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Pandora

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am23.02.2023
Vier Menschen stecken in der Krise: Der Schriftsteller David Rubens, weil er von Frau und Kind verlassen wurde. Der Lehrer Telmo Schmidt, weil er von seinen Schu?lern erpresst wird. Der Astronom Jurij Bogic?, weil er mit der Vergangenheit seines Vaters ka?mpft. Und die Ethnologin Carline Macpherson, weil sie mit der Zukunft der Menschheit hadert. Sie alle sehen sich vor die Frage gestellt, wie es sein kann, dass man das Richtige weiß und trotzdem das Falsche tut. Bis sich abzeichnet, wie das U?bel der Pandora in etwas Heilbringendes verwandelt werden kann - und es im su?damerikanischen Regenwald zu einem unerwarteten Zusammentreffen kommt. Nach seinem erfolgreichen Debu?t »Wallace« ist Anselm Oelze mit »Pandora« ein fulminanter Roman u?ber die »woke« Generation gelungen, deren private Lebenslu?gen mit den gesellschaftlichen Krisen der Gegenwart zusammenfallen und die sich - einmal aus ihrem gesicherten Alltag geworfen - vor ungeahnte Herausforderungen gestellt sieht.

Anselm Oelze, geboren 1986 in Erfurt, studierte Philosophie in Freiburg und Oxford. Seit Erscheinen seines gefeierten Romans »Wallace« im Jahr 2019 ist er freier Schriftsteller. Fu?r seine literarische Reportage »Die Grenzen des Glu?cks« erhielt er den Literaturfestpreis Meißen 2021. Er lebt mit seiner Familie in Leipzig.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextVier Menschen stecken in der Krise: Der Schriftsteller David Rubens, weil er von Frau und Kind verlassen wurde. Der Lehrer Telmo Schmidt, weil er von seinen Schu?lern erpresst wird. Der Astronom Jurij Bogic?, weil er mit der Vergangenheit seines Vaters ka?mpft. Und die Ethnologin Carline Macpherson, weil sie mit der Zukunft der Menschheit hadert. Sie alle sehen sich vor die Frage gestellt, wie es sein kann, dass man das Richtige weiß und trotzdem das Falsche tut. Bis sich abzeichnet, wie das U?bel der Pandora in etwas Heilbringendes verwandelt werden kann - und es im su?damerikanischen Regenwald zu einem unerwarteten Zusammentreffen kommt. Nach seinem erfolgreichen Debu?t »Wallace« ist Anselm Oelze mit »Pandora« ein fulminanter Roman u?ber die »woke« Generation gelungen, deren private Lebenslu?gen mit den gesellschaftlichen Krisen der Gegenwart zusammenfallen und die sich - einmal aus ihrem gesicherten Alltag geworfen - vor ungeahnte Herausforderungen gestellt sieht.

Anselm Oelze, geboren 1986 in Erfurt, studierte Philosophie in Freiburg und Oxford. Seit Erscheinen seines gefeierten Romans »Wallace« im Jahr 2019 ist er freier Schriftsteller. Fu?r seine literarische Reportage »Die Grenzen des Glu?cks« erhielt er den Literaturfestpreis Meißen 2021. Er lebt mit seiner Familie in Leipzig.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762256
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum23.02.2023
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1785 Kbytes
Artikel-Nr.11109530
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Der Anruf kam zur Unzeit.

Carline stand, die frisch gewaschenen, nassen Haare in ein Handtuch gewickelt, in ihrem Schlafzimmer und musterte die Gegenstände auf ihrem Bett: eine moskitostichsichere Trekkinghose, eine unverwüstliche Bluejeans, eine Leinenhose und eine Bio-Baumwollshorts, zwei T-Shirts, ein Grandad-Hemd und eine Funktionsbluse; eine Regenjacke, Wanderschuhe und Flipflops, vier Paar Socken, drei Sport-BHs und fünf Slips (denn sie fand die Vorstellung, in der tropischen Hitze nicht regelmäßig die Unterhose wechseln zu können, unerträglicher als den Gedanken, mehrere Tage ein und denselben BH tragen zu müssen, und jedes Gramm zählte). Dazu kamen ein ultraleichtes Handtuch, ein faltbarer Sonnenhut und zwei Sonnenbrillen, wobei hier die schwierige Entscheidung noch ausstand, ob es die schicke, braun-melierte Variante sein sollte, die sie sommers auch zu Hause trug, die bei hoher Luftfeuchtigkeit jedoch leichter von der Nase rutschte, oder aber die verspiegelte Sportversion mit rutschfestem Gummi am Nasensteg sowie waschbarem Halteband; in diesem Fall waren allerdings in puncto legeres Aussehen deutliche Abstriche zu machen und dieses Argument hatte durchaus Gewicht, denn darin lag ja gerade der Sinn der Übung, die Carline in diesem Moment durchführte: eine Ausrüstung zusammenzustellen, in der sie weder wie die prototypische Urwald-Ethnologin noch wie das Klischee einer Brasilientouristin aussah, die aber trotzdem den Anforderungen genügte und ihren Zweck erfüllte.

»Ich hab es ihm vorhin gesagt«, erklärte Martje.

Carline atmete einmal deutlich hörbar aus; ihr Blick war noch immer auf das Bett gerichtet. Den Aktivkohle-Wasserfilter, der dort ebenfalls lag, hatte sie schon die letzten Male nicht benötigt. Doch irgendwie entzog er sich geschickt dem Gesetz der Sparsamkeit, das jede Forschungsreise dominierte, und schließlich, whatever, man konnte ja nie wissen.

Ihr Handy machte Bling. Sie wollte es sofort vom Ohr nehmen und die Nachricht lesen (überhaupt: wo waren eigentlich die AirPods?), besann sich aber, um Martje nicht warten zu lassen.

»Wow. Wie hat er reagiert?«

Die Antwort, die folgte, war zwar lang, aber nicht kompliziert, jedoch unsortiert und immer wieder von Schweigepausen und Schluchzern unterbrochen. Carline erlaubte sich während einer der Unterbrechungen einen Blick aufs Telefon.

J&P haben Abendessen gecancelt, dafür komm T, der Neue, mit Partner, schrieb Cédric, und, ja, er schrieb tatsächlich komm , statt kommt , und das ärgerte Carline, weil er sie, seit sie sich kannten, immer wieder gern in ihrem schnell und ehrgeizig erlernten Deutsch verbesserte, sich selbst aber, vor allem in Textnachrichten, diversen Schludrigkeiten hingab, und das hasste sie, Schludrigkeiten, selbst dann wenn, wie vielleicht in diesem Fall, die Autokorrektur schuld war, das unsmarteste Tool seit Erfindung des Smartphones.

OK, schrieb sie zurück, zwischen einem Schluchzer von Martje und einem Blick auf die Malaria-Tabletten, die noch von der letzten Reise stammten und die, wie sich bei genauerem Hinsehen auf die Lasche der Packung herausstellte, vor einem Monat abgelaufen waren. Angesichts der Nebenwirkungen war die Vorstellung, jeden Tag prophylaktisch Tabletten einzuschmeißen, ohnehin keine angenehme. Aber zumindest als Notfallmedikament sollten sie parat sein - das hatte auch die Ärztin in der Tropenmedizin beim letzten Impfcheck betont.

Eine plötzliche, starke Hitze staute sich unter dem Handtuch auf ihrem Kopf. Wie sollte das alles bis morgen früh zu schaffen sein? Neue Tabletten besorgen, Sachen packen, Martje zuhören, die sich allem Anschein nach, nein, sogar unglaublich tatsächlich gerade von David, Cédrics bestem Freund, getrennt hatte; und dazwischen nun auch noch Cédric selbst mit zweiminütlichen Updates in Sachen Gästeanzahl für das Abendessen mit Kolleginnen und Kollegen, das bereits vor Monaten in den gemeinsamen Online-Kalender eingetragen worden war und das nur deshalb ungünstigerweise auf den Abend vor ihrer Abreise fiel, weil sie vor der Buchung des Flugs nicht noch einmal in eben diesen Kalender geschaut hatte. Doch anstatt um eine Vorverlegung des Essens zu bitten oder den Flug zu verschieben (die Full-Flex-Option erlaubte es und am Institut verschoben ständig irgendwelche Leute irgendwelche Flüge), hatte sie, wie um sich selbst zu kasteien für diese verdammte Schludrigkeit, allen Ernstes vorgeschlagen, die Menüplanung und das Kochen zu übernehmen. Kurz, ganz kurz immerhin hatte sie Genugtuung dabei empfunden, sich tough und vollkommen gefühlt, weil Cédric in einer solchen Situation niemals so etwas vorgeschlagen hätte. Aber nun, in diesem Moment, mit dem ganzen Zeug auf dem Bett und Martje am Ohr, merkte sie, wie ihr die Sache über den Kopf wuchs.

Sie riss das Handtuch herunter und lief in die Küche.

»Hast du ihm gesagt, dass du weder aus der Wohnung ausziehen noch mit nach Montana kommen wirst?«, fragte sie, kurz bevor sie in der Küche ankam.

Auch diese Frage, obwohl nicht sonderlich komplex, zog eine längere Antwort nach sich und schenkte wertvolle Sekunden.

Auf der Anrichte neben dem Herd lagen drei Kochbücher. Carline blätterte durch das erste und betrachtete einige Gerichte (Gebackene Aubergine mit frittierten Zwiebeln und Zitrone; Salat von geröstetem Blumenkohl mit Haselnüssen; Safraneis mit Berberitzen, Pistazien und Kräutern). Obwohl die Fotos wirklich gut aussahen, legte sie es angewidert zur Seite. Seit längerer Zeit schon kochte gefühlt jede zweite Person in ihrer Umgebung dieses israelisch-mediterrane Essen und sie konnte es eigentlich nicht mehr sehen, geschweige denn riechen und schmecken. Aber selbst wenn sie unter dem Motto Mediterran trifft asiatisch zu den Fusionvarianten desselben Kochs überging (Frühlingszwiebeldip mit Grünkohl; Brunnenkresse mit Roter Quinoa; Lammbries mit weißer Pfefferkruste, Erbsenpüree und Miso), war das Risiko zu hoch, dass wenigstens eine Person aus Cédrics Team bereits in dem Londoner Restaurant gegessen hatte, aus dem die Gerichte stammten, und den Vergleich mit dem Original, auf den konnte sie, vielen Dank auch, getrost verzichten.

Sie griff zum The Great Chef s Guide to Nordic Cuisine, schlug ihn auf und gleich darauf wieder zu. Welcher normale Mensch, bitteschön, hatte Birkenwein, eine Auswahl roh verzehrbarer Wildpilze sowie Trüffel aus Gotland in seiner Küche? Nicht mal ein Delikatessenladen in New York führte all diese Dinge! Und wer auch immer die Idee gehabt hatte, derlei Essen hyperprofessionell fotografieren, auf Hochglanzpapier drucken und in Leinen binden zu lassen, hatte dabei jedenfalls nicht an sie, Carline Macpherson, gedacht, die jetzt in ihrer Küche stand und, verdammt noch mal, die Uhr lief, ein Menü für sechs Gäste zusammenzustellen hatte, die in, Schweiß lass nach, gut fünf Stunden im Wohnzimmer stehen und mit Cédric einen Aperitif zu sich nehmen würden (vermutlich Vermouth, darauf fuhr er seit einer Weile ab; zur Not tat es auch ein Prosecco, aber natürlich ausschließlich di Cartizze, wenn hoffentlich noch eine Flasche davon im Haus war, dann konnte er nämlich erzählen, wie er sie eigenhändig in Italien gekauft und nach Deutschland transportiert hatte).

Sie hieb auf die Arbeitsplatte.

»Ist alles in Ordnung?«

Carline bejahte schnell. Allerdings nur, damit Martje weiterredete und so ausführlich wie möglich die letzten Tage und Wochen vor der Trennung schilderte. Denn es war natürlich nichts in Ordnung. Nichts war in Ordnung! Und während sie zum nächsten Kochbuch überging (Vegetarische Rezepte aus einem zenbuddhistischen Kloster), ärgerte sie sich darüber, nicht selbst so emanzipiert zu sein wie ihre beste Freundin, die einen Cut gemacht hatte; die, wie sie es schilderte, einfach gesagt hatte Schluss, aus, vorbei . Nein, stattdessen stand sie hier und geriet langsam, aber sicher in Panik, und das nur, weil sie allen, die in einigen Stunden hier eintrudeln würden, insbesondere Cédric, unbedingt beweisen wollte, dass sie nicht das akademische One-Trick-Pony war, für das gefühlt die meisten sie hielten. Ja, okay, ihr Porträtfoto auf der Institutswebsite war, anders als das wirklich gut aussehende Bild von Cédric auf der Seite seiner Firma, mit dem Telefon selbstgemacht, in einer halbstündigen Prozedur zwischen einem Nachmittagskaffee und einer Aufsatzlektüre, wie die meisten Porträts aufstrebender Akademikerinnen. Aber das hieß ja noch lange nicht, dass ihre einzige Fähigkeit universale Unfähigkeit war!

Sie lief zurück ins Schlafzimmer, um den Gedanken abzuschütteln. Doch während ihr Knie nur knapp einem Zusammenstoß mit der Bettkante entging, musste sie feststellen, wie mindestens die Idee, alles hinzuschmeißen, klettenartig an ihr heftete. Aber war eine Trennung wirklich die Lösung? Das schien dann doch etwas zu kurz gegriffen; abgesehen davon, dass sie selbst in diesem Moment felsenfest behauptet hätte, Cédric zu lieben, und noch dazu insgeheim meinte, genau zu wissen, woran es in Martjes und Davids Ehe eigentlich haperte. Das Problem lag - leider - nicht einzig und allein bei David - eine Feststellung, die aus Carlines Sicht den Haken hatte, dass sie ihn etwas zu gut davonkommen ließ, denn er war nun mal ein Gockel, da führte kein Weg dran vorbei. Ein einigermaßen gut aussehender Gockel zwar, wobei, sein Aussehen war gar nicht außergewöhnlich gut; er besaß einfach nur zwei Dinge, die jeden Menschen gut aussehen ließen: Charisma und Charme. Aber die Sache mit Gockeln war ja auch nicht die, dass ihre Federn sie nicht schmückten. Im Gegenteil. Sie waren nicht trotz,...

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Autor

Anselm Oelze, geboren 1986 in Erfurt, studierte Philosophie in Freiburg und Oxford. Seit Erscheinen seines gefeierten Romans »Wallace« im Jahr 2019 ist er freier Schriftsteller. Für seine literarische Reportage »Die Grenzen des Glücks« erhielt er den Literaturfestpreis Meißen 2021. Er lebt mit seiner Familie in Leipzig.

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