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Elena weiß Bescheid

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am09.11.20151. Auflage
Jede glaubt, sie habe sich für die andere geopfert. Nun kommt die Stunde der Wahrheit. Die Tochter wird tot aufgefunden, erhängt im Glockenturm der Kirche. Doch Elena, die Mutter, kann oder will nicht glauben, dass Rita sich das Leben genommen hat. Für die alte Dame gibt es nur eine Möglichkeit, hinter das Geheimnis um Ritas Tod zu kommen: Sie muss mit einer Frau sprechen, der sie und ihre Tochter vor zwanzig Jahren geholfen haben. Dafür muss Elena ins Stadtzentrum fahren - ein schwieriges und riskantes Unterfangen für jemanden, der an Parkinson in fortgeschrittenem Stadium leidet. Wenn die Wirkung ihres Medikaments endet, wird sie wieder in bewegungsloser Starre versinken. Am Ende muss Elena eine Wahrheit erfahren, mit der sie nicht gerechnet hat.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR8,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextJede glaubt, sie habe sich für die andere geopfert. Nun kommt die Stunde der Wahrheit. Die Tochter wird tot aufgefunden, erhängt im Glockenturm der Kirche. Doch Elena, die Mutter, kann oder will nicht glauben, dass Rita sich das Leben genommen hat. Für die alte Dame gibt es nur eine Möglichkeit, hinter das Geheimnis um Ritas Tod zu kommen: Sie muss mit einer Frau sprechen, der sie und ihre Tochter vor zwanzig Jahren geholfen haben. Dafür muss Elena ins Stadtzentrum fahren - ein schwieriges und riskantes Unterfangen für jemanden, der an Parkinson in fortgeschrittenem Stadium leidet. Wenn die Wirkung ihres Medikaments endet, wird sie wieder in bewegungsloser Starre versinken. Am Ende muss Elena eine Wahrheit erfahren, mit der sie nicht gerechnet hat.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293302723
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum09.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3237 Kbytes
Artikel-Nr.3421059
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Morgen

(Zweite Tablette)






Also los, den rechten Fuß heben, nur ein paar Zentimeter, nach vorne bewegen, ein kleines oder großes Stück weit, gerade so, dass er sich am linken vorbeischiebt, und dann wieder aufsetzen. Das ist alles, denkt Elena. Aber sie denkt, und ihr Gehirn befiehlt: Bewegen!, und trotzdem tut sich nichts. Der rechte Fuß rührt sich nicht. Erhebt sich nicht. Bewegt sich nicht nach vorne. Setzt nicht wieder auf. Rührt sich nicht, erhebt sich nicht, bewegt sich nicht nach vorne, setzt nicht wieder auf. Nur das. Aber es tut sich nichts. Da setzt Elena sich hin und wartet. Zu Hause in der Küche. Um zehn fährt der Zug in die Stadt, den muss sie nehmen; der nächste, der um elf, nützt ihr nichts; um neun hat sie ihre Tablette genommen, denkt sie, und sie weiß, dass sie deshalb den um zehn nehmen muss; sobald es dem Medikament gelingt, ihren Körper dazu zu bringen, den Befehlen ihres Gehirns zu gehorchen. Gleich. Nicht den um elf, bis dahin hat sich die Wirkung des Medikaments so sehr abgeschwächt, dass sie nicht mehr vorhanden ist, dann steht sie wieder da wie jetzt, aber ohne die Hoffnung auf die Wirkung des Levodopa.

Levodopa, so heißt das Zeug, das sich durch ihren Körper bewegen muss, sobald sich die Tablette aufgelöst hat; den Namen kennt sie schon länger. Levodopa. So hat man es ihr gesagt, und sie hat es sich damals auf einen Zettel geschrieben, weil sie wusste, dass sie die Schrift des Arztes nicht würde entziffern können. Dass sich das Levodopa durch ihren Körper bewegen muss, das weiß sie. Darauf wartet sie, während sie zu Hause in der Küche sitzt. Im Moment kann sie nichts tun außer warten. Im Geist geht sie die Straßen durch. Sagt sich die Namen vor. Einmal vorwärts und einmal rückwärts. Lupo, Moreno, 25 de Mayo, Mitre, Roca. Roca, Mitre, 25 de Mayo, Moreno, Lupo. Levodopa. Bis zum Bahnhof sind es nur fünf Querstraßen, gar nicht so viel, denkt sie und sagt die Namen auf und wartet immer noch. Fünf. Straßen, die sie zwar noch nicht mit ihren schleppenden Schritten hinter sich bringen kann, aber sich leise ihre Namen vorsagen, das kann sie.

Heute will sie niemandem begegnen. Niemand soll sie fragen, wie es ihr geht, und niemand soll ihr nachträglich sein Beileid wegen des Todes ihrer Tochter aussprechen. Tag für Tag erscheint jemand, der nicht zur Totenwache oder zum Begräbnis kommen konnte. Oder den Mut dazu nicht fand. Oder nicht aufbringen wollte. Wenn jemand so stirbt wie Rita, haben alle das Gefühl, sie müssten an der Beerdigung teilnehmen. Deshalb ist zehn keine gute Uhrzeit, denkt sie, denn auf dem Weg zum Bahnhof muss sie an der Bank vorbei, und heute werden die Renten ausbezahlt, da begegnet sie bestimmt einem ihrer Nachbarn. Mehreren Nachbarn. Die Bank öffnet zwar erst um zehn, und da fährt ihr Zug gerade in den Bahnhof ein, und sie tritt, die Fahrkarte in der Hand, an die Bahnsteigkante, um einzusteigen, aber trotzdem, Elena weiß Bescheid, die Rentner sind schon vorher da und stehen an, als hätten sie Angst, dass das Geld nur für die reicht, die zuerst kommen. Um sich die Bank zu ersparen, müsste sie einen Umweg machen, zuerst bis zur Parallelstraße gehen, aber ihr Parkinson würde einen hohen Preis dafür verlangen. Parkinson, so heißt das. Elena weiß schon seit Längerem, dass sie die Herrschaft über einige Teile ihres Körpers verloren hat, über die Füße zum Beispiel. Da hat er das Sagen. Oder sie. Sie überlegt, ob man bei Parkinson er oder sie sagen soll, der Name klingt zwar männlich, aber eine Krankheit ist es trotzdem, und Krankheiten sind weiblich, die Krankheit. Wie die Katastrophe. Oder die Strafe. Da beschließt sie, ihn »sie« zu nennen, denn beim Gedanken daran denkt sie »Scheißkrankheit«. Und Scheiße ist auch weiblich, es heißt die Scheiße, nicht der. Verzeihen Sie den Ausdruck, sagt sie. Also »sie«.

Doktor Benegas hat es ihr mehrmals erklärt, aber ganz verstanden hat sie es immer noch nicht. Was sie hat, versteht sie, schließlich steckt es in ihrem Körper. Aber manche Wörter, die der Arzt benutzt, versteht sie nicht. Beim ersten Mal war Rita dabei. Rita, die jetzt tot ist. Er sagte, Parkinson ist ein Degenerationsprozess der Nervenzellen. Dieses Wort gefiel ihnen beiden nicht. Degeneration. Weder ihr noch ihrer Tochter. Doktor Benegas hat das bestimmt gemerkt, denn er hat sofort versucht, es ihnen zu erklären. Er hat gesagt, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die einen Teil der Nervenzellen dazu bringt, zu degenerieren, sie verändert sie, verwandelt sie, modifiziert sie in der Weise, dass sie kein Dopamin mehr produzieren. Damals erfuhr Elena, dass, wenn ihr Gehirn befiehlt: Bewegen!, dieser Befehl nur dann ihre Füße erreicht, wenn das Dopamin ihn überbringt. Wie ein Laufbursche, dachte sie damals. Dann ist der Parkinson also »sie« und das Dopamin der Laufbursche. Und das Gehirn hat dabei nichts zu melden, denkt sie, schließlich hören ihre Füße nicht darauf. Wie ein vom Thron gestürzter König, der nicht merkt, dass er nicht mehr regiert. Wie der Kaiser ohne Kleider aus der Geschichte, die sie Rita erzählte, als Rita klein war. König ohne Thron, Kaiser ohne Kleider. An seiner Stelle ist jetzt »sie«, nicht Elena, sondern ihre Krankheit, und dazu der Laufbursche und der König ohne Thron. Elena sagt sich die Namen vor, so wie sie sich vorher die Namen der Straßen bis zum Bahnhof vorgesagt hat; diese Namen leisten ihr beim Warten Gesellschaft. Vorwärts und rückwärts. Kaiser ohne Kleider gefällt ihr nicht, denn ein Kaiser ohne Kleider ist nackt. Lieber König ohne Thron. Sie wartet, wiederholt, bildet Paare: »sie« und der Laufbursche, der Laufbursche und der König, der König und »sie«. Sie versucht es wieder, aber die Füße reagieren immer noch nicht, sie stellen sich nicht bloß taub, sie sind taub. Taube Füße. Elena würde sie am liebsten anschreien: Bewegt euch endlich! Scheißfüße!, würde sie sogar schreien, bewegt euch endlich, ihr Scheißfüße! Aber sie weiß, dass das nichts nützen würde, auch ihre Stimme würden ihre Füße nicht hören. Deshalb schreit sie nicht, sondern wartet. Sagt sich Wörter vor. Straßennamen, Könige, wieder Straßennamen. Sie nimmt neue Wörter in ihr Gebet auf: Dopamin, Levodopa. Sie ahnt, dass das Dopa von Dopamin und das Dopa von Levodopa miteinander zu tun haben, sicher ist sie aber nicht, sie sagt die Wörter immer wieder, spielt damit, auch wenn ihre Zunge sich verhaspelt, sie wartet, egal, Hauptsache, die Zeit vergeht, Hauptsache, die Tablette löst sich auf, bewegt sich durch ihren Körper, bis zu ihren Füßen, und die merken endlich, dass sie losmarschieren sollen.

Sie ist nervös, und das ist nicht gut, denn wenn sie nervös ist, dauert es länger, bis das Medikament wirkt. Aber sie kann nichts dagegen machen. Heute setzt sie alles auf eine Karte, sie muss herausfinden, wer ihre Tochter getötet hat, muss mit dem einzigen Menschen auf der Welt sprechen, den sie vielleicht dazu bewegen kann, ihr zu helfen. Das ist dieser Mensch ihr schuldig, wegen einer lange zurückliegenden, fast vergessenen Geschichte. Diese Schuld wird sie einfordern, auch wenn Rita, wäre sie hier, dagegen wäre, das Leben ist doch kein Tauschhandel, Mama, manche Dinge macht man einfach, bloß so, weil Gott es will. Einfach wird es bestimmt nicht, aber sie wird es versuchen.

Die Frau, zu der sie will, heißt Isabel. Ob sie sich noch an Elena erinnert, weiß Elena nicht. Wohl kaum. An Rita schon, sie schickt ihr jedes Jahr zu Silvester eine Postkarte. Vielleicht weiß sie gar nicht, dass Rita tot ist. Wenn es ihr niemand gesagt hat, wenn sie die Todesanzeige, es blieb die einzige, nicht gelesen hat, die zwei Tage nach der Beerdigung erschien - im Namen der kirchlichen Schule, an der Rita arbeitete: Leitung und Lehrerschaft, Schüler und Eltern begleiten Elena in diesem Moment voller ...

Wenn Elena es an diesem Tag nicht bis zu ihr schafft, wird die Frau, zu der sie heute will, bestimmt im Dezember einer Toten eine Karte schicken, auf der sie ihr frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünscht. An Rita erinnert sie sich, aber an sie, an Elena, denkt Elena, bestimmt nicht. Und falls doch, würde sie sie nicht wiedererkennen, wenn sie so vornübergebeugt bei ihr erschiene, mit diesem Körper, der viel älter wirkt, als sie eigentlich ist. Ihre Aufgabe wird darin bestehen, ihr klarzumachen, wer sie ist und warum sie gekommen ist. Wenn sie es überhaupt schaffen wird. Sie wird ihr von Rita erzählen. Von ihrem Tod. Wie auch immer, sie wird ihr sagen, wie wenig sie von all dem versteht, was die anderen ihr erzählt haben.

Elena weiß, wo sie Isabel finden kann, aber nicht, wie sie es bis dorthin schaffen soll. Dorthin, wo sie selbst sie vor zwanzig Jahren gebracht hat, zusammen mit Rita. Wenn sie Glück hat, wenn Isabel nicht umgezogen ist, wenn sie, anders als ihre Tochter, nicht gestorben ist, wird sie sie dort antreffen, in einem alten Haus im Stadtteil Belgrano, ein Haus mit einer schweren bronzebeschlagenen Holztür gleich neben einer Arztpraxis. Wie die Straße heißt, weiß sie nicht mehr. Wenn sie sich stattdessen daran erinnerte, was ihre Tochter sie damals gefragt hat - Mama, kennst du eine Calle del Soldado de la Independencia? -, dann wüsste sie jetzt Bescheid. Bald wird sie es wissen, denn woran sie sich sehr wohl erinnert, ist, dass es eine oder zwei Querstraßen von der Avenida war, die zwischen Retiro und General Paz an der Stadtgrenze entlangführt, in der Nähe eines kleinen Platzes und einer...



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Autor

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

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