. 16, um genau zu sein. Jeder mit einer Aufgabe von seinem Vater: Geh mit Mama essen; hol dir einen Hund aus dem Tierheim; bau das Baumhaus zu ende. Was Pelle nicht ahnt: Jede Aufgabe hält ein kleines Abenteuer bereit und bringt ihn und Mama Stück für Stück zurück ins Leben.

Marlies Slegers wuchs in Indonesien auf und schrieb schon als Kind Geschichten und Gedichte. Mit 18 zog sie in die Niederlande, ihren Traum, Autorin zu werden immer im Blick.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextPelle wünscht sich, unsichtbar zu sein. Dann würde nicht jeder ständig fragen, wie es ihm geht. Für Mama ist er schon unsichtbar, denn seit Papa vor einem Jahr gestorben ist, ist alles anders. Doch dann kommt der Schuhkarton voller Briefe. 16, um genau zu sein. Jeder mit einer Aufgabe von seinem Vater: Geh mit Mama essen; hol dir einen Hund aus dem Tierheim; bau das Baumhaus zu ende. Was Pelle nicht ahnt: Jede Aufgabe hält ein kleines Abenteuer bereit und bringt ihn und Mama Stück für Stück zurück ins Leben.

Marlies Slegers wuchs in Indonesien auf und schrieb schon als Kind Geschichten und Gedichte. Mit 18 zog sie in die Niederlande, ihren Traum, Autorin zu werden immer im Blick.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862729920
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum05.01.2022
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8236943
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Das sind die ersten Worte, die mein toter Vater mir schreibt. Das ist der Brief, auf dem eine 1 steht. Eigentlich ist es eher ein Zettel.

Menschen sterben nun einmal, und mein Vater ist da keine Ausnahme. Seit einem Jahr ist er nicht mehr da.

Manche Leute sterben an einem Verkehrsunfall. Andere sind schon tot, bevor sie geboren werden. Und wieder andere - aber das sind nicht so viele - sterben erst nach ihrem hundertsten Geburtstag. In Brasilien wurde neulich sogar ein Mann gefunden, der 131 Jahre alt sein soll (und er lebte noch)! Manche Menschen sterben vor Hunger und andere, weil sie zu viel essen. Es gibt Tote, über die alle reden. Die kommen dann in die Nachrichten. Dann weiß die ganze Welt, dass sie gestorben sind. Oft sind das Popstars oder Präsidenten oder Helden. So wie Nelson Mandela. Aber auch Unbekannte, wie die Menschen in den Gebäuden in New York, als da ein Flugzeug reingeflogen war. Menschen können bei einer Flugzeugkatastrophe oder einem Anschlag ums Leben kommen, während sie einfach nur unterwegs in die Ferien sind. Es gibt Menschen, die an winzigen Viren sterben und andere, die von riesigen Wesen getötet werden, zum Beispiel von einem durchgebrannten Nashorn. Manchmal wird jemand von einem Hai gefressen. Und sehr viele Menschen sterben an Mückenstichen. Seltsam, wir haben Angst vor Haien, aber Mücken sind eigentlich viel gefährlicher. An Mücken sterben mehr Menschen als an Terrorismus, und manchmal stirbt jemand einfach, während er im Garten arbeitet oder einen Strandspaziergang macht. Andere, wie mein Vater, werden krank. Der Tod gehört nun einmal dazu, sagt Mama immer. Kein Grund zur Angst. Ich habe auch keine Angst, aber ich finde Sterben total blöd, weil es einem das Leben verdirbt.

Ich drehe den Zettel um, halte ihn gegen das Licht und schaue, ob da wirklich nicht mehr steht als eine 1 und Hallo Pelle. Vielleicht hat Papa ja mit unsichtbarer Tinte noch etwas geschrieben. Dann müsste ich jetzt ganz helle Buchstaben entdecken, wenn ich das Papier ans Fenster halte. Aber ich sehe nichts.

Der Karton auf meinem Bett ist voll nummerierter Briefe und kleiner Päckchen. Ich erkannte den Schuhkarton sofort, als Mama ihn mir gab. Da waren die braunen Lederschuhe drin, die Papa zuletzt gekauft hatte. Auf dem Heimweg hatte ich diesen Karton im Auto auf dem Schoß gehalten. Es war das letzte Mal, dass Papa mit uns shoppen gegangen war.

»Und, wie sehen die aus?« Er war mit den Schuhen an im Geschäft auf und ab gegangen. Mama hatte erst nur genickt. Der Verkäufer bückte sich um zu fühlen, ob Papa nicht vorne anstieß. »Wackeln Sie mal bitte mit den Zehen. Okay. Sie haben ein wenig Spielraum, vor allem in der Breite«, sagte der Verkäufer. »Ist das wirklich Ihre Größe?«

»Ja«, sagte mein Vater entschieden. »Schon seit ich sechzehn bin. Die sitzen prima. Ich nehme sie.«

Ich hatte mich gefragt, ob meine Füße in vier Jahren auch ausgewachsen wären. Hoffentlich, sie waren jetzt schon lächerlich groß.

»Manche Marken fallen eben ein wenig größer aus, glaube ich«, sagte Mama, während sie die Schultern hob.

Aber mir war klar, dass das gar nicht der Grund war. Mein Vater schrumpfte einfach langsam, und er weigerte sich, das zu akzeptieren. Es gab immer weniger Papa. Wo das alles blieb, verstand ich nicht so recht. Er wurde immer magerer. Man sah das zum Beispiel an seiner Hand. Seinen Ehering trug er immer am Ringfinger, dann aber am Mittelfinger und schließlich an seinem Daumen. Wir mussten zusammen ein zusätzliches Loch in seinen Gürtel stanzen, im Schuppen hinten im Garten. Er hatte mir vorgemacht, wie das ging, und anschließend hatte er mir alles im Schuppen gezeigt, als würde er eine Museumsführung geben. Wo er seine Nägel und Schrauben aufbewahrte (»Alles immer schön zusammenhalten, Pelle, dann kannst du es finden, wenn du etwas brauchst. Ordnung macht das Leben übersichtlich. Sieh mal, die Schrauben zu den Schrauben. Die schwarzen Nägelchen hier rein, und die ganz kleinen da«). Er zeigte mir, wo die Bohrmaschine und die Hämmer lagen. Wo ich allerlei Sorten Leim finde. Er brachte mir bei, wie man Löcher bohrt und Nägel wieder gerade schlägt. Er zeigte mir, wie eine Wasserwaage funktioniert und wie ich die Libelle (so nennt man diese Luftblase) genau in die Mitte bekommen konnte und warum das wichtig war (sonst rollen die Murmeln vom Regalbrett).

Überall klebte er Zettel drauf. Schraubenzieher. Innensechskantschlüssel 1.5 bis 6.0. Holzbohrer. Betonbohrer. Handsäge. Steckschlüssel Nummer 2 bis 8. Die Steckschlüssel 9 bis 16 lagen darunter. Rohrzange. Der Schuppen hing voller Zettel, alle in seiner eigenwilligen Handschrift. Wie ich schon sagte: als wäre es ein Museum.

Dieselbe Handschrift, in der jetzt Hallo Pelle auf diesem Zettel steht.

Ich schnüffele an dem Karton. Er riecht leicht nach Leder, Seife und Papier. Alle Briefe darin sind mit einem kleinen Stückchen Tesafilm zugeklebt. Und auf jedem Brief steht eine Zahl, wie beim Bingo.

Mama hatte mich heute Morgen zu sich gerufen. Sie saß an unserem weißen Holztisch in der Küche, auf dem rosa Ameisenstuhl, und klopfte mit einer Hand die Asche von ihrer Zigarette. Ihre andere Hand lag auf dem Schuhkarton. Mir fiel jetzt erst auf, dass ihre Hände faltig waren, wie altes, zerknittertes Papier. Das Winterlicht fiel durch das schmutzige Fenster, genau auf ihren Kopf. Im vergangenen Jahr hatte sie immer mehr graue Haare bekommen. Als zögen sich ihre Haare eines nach dem anderen eine braune Jacke aus. Stoß aus meiner Klasse meinte neulich, sie sähe mindestens aus wie sechzig. Dabei ist sie erst einundvierzig. Stoß sagt immer so doofe Sachen, kurz bevor er Leuten einen Stoß verpasst. Er schlägt einen immer auf den Arm, als eine Art Punkt am Ende eines Satzes. »Hey, Pelle, alles cool?« Und dann ein Armstoß. Eigentlich heißt er Karl. Aber so nennt ihn keiner mehr, außer seiner Oma, seinen Eltern und die Lehrer.

Heute Morgen saß Mama also auf dem rosa Stuhl. Eine graue Haarsträhne ragte ein wenig erstaunt in die Höhe. Ihre restlichen Haare lagen platt auf ihren Schultern. Ich setzte mich auf den apfelgrünen Ameisenstuhl. So nannte Papa die Stühle immer: Ameisenstühle, weil ihre Form an eine Ameise erinnert. Wir haben sie in sechs Farben. Papa saß immer auf dem himmelblauen.

»Pelle, weißt du, was heute für ein Tag ist?«, fragte Mama. Rauch kringelte aus dem Aschenbecher neben ihr in die Höhe. Früher rauchte sie nie, das machte sie erst seit Kurzem. Total eklig. Ich wedelte den Qualm weg. Es machte den Raum stickiger, als er ohnehin schon war. Manchmal kam es mir vor, als gäbe es jeden Tag weniger Luft im Haus. Als würde es immer grauer und dumpfer werden. Ich sehnte mich nach dem Sommer, wenn Mama alle Türen und Fenster offen stehen ließ und man sogar das Gras riechen konnte, wenn im Garten lauter Klatschmohn und Butterblumen blühten und Insekten achtlos ins Haus flogen oder krochen.

»Donnerstag.« Ich unterdrückte ein Stöhnen. »Vom Rauchen stirbt man.«

»Vom Leben auch«, sagte Mama. »Und kannst du das bitte endlich lassen? Ich weiß, dass es ungesund ist. Ich weiß, dass ich aufhören sollte. Aber das schaffe ich gerade nicht.«

»Doch, du könntest einfach beschließen, nicht mehr zu rauchen.«

Mama nickte. »Eines Tages mache ich das auch. Aber nicht jetzt.« Sie warf mir einen warnenden Blick zu. »Ja, wir haben Donnerstag. Trotzdem ist heute ein besonderer Tag. Weißt du auch, warum?«

Auf jeden Fall hatte ich nicht Geburtstag. Ich war schon vor drei Monaten zwölf geworden. Es war mein erster Geburtstag ohne Papa. Genau wie wir unser erstes Weihnachtsfest ohne ihn gefeiert hatten, das erste Mal Silvester. Sogar seinen eigenen Geburtstag hatte er schon verpasst. Er hatte auch nicht erlebt, dass ich aufs Gymnasium gewechselt hatte. Dort wussten alle in meiner Klasse, dass Papa gestorben war. Die meisten meiner Mitschüler waren auch in meiner Grundschulklasse gewesen und zur Beerdigung gekommen.

Aber was war an heute besonders? In der Schule war nichts Außergewöhnliches geplant, bis auf die Rollenverteilung für die Aufführung im Frühjahr. Ich hoffte, übersprungen zu werden. Ich will überhaupt nicht auf der Bühne stehen und spielen. Aber alle müssen im ersten Jahr mitmachen, man bekommt eine Note dafür.

Am liebsten wäre ich unsichtbar. Dann würde mich niemand fragen, ob ich bei diesem Theaterstück mitmachen möchte. Dann würde mich niemand die ganze Zeit löchern, ob es mir gut geht. Und wie es Mama geht. Dann könnte ich ungestört den ganzen Tag bei Eva sein. Ich könnte mit ihr ins Kino gehen und durch die Stadt bummeln. Ich könnte mit zu ihr nach Hause und zusehen, wie sie ein Buch liest oder Hausaufgaben macht. Und wenn ich unsichtbar wäre, könnte ich über die ganze Welt schwirren und Orte besuchen, an die sonst niemand je hinkommt. Ja, ich würde mich auf die Suche nach der Stelle machen, wo das Ufo sein soll, das 1947 in Roswell in Nordamerika abgestürzt ist. Sehr viele Leute haben dieses Ufo gesehen, aber keiner glaubte ihnen. Die Regierung soll das Ufo und die Leichen von neun außerirdischen Besatzungsmitgliedern irgendwo begraben haben, tief unter der Erde, wo nur Tunnelsysteme sind. Da könnte ich mich dann ungestört umsehen. Oder ich würde Tiere befreien, die in zu kleinen Käfigen eingesperrt sind. Oder aufgestapelte Konserven im Supermarkt um die Ecke umwerfen. Der Inhaber würde genervt und...
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