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Frühe Kraniche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am01.02.2019
Wenn die Kraniche früh im Jahr über die kirgisische Steppe ziehen, so verspricht dies eine gute Ernte. Darauf hofft der fünfzehnjährige Sultanmurat, der heimlich verliebt ist in die Blume des Pausenhofs, die schöne, stolze Myrsagül. Doch in diesem Winter liegt die Verantwortung für die Gemeinschaft ganz auf den Schultern der Jugendlichen - die Väter stehen allesamt für die Sowjetunion an der Front. Die Landarbeit auf den gefrorenen Äckern ist hart, die Vorräte an Nahrungs- und Heizmitteln gehen zur Neige. Als eines Nachts die vier besten Pferde gestohlen werden, scheint die Situation aussichtslos. Auf Sultanmurat wartet eine schwere Bewährungsprobe.

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextWenn die Kraniche früh im Jahr über die kirgisische Steppe ziehen, so verspricht dies eine gute Ernte. Darauf hofft der fünfzehnjährige Sultanmurat, der heimlich verliebt ist in die Blume des Pausenhofs, die schöne, stolze Myrsagül. Doch in diesem Winter liegt die Verantwortung für die Gemeinschaft ganz auf den Schultern der Jugendlichen - die Väter stehen allesamt für die Sowjetunion an der Front. Die Landarbeit auf den gefrorenen Äckern ist hart, die Vorräte an Nahrungs- und Heizmitteln gehen zur Neige. Als eines Nachts die vier besten Pferde gestohlen werden, scheint die Situation aussichtslos. Auf Sultanmurat wartet eine schwere Bewährungsprobe.

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293307575
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum01.02.2019
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1868 Kbytes
Artikel-Nr.13418109
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1


Frostklamm, in einen grob gestrickten Wollschal gemummt, erzählte die Lehrerin Inkamal-apai in der Geografiestunde von Ceylon, jener märchenhaften Ozeaninsel nahe bei Indien. Auf der Landkarte sieht dieses Ceylon aus wie ein Tropfen am Euter eines großen Landes. Hört man aber hin - was gibt es da nicht alles: Affen und Elefanten und Bananen (so heißt ein Obst), den besten Tee auf Erden und allerlei andere sonderbare Früchte und nie gesehene Pflanzen. Und was wirklich Neid weckt - eine Hitze herrscht dort, dass man zu jeder Jahreszeit ausgesorgt hat. Man braucht weder Stiefel noch Mütze, weder Fußlappen noch Pelz. Feuerung schon gar nicht. Also muss man auch nicht aufs Feld gehen nach Kuurai, nicht, bis zur Erde geduckt, die mordsschweren Reisigbündel nach Haus wuchten. Ist das ein Leben! Schlendre irgendwohin, lass dich von der Sonne braten oder kühl dich ab im Schatten. Tag und Nacht ist es mollig warm auf Ceylon, die reinste Wonne, und immerzu ist Sommer. Baden kann man nach Herzenslust, von früh bis spät. Hat mans satt, jagt man den Kamelvögeln nach, den Straußen - die gibt es dort, wo sollten sie denn sonst sein, diese riesigen und dummen Vögel. Leben auch kluge Vögel auf Ceylon? Aber freilich: Papageien. Hast du Lust, dann fang dir einen, lehre ihn singen und lachen, auch tanzen. Warum nicht, ein Papagei kann alles. Es soll ja sogar welche geben, die lesen. Einer aus unserem Ail, unserem Dorf, hat so einen lesenden Papagei gesehen, auf dem Markt in Dshambul. Hält man dem eine Zeitung vor die Nase, dann legt er los, ohne zu stocken.

Ach, was gibt es nicht alles auf Ceylon, Wunder über Wunder! Da lebt man unbeschwert, ohne sich den Kopf zu zerbrechen. Hauptsache, man gerät nicht einem Bei von Plantagenbesitzer unter die Augen. Den erkennt man an der Knute. Wie Sklaven peitscht er die Ceylonesen aus. So ein Unterdrücker! Ha, dem müsste man eins überbraten, dass ihm Funken vor den Augen stieben! Die Knute wegnehmen und ihn zwingen, selber zu arbeiten! Bloß keine Nachsicht mit den Ausbeutern, kein Feilschen: Arbeite für dich selbst, basta! Man weiß ja, daher kommen auch die Faschisten. Und die sind schuld am Krieg. Wie viele Männer aus dem Ail sind schon an der Front gefallen! Die Mutter weint tagtäglich, sie sagt nichts, aber sie weint, hat Angst, sie könnten den Vater umbringen. Zur Nachbarin hat sie gesagt: »Was mach ich dann bloß mit meinen vieren?«

Frostschaudernd in der eiskalten Klasse, wartete Inkamal-apai immer wieder geduldig, bis die Hustenanfälle der Kinder vorbei waren, und erzählte dann weiter von Ceylon, vom Meer, von warmen Ländern. Sultanmurat folgte der Geschichte halb gläubig, halb ungläubig (schien es doch gar zu herrlich zu sein in jenen Landen), jedenfalls bedauerte er in dieser Stunde aufrichtig, dass er nicht auf Ceylon lebte. Denen geht es gut!, dachte er, zugleich aber schielte er zum Fenster hin. Das konnte er. Tat so, als gucke er die Lehrerin an, dabei linste er vergnügt durchs Fenster. Draußen geschah jedoch nichts Aufregendes. Das Wetter war schlecht. Schwer fiel harter Graupelschnee. Die Schneekörner rauschten dumpf und kratzten, wenn sie an die Scheiben schlugen. Das Glas hatte sich mit Eis überkrustet. Die Fenster gaben nur trübes Licht. Der Kitt am Rahmen war von der Kälte gesprungen und bröckelte stellenweise auf das tintenbeschmierte Fensterbrett. Auf Ceylon braucht man sicher keinen Kitt, dachte Sultanmurat. Wozu auch? Sogar Fenster sind ja überflüssig, und auch die Häuser. Man baut sich eine kleine Hütte, deckt sie mit Laub und fertig.

Vom Fenster zog es unentwegt, man hörte sogar den Wind verstohlen in den Rahmenritzen pfeifen, Sultanmurats rechte Seite war schon eiskalt. Er musste es ertragen. Inkamal-apai hatte ihn eigens ans Fenster umgesetzt. »Du, Sultanmurat, bist der Stärkste in der Klasse«, hatte sie gesagt. »Du verkraftest das schon.« Früher, vor dem Kälteeinbruch, saß hier Myrsagül, ihr hatte man Sultanmurats Platz zugewiesen. Dort zog es nicht so. Hätte man sie doch auf der alten Bank gelassen! Die Kälte bekam ohnehin er ab. Dann säßen sie jetzt nebeneinander. So aber errötet sie, wenn er zu ihr tritt in der Pause. Bei allen andern gibt sie sich ganz natürlich, aber sobald er kommt, wird sie rot und rennt weg. Soll er ihr vielleicht nachlaufen? Er macht sich ja lächerlich. Diese Mädchen kriegen schnell irre Einfälle. Im Handumdrehen tauchen Zettel auf: Sultanmurat + Myrsagül = Liebespaar. Wären sie aber Banknachbarn, könnte keiner was sagen.

Draußen schneit es und schneit. Blickt man bei klarem Wetter aus dem Klassenfenster, hat man die Berge vor Augen. Die Schule steht selbst auf einer Anhöhe, hoch über dem Ail. Der Ail liegt unten, die Schule oben. Deshalb hat man von der Schule aus gute Sicht. Die fernen Schneeberge zeichnen sich ab wie auf einem Bild. Jetzt im Unwetter erahnt man kaum ihre düsteren Umrisse. Die Füße werden frostklamm, auch die Hände. Sogar der Rücken erstarrt. Bitterkalt ist es in der Klasse! Früher, vor dem Krieg, heizte man die Schule mit abgelagertem Schafsmist, mit Tesek. Der brannte wie Kohle. Jetzt bringen sie Stroh. Das knistert eine Weile im Ofen, bloß Nutzen bringt es nicht viel. In ein paar Tagen werden sie auch kein Stroh mehr haben. Nur noch Spreu.

Schade, dass das Klima in den Talas-Bergen nicht so ist wie in warmen Ländern. Bei anderm Klima wäre auch unser Leben anders. Dann hätten wir eigene Elefanten. Ritten auf ihnen wie auf Bullen. Von wegen Angst! Als Erster wollte ich mich auf einen Elefanten setzen, gleich auf den Kopf zwischen die Ohren, wie auf der Zeichnung im Lehrbuch, und ab durch den Ail. Von allen Seiten würde das Volk herbeiströmen: »Seht nur, kommt schnell - Sultanmurat, Bekbais Sohn, auf einem Elefanten!« Mochte Myrsagül dann große Augen machen und bedauern, dass sie ... Als ob es keine Schönere gäbe! Diese Zierpuppe! Auch einen Affen würde ich mir zulegen. Und einen Papageien, der Zeitung liest. Die würde ich mit auf den Elefanten setzen, hinter mich. Platz ist da genug, auf einem Elefantenrücken ließe sich die ganze Klasse unterbringen. Todsicher! Das wusste er aus Erfahrung, nicht vom Hörensagen. Mit eigenen Augen hatte er einen lebendigen Elefanten gesehen, das war allgemein bekannt, auch einen Affen hatte er schon zu Gesicht bekommen und andere wilde Tiere. Das war im ganzen Ail herum, oft genug hatte er es ihnen ja erzählt. Glück hatte er damals gehabt, großes Glück.

Vor dem Krieg, genau ein Jahr vor dem Krieg, hatte sich dieses für sein Leben bedeutsame Ereignis zugetragen. Es war im Sommer gewesen, zur Zeit der Heuernte. Sein Vater, Bekbai, beförderte in dem Jahr Brennstoff aus Dshambul ins Depot der Maschinen-Traktoren-Station. Jeder Kolchos musste dafür ein Fuhrwerk stellen. Der Vater brüstete sich zum Spaß: Ich bin kein gewöhnlicher Karrenmann, sondern ein goldener; für mich, meine Pferde und meinen Wagen erhält der Kolchos Entgelt vom Fiskus. Ich verschaff dem Kolchos Bargeld von der Staatsbank, sagte er. Deshalb springt auch der Buchhalter, sowie er mich sieht, vom Pferd und begrüßt mich.

Das leichte Gefährt des Vaters war eigens für den Petroleumtransport hergerichtet. Einen Wagenkasten hatte er nicht, einfach vier Räder mit zwei großen, in Kissennestern steckenden Blechkanistern und vorn auf dem Bock ein Sitzbrett. Das war der ganze Karren. Vorn fanden nur zwei Mann Platz. Dafür hatten sie dem Vater die besten Pferde zugeteilt. Ein gutes, kräftiges Gespann.

Zwei Wallache waren es - der Grauschimmel Tschabdar und der Braune Tschontoru. Und ihr Geschirr war solide, wie für sie gefertigt. Die Kummete und Zügel aus Jungtierleder, geteert. Die rissen nicht, soviel man daran zerrte. Anders wäre es gar nicht gegangen bei solchen Ferntransporten. Der Vater hielt auf Ordnung bei der Arbeit. Die Pferde waren bei ihm stets gut in Schuss. Wenn Tschabdar und Tschontoru losliefen, beide feurig, mit wehenden Mähnen, sich wiegend im gleichmäßigen Trab wie zwei riesige Fische, die nebeneinanderschwimmen - war das eine Augenweide! Von fern schon erkannten die Leute am Räderrattern: »Da fährt Bekbai nach Dshambul!« Zwei Tage brauchte er hin und zurück. Kam er nach Haus, waren ihm die über hundert Kilometer nicht anzumerken. Und die Leute staunten: »Bekbais Karren rollt wie ein Zug auf Schienen!« Sie hatten auch allen Grund zum Staunen. Ein müdes oder faules Gespann erkennt man am Räderknirschen. Die Haare stehen einem zu Berge, wenn es vorüberrollt. Bekbais Pferde hatten immer einen munteren Gang. Deshalb übertrug man ihm wohl auch die wichtigsten Fahrten.

Vorletztes Jahr also, kurz nach Ferienbeginn, sagte der Vater eines Tages: »Möchtest du mit in die Stadt?«

Vor Freude verschlug es Sultanmurat den Atem. Und ob! Wie war der Vater nur darauf gekommen, dass er schon längst die Stadt sehen wollte! Noch nie war er da gewesen. Einfach Klasse!

»Posaun es nur nicht aus«, ermahnte ihn der Vater schalkhaft. »Sonst machen die Kleinen Rabatz, und dann fährst du nirgendwohin.«

Das stimmte. Adshymurat, drei Jahre jünger als er, würde nie zurückstecken. Einen Dickkopf hatte der - wie ein Esel. War der Vater zu Hause, kam man kaum an ihn heran - alles wegen Adshymurat. Dauernd schwänzelte er um ihn herum. Als wäre er der Einzige und die andern zählten nicht. Die beiden jüngeren Schwestern waren ja damals noch winzig, aber selbst die erkämpften sich nur unter Geheul väterliche Liebkosungen. Auch die Nachbarn begriffen nicht, wieso der jüngere Sohn derart am Vater hing....


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Autor

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.

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