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Die Welt zum Zittern bringen, nur weil man da ist

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Thienemann-Esslingererschienen am27.08.2022Auflage
Fesselnd, mitreißend und emotional: ein Jugendroman mit Tiefgang über ein Mädchen, das sich der Vergangenheit stellen muss.  Marie lebt in den Bäumen, will den Boden nicht berühren. In geschlossenen Räumen hält sie es nicht aus, darum ist sie aus jedem Heim, jeder Pflegefamilie abgehauen. Denn seit dem Tag, an dem ihr Stiefvater gestorben ist, ist da das Rot. Es brüllt, tobt und bedroht Marie, die sich nur in den Bäumen halbwegs sicher fühlt. Das Rot ist die schreckliche Wahrheit, der sich Marie nicht stellen kann. Doch so sehr Marie auch aneckt, sie ist nicht allein. Da ist Schlappe, die ihr Kuchen bringt, ihre Schwester Lisa, die Frau vom Jugendamt, die sich für sie einsetzt, und Jori, den Marie ganz nah an sich ranlässt. Kann sie sich schließlich dem Rot stellen?

Anja Kömmerling und Thomas Brinx erzählen Geschichten wie das Leben - mit Ecken und Kanten, Höhen und Tiefen, gerne über Menschen, die anders sind und nicht ganz ins System passen. Bis heute in über 40 Büchern, Märchenfilmen, Krimis und Komödien für Kino und Fernsehen. Ihr Thienemann-Jugendbuch »Neumond« wurde mit der Segeberger Feder ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextFesselnd, mitreißend und emotional: ein Jugendroman mit Tiefgang über ein Mädchen, das sich der Vergangenheit stellen muss.  Marie lebt in den Bäumen, will den Boden nicht berühren. In geschlossenen Räumen hält sie es nicht aus, darum ist sie aus jedem Heim, jeder Pflegefamilie abgehauen. Denn seit dem Tag, an dem ihr Stiefvater gestorben ist, ist da das Rot. Es brüllt, tobt und bedroht Marie, die sich nur in den Bäumen halbwegs sicher fühlt. Das Rot ist die schreckliche Wahrheit, der sich Marie nicht stellen kann. Doch so sehr Marie auch aneckt, sie ist nicht allein. Da ist Schlappe, die ihr Kuchen bringt, ihre Schwester Lisa, die Frau vom Jugendamt, die sich für sie einsetzt, und Jori, den Marie ganz nah an sich ranlässt. Kann sie sich schließlich dem Rot stellen?

Anja Kömmerling und Thomas Brinx erzählen Geschichten wie das Leben - mit Ecken und Kanten, Höhen und Tiefen, gerne über Menschen, die anders sind und nicht ganz ins System passen. Bis heute in über 40 Büchern, Märchenfilmen, Krimis und Komödien für Kino und Fernsehen. Ihr Thienemann-Jugendbuch »Neumond« wurde mit der Segeberger Feder ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783522621953
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum27.08.2022
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse3652 Kbytes
Artikel-Nr.9142995
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Tanz, Marie, tanz, Marie, tanz durch die Nacht. Tanz, Marie, tanz, Marie, bis um halb acht. Wenn sie tanzen, tanzen kann, fängt das Fest der Farben an. Wenn sie tanzen, tanzen kann, fängt die Freude an ...« Mama singt und schwingt den weiten Rock. Wie lange schon hat sie diese Kleider mit Blumen und Freude darauf nicht mehr getragen? Aber heute. Marie läuft strahlend neben ihr her, barfuß, denn die Schuhe halten sie in der Hand. Sie wirbeln Staub auf, sie lachen und ihre Lippen sind rot von Mamas Lippenstift. Vom Stadtfest klingt noch die Musik zu ihnen und Marie möchte den Geschmack der schokokandierten Erdbeeren für immer im Mund behalten. Nie mehr etwas anderes essen. Mama dreht sich im Kreis, und Marie sucht in ihrer kleinen Handtasche nach dem Schlüssel. Mamas Handtaschen sind weltberühmt. Jedenfalls für Marie. Der Griff aus einem Bambusstock, der Verschluss ein riesiger Knopf, der Henkel mal aus goldenen Ketten, mal Schlangenlederimitat. Mama besitzt Handtaschen, die es nur einmal gibt, und heute durfte Marie sie tragen.

»Tanz, Marie, tanz, Marie, tanz durch die Nacht. Tanz, Marie, tanz, Marie ...!« Gerade erfühlt Marie den Schlüssel zwischen Lippenstiften, Geldstücken und Parfümproben, da hört Mama auf zu singen, bleibt stehen und packt Marie bei den Schultern.

»Das Leben ist schön, Marie!«

Na klar, Mama, natürlich, was hast du denn gedacht? Marie sprüht ihr aus einem der Fläschchen Duft auf den Körper. Jetzt riecht sie wie etwas anderes als vorher und Marie schnüffelt sie ab wie ein Hund, wer bist du, bist du noch Mama? Die muss lachen und fast klingt es wie früher, wie das Lachen, bevor das Verhängnis in ihr Leben kam und alles zwar nicht gut, aber die Freiheit größer war.

»Sollen wir in den Wald gehen? In den Wald rennen?«

Die Mutter überlegt kurz, dann schüttelt sie den Kopf. Zaghaft, als wollte sie eigentlich nicken.

»Sicher ist sicher«, flüstert sie und schaut in Richtung Zuhause.

»Er kommt erst um sieben, frühestens, wir haben noch jede Menge Zeit. Komm, das ist unser Tag!«

Und Mama lässt sich überreden, weil sie sich fühlt wie früher, weil sie überhaupt mal wieder etwas fühlt. Sie rennen durch den Wald, ohne Schuhe, ohne Ziel und landen bei dem alten Ahorn. Dem Wappenbaum. Der nimmt sie mit offenen Armen auf, sie liegen unter ihm und finden Figuren in den Wolken. Wenn Marie einen Drachen sieht, dann sieht Mama ihn auch, sie sieht einen buckligen Zwerg, natürlich, ja, da ist er.

Es ist still, die Stille, wenn nur der Wald lebt.

Marie kletterte durch die Bäume. Von Ast zu Ast, dann einen Baum weiter, ein kleiner Sprung zum nächsten. Sie kannte sie alle, jeden Weg durch ihre Zweige und duftenden Stämme, nur das Rascheln der Blätter war zu hören.

Aber die hatten sich verfärbt. Das saftige Grün war langsam in gelb, rot und braun übergegangen und in den Nächten wurde es schneller kalt. Sie wusste, demnächst würde sie Schuhe anziehen müssen, ihre Füße einsperren und das Klettern neu üben. Die Gute hatte ihr einen Schlafsack mitgebracht. Der würde Marie im Heimatbaum vor der Kälte schützen. Als sie ihn erreichte, legte sie ihre Hand an seinen Stamm zur Begrüßung. »Hallo Baum!« Er antwortete freundlich. Marie ließ sich in ihrem Nest nieder, der Mulde, die drei Äste bildeten, und knetete ihre Füße. Sie sollten warm werden. Von selbst, ohne Schuhe. Sie dachte, Schuhe wären für ihre Füße wie Wände für sie selbst. Und Wände konnte Marie nicht ertragen. Keine Wände, keinen Boden. Keine Begrenzungen. Sie hatte es ja versucht, nach dem einen Tag, als das Verhängnis sein Leben verlor.

Die Karierte hatte Marie aus dem Haus geführt und seitdem war sie nicht mehr hineingegangen. Niemand. Es war ein Mörderhaus, ein Haus voller Unglück, ein Haus, das jeden in die Tiefe zog. Zu so einem Haus war es geworden, an diesem einen Tag. Manchmal kletterte Marie über die Bäume den Hügel hinab, um es von Weitem zu betrachten. Vielleicht auch, um sich zu erinnern, was es für ein Haus gewesen war, als das Verhängnis noch nicht darin lebte, nur Marie, die Mutter und ihre ältere Schwester. Die so schreckliche Gruselgeschichten erzählen konnte, dass die damals kleine Marie nie mehr unter der Bettdecke hervorkriechen wollte. Die sie vor den anderen beschützen konnte, den Schweigerzwillingen zum Beispiel, der Lehrerin, die Marie nicht verstand, auch vor Blitzen, wenn sie zu schnell hintereinanderfolgten und man nicht mal anfangen konnte, bis zum Donner zu zählen.

Nicht vor dem Verhängnis. Gegen das Verhängnis hatte keiner eine Chance und die Schwester war einfach gegangen. Vor dem einen Tag.

Die Karierte bemühte sich wirklich einen Platz für Marie zu finden. Etwas, wo sie wohnen konnte, wo jemand auf sie aufpasste, einen sicheren Ort. Aber Marie konnte die Wände nicht aushalten. Weder bei der Pflegefamilie eins, noch im Heim, noch bei Pflegefamilie zwei, drei und vier. Sie ertrug es nicht, die Wände bedrohten sie, sperrten sie ein und wenn das Rot kam, gab es keinen Weg zu fliehen. Marie konnte nur weglaufen, konnte es nicht erklären, als ob man über das Rot sprechen durfte, tu das nicht, sprich niemals über das Rot.

Die Karierte wurde ungeduldig und Marie immer wieder von der Polizei eingefangen.

»Was soll ich denn mit dir machen, Marie? Hm? Wie stellst du dir das vor? Was willst du denn? Du bist gerade erst 15 Jahre alt und kannst nicht alleine irgendwo leben.«

Pflegefamilie fünf. Sie war nett, die fünfte, sie gab sich Mühe. Marie durfte draußen schlafen und als es regnete, bekam sie ein Zelt. Als ob das Rot nicht in Zelte käme! Als ob Zelte keine Wände hätten! Als würden sie nicht auf dem Boden stehen! Ungeschützt. Marie blieb draußen, wurde nass und krank. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, ihrem fliegenden Rock, den Handtaschen, ihren Liedern und dem Lachen. Mit dem Lachen hatte sie alle verzaubern können. Simsalabim, verzauberlacht.

Auch das Verhängnis. Und dann bald niemanden mehr. Sie hatte nichts mehr zu lachen gehabt.

Maries Füße fühlten sich jetzt warm an. In den Zehen kribbelte es ein bisschen, wie es kribbelt, wenn Wärme auf Kälte trifft.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Sie war klein und flüchtig, und Marie wusste, es konnte nicht das Rot sein, das war niemals klein und machte immer Geräusche. Eichhorn war leise und schnell. Stets auf der Hut. Wie Marie. Es wollte nicht zu ihr kommen, viel zu gefährlich, aber es war neugierig, viel zu neugierig für sich selbst. Seit dem Frühling waren sie ein wenig vertrauter miteinander geworden und Marie hatte gelernt, wie sie Eichhorns Neugier ausnutzen konnte. Ausnutzen für Nähe, für eine flüchtige weiche Berührung an ihrem nackten Bein, für ein kleines, flüsterndes Gespräch zwischen Freunden.

Nicht in die Augen gucken! Fressbares unauffällig herumliegen lassen! So tun, als wäre sie nicht da oder zumindest bewegungsunfähig! Eichhorn setzte sich in einiger Entfernung auf, schaute Marie aus den schwarzen Kugeln an, die seine Augen waren, und wackelte mit der Nase beim aufgeregten Atmen.

»Hallo, Eichhorn, wie geht es dir heute?«

Eichhorn konnte nicht klagen.

»Hast du genug Proviant für den Winter gesammelt?«

Eichhorn hatte noch jede Menge zu tun.

»Ich frage die Gute, vielleicht kann sie das nächste Mal was für dich mitbringen.«

Eichhorn war einverstanden und sprang davon. Er war ein Freund, wie einige wenige, die auf Maries Seite standen. So wie die Gute.

Bei der Fünften lag Marie krank im Bett und fieberte nach ihrer Mutter, nach früher. Das Bett stand zwischen Wänden auf dem Boden, das Rot nutzte das aus. Auch wenn Marie es nicht sah, hörte sie es grollen, konnte sie fühlen, wie es sich zusammenbraute. Sie wollte es ja schaffen, sie wollte die fünfte Mutter nicht verletzen, die alles tat, damit Marie wieder gesund wurde, deren Nähe sie aber kaum ertragen konnte.

In der Nacht lief sie davon. Mit dem, was sie anhatte, und mit der großen Handtasche von Mama, deren Schnallen aussahen wie Elefantenköpfe, der Henkel eine gelbe, mittlerweile ausgefranste Kordel und nichts Rotes dran. Sie lief die große Straße entlang Richtung der kleinen Stadt auf dem Hügel, in der sie aufgewachsen war.

Sicher, die Polizei und die Karierte würden müde lächeln, sie vielleicht für ein bisschen dumm halten und genau dort wiederfinden. Denn Marie lief immer nach Hause zurück. Wohin auch sonst? Nicht zu dem Haus, nein, da nicht hin, aber in die Bushaltestelle, die war wenigstens nach vorne offen, auf den Schrottplatz oder eine Laube in irgendeinem Garten von irgendjemandem. Sie lief die ganze Nacht und schon von Weitem konnte sie diesen Hügel sehen mit den dunklen, verschlafenen Einfamilienhäusern und den vielen Bäumen, die die ganze kleine Stadt durchzogen. Darauf waren sie stolz. Die Stadt der Bäume. Radfahrer machten extra ihre Tour dorthin, aaah, die Stadt der Bäume, es gab einen Baumbeauftragten, der sich um alles kümmerte, und natürlich war es ein Baum, der im Stadtwappen zu sehen war. Der Ahorn.

Marie konnte ihn perfekt zeichnen und hatte in der Schule viel Lob für ihr Talent geerntet. Immer hatte sie sich gefragt, welcher der vielen Ahornbäume die Ehre gehabt hatte, im Wappen verewigt worden zu sein, und sie glaubte nach langer Suche mit der Mutter, die Antwort gefunden zu haben. Den größten Ahorn mit dicken Ästen hoch hinaus und weit verzweigt. Er stand etwas am Rand, abseits, am Beginn des echten Waldes, direkt nach dem Hügel. Zu diesem Baum lief sie in dieser Nacht. Er war ihr eingefallen, als hätte er ihr gewunken, und sie ärgerte sich ein bisschen, erst so spät hingeschaut...
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Autor

Anja Kömmerling und Thomas Brinx erzählen Geschichten wie das Leben - mit Ecken und Kanten, Höhen und Tiefen, gerne über Menschen, die anders sind und nicht ganz ins System passen. Bis heute in über 40 Büchern, Märchenfilmen, Krimis und Komödien für Kino und Fernsehen. Ihr Thienemann-Jugendbuch »Neumond« wurde mit der Segeberger Feder ausgezeichnet.