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Über Leben und Tod

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Zsolnay-Verlagerschienen am19.08.20241. Auflage
Bestsellerautor Florian Klenk spricht mit dem Gerichtsmediziner Christian Reiter über Leben und Tod. 'Man liest das Buch mit angehaltenem Atem und denkt über Leben und Sterben danach anders.' Daniel Kehlmann
Ist der Totenschädel Beethovens tatsächlich der seine? Wie identifiziert man die Toten des Lauda-Air-Absturzes in Thailand? Wie hat die 'Schwarze Witwe' Elfriede Blauensteiner ihre Männer ins Jenseits befördert? Und was genau hat es mit den K.-o.-Tropfen auf sich?
Der Gerichtsmediziner Christian Reiter kennt die Geheimnisse des Todes. In seinem Studierzimmer sammelt er Schädel, Haare, Larven, Mumien und Totenmasken. Als Falter-Chefredakteur Florian Klenk diese Schätze sieht, entdeckt er die Abgründe des Menschen und die Überzeugungskraft der Wissenschaft.
Die abenteuerlichen Fall- und Familiengeschichten des Arztes Reiter verbinden sich zu dem Porträt eines faszinierten Universalgelehrten, der unsere Gesellschaft am Seziertisch erlebt und sie gemeinsam mit Florian Klenk obduziert.

Florian Klenk, geboren 1973, ist Jurist und Journalist und seit 2012 Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter. Mehrmals wurde er als Journalist des Jahres ausgezeichnet. 2011 ist bei Zsolnay sein Reportagenband Früher war hier das Ende der Welt herausgekommen, 2018 Alles kann passieren! Ein Polittheater (gemeinsam mit Doron Rabinovici), 2021 Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde und 2024 Über Leben und Tod. In der Gerichtsmedizin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextBestsellerautor Florian Klenk spricht mit dem Gerichtsmediziner Christian Reiter über Leben und Tod. 'Man liest das Buch mit angehaltenem Atem und denkt über Leben und Sterben danach anders.' Daniel Kehlmann
Ist der Totenschädel Beethovens tatsächlich der seine? Wie identifiziert man die Toten des Lauda-Air-Absturzes in Thailand? Wie hat die 'Schwarze Witwe' Elfriede Blauensteiner ihre Männer ins Jenseits befördert? Und was genau hat es mit den K.-o.-Tropfen auf sich?
Der Gerichtsmediziner Christian Reiter kennt die Geheimnisse des Todes. In seinem Studierzimmer sammelt er Schädel, Haare, Larven, Mumien und Totenmasken. Als Falter-Chefredakteur Florian Klenk diese Schätze sieht, entdeckt er die Abgründe des Menschen und die Überzeugungskraft der Wissenschaft.
Die abenteuerlichen Fall- und Familiengeschichten des Arztes Reiter verbinden sich zu dem Porträt eines faszinierten Universalgelehrten, der unsere Gesellschaft am Seziertisch erlebt und sie gemeinsam mit Florian Klenk obduziert.

Florian Klenk, geboren 1973, ist Jurist und Journalist und seit 2012 Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter. Mehrmals wurde er als Journalist des Jahres ausgezeichnet. 2011 ist bei Zsolnay sein Reportagenband Früher war hier das Ende der Welt herausgekommen, 2018 Alles kann passieren! Ein Polittheater (gemeinsam mit Doron Rabinovici), 2021 Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde und 2024 Über Leben und Tod. In der Gerichtsmedizin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783552075375
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum19.08.2024
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2280 Kbytes
Artikel-Nr.14508308
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Prolog



»Wen sezieren wir morgen, Herr Professor?«

»Das weiß ich nicht, Herr Redakteur, denn wer morgen bei mir am Tisch liegt, der lebt heute noch.«


Auf dem Präparat 6, einem abgetrennten Penis »einer Person ungeklärter Identität«, steht eintätowiert »Der sanfte Toni«. Der Professor sah über das in Alkohol eingelegte Gemächt hinweg, als sei es das Normalste auf der Welt. Er dozierte lieber über die Wissenschaft, die Gewalt, das Recht, den Menschen und den Tod.

Doktor Christian Reiter, damals 41 Jahre jung, aber bereits außerordentlicher Universitätsprofessor, stand im weißen Arztkittel vor einer der vielen Vitrinen, darin in Glaszylindern sogenannte Asservate, behördlich beschlagnahmte menschliche Körperteile. Das war vor einem Vierteljahrhundert, in der Sensengasse 2, im Gerichtsmedizinischen Museum der Universität Wien, einer kakanischen Wunderkammer der Aufklärung und des Verbrechens.

Ich lernte damals als sogenannter Rechtspraktikant am Bezirksgericht, wie die Justiz wirklich arbeitet. Ich durfte hinter die Mauern des Rechtsstaats blicken, in Gefängnisse, psychiatrische Anstalten und in die Seziersäle und die für die Öffentlichkeit nicht zugängliche wissenschaftliche Sammlung der Gerichtsmedizin.

Schon damals war Reiter ein berühmter Gerichtssachverständiger, sein Porträt war in den Zeitungen zu sehen. Er wurde bekannt, weil er die monströsen Verbrechen der »Mörderschwestern« im Krankenhaus Lainz aufgeklärt hatte. Auch die »Schwarze Witwe«, eine elegante ältere Dame namens Elfriede Blauensteiner, hatte er überführt. Einsame Männer schwächte die »Elfi«, wie sie Reiter nennt, mit Medikamenten, wickelte sie in gefrorene Handtücher und ließ sie solcherart leise sterben, um sie zu beerben. In einer Welt der eminenzbasierten Gerichtsgutachterei setzte er auf Evidenz. Und ein bisserl auf Show. Auf der Titelseite der Kronen Zeitung war der Professor dabei zu sehen, wie er der Elfi den Puls fühlte.

Das hatte Tradition in Wien, dieser Stadt, die dem Tod angeblich dadurch die Reverenz erweist, dass man ihn einen Wiener nennt. Reiter erzählte mir, dass die gerichtsmedizinischen Vorlesungen in der Zwischenkriegszeit fast wie öffentliche Veranstaltungen inszeniert wurden. Die Leichen seien »wie in der berühmten k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel« im Hörsaal präsentiert worden. »Ich begrüße die Damen und Herren Studenten und die Besucher der umliegenden Kaffeehäuser«, eröffnete in den 1920er Jahren der berühmte Professor Albin Heberda seine Vorlesungen. Und dann öffnete er die Körper der Opfer der aktuellen Mordfälle, und die Wiener sahen gespannt zu.

Reiter führte mich damals mit einigen interessierten Richtern durch dieses Museum, das für sich selbst schon ein Museum war. Der Straßenname Sensengasse war eine Reminiszenz an das Haus zu den »Vier Sensen«. Es lag neben vier alten, vergessenen Friedhöfen am Wiener Alsergrund. Eine morbide Verneigung vor dem »Quiqui«, wie Reiter den Gevatter Tod auf Wienerisch am liebsten nennt. »Quiqui«, das Wort soll aus dem Romanischen kommen und übersetzt sich treffend mit »Wer auch immer du bist!«

Auch der Schriftsteller Gerhard Roth schritt vor Jahren mit Reiter für eine Reportage durch dieses »Theater der Grausamkeit«, wie er das Museum nannte. Reiter beschrieb er so: »Wie ein Vergil erscheint der Gerichtsmediziner (...), ein großer und kräftiger Mann mit grauem, kurz geschnittenem Haar, das sich zu lichten beginnt, Schnurrbart und Brille.« Das graue Sakko gebe ihm etwas »von einem anonymen Passanten«, doch wenn er spricht, »vermittelt er den Eindruck eines Mannes, dem Sarkasmus nicht ganz fremd ist. Zusammen mit der Zurückhaltung und Ernsthaftigkeit seines Auftretens, der Sachlichkeit seiner Rede und Gedanken verleiht ihm das eine natürliche Autorität, derer er sich bewusst ist.«

Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich dort abgetrennte Schädel, abgetriebene Föten, abgehackte Hände, sichergestellte Finger. Sie ruhten neben eingeschlagenen Köpfen, angenagten Skeletten und mumifizierten Menschen, deren Münder wie vor Schreck offen standen oder in denen noch künstliche Gebisse steckten.

Man würde glauben, dass einem vor all den Asservaten unter den Glaszylindern das Grauen überkommt, doch Reiter nahm mir Furcht und Ekel, weckte stattdessen Neugier in mir. Denn die menschlichen Hüllen und Körperteile der Wiener dienten als Anschauungsmaterial in Zeiten, als es weder Farbfotos noch Internet gab. Hier konnten die angehenden Gerichtsmediziner lernen, wie die Spuren von Mord, Totschlag, Suizid und Sexualdelikten aussehen. Erschlagen, erschossen, ertränkt, erstochen, erwürgt oder vergiftet wurden jene, deren Skelette, Fettwachsleichen und Mumien hier ruhen, wie die ausrangierten Objekte einer Geisterbahn. Mit verkrampften Fingern, erschrockenem Blick, manchmal aber auch nur sanft schlafend.

Man durfte die »historische Sammlung des Instituts für Gerichtliche Medizin« schon damals nicht einfach so betreten, eben weil sie keine Kuriositätensammlung aus dem Wurstelprater enthielt, sondern eine wissenschaftliche Einrichtung, die den angehenden Ärzten Einblick geben sollte in das Handwerk der Mörder und Selbstmörder und jener, die ihnen auf der Spur waren, Menschen wie Christian Reiter. Die Toten sind für ihn ein Buch des Lebens.

Der Professor bot Juristen Führungen an, damit auch diese das Spektrum der Rechtsmedizin erkennen, eines Faches, das in Wien auf eine Tradition bis zu den Zeiten Maria Theresias zurückblicken kann, der in vielen Belangen aufgeklärten Monarchin des 18. Jahrhunderts. In den vergangenen Jahren hätte das Institut fast selbst den stillen Tod erlitten, indem es kaputtgespart wurde. Das freut jene Verbrecher, deren Taten unentdeckt bleiben.

Reiter, Sohn eines Textilingenieurs und einer Magistratsbeamtin, aufgewachsen im Arbeiterbezirk Wien-Ottakring, am Yppenplatz, ist nicht irgendein Rechtsmediziner - in Österreich heißt die Disziplin Gerichtsmedizin -, und seine Geschichten sind mehr als true crime stories. Er sieht sich in der Tradition eines Physikus, eines Naturgelehrten. Seit Kindheitstagen betätigt er sich als Naturforscher. Er züchtet Fliegenlarven und Bienen, er sezierte und diagnostizierte schon als Jugendlicher seinen toten Hamster (»Drüsenkrebs«), er sucht in den Gebirgen nach Versteinerungen, und wenn er im Wald mit der Familie spazieren geht, führt ihn sein feiner Geruchssinn zu Leichen. Manchmal auch zu jenen von Menschen. »Es menschelt«, sagt Reiter, wenn er den Duft geöffneter Toter beschreibt. Wie der Mensch innen riecht? »Er müffelt. Wie der Schlafsaal eines Pfadfinderlagers.«

Er wird uns in diesem Buch ins Reich der Historiker und Biologen, der Chemiker und Botaniker, der Köche und Zoologen, der Musikwissenschaftler, Historiker und Physiker führen. Er ist, obwohl nicht sonderlich religiös, auch der Wiener Vertrauensmann des Vatikans. Will die Kirche einen Österreicher seligsprechen, was manchmal tatsächlich vorkommt, dann rekognosziert Reiter in ihren Grüften die Knochen. Oder er mumifiziert Heilige mit Wachs, Farbton sudanschwarz.

Wer in Reiters zu Hause im Studierzimmer sitzt, seiner eigenen kleinen Wunderkammer, der erfährt nicht nur über die Werke und Taten seiner Urahnen und Eltern, die ihn an die Gerichtsmedizin heranführten, sondern auch einiges über die Monarchie und über die Republik, über die Moderne und die Reaktion. Und über die kleinen und die großen Persönlichkeiten dieses Landes, die ein Schicksal eint: dass sie eines Tages allenfalls sogar auf seinem Seziertisch landen. Als Hüllen, die Medizinern wie Reiter über die letzten Augenblicke ihres Lebens erzählen und oft auch Geschichte schreiben.

Ich habe Reiter im Lauf meines journalistischen Lebens immer wieder getroffen. Ich habe mit ihm einmal sogar eine Wirtin seziert. Als ich ihn am Vortag des Termins fragte, welchen Fall er mir tags darauf zeigen wolle, sagte er: »Herr Redakteur, wer morgen bei mir am Tisch liegt, lebt heute noch.« Und das stimmte auch. Die burgenländische Frau, deren Körper Reiter öffnete, fiel nur wenige Stunden nach unserem Telefonat hinter der Schank um, unerwartet, und Reiter klärte auf, dass kein Fremdverschulden festzustellen war, sondern ein krankes Herz.

Ich habe diesen Gelehrten auch als Informanten in meinem Beruf als Journalist schätzen ...

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Autor

Florian Klenk, geboren 1973, ist Jurist und Journalist und seit 2012 Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter. Mehrmals wurde er als Journalist des Jahres ausgezeichnet. 2011 ist bei Zsolnay sein Reportagenband Früher war hier das Ende der Welt herausgekommen, 2018 Alles kann passieren! Ein Polittheater (gemeinsam mit Doron Rabinovici) und 2021 Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde.