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Angst vor dem Glück

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am16.03.2015
Wiederentdeckung eines großen europäischen Erzählers
Ein Reisender findet sich unversehens in einer fremden Welt wieder - und in den Armen einer schönen Unbekannten; ein Familienvater hat von heute auf morgen seine ganze Sippe gegen sich, wird zum ungeliebten Patron ... Pirandello ist ein unerreichter Meister der subtilen Irritation, des tragikomischen Umkippens vom vermeintlich Realen ins Surreale. In seiner Prosakunst erweist sich die Unbeständigkeit dessen, was man Normalität nennt. Faszinierend zu sehen, wie der Autor aus kleinen Irritationen beiläufig die großen Dramen des modernen Menschen gestaltet.

Luigi Pirandello (1867-1936), geboren in der Nähe von Agrigent auf Sizilien, studierte Jura und Literatur an den Universitäten Palermo und Rom, arbeitete als Journalist und unterrichtete italienische Literatur. 1925 gründete er in Rom das «Teatro d'Arte», mit dem er jahrelang ganz Europa und Amerika bereiste. Sein Drama «Sei personaggi in cerca d'autore» («Sechs Personen suchen einen Autor», 1921) machte ihn weltberühmt. 1934 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
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Produkt

KlappentextWiederentdeckung eines großen europäischen Erzählers
Ein Reisender findet sich unversehens in einer fremden Welt wieder - und in den Armen einer schönen Unbekannten; ein Familienvater hat von heute auf morgen seine ganze Sippe gegen sich, wird zum ungeliebten Patron ... Pirandello ist ein unerreichter Meister der subtilen Irritation, des tragikomischen Umkippens vom vermeintlich Realen ins Surreale. In seiner Prosakunst erweist sich die Unbeständigkeit dessen, was man Normalität nennt. Faszinierend zu sehen, wie der Autor aus kleinen Irritationen beiläufig die großen Dramen des modernen Menschen gestaltet.

Luigi Pirandello (1867-1936), geboren in der Nähe von Agrigent auf Sizilien, studierte Jura und Literatur an den Universitäten Palermo und Rom, arbeitete als Journalist und unterrichtete italienische Literatur. 1925 gründete er in Rom das «Teatro d'Arte», mit dem er jahrelang ganz Europa und Amerika bereiste. Sein Drama «Sei personaggi in cerca d'autore» («Sechs Personen suchen einen Autor», 1921) machte ihn weltberühmt. 1934 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641163235
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum16.03.2015
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse300 Kbytes
Artikel-Nr.1561353
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


ANGST VOR DEM GLÜCK

Bevor Fabio Feroni, nicht mehr von der einstigen Kraft der Vernunft geleitet, sich entschloss, eine Frau zu nehmen, hatte er, während die anderen auf einem Spaziergang oder in den Cafés Erholung von der täglichen Mühsal suchten, als der Einzelgänger, der er damals war, lange Jahre hindurch sein Vergnügen auf der kleinen Terrasse einer alten Junggesellenwohnung gefunden, wo es neben vielen Blumentöpfen auch Fliegen und Spinnen und Ameisen und andere Insekten in Hülle und Fülle gab, für deren Dasein er sich mit Hingabe und Neugier interessierte.

Besonderen Spaß machte es ihm, den sinnlosen Anstrengungen einer alten Schildkröte zuzusehen, die sich seit Jahr und Tag stur und hartnäckig mühte, die erste der drei Stufen emporzuklettern, über die man von jener Terrasse ins Speisezimmer gelangte.

«Wer weiß», hatte Feroni öfter gedacht, «wer weiß, welche Wonnen sie dort zu finden hofft, wenn ihr Starrsinn nach so vielen Jahren noch nicht erlahmt ist!»

Wenn es ihr mit großer Mühe gelungen war, die Senkrechte zu überwinden, wenn sie schon die krummen Beinchen auf den Rand der Stufe legte und verzweifelt scharrte, um sich nach oben zu ziehen, verlor sie mit einem Male das Gleichgewicht und fiel rücklings auf ihren rauen Panzer zurück.

Feroni wusste natürlich, dass sie, wenn sie auch die erste, dann die zweite und endlich die dritte Stufe überwunden und das Speisezimmer in seinem ganzen Umkreis erforscht hätte, doch wieder auf den Terrassenboden würde zurückkehren wollen; gleichwohl hatte er sie, um sie für die vergebliche Anstrengung vieler Jahre zu belohnen, mehr als einmal genommen und behutsam auf die erste Stufe gesetzt.

Aber er hatte zu seiner großen Verwunderung beobachtet, dass die Schildkröte, aus Angst oder Misstrauen, sich niemals die unerwartete Hilfe zunutze gemacht hatte und, Kopf und Füße unter ihr Schuppendach ziehend, eine geraume Weile unbeweglich wie ein Stein liegen geblieben war, bis sie endlich, langsam kehrtmachend, sich wieder dem Rand der Stufe näherte, indem sie unzweifelhaft zu verstehen gab, dass sie wieder hinunter wollte.

Und so hatte er sie wieder hinuntergesetzt; doch siehe, bald darauf erneuerte sie den ewigen Versuch, aus eigener Kraft jene erste Stufe emporzuklettern.

«Was für ein dummes Vieh!», hatte Feroni das erste Mal ausgerufen. Aber dann war er nach einigem Nachdenken gewahr geworden, dass er dummes Vieh zu einem Tier gesagt hatte, so wie man dummes Vieh zu einem Menschen sagt.

Tatsächlich hatte er dummes Vieh zu ihr gesagt, nicht weil sie in so vielen Jahren der Versuche noch nicht eingesehen hatte, dass jene Stufe zu hoch war und sie notwendigerweise, sich vertikal an sie anklammernd, an einem gewissen Punkt das Gleichgewicht verlieren und auf den Rücken fallen würde; sondern weil sie, wenn er ihr helfen wollte, seine Hilfe ausschlug.

Was folgt aber aus dieser Überlegung? Dass, wenn man in diesem Sinn dummes Vieh zu einem Menschen sagt, man den Tieren eine schwere Beleidigung zufügt, weil man mit Dummheit verwechselt, was Redlichkeit oder instinktive Klugheit in ihnen ist. Dummes Vieh sagt man zu einem Menschen, der gebotene Hilfe nicht annimmt, weil es nicht erlaubt scheint, an einem Menschen zu schätzen, was bei den Tieren Redlichkeit ist.

All dies ganz allgemein!

Feroni hatte im Übrigen seine besonderen Gründe, sich über diese Redlichkeit oder Klugheit, was immer es sein mochte, der alten Schildkröte zu ärgern; er freute sich eine Weile an den komischen und verzweifelten Stößen, die sie, auf dem Rücken liegend, ins Leere tat, und pflegte ihr schließlich, des Anblicks ihrer Leiden müde, einen kräftigen Fußtritt zu versetzen.

Niemals, niemals hatte ihm jemand, bei allen seinen Anstrengungen, nach oben zu kommen, eine hilfreiche Hand reichen wollen.

Und doch, nicht einmal das hätte Fabio Feroni im Grunde sehr geschmerzt, da er die harte Beschwernis des Daseins kannte und den Egoismus der Menschen, der sich daraus ergibt. Aber er hatte im Leben eine andere, sehr viel traurigere Erfahrung machen müssen, durch die er fast ein Recht, wenn auch nicht gerade auf die Hilfe, so doch auf das Mitleid der andern erworben zu haben glaubte.

Und die Erfahrung war diese: dass trotz all seines Eifers immerzu, sobald er nur ganz nahe an dem Ziel war, nach dem er lange Zeit mit allen Kräften seiner Seele umsichtig, geduldig und hartnäckig gestrebt hatte, immerzu das Schicksal, mit dem plötzlichen Losschnellen eines Purzelmännchens, sich ein Vergnügen daraus gemacht hatte, ihn rücklings umzuwerfen, genau wie jene Schildkröte.

Ein grausames Spiel. Ein Windstoß, ein Nasenstüber, eine leichte Erschütterung im schönsten Augenblick, und alles war dahin!

Und man hätte nicht sagen können, dass seine plötzlichen Rückschläge wegen der Bescheidenheit seiner Ambitionen nur geringes Mitleid verdienten. Zunächst - seine Ambitionen waren nicht immer so bescheiden gewesen wie in diesen letzten Zeiten. Und dannâ... - ja gewiss, je höher, desto schmerzlicher ist der Sturz. Aber ist der, den eine Ameise von einem zwei Handbreit hohen Strauch tut, nicht im Endeffekt dem eines Menschen vergleichbar, der von einem Kirchturm stürzt? Abgesehen davon, dass die Bescheidenheit der Ambitionen dieses kleine Spiel des Schicksals nur umso grausamer erscheinen lassen musste. Ein sonderbares Vergnügen, in der Tat - seine Wut an einer Ameise auszulassen, das heißt an einem armen Teufel, der sich seit Jahr und Tag müht, auf alle mögliche Weise einen kleinen Ausweg zu entdecken und mit allerlei Mitteln und Mittelchen auszubauen, um seine Lebensbedingungen ein wenig zu verbessern; ihn hinterrücks zu überraschen und in einem kurzen Augenblick alle Schlauheit und Spitzfindigkeit zunichtezumachen, die lange Pein einer Hoffnung, die er vorsichtig, gleichsam an einem immer dünneren und unwahrscheinlicheren Fädchen geführt hat.

Nicht mehr hoffen, sich keine Illusion mehr machen, nichts mehr begehren! In völliger Unterwerfung seinen Weg gehen, sich der Willkür des Schicksals überlassen - das war die einzige Möglichkeit: Fabio Feroni begriff es wohl. Aber auch die Hoffnungen, Wünsche und Illusionen lebten, gleichsam ihm zum Trotz, unweigerlich wieder auf: Es waren die Saatkörner, die das Leben selbst ausstreute und die auch auf sein Erdreich fielen, das, wie hart es vom Frost der Erfahrung geworden sein mochte, sie aufnehmen musste und nicht verhindern konnte, dass sie schwache Wurzeln schlugen, dass sie bleich, in trostloser Schüchternheit, in der düsteren und eisigen Luft seiner Verzagtheit emporwuchsen.

Er konnte höchstens so tun, als bemerke er es nicht; oder auch zu sich selbst sagen, es sei nicht wahr, dass er dieses hoffe und jenes begehre; oder dass er sich der kleinsten Täuschung hingebe, könnten sich diese Hoffnung oder jener Wunsch je verwirklichen. Er lebte dahin, als wenn er wirklich nicht mehr hoffe und begehre, als ob er sich wirklich nicht die kleinste Illusion mehr mache; aber er schielte doch immer verstohlen nach der Hoffnung, nach dem Wunsch und nach der versteckten Illusion und folgte ihnen, gleichsam hinter seinem eigenen Rücken, mit verschwiegenem Ernst.

Wenn ihm dann das Schicksal plötzlich ein Bein stellte, fuhr er wohl zusammen, aber er tat so, als habe er nur leicht mit den Achseln gezuckt, lachte grimmig und ertränkte den Schmerz in der bitteren Befriedigung, dass er gar nichts gehofft, gar nichts gewünscht, sich über absolut nichts Illusionen gemacht, dass ihn diesmal das teuflische Schicksal nicht hereingelegt hatte. «Aber das versteht sich von selbst! Aber das versteht sich von selbst!», sagte er in solchen Augenblicken zu seinen Freunden, seinen Bekannten, seinen Arbeitskollegen in der Bibliothek, wo er angestellt war.

Die Freunde sahen ihn an, ohne zu begreifen, was sich von selbst verstehen solle.

«Aber seht ihr es denn nicht? Das Kabinett ist gestürzt!», fügte Feroni hinzu. «Und das versteht sich von selbst!»

Es schien, als begreife er allein die absurdesten und unwahrscheinlichsten Dinge, seit er sozusagen nicht mehr direkt hoffte, sondern zum Zeitvertreib imaginäre Hoffnungen kultivierte, Hoffnungen, die er hätte haben können, aber nicht hatte, Illusionen, die er sich hätte machen können, aber sich nicht machte; und seit er auf solche Weise angefangen hatte, die seltsamsten Beziehungen von Ursache und Wirkung in jeder Kleinigkeit zu entdecken. Heute der Sturz des Kabinetts, morgen die Ankunft des Schahs von Persien in Rom, übermorgen den Ausfall des elektrischen Stroms, der die ganze Stadt für eine halbe Stunde im Dunkeln gelassen hatte.

Kurz, Fabio Feroni hatte sich nun einmal in das verrannt, was er das Losschnellen des Purzelmännchens nannte; und so war er natürlich den wunderlichsten Formen von Aberglauben zum Opfer gefallen, die ihn immer mehr von seinen früheren, beschaulichen philosophischen Meditationen abbrachten und ihn mehr als eine Verrücktheit und Unüberlegtheit hatten begehen lassen.

Eines schönen Tages verheiratete er sich kurzerhand, wie man ein Ei trinkt, um nicht dem Schicksal die Gelegenheit zu geben, ihm alles wieder zunichtezumachen.

In Wirklichkeit hatte er bereits seit Langem (verstohlen, wie gewöhnlich) ein Auge auf jene Signorina Molesi geworfen, die bei der Bibliothek beschäftigt war; und je schöner und anmutiger Dreetta Molesi ihm scheinen wollte, desto öfter erklärte er vor anderen, sie sei hässlich und affektiert.

Seiner Braut, die über seine allzu große Eile klagte, obwohl es auch ihr gar nicht rasch genug gehen konnte, sagte er, alles sei schon seit...

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Autor

Luigi Pirandello (1867-1936), geboren in der Nähe von Agrigent auf Sizilien, studierte Jura und Literatur an den Universitäten Palermo und Rom, arbeitete als Journalist und unterrichtete italienische Literatur. 1925 gründete er in Rom das «Teatro d'Arte», mit dem er jahrelang ganz Europa und Amerika bereiste. Sein Drama «Sei personaggi in cerca d'autore» («Sechs Personen suchen einen Autor», 1921) machte ihn weltberühmt. 1934 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.