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Ich muss raus aus dieser Kirche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am15.06.20221. Auflage
Andreas Sturm war seit Jahren einer der mächtigsten Kirchenmänner Deutschlands. Generalvikar in Speyer, verantwortlich für Tausende von Mitarbeitenden und für einen Millionenetat. Und er war immer stärker das Gesicht einer reformfähigen Kirche, bezog mutig Stellung zu Themen wie den Segnungen von homosexuellen Beziehungen oder dem Zölibat. Ein Hoffnungsträger, der aber selbst keine Hoffnung mehr hat. Und deshalb konsequent handelt: Andreas Sturm tritt aus der Kirche aus, weil er an Veränderung nicht mehr glauben kann. Damit spricht er Hunderttausenden aus der Seele und zeigt all die Missstände von Kirche auf - aus der Perspektive von einem, der ganz oben in der Hierarchie stand, ein absolutes Novum. Sein Buch ist keine Abrechnung, aber eine schonungslose Bilanz und ein Eingeständnis von Scheitern, auch persönlichem. Seine Vorschläge könnten die katholische Kirche verändern und zukunftsfähig machen. Ohne Andreas Sturm, denn der hat erkannt: Ich muss raus aus dieser Kirche, weil ich meinen Glauben retten will. Weil ich Mensch bleiben will. »Es gab für mich immer nur die römisch-katholische Kirche und mein Leben in ihr und mit ihr. Inzwischen frage ich mich schon länger, ob nicht auch ich co-abhängig bin. Co-abhängig von dieser Kirche. Dieses Bild mit der Co-Abhängigkeit kam mir in den Sinn, weil mir immer und immer wieder Menschen schreiben: 'Wegen Ihnen trete ich nicht aus der Kirche aus.' Doch kann ich das wollen?« Andreas Sturm

Andreas Sturm, geb. 1974, studierte in Mainz und St. Paul, MN (USA) Theologie, absolvierte eine Ausbildung in Clinical Pastoral Education in New York und wurde 2002 zum Priester geweiht. Er war Kaplan in Landau/Pfalz und später Geistlicher Leiter der KjG sowie Referent für Ministranten im Bischöflichen Jugendamt in Speyer. 2010 wurde er zum BDKJ-Diözesanpräses gewählt und zum Leiter des Bischöflichen Jugendamtes ernannt. 2018 wurde Sturm Domkapitular und Generalvikar des Bistums Speyer. Bundesweit Aufmerksamkeit erlangte Sturm, als er sich 2021 gegen das Verbot des Vatikans stellte und ankündigte, auch zukünftig queere Paare zu segnen. Am 13.05.2022 gab Sturm seinen Rücktritt als Generalvikar und seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche bekannt. Sturm will zukünftig in der alt-katholischen Kirche als Priester tätig sein.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
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E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextAndreas Sturm war seit Jahren einer der mächtigsten Kirchenmänner Deutschlands. Generalvikar in Speyer, verantwortlich für Tausende von Mitarbeitenden und für einen Millionenetat. Und er war immer stärker das Gesicht einer reformfähigen Kirche, bezog mutig Stellung zu Themen wie den Segnungen von homosexuellen Beziehungen oder dem Zölibat. Ein Hoffnungsträger, der aber selbst keine Hoffnung mehr hat. Und deshalb konsequent handelt: Andreas Sturm tritt aus der Kirche aus, weil er an Veränderung nicht mehr glauben kann. Damit spricht er Hunderttausenden aus der Seele und zeigt all die Missstände von Kirche auf - aus der Perspektive von einem, der ganz oben in der Hierarchie stand, ein absolutes Novum. Sein Buch ist keine Abrechnung, aber eine schonungslose Bilanz und ein Eingeständnis von Scheitern, auch persönlichem. Seine Vorschläge könnten die katholische Kirche verändern und zukunftsfähig machen. Ohne Andreas Sturm, denn der hat erkannt: Ich muss raus aus dieser Kirche, weil ich meinen Glauben retten will. Weil ich Mensch bleiben will. »Es gab für mich immer nur die römisch-katholische Kirche und mein Leben in ihr und mit ihr. Inzwischen frage ich mich schon länger, ob nicht auch ich co-abhängig bin. Co-abhängig von dieser Kirche. Dieses Bild mit der Co-Abhängigkeit kam mir in den Sinn, weil mir immer und immer wieder Menschen schreiben: 'Wegen Ihnen trete ich nicht aus der Kirche aus.' Doch kann ich das wollen?« Andreas Sturm

Andreas Sturm, geb. 1974, studierte in Mainz und St. Paul, MN (USA) Theologie, absolvierte eine Ausbildung in Clinical Pastoral Education in New York und wurde 2002 zum Priester geweiht. Er war Kaplan in Landau/Pfalz und später Geistlicher Leiter der KjG sowie Referent für Ministranten im Bischöflichen Jugendamt in Speyer. 2010 wurde er zum BDKJ-Diözesanpräses gewählt und zum Leiter des Bischöflichen Jugendamtes ernannt. 2018 wurde Sturm Domkapitular und Generalvikar des Bistums Speyer. Bundesweit Aufmerksamkeit erlangte Sturm, als er sich 2021 gegen das Verbot des Vatikans stellte und ankündigte, auch zukünftig queere Paare zu segnen. Am 13.05.2022 gab Sturm seinen Rücktritt als Generalvikar und seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche bekannt. Sturm will zukünftig in der alt-katholischen Kirche als Priester tätig sein.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451833984
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum15.06.2022
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1515 Kbytes
Artikel-Nr.9559026
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Leben in der Bubble und erste Entfremdungen

Ich weiß noch sehr genau, wie begeistert ich war, als der neue Weltkatechismus Anfang der Neunzigerjahre rauskam. Mich faszinierte, dass es auf jede Frage, jedes moraltheologische Problem eine klare Antwort gibt. Ja, das war nicht nur faszinierend, sondern auch irgendwie anziehend. Im Studium bemerkte ich zwar durchaus, dass und wie Glaube, Philosophie und Theologie zu ganz neuen, weiten Horizonten führen können und dass dieses kleinkarierte Katechismus-Denken nicht zu dem dort beschriebenen großen Gott passt. Doch noch hatte das keine Konsequenzen für mein Denken, Fühlen und schon gar nicht für mein Handeln.

In den Neunzigern war es auch, genau in der Mitte der Neunziger, als ich auf dem Mainzer Wochenmarkt von einem engagierten Mann der Bewegung Wir sind Kirche angesprochen wurde. Er wollte eine Unterschrift für das Kirchenvolksbegehren. Kein Regens oder sonst Vorgesetzter musste mir die Unterschrift damals verbieten; auf die Idee, zu unterschreiben, wäre ich selbst niemals gekommen. Für mich stand fest: Die Lehre war klar und Papst Johannes Paul II. hatte mit dem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis (Die Weihe der Priester) am 22.05.1994 die Frage nach der Priesterweihe der Frau letztgültig entschieden und machte damit, salopp gesagt, päpstlich den Deckel drauf. Für mich keine Sensation, was dann sonst?

In dieser Zeit, und davor schon und danach auch, verloren wir immer wieder gute Kollegen und Mitbrüder. Wir, also die Kirche. Sie hörten auf, sich zu engagieren oder traten aus, weil sie sich zu einer Frau oder zu einem Mann hingezogen fühlten und dies nicht heimlich tun, sondern sich offen und ehrlich zu einem Menschen bekennen wollten. Wir verloren dadurch großartige Seelsorger und gute Mitarbeitende - ins Grübeln brachte mich das zunächst noch nicht. Obwohl ich wusste, dass weder die Frage nach der Homosexualität noch die des Zölibats in der Bibel von Jesus verhandelt wurden, sondern von Paulus. Nur bei Paulus könnte man sagen. Doch damals kam mir auch das »nur« nicht in den Sinn, sondern ich verteidigte den Zölibat leidenschaftlich, obwohl ich schon im Seminar bei mir selbst und bei anderen erlebte, wie schwer sich dieses Versprechen halten lässt.

Ich spürte noch nicht oder wollte nicht spüren, in welcher Sonderwelt ich eigentlich lebte, in welche Bubble ich tiefer und tiefer eintauchte. Im Gegenteil: Was ich spürte und genoss, das waren beispielsweise die Blicke der Leute, wenn ich in Soutane vom Seminar in den Dom lief. Jesus selbst kannte diese Gefahr schon, als er seinen Jüngern erzählte, man solle sich vor jenen hüten, die lange Gewänder mit Quasten tragen. Ich blendete diese Warnung des Herrn (vgl. Mt 23,5 ff.) gekonnt aus. Als ich 2018 feierlich ins Domkapitel aufgenommen wurde, musste ich zuvor zwei Mal nach München zu einem Schneider. Hier wurde Maß genommen und sämtliche Eitelkeiten bedient. Dann noch einmal zur Zwischenanprobe: Der Schneider hatte einen kleinen Laden und die Anprobe fand im Verkaufsraum statt. Vor den Schaufenstern lief in diesem Moment eine asiatische Reisegruppe vorbei und einige von ihnen zückten direkt ihre Kameras, als sie mich sahen, und drückten ab. Sie machten Aufnahmen von mir in der Soutane bei der Zwischenprobe! Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie grotesk dies alles ist - aus der Zeit gefallen und museal wie zum Beispiel Schloss Neuschwanstein oder andere Zeugnisse einer vergangenen Zeit.

Wie sehr aus der Zeit gefallen und wie wenig anschlussfähig an diese Zeit, das begann ich erst später zunehmend in der pastoralen Arbeit zu erfahren. Gerade in Lebensbrüchen bei Scheidungen oder der Aufgabe des Priesteramts tun wir uns als Kirche so unendlich schwer damit, gute und neue Wege aufzuzeigen, die die erfahrene Lebensgeschichte ernst nehmen und doch gute Aufbrüche ermöglichen.

Die beginnende Entfremdung erfuhr ich aber nicht nur bei den scheinbar »großen« Themen, sondern eben bei vermeintlichen Kleinigkeiten in der pastoralen Arbeit, die für die Menschen aber nicht Kleinigkeiten, sondern Teil des Alltags und damit ihres Lebens sind. Dazu gehört auch die Liturgie, die für mich lange Zeit unhinterfragt einfach verwendet wurde, ja, verwendet werden musste. Gleichzeitig erlebte ich in Vorbereitungssitzungen in der Zeit als Jugendseelsorger, wie wenig junge, aber durchaus auch ältere Menschen an Kirchen-Sprech andocken können.

Je älter ich wurde, je weiter ich in der Hierarchie aufrückte, desto weiter schritt auch die Entfremdung fort. Manches davon bemerkte ich nicht, manches schon und manches davon verdrängte ich. Als würde ich innere Brandherde austreten oder besser: abdecken und hoffen, dass ohne Luftzufuhr die Brände irgendwann von selbst erlöschen würden. Nur das taten sie nicht. Vielmehr wurden sie angefacht durch einen Brandbeschleuniger, der nicht nur bei mir, sondern bei Millionen Menschen kleine Brandherde zu einem Flächenbrand ausweitete.

Bei uns doch nicht, wir doch nicht: Wortlaute einer unendlichen Selbstlüge

Zum ersten Mal wurden wir Anfang der 2000er-Jahre mit dem Thema konfrontiert, dem Thema Missbrauch durch Geistliche. In der medialen Berichterstattung der USA begegnete dieses Thema auch der deutschen Öffentlichkeit immer öfter. Mir ist in diesem Zusammenhang noch sehr gut das Wort von Kardinal Karl Lehmann im Ohr, der 2002 voll der Überzeugung und mit einer gewissen Überheblichkeit auf die Frage von SPIEGEL-Journalisten, ob Missbrauch auch für die deutsche Kirche ein Thema sei, antwortete, dass wir uns nicht jeden Schuh in Deutschland anziehen müssten. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob ich dem Kardinal damals glaubte. Der Mainzer Oberhirte war mir aus meiner Studienzeit im Mainzer Priesterseminar vertraut und ich schätzte die Art, wie er als Vorsitzender der Bischofskonferenz der Kirche in Deutschland ein sympathisches Gesicht gab. Dem Schock über die immer neuen Enthüllungen in den USA versuchte ich ohnehin dünne Erklärungsversuche entgegenzusetzen, um dieses Grauen des tausendfachen Missbrauchs mit meinem Bild einer lebendigen und weltzugewandten Kirche in Einklang zu bringen. Diözesen gingen pleite, Bischöfe und Kardinäle traten zurück, aber dass dies kein singuläres Phänomen in den USA war, kam mir damals nicht in den Sinn.

Erst als Pater Klaus Mertes SJ 2010 die Vorfälle am Canisius-Kolleg öffentlich machte, wurde mir klar, dass wir die gleichen Probleme hatten und haben. Aber auch da wollte ich es noch nicht wahrhaben. Ich war damals schon seit sechs Jahren in der kirchlichen Jugendarbeit tätig. Wir beschäftigten uns mit dem Thema »Kinder stark machen« und boten verpflichtende Präventionsschulungen an. Wir diskutierten über Schutzkonzepte und stritten über Formulierungen in einem Verhaltenskodex. Zugleich nahm ich die Kirche immer wieder in Schutz. Für mich war klar, dass Missbrauch in der Kirche unmöglich zu einem höheren Prozentsatz vorkommen konnte, als er das in der Gesamtgesellschaft tat. Diese Haltung las und hörte ich auch immer wieder von deutschen Bischöfen. Heute bin ich mir fast sicher, dass genau aus dieser Haltung he­raus die MHG-Studie in Auftrag gegeben wurde: Man wollte damit das Thema ein für alle Mal beenden.

2018 im September, nur wenige Wochen nachdem ich als Generalvikar meine Arbeit aufgenommen hatte, wurden die Ergebnisse der Studie zuerst durch Die Zeit und später durch die Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit den Forschern vorgestellt. Neben der Pressekonferenz in Fulda musste ich auch in Speyer vor Kameras und Mikrofone, um zu diesen schockierenden Ergebnissen Rede und Antwort zu geben. Das tat ich natürlich, es war ja jetzt meine Pflicht. Was ich damals noch nicht wusste: Mit der MHG-Studie ist in mir etwas zerbrochen. Natürlich hatte ich mir nicht eingebildet, dass die Kirche nur diese heilige und makellose Institution sei. Eine Institution aus Menschen, die zwar erlöst, aber eben doch auch Sünder sind, bringt auch immer wieder Fehler und Sünde hervor. Aber die schiere Zahl an Tätern und Opfern hat mich damals umgehauen. Ich konnte es nicht fassen. Zusätzlich entsetzte mich, dass oft nicht den Kindern geglaubt worden war und man nicht alles unternommen hatte, um die Täter dingfest zu machen, sondern dass es selbst jetzt noch darum ging, die Institution zu schützen. Und ich war nun als Generalvikar irgendwie das Gesicht dieser Institution! Einer Institution, die weltweit zigtausendfaches Leid den Kleinsten und Schwächsten der Gesellschaft angetan hat. Eigentlich war es zum Weglaufen. Ich habe in diesen Wochen an meine kleinen Nichten denken müssen: Wie hätte ich reagiert, hätte ihnen jemand etwas angetan? Und dann vielleicht noch einer, den ich als Mitbruder bezeichnet hätte?

Natürlich bin ich nicht weggelaufen. Ich habe mich daran festgehalten, dass wir aufarbeiten und diesen Sumpf trockenlegen mussten. Trotzdem war es mir peinlich, das Gesicht dieser Kirche zu sein. Schlimmer noch: Ich, der die Arbeit in der Jugendpastoral geliebt hatte, verlor die Unbefangenheit im Umgang mit Kindern, begann vor jeder möglichen Berührung zurückzuweichen, um bloß nicht mit den Tätern in einen Topf geworfen zu werden.

Mir fallen in diesem Zusammenhang viele verschiedene Erlebnisse ein: In den Sommerferien veranstaltete ich sowohl als Kaplan als auch als Pfarrer zusammen mit den älteren Messdienern eine Kinder- und Jugendfreizeit. Dabei gingen wir natürlich auch ins Schwimmbad und als Kaplan war ich ganz selbstverständlich mit den Kindern im Wasser. Mit meiner Größe war ich ein beliebtes Ziel, das es zu tunken und unter Wasser zu halten galt. Wir plantschen und prusteten im Wasser...

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