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Zuhause ist ein großes Wort

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
272 Seiten
Deutsch
mareverlagerschienen am21.02.2023
Sieben Jahre hat Skip auf See verbracht. Jetzt kommt sie zurück nach Amsterdam, wo sie nicht nur auf eine vom Zeitgeist veränderte Stadt trifft, sondern auch auf die Geister der Vergangenheit: den tristen Wohnblock, in dem sie aufwuchs, die wohlhabende Familie Zeno, die sie nun wie schon einmal bei sich aufnimmt, und ihren Ex Borg, Soziologiedozent mit unwiderstehlichen Händen, der inzwischen verlobt ist, aber trotzdem wieder etwas mit ihr anfängt. Skip, scharfsinnige und selbstironische Beobachterin, will sich in keine Rolle fügen, doch immer mehr rückt ihr das alte Leben mit neuen Fragen auf die Pelle. Hin- und hergerissen zwischen dem Drang nach Freiheit und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, steht sie vor der Entscheidung, die wir alle irgendwann treffen müssen: weiterziehen oder bleiben?

Nina Polak, geboren 1986, studierte Literaturwissenschaft und Cultural Analysis in Amsterdam und New York und ist seit 2013 Redakteurin bei De Correspondent. Zuhause ist ein großes Wort ist ihr zweiter Roman und der erste, der auf Deutsch erscheint. Er wurde in den Niederlanden von Publikum und Presse gefeiert, war u. a. für den Libris-Literaturpreis nominiert und wurde mit dem Charlotte-Köhler-Stipendium, dem BNG-Bank-Literaturpreis sowie dem Inktaap ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextSieben Jahre hat Skip auf See verbracht. Jetzt kommt sie zurück nach Amsterdam, wo sie nicht nur auf eine vom Zeitgeist veränderte Stadt trifft, sondern auch auf die Geister der Vergangenheit: den tristen Wohnblock, in dem sie aufwuchs, die wohlhabende Familie Zeno, die sie nun wie schon einmal bei sich aufnimmt, und ihren Ex Borg, Soziologiedozent mit unwiderstehlichen Händen, der inzwischen verlobt ist, aber trotzdem wieder etwas mit ihr anfängt. Skip, scharfsinnige und selbstironische Beobachterin, will sich in keine Rolle fügen, doch immer mehr rückt ihr das alte Leben mit neuen Fragen auf die Pelle. Hin- und hergerissen zwischen dem Drang nach Freiheit und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, steht sie vor der Entscheidung, die wir alle irgendwann treffen müssen: weiterziehen oder bleiben?

Nina Polak, geboren 1986, studierte Literaturwissenschaft und Cultural Analysis in Amsterdam und New York und ist seit 2013 Redakteurin bei De Correspondent. Zuhause ist ein großes Wort ist ihr zweiter Roman und der erste, der auf Deutsch erscheint. Er wurde in den Niederlanden von Publikum und Presse gefeiert, war u. a. für den Libris-Literaturpreis nominiert und wurde mit dem Charlotte-Köhler-Stipendium, dem BNG-Bank-Literaturpreis sowie dem Inktaap ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783866488199
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum21.02.2023
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3064 Kbytes
Artikel-Nr.11106028
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


»Und wie es das Schicksal wollte, ging dann noch das Ruder kaputt. Der Schaft ist gebrochen. Wir waren pitschnass, bis auf die Knochen durchgefroren, und konnten nicht mehr steuern. Und die Wellen wurden immer höher. Dunkelgraue Mauern aus Wasser. Das war so eine Situation, in der ich dachte: Warum tu ich mir das an? Es gibt günstige Flüge nach Norwegen, in zwei Stunden ist man da, und wir torkeln hier im schlimmsten Sturm auf nem Scheißfjord rum, haben dreißig Stunden Dauerregen und tosende Wellen hinter uns, nichts als kalte Raviolipampe im Magen und einen morschen Kahn. In solchen Momenten wird das Meer zur Kreatur, zum Monster, und du mickriger Mensch bist nur noch ein Pingpongball, ein Büschel Gras oder ...«

»Und dann?«

»Irgendwie mit den Segeln Richtung Hafen gesteuert. Zum ersten Mal im Leben einen Notruf abgesetzt. Gewartet, gebibbert, sogar ein bisschen gebetet. Als dann diese Wikinger endlich mit dem Rettungsboot kamen, hätte ich sie am liebsten abgeknutscht. Mit dem einen hab ich dann noch den ganzen Abend Aquavit getrunken, bis am Ende ich ihn retten musste.«

Rückgrat wird überbewertet. Plötzlich sitzen wir doch am Tisch, im altmodischen Bistro des Hotel Martinez. Es ist sieben Jahre später, und natürlich sitzen wir wieder am Tisch, ich und die drei Zenos, Mutter, Vater, Sohn, frisch vereint, und sehen vermutlich aus wie eine stinknormale Familie.

Nach dem einen Drink in der Bar habe ich mir doch noch ein schnelles Steak Tartare aufschwatzen lassen, das ich noch nicht angerührt habe, und jetzt plappere ich drauflos, wie immer, wenn ich mir keinen Rat weiß. Plappern und Menschen tiefer in die Augen gucken, als sie sich trauen, mir in die Augen zu gucken, in der Hoffnung, dass bei ihnen zuerst das Eis bricht. Es erzwingen. Nicht nachgeben. Im Hintergrund, gerade noch hörbar, kommt mir Chet Baker zu Hilfe, Oh, it´s a long, long while from May to December. Wie ausgerechnet die traurigsten Jazzklassiker eingesetzt werden, um die Bistrogäste zu entspannen - Melancholie als Massage. Niemand hört mehr die Schrammen, die Brüche, den Blues. Die Tischdecke ist frisch gestärkt, gebügelt, blütenweiß. Die Butter perfekt temperiert.

»Und bei euch so?«

»Bei uns? Derselbe alte Trott.« Mascha Zeno, die Schauspielerin, die Mutter, die Frau neben mir, die mal wieder kokettcharmant tiefstapelt. Sie lacht und legt ihre Hand auf die von Juda, der nervös mit einem Bein wippt. Er zieht seine Hand weg. Sie nimmt einen Schluck Wein. Warum hat eigentlich nicht sie mich angerufen statt Nico? Hoffentlich fällt ihr das Loch in meinem Kleid nicht auf (es ist das einzige anständige, das ich bei mir habe, und riecht nach Boot: Diesel, Schimmel). Sie hat sich gefreut, mich zu sehen. Mich fest umarmt. Mein Gesicht berührt. Und sie hat Nien zu mir gesagt. Liebste Nien.

»Trott«, sage ich. »Ich glaub dir kein Wort.«

»Mascha spielt bald die Rolle ihres Lebens«, sagt Nico ziemlich laut.

»Juda macht bald Abi«, sagt Mascha und sieht ihren Mann scharf an.

»Pap und Mam sind auf jeden Fall urlaubsreif«, erklärt Juda, der noch kein einziges Mal richtig von seinem Salat aufgeblickt hat, aber mit aufgekratztem Dauergrinsen meinen Geschichten folgt. Seine Stimme klingt schon fast erwachsen. Bei seinen drei unbeholfenen Begrüßungsküsschen ist mir ein reifender Männergeruch in die Nase gestiegen. Auf seinen Wangen schimmern nur noch Reste von Akne. Und auch sein weißes T-Shirt mit der Aufschrift CLIMATE CHANGE HOAX MY ASS spricht dafür, dass er zu einem ernsthaften, weltgewandten jungen Mann heranwächst.

Ich sage: »Abi, wow. Auf die Gefahr hin, wie ne alte Tante zu klingen, aber als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hattest du nur Pokémon im Kopf.«

»Das ist immer noch so«, witzelt er. »Pokémon ist was fürs Leben.«

Ich erwidere sein spöttisches Lachen. »Packst du die Prüfungen?«

»Easy.«

Eine wunderliche Mischung aus Arroganz und Unbeholfenheit bei diesem Kindmann. Das Zwischenstadium hat fast immer etwas Hässliches an sich; das Gesicht wird erst klumpig, bevor es emulgiert. Bei Juda äußert es sich in den kahlen Stellen in seinem Bartflaum und der zu großen Nase, die noch auf einen breiteren Kiefer wartet. Aber der Mund ist schön, immer noch die volle, leicht enttäuschte Unterlippe. Und unter all den wirren Zeichen des Erwachsenwerdens keine Spur von der tiefen Verunsicherung, von der meine eigene Pubertät geprägt war. In diesem knirschenden Teeniekörper steckt noch immer das privilegierte, pummelige weiße Baby, das Juda mal war.

Apropos pummelig, weiß und privilegiert. »Wie geht´s Robinson?«, frage ich. »Macht der jetzt auch Abi?« Judas bester Freund Robin, von Mascha liebevoll Robinson getauft, um ihm wenigstens einen Hauch von Klasse zu verleihen. Im Hause Zeno muss schließlich jeder ein bisschen Held sein. Vater baut Monumente. Mutter verkörpert auf der Bühne Königinnen. Sohn erobert die Welt vom Computer aus.

Mascha und Nico werfen sich einen Blick zu, Mascha nimmt einen großen Schluck Wein. Juda spießt ein Stück Rote Beete auf, steckt es sich in den Mund und kaut langsam. »Robin? Zieht sich wahrscheinlich gerade am Bildschirm ein Snickers nach dem anderen rein«, sagt er. »Ich sehe ihn gar nicht mehr. Der ist letztes Jahr von der Schule geflogen, weil er so saudumm war, das Notenverwaltungsprogramm zu hacken und sich auch noch erwischen zu lassen.«

»Der arme Junge konnte nie gut mit Menschen«, sagt Mascha. »Aber dafür war er umso brillanter mit Computern.«

Juda schnaubt. »Nicht brillant genug. Und mit Kalorien auch nicht.«

Harte Welt, die weiterführende Schule. Früher hat er nicht so geredet. Zehnjährige reden noch nicht so, gespielt gleichgültig.

Jetzt ist vielleicht nicht der richtige Moment, sich nach seinem Liebesleben zu erkundigen. Dann widme ich mich also dem rohen Fleisch, das mich schon eine Weile von meinem Teller anstarrt. Dem Koch ist der Tabasco ausgerutscht, ganz nach meinem Geschmack, und das Steak ist frisch. Zum Heulen frisch.

Wäre ich hysterischer veranlagt, würde ich sagen, dass mir schwindlig ist, aber das wäre zu stark. Zeit an Land fließt nicht, ist bröckelig, übervoll, hier werden Splitter der Wirklichkeit ins Abseits gedrängt. Ein drei viertel Steak, anderthalb Gläser Rotwein und die Bloody Mary vorher an der Bar - keine schlechte Bilanz.

Der arme Juda wird ins Hotelzimmer geschickt, um für Physik zu lernen, die erste Prüfung nächste Woche. Ob die Eltern sein Handy behalten sollen, damit er nicht abgelenkt wird? No way José. Ich bekomme eine Umarmung mit halbem Oberkörper, wie in einem Hip-Hop-Video. Es fühlt sich knochig an. »Komm mal vorbei«, sagt er, ohne mich anzusehen. »Amsterdam ist öde, aber weißt schon.«

Ich weiß.

»Ach Nienke.« Kaum ist der Sohn im Lift verschwunden, sackt Mascha im Stuhl zurück und lässt sich das Muttercape von den Schultern gleiten. Ach Mascha. Sie sieht mich an ... Ihr Blick ist ihr Metier, darin verbergen sich Landschaften, Wetterlagen und Sinfonien.

Jetzt gerade guckt sie müde, lieb und verschwörerisch zugleich: Frag ruhig, wie es ist, Mutter eines Heranwachsenden zu sein, du schmerzlich Vermisste, du glücklich Kinderlose, dann werd ich es dir offen und ehrlich erzählen, damit wir uns schnell besser verstehen, uns näher sein können - genau so guckt sie. Ich veranstalte irgendwas mit meiner Augenbraue und setze ein schiefes Lächeln auf, ungleich weniger raffiniert: Hab dich vermisst, muss gehen, berühr mich.

Oh. Nico ist ja auch noch da, breit grinsend, aber mit dunklen Schatten unter den Augen. Er ist so grau geworden. Selbstständige Architekten haben es schwer in diesen Zeiten, wer lässt heute noch Schlösser bauen?

»San Remo also.« Er wirkt ernsthaft interessiert. »Und danach?«

Ich ziehe die Schultern hoch. »Danach weiß ich noch nicht.«

Es stimmt, ich habe zum ersten Mal seit Langem keinen neuen Crewjob in Aussicht. »Ich wollte noch mehr von Italien sehen«, sage ich. »In Ventimiglia einen Freund besuchen und lernen, wie man gutes Ragù Bianco macht. Und lesen. Oh, und ich muss noch einen Text für Segeln abliefern.«

Ich bin keine große Stilistin, aber Schreiben fällt mir leicht, und so stocke ich ab und zu meinen Matrosenlohn mit Artikeln und Blogs für Zeitschriften auf. Gelesen werden sie vor allem von dickbäuchigen Jachtbesitzern, die auf dem Sofa von Sommersegeltörns und Seeluft träumen.

Nico schüttelt den Kopf. »Hilf uns auf die Sprünge, warum noch mal halst man sich Kinder und Hypotheken auf?«

Was will er hören? Man halst sich Kinder und Hypotheken auf, weil man erwachsen...
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Autor

Nina Polak, geboren 1986, studierte Literaturwissenschaft und Cultural Analysis in Amsterdam und New York und ist seit 2013 Redakteurin bei De Correspondent. Zuhause ist ein großes Wort ist ihr zweiter Roman und der erste, der auf Deutsch erscheint. Er wurde in den Niederlanden von Publikum und Presse gefeiert, war u. a. für den Libris-Literaturpreis nominiert und wurde mit dem Charlotte-Köhler-Stipendium, dem BNG-Bank-Literaturpreis sowie dem Inktaap ausgezeichnet.
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