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Die Regierung der Natur

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
159 Seiten
Deutsch
August Verlagerschienen am23.06.2022
Das Bewusstsein für die Naturzerstörung ist so alt wie die Industrialisierung, die dafür verantwortlich gemacht wird. Dennoch hat es über einhundert Jahre gedauert, bis sich das ökologische Paradigma durchgesetzt hat. Jede politische Ordnung unterstellt aber die Existenz einer Natur, die sie nicht beeinflussen kann. Im Zeitalter der Ökologie ist es die sterbende Natur, die unsere Gesellschaft bestimmt. Wollen die Menschen überleben, müssen sie sich um ihre Lebensgrundlagen kümmern und zahllose natürliche Faktoren zum Gegenstand von Politik machen. In einem überraschenden Durchgang durch die Begründungsfiguren politischer Ordnung zeigt Leander Scholz die Wandlungen des Verhältnisses von Politik und Natur: von der griechischen phy?sis zum menschengemachten Anthropozän, von der politischen Ökonomie zur politischen Ökologie, von der Austernwirtschaft an der norddeutschen Küste zur Kybernetik. Die politischen Koordinatensysteme der Gegenwart bleiben davon nicht unberührt. Die Natur zu regieren bedeutet heute auch, von ihr regiert zu werden.

Leander Scholz ist Philosoph und Schriftsteller. Derzeit arbeitet er als Research Fellow am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Neben eigenen Veröffentlichungen und Herausgeberschaften schreibt er regelmäßig für Presse und Rundfunk. Zuletzt von ihm erschienen: Zusammenleben. Über Kinder und Politik (2018) und Die Menge der Menschen. Eine Figur der politischen Ökologie (2019).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextDas Bewusstsein für die Naturzerstörung ist so alt wie die Industrialisierung, die dafür verantwortlich gemacht wird. Dennoch hat es über einhundert Jahre gedauert, bis sich das ökologische Paradigma durchgesetzt hat. Jede politische Ordnung unterstellt aber die Existenz einer Natur, die sie nicht beeinflussen kann. Im Zeitalter der Ökologie ist es die sterbende Natur, die unsere Gesellschaft bestimmt. Wollen die Menschen überleben, müssen sie sich um ihre Lebensgrundlagen kümmern und zahllose natürliche Faktoren zum Gegenstand von Politik machen. In einem überraschenden Durchgang durch die Begründungsfiguren politischer Ordnung zeigt Leander Scholz die Wandlungen des Verhältnisses von Politik und Natur: von der griechischen phy?sis zum menschengemachten Anthropozän, von der politischen Ökonomie zur politischen Ökologie, von der Austernwirtschaft an der norddeutschen Küste zur Kybernetik. Die politischen Koordinatensysteme der Gegenwart bleiben davon nicht unberührt. Die Natur zu regieren bedeutet heute auch, von ihr regiert zu werden.

Leander Scholz ist Philosoph und Schriftsteller. Derzeit arbeitet er als Research Fellow am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Neben eigenen Veröffentlichungen und Herausgeberschaften schreibt er regelmäßig für Presse und Rundfunk. Zuletzt von ihm erschienen: Zusammenleben. Über Kinder und Politik (2018) und Die Menge der Menschen. Eine Figur der politischen Ökologie (2019).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751890014
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.06.2022
Seiten159 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse674 Kbytes
Artikel-Nr.9578184
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. DIE DICHTE DES LEBENS

Die Warnung, die dem ersten Bericht des Club of Rome von 1972 vorangestellt ist, lässt keinen Raum für Interpretationen. Die Auswertung der Daten über den Zustand der Erde kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. 1 Veröffentlicht wurde der Bericht unter dem Titel Limits to Growth. Das Wachstum bezieht sich dabei sowohl auf die Steigerung der Wirtschaftstätigkeit als auch der Bevölkerungszahl. Hält beides unvermindert an, wird es nach dem world model des Berichts unweigerlich zur Katastrophe kommen. Was das bedeutet, beschreibt die Zusammenfassung mit einem einzigen nüchternen Satz: Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität. Der Zusammenbruch wird plötzlich und unumkehrbar sein. Da sich der Zustand der Erde in dem Moment, in dem das Wachstum an seine Grenze stößt, bereits grundlegend verändert hat, wird es zu spät sein, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Gehandelt werden muss also bereits früher. Der Bericht von 1972 sieht jedoch noch gute Chancen, dass es nicht zu einer globalen Katastrophe kommt, falls es gelingen sollte, den Übergang vom Wachstum zum Gleichgewicht in absehbarer Zukunft zu bewerkstelligen.

Im Zentrum der politischen Ökologie, die der Club of Rome populär gemacht hat, steht eine Kritik des Wachstums von Wirtschaft und Bevölkerung zugleich. Sie hat den ökologischen Diskurs bereits im 19. Jahrhundert getragen. Denn das Wachstum, das die ökologische Problematik hervorbringt, ist eine als katastrophisch erlebte Verschränkung von Industrialisierung und Vermehrung, mit denen alle alten Modelle des Gleichgewichts einer oeconomia naturae zunichtegemacht wurden. Während bis dahin dem Haushalt der Natur zugetraut wurde, das Wachstum der Bevölkerung in Einklang mit der Nahrungsmittelproduktion zu bringen, löst die exponentielle Zunahme des homo sapiens und seiner Nutztiere eine tiefe Vertrauenskrise in die natürliche Ordnung der Dinge aus. Denn es ist nicht nur die steigende Zahl der Menschen, die ernährt werden müssen. Auch die neue Dichte an produzierten Gütern, Tieren und Pflanzen erscheint bedrohlich im Verhältnis zur Begrenztheit der Welt. Der ökologische Diskurs zielt daher von Anfang an nicht bloß auf eine Kritik der politischen Ökonomie ab, deren liberalem Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt es im Namen einer unversehrten Natur entgegenzutreten gälte. Die zentrale ökologische Problematik besteht vielmehr in der Bindung des Lebens an einen be stimmten Raum, die dann gestört wird, wenn dieser Raum zunehmend knapp wird.

Auch wenn der Club of Rome die gesamte Erde vor Augen hat, so ist die Beziehung zu den territorialen Prämissen der politischen Ökologie des 19. Jahrhunderts unverkennbar. Alle Simulationen zukünftiger Zustände machen deutlich, dass es ohne eine Begrenzung des Wachstums der Weltbevölkerung keine Lösung geben wird. In der kritischen Würdigung des Berichts durch das Exekutiv-Komitee des Club of Rome wird unmissverständlich festgehalten: Zwar gibt es noch immer unterbevölkerte Gebiete, aber auf der Erde, als Ganzes gesehen, nähern wir uns rasch einer kritischen Größe der Gesamtbevölkerung - wenn sie nicht bereits schon erreicht ist. 2 Wohl wissend, dass es kaum möglich sein wird, eine effektive Geburtenkontrolle durchzusetzen, schon gar nicht weltweit, wird dennoch klar hervorgehoben, daß eine stets wachsende Zahl von Menschen schließlich zu niedrigerem Lebensstandard und damit zu einem ganzen Bündel neuer Probleme führen muß . Auch wenn der Club of Rome ein politisches Anliegen verfolgt, so versteht er sich dennoch nicht als politische Vereinigung, sondern als ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss kritischer Personen, die in den Bereichen der Wissenschaft und der Wirtschaft tätig sind. Im Unterschied zu politischen Parteien spricht der Club of Rome im Namen der Menschheit und eines Schicksals, das alle betrifft und alle aneinanderbindet: Mit seiner öffentlichen Tätigkeit verfolgt der Club of Rome die Absicht, die politischen Entscheidungsträger in aller Welt zur Reflexion über die globale Problematik der Menschheit anzuregen. 3

Obwohl der erste Bericht breit wahrgenommen wurde und maßgeblich zur Etablierung des politischökologischen Diskurses beigetragen hat, ist die Bilanz, die der zweite Bericht von 1992 unter dem Titel Beyond the Limits zieht, alles in allem enttäuschend: Die Menschheit hat ihre Grenzen überzogen; unsere gegenwärtige Art zu handeln läßt sich nicht mehr lange durchhalten. Eine lebenswerte Zukunft muß zu einer Epoche des Rückzugs werden, in der man die Aktivitäten zurückfährt und die entstandenen Schäden ausheilen läßt. Es hat sich erwiesen, daß das materielle Wachstum die Armut nicht beseitigen kann. Man muß sie jetzt bekämpfen, während sich die wirtschaftliche Tätigkeit vermindert. Das ist zunächst keine erfreuliche Nachricht. 4 Trotz des technischen Fortschritts haben sich die Umweltbedingungen weiter verschlechtert, sind die natürlichen Ressourcen weiter ausgebeutet worden und hat sich das Wachstum der Weltbevölkerung weiter beschleunigt. Die angemahnten Grenzen sind überschritten. Die Erde ist in einen Zustand dauerhafter Überlastung eingetreten, dem nur noch mit einem Rückzug begegnet werden kann. Damit ist nicht allein die wirtschaftliche Expansion gemeint sondern auch die Zunahme und Ausbreitung des homo sapiens auf der Erde: Die politischen Praktiken und Handlungsweisen, die den Anstieg des Verbrauchs und der Bevölkerungszahlen begünstigen, müssen umfassend revidiert werden; daneben sind die Wirkungsgrade des Energieeinsatzes und der Nutzeffekt materieller Ressourcen drastisch anzuheben. Noch deutlicher als im ersten Bericht erscheint der Mensch als das Problem der Erde schlechthin.

Diskussionen zur Demografie finden sich bereits in der Antike. Aber zu einem systematischen Problem der politischen Philosophie wird das Wachstum der Bevölkerung erst in der europäischen Neuzeit. In der Widmung zu seinem Buch De Cive von 1642 hat Hobbes seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Fortschritt in Fragen der Moralphilosophie in Zukunft zu einem dauerhaften Frieden unter den Menschen und einer anhaltenden Prosperität führen wird: so daß man wohl nie mehr zu kämpfen brauchte . In Klammern fügt er jedoch einen einzigen Fall hinzu, für den diese Aussicht nicht gilt: ausgenommen um den Raum bei der wachsenden Menge von Menschen .5 Wohl wissend, dass ein stetiges ökonomisches auch ein demografisches Wachstum bedeuten wird, nennt Hobbes die Begrenztheit des Raums bei einer zunehmenden Anzahl von Menschen als einzigen Grund für einen Konflikt, auf den seine politischen Pläne keine Antwort geben können. Der Beginn der politischen Neuzeit markiert so zugleich das zukünftige Ende des neuen Verständnisses staatlicher Macht.

Mit dem versprochenen Fortschritt ist die Vereinheitlichung des modernen Rechts gemeint, das sich keiner religiösen Macht mehr verdanken soll, sondern einzig und allein einem souveränen Willen, der in einem deutlich definierten Territorium herrscht. Diesem neuen Gewaltmonopol haben sich alle Untertanen ohne Ausnahme zu fügen. Dafür dürfen sie im Gegenzug den Schutz der souveränen Gewalt erwarten. Aus dem Ringen um Wahrheit, das in der antiken pólis oft in einen Bürgerkrieg mündete, soll ein Streit der Meinungen werden, von dem keine Bedrohung für die öffentliche Ordnung ausgeht. Für Hobbes, dessen Gegenwart von grausamen Konfessionskriegen geprägt war, hat Macht einen rationalen Kern, der offengelegt werden muss. Nur wenn die Relation von Schutz und Gehorsam allen bewusst ist, kann ein friedliches Zusammenleben gewährleistet werden. Das gilt gerade dann, wenn es keine gemeinsamen Tugenden mehr gibt, sondern nur noch den Wunsch, am Leben zu bleiben.

Die Einschränkung, die der Begründer des modernen Liberalismus bei seinem Versprechen gemacht hat, liest sich im Nachhinein wie eine politische Prophezeiung. Denn es ist das demografische Wachstum, das die Konzeption der neuzeitlichen Macht zugrunde richten wird. Weil das Territorium das wirkmächtige Band ist, das ein unpolitisches Nebeneinander erlaubt, zerreißt dieses Band, wenn es an Raum mangelt. Die zunehmende Lebensdichte macht es unmöglich, sich nicht füreinander zu interessieren, und bringt die alten...
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Autor

Leander Scholz ist Philosoph und Schriftsteller. Derzeit arbeitet er als Research Fellow am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Neben eigenen Veröffentlichungen und Herausgeberschaften schreibt er regelmäßig für Presse und Rundfunk. Zuletzt von ihm erschienen: Zusammenleben. Über Kinder und Politik (2018) und Die Menge der Menschen. Eine Figur der politischen Ökologie (2019).