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160 Seiten
Deutsch
oekom verlagerschienen am12.09.2023
Ozon ist ein gasförmiger Stoff, der, je nachdem, ob er hoch oben in der Atmosphäre oder in Bodennähe angetroffen wird, ganz unterschiedlich wirkt und bewertet wird. Dort schützt Ozon vor gefährlicher UV-Strahlung, hier wird es als Schadstoff eingestuft. Als »riechender« Sauerstoff beschäftigt Ozon seit fast 200 Jahren verschiedene Disziplinen. Der neue Band der Stoffgeschichten rekonstruiert diesen wechselvollen Diskurs, zeichnet den Gang der chemischen Forschung nach und wirft einen Blick auf die ökologische Bedeutung des Ozons sowie die umweltpolitischen Debatten, die sich daraus ergaben.

Evi Zemanek arbeitet zur Mediengeschichte des Ozons. Ihre Untersuchungen verbinden im Sinne der Environmental Humanities geistes- und umweltwissenschaftliche Forschung. Sie ist Juniorprofessorin für Neuere Deutsche Literatur und Intermedialität an der Universität Freiburg und wurde mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG für Nachwuchsforscher ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
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Produkt

KlappentextOzon ist ein gasförmiger Stoff, der, je nachdem, ob er hoch oben in der Atmosphäre oder in Bodennähe angetroffen wird, ganz unterschiedlich wirkt und bewertet wird. Dort schützt Ozon vor gefährlicher UV-Strahlung, hier wird es als Schadstoff eingestuft. Als »riechender« Sauerstoff beschäftigt Ozon seit fast 200 Jahren verschiedene Disziplinen. Der neue Band der Stoffgeschichten rekonstruiert diesen wechselvollen Diskurs, zeichnet den Gang der chemischen Forschung nach und wirft einen Blick auf die ökologische Bedeutung des Ozons sowie die umweltpolitischen Debatten, die sich daraus ergaben.

Evi Zemanek arbeitet zur Mediengeschichte des Ozons. Ihre Untersuchungen verbinden im Sinne der Environmental Humanities geistes- und umweltwissenschaftliche Forschung. Sie ist Juniorprofessorin für Neuere Deutsche Literatur und Intermedialität an der Universität Freiburg und wurde mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG für Nachwuchsforscher ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783987262609
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum12.09.2023
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12273085
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Einleitung

Evi Zemanek

Diese interdisziplinäre Stoffgeschichte des Ozons hat ihren Ausgangspunkt in einem Fund: einer Postkarte, auf der eine »Pension Ozon« zu sehen ist, in der man einst im südholländischen Noordwijk logieren konnte. Auf dieser Karte versandten Kurgäste, die wegen der angeblich besonders ozonreichen Luft für mehrere Wochen an die Küste gereist waren, ihre Urlaubsgrüße aus dem schon vor 150 Jahren international bekannten Seebad - ohne viel über den Grund ihres Aufenthalts erklären zu müssen. Es war zu einer Zeit, als sich der Massentourismus entwickelte und in Zeitungen vielfach für Aufenthalte in ozonreichen Luftkur-orten geworben wurde.

Als Entdecker des Ozons gilt heute Friedrich Christian Schönbein. Im Jahr 1839, als die Chemie gerade erst dabei war, sich zu einer Disziplin zu formieren, verlieh er dem O3 gemeinsam mit dem Philologen Wilhelm Vischer-Bilfinger seinen aus dem Altgriechischen abgeleiteten Namen (á½Î¶ÎµÎ¹Î½: riechen, á½Î¶Î¿Î½: das Riechende). Insbesondere die frühe Forschungs- und Wissensgeschichte ist nicht leicht zu rekonstruieren: Je nachdem, welche Quellen man verwendet und wie man sie gewichtet, entstehen verschiedene Geschichten. Für diese interdisziplinäre Natur- und Kulturgeschichte des Ozons sind jedoch nicht nur die Erkenntnisfortschritte in Chemie, Physik und Meteorologie relevant, sondern auch eine über Jahrhunderte in verschiedenen Medien dokumentierte, von diesem Gas ausgehende Faszination sowie eine davon ausgelöste Furcht, die verschiedene kulturelle Reaktionen hervorrufen.

Das Ozon ist aus heutiger Sicht ein so reizvolles Phänomen, weil es zum einen, hoch oben in der Stratosphäre, ein natürliches Gas ist, zum anderen aber auch anthropogenen Ursprungs sein kann, wenn es durch Abgase unter Einwirkung von Sonnenlicht kann. Je nachdem, ob man das Ozon in der Stratosphäre oder in Bodennähe antrifft, wird es ganz unterschiedlich bewertet. Oben schützt es die Lebewesen der Erde vor gefährlicher UV-Strahlung, unten wird es als Schadstoff eingestuft, der die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen kann. Von Anfang an waren diese Ambivalenz, aber auch die Unsichtbarkeit und Flüchtigkeit für die Faszinationskraft des Stoffes mitverantwortlich - dies wird im vorliegenden Buch deutlich werden.

Abbildung 1  Postkarte der Pension »Ozon« in Noordwijk aan Zee. Man beachte den Schriftzug »Pension Ozon« am Gebäude, das laut dem Bauhistoriker Michel van Dam von dem Architekten Herman Liefferink im Jahr 1911 erbaut wurde. Der Name der Pension reagiert auf den Ozon-Tourismus jener Zeit, zugleich aber ist es ein Wortspiel, denn das niederländische »zon« meint - »Sonne«, sodass hierin der Ausruf »O zon!« / »O Sonne!« mitanklingt.

Solange noch wenig über das Wesen des Gases und seine Wirkung auf Lebewesen bekannt war, kam es immer wieder zu wissensgeschichtlich spannenden Kontroversen. Friedrich Schönbein schrieb im Jahr 1849 selbst in seiner Denkschrift über das Ozon, dass ihm der Stoff zehn Jahre nach seiner Entdeckung sogar »noch um Vieles räthselhafter« vorkomme (Schönbein 1849, S. 2). Damit macht er das O3 freilich noch interessanter. Ihn trieb die Frage um, warum die »Sauerstoffdrillinge [...], in beinahe unwiegbar kleinen Mengen eingeathmet, auf den thierischen Organismus schädlich wirken, während der gewöhnliche Sauerstoff zur Unterhaltung des Lebens unumgänglich nothwendig ist« (ebd., S. 8).

Nach der Entdeckung des Ozons verging nicht viel Zeit, bis es den bildungsbürgerlichen Leser*innen von populären Zeitschriften, Enzyklopädien und Konversationslexika vorgestellt wurde. Bereits im Revolutionsjahr 1848 finden wir einen einspaltigen Eintrag in Meyers Conversations-Lexikon. Dieser Artikel spiegelt die Uneinigkeit unter Chemikern angesichts der vielen noch ungeklärten Fragen wider. Spätestens im Jahr 1860 konnten Nutzer*innen von Meyers Neuem Conversations-Lexikon das Lemma »Ozon« kaum mehr übersehen, war es doch sichtbar auf der Titelseite des 11. Bandes (»Marengo - Ozon«) notiert. Bereits im selben Jahr hatte das Ozon auch im beliebten, vielgelesenen Familienblatt Die Gartenlaube seinen ersten großen Auftritt. Wie eine neue Autorität wird es unter dem Titel »Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon)« eingeführt. Die metaphorische, respekteinflößende Amtsbezeichnung verrät dem heutigen Leser nicht sofort, ob das Gas, das stellenweise personifiziert wird, hier positiv oder negativ bewertet wird. Dass seine Beurteilung nicht einfach ist, artikulieren schon die ersten Zeilen, in denen das Ozon paradoxerweise als »unermüdlich zerstörender Allbeleber«, »Gott aller Lebenswärme« und zugleich »Einheizer in dem langsamen Verbrennungstode alles Athmenden« charakterisiert wird (Anonym 1860, S. 670). In dieser hyperbolischen Widersprüchlichkeit findet Schönbeins Faszination von der mysteriösen Ambivalenz des Gases, dessen Wirkungsweise Rätsel aufgibt, ein Echo. »Alles todt machen oder Alles beleben? Was ist richtig? Beides, Beides!« (Ebd.) Mit derart dramatischem Gestus weckt der Artikel das Interesse der damaligen Leserschaft.

Letztlich formuliert der Artikel den bescheidenen Anspruch, »bloß eine neuerkannte Wahrheit« zu popularisieren, die der Militärarzt M. Scoutteten entdeckt habe: die desinfizierende Wirkung des Ozons, der es die Bezeichnung als »erste Großmacht in der Gesundheits-Polizei der Natur« verdankt:

Ozon, ein farbloses, stechend-stinkend riechendes Gas [...] zerstört mit der größten Schnelligkeit organische Materien in der Luft, die so oft als Miasmen, Fieber und Peststoffe wirken. Nach Dr. Letheby wäre halb London vorigen Sommer an der Themse gestorben, wenn nicht eine ungewöhnliche Quantität von Ozon in der atmosphärischen Luft die organischen Gifte derselben zerstört hätte. (Ebd., S. 670)

Zwar kann der Artikel diese Behauptungen nicht wirklich belegen, vermutet jedoch, dass es einen Zusammenhang zwischen einem zeitweise niedrigen Ozongehalt in der Luft und dem Ausbruch verschiedener Epidemien wie der Cholera geben könne. Entsprechend werde, so prophezeit es der anonyme Verfasser, das Ozon auch in der Medizin künftig eine wichtige Rolle spielen, sei es doch »das beste Mittel, in Krankenstuben und Hospitälern die Luft rein zu halten«. Ziel sei es, »Ozon in Stuben künstlich zu erzeugen und so die Nachtheile der Stubenluft zu verringern« (ebd.). Jedoch sei bei der medizinischen Gabe von Ozon Vorsicht geboten, denn es sei eine Frage des Maßes, ob das Ozon positiv oder negativ auf Organisches wirke: kleinste Mengen zu viel können die gegenteilige Wirkung hervorrufen »und die lebensrettende Medicin in Gift verwandeln« (ebd.):

Ein homöopathisches Nichts mehr oder weniger, und Tod wird Leben oder Leben Tod. Ein tausendstel Theil Ozon in der Luft ist wohlthätig, ein anderes Tausendstel mehr - und schon sterben eine Menge kleine Thiere in dieser Luft. In noch größerer Menge erstickt es die stärkste Lunge. (Ebd.)

Daher betont der Verfasser die Wichtigkeit schneller Fortschritte in der Ozon-Messung - Schönbein arbeitete zu dieser Zeit bereits mit Ozonometer und Ozonoskop. Letztlich gewichtet dieser Artikel aus dem Jahr 1860 die positive Wirkung des Ozons stärker als die potenzielle Gesundheitsgefahr. In einem dreißig Jahre später im selben Familienblatt erschienenen Beitrag wird das Ozon deutlich vorsichtiger und ausgewogener beurteilt:

Man hat dem Ozon auch viele gute Eigenschaften in hygienischem Sinne nachgerühmt; [...] Die physiologische Wirkung des Ozons ist jedoch noch nicht genügend erforscht. Wird es künstlich dargestellt [d. h. hergestellt] und in größeren Mengen eingeathmet, so reizt es die Schleimhäute. Man hat auch dem Ozon bakterientödtende Eigenschaften zugeschrieben. Versuche, die von russischen Aerzten angestellt wurden, haben jedoch ergeben, daß diese Eigenschaft eine recht schwache ist und die meisten Bakterien dem Ozon trotzen. Die Zimmerluft kann man mit Ozon von diesen Feinden vollends gar nicht reinigen, denn die auch dann noch schwache Wirkung tritt erst ein, wenn der Prozentgehalt der Luft an Ozon so stark wird, daß in den betreffenden Räumen die Menschen nicht athmen könnten. (Anonym 1891, S. 99)

Jener kurze Beitrag wurde in der Gartenlaube platziert, um der im Bürgertum beliebten Verwendung von sogenanntem »Ozonwasser« als Raumspray ebenso wie als Bestandteil diverser Kosmetikprodukte entgegenzuwirken und dies als unsinnige Modeerscheinung zu demaskieren. Außerdem wurde nun davor gewarnt, die omnipräsente touristische Werbung für ozonreiche Kurorte allzu wörtlich zu nehmen. All dies ist ausführlicher in den Kapiteln dieses Buches nachzulesen.

Die intensive Beschäftigung mit dem bodennahen Ozon, sei es einerseits bei Fragen seiner künstlichen Erzeugung für Haushalt und medizinische Therapie oder andererseits im Rahmen von Wetter- und Klimadiskursen, wich im Verlauf des 20. Jahrhunderts mehr und mehr dem Interesse am stratosphärischen Ozon. Letzteres rief ebenso ambivalente Reaktionen hervor, denn schon bald nach der Erkenntnis, dass dieser Stoff vor schädlicher UV-Strahlung schützt, wurde eine Ausdünnung der Ozonschicht - zunächst über der Antarktis, später auch über Europa und andernorts - beobachtet, die berechtigte Sorge und eine massenmediale Furcht vor dem Verlust dieser Schutzhülle auslöste. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert schließlich wurden die komplexen Wechselwirkungen zwischen anthropogenem, durch Emissionen erzeugtem bodennahen Ozon, stratosphärischem Ozon, Treibhauseffekt und globaler Erwärmung stetig greifbarer.

Das...

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