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Das Jahrhundert der Flüchtlinge

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
196 Seiten
Deutsch
CEP Europäische Verlagsanstalterschienen am22.02.2023
'Die aktuelle Asylpolitik birgt ein Zeichen der Hoffnung, nicht nur, weil sie den Kriegsflüchtlingen unter die Arme greift, sondern auch, weil sie der politischen Lähmung in Europa entgegenarbeitet.' 'Wir schaffen das!' - Der Satz der deutschen Kanzlerin aus dem Sommer 2015 ist sprichwörtlich geworden, aber die in ihm steckende Prognose wurde auch belächelt: Stand er für eine Selbstüberschätzung der Deutschen oder hat er eine Wendung der europäischen Asylpolitik in die Wege geleitet? Die Analyse der nationalen und globalen Entwicklungen auf dem Feld der Flüchtlingspolitik zeigt, dass politische Slogans nicht ausreichen. Es bedarf der Auseinandersetzung mit den rechtlichen und bürokratischen Realitäten, um zu verstehen, wie problematisch die Situation von Flüchtlingen nach wie vor ist. Alfons Söllner, der sein Forscherleben dem Erbe der Hitler-Flüchtlinge widmete, hat sich in den vergangenen 35 Jahren immer wieder mit der aktuellen Asyl- und Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt. In den hier zusammengestellten Aufsätzen zeichnet Alfons Söllner ein differenziertes Bild von Geschichte und Gegenwart der Asylpolitik nach 1945, die Analyse der sie begleitenden wissenschaftlichen Diskussionen bekundet zugleich, wie sehr das Thema ihn persönlich berührt. Während die Texte vor der Jahrtausendwende noch vehement Kritik an der Aushöhlung des bundesdeutschen Asylrechts artikulieren, lassen die späteren Texte liberalere Tendenzen erkennen. Die großzügige Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland und Europa ist ein Zeichen der Hoffnung - und ein energischer Einspruch gegen den Krieg.

Alfons Söllner, geb. 1947, Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in Regensburg, München und Harvard, Promotion 1977 an der LMU München, Habilitation 1986 an der FU Berlin. Er ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte und lehrte bis 2012 an der Technischen Universität Chemnitz. Publikationen u.a.: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Ihre Akkulturation und Wirkungsgeschichte samt einer Bibliographie, Opladen 1996; Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006; (Hrsg.) Deutsche Frankreich- Bücher aus der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2011; (Hrsg. zus. mit Michael Wildt) Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Hamburg 2018; Political Scholar. Zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018; ad Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Hamburg 2021.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,80
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext'Die aktuelle Asylpolitik birgt ein Zeichen der Hoffnung, nicht nur, weil sie den Kriegsflüchtlingen unter die Arme greift, sondern auch, weil sie der politischen Lähmung in Europa entgegenarbeitet.' 'Wir schaffen das!' - Der Satz der deutschen Kanzlerin aus dem Sommer 2015 ist sprichwörtlich geworden, aber die in ihm steckende Prognose wurde auch belächelt: Stand er für eine Selbstüberschätzung der Deutschen oder hat er eine Wendung der europäischen Asylpolitik in die Wege geleitet? Die Analyse der nationalen und globalen Entwicklungen auf dem Feld der Flüchtlingspolitik zeigt, dass politische Slogans nicht ausreichen. Es bedarf der Auseinandersetzung mit den rechtlichen und bürokratischen Realitäten, um zu verstehen, wie problematisch die Situation von Flüchtlingen nach wie vor ist. Alfons Söllner, der sein Forscherleben dem Erbe der Hitler-Flüchtlinge widmete, hat sich in den vergangenen 35 Jahren immer wieder mit der aktuellen Asyl- und Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt. In den hier zusammengestellten Aufsätzen zeichnet Alfons Söllner ein differenziertes Bild von Geschichte und Gegenwart der Asylpolitik nach 1945, die Analyse der sie begleitenden wissenschaftlichen Diskussionen bekundet zugleich, wie sehr das Thema ihn persönlich berührt. Während die Texte vor der Jahrtausendwende noch vehement Kritik an der Aushöhlung des bundesdeutschen Asylrechts artikulieren, lassen die späteren Texte liberalere Tendenzen erkennen. Die großzügige Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland und Europa ist ein Zeichen der Hoffnung - und ein energischer Einspruch gegen den Krieg.

Alfons Söllner, geb. 1947, Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in Regensburg, München und Harvard, Promotion 1977 an der LMU München, Habilitation 1986 an der FU Berlin. Er ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte und lehrte bis 2012 an der Technischen Universität Chemnitz. Publikationen u.a.: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Ihre Akkulturation und Wirkungsgeschichte samt einer Bibliographie, Opladen 1996; Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006; (Hrsg.) Deutsche Frankreich- Bücher aus der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2011; (Hrsg. zus. mit Michael Wildt) Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Hamburg 2018; Political Scholar. Zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018; ad Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Hamburg 2021.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863936440
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum22.02.2023
Seiten196 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1909 Kbytes
Artikel-Nr.11113310
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Einleitung
I. Zu früh! - Ich entsorge meine Asylbibliothek

Der Titel variiert einen Topos der Intellektuellenkultur. Während seine klassische Version dem Schreibenden nur noch einmal bestätigt, wie sehr ihm seine Bücher ans Herz gewachsen sind, ja, dass ihre Ordnung oder die Neuordnung nach einem Umzug die emotionale Bindung an sie nur noch verstärkt, befinde ich mich auf dem gegenläufigen, einem abschüssigen Pfad: Ich möchte meine Asylbücher loswerden, und meine inständige Hoffnung erstreckt sich nur mehr darauf, dass sie nicht wirklich entsorgt werden müssen, sondern einen gnädigen Abnehmer finden, der mit ihnen noch etwas anfangen kann. Meine Gefühle sind also wehmütiger Art, und ich frage mich, ob ich nicht etwas versäumt habe, da das Problemfeld von Vertreibung und Flucht doch keineswegs erledigt, vielmehr in periodischen Krisenzyklen wiedergekehrt ist, allerdings mit dem Unterschied, dass es inzwischen von einer mehr oder weniger etablierten Forschergemeinde beackert wird. Im Vergleich damit ist meine Bibliothek veraltet, deckt nur die Periode bis zur Jahrtausendwende ab, weshalb zu befürchten ist, dass sie von der Berliner Stadtreinigung beerdigt werden könnte.

Als ich vor zehn Jahren mein Amtszimmer an der Technischen Universität Chemnitz zu räumen hatte, verschenkte ich die Hälfte meiner politikwissenschaftlichen Fachbücher an die verbleibenden AssistentInnen, einige Kisten mit ihnen moderten trotzdem noch eine ganze Weile im Institutsgang vor sich hin. Die Asylbücher hingegen hatte ich säuberlich zusammengestellt, in zwei Umzugskartons verpackt und nach Berlin geschafft, wo sie allerdings nicht im pensionierten Arbeitszimmer Platz fanden, sondern in den Keller verbannt wurden. Dort erhielten sie, zusammen mit schon den länger unbenutzten historischen Wälzern, Gnadenasyl - immerhin in einem schön furnierten Holzregal, das wir aus dem Odenwälder Elternhaus meiner Frau mitbekommen hatten. Aber anders als bei der Pensionierung geplant, habe ich sie seitdem nicht mehr hervorgeholt. Selbst als ich mich 2015/16 durch die aktuelle Entwicklung noch einmal zu dem Thema gedrängt fühlte, habe ich den Aufsatz zur unterschätzten Asylkrise ohne den Rückgriff auf die alten Bücher schreiben können; zu offensichtlich lag zu Tage, was vor sich ging, es bedurfte keiner Recherche .

Zwischendurch hatte ich meinem ehemaligen Chemnitzer Assistenten die Asylsammlung noch einmal angeboten, aber der hatte nur freundlich abgewunken: das Thema sei sicherlich wichtig, aber dem wissenschaftlichen Vorwärtskommen eben nicht förderlich. Mein lebenslanges Interesse dafür hatte also keine Nachahmung gefunden. Umso erfreuter war ich, dass eine junge Dresdner Kollegin, für deren Habilitationsschrift zu einer politischen Theorie des Flüchtlings ich vor einigen Jahren ein positives Gutachten geschrieben hatte, sich anerbot, meine Bücher zu übernehmen. Zwar habe sie ihren Vertrag mit der Universität gekündigt, weil sie dort keine Perspektive sehe, aber das von ihr kürzlich ins Leben gerufene Institut für angewandte Demokratieforschung kümmere sich selbstverständlich auch um die Integration von Geflüchteten und könne meine Bücher sehr gut gebrauchen. Mutig diese Frau, und ich erleichtert! Es bedarf also keiner Entsorgung im wörtlichen Sinn, vielmehr kann ich mich auf etwas Positives besinnen und versuche mich zu erinnern, welchen Stellenwert die jeweils aktuelle Flüchtlingspolitik in meinem Wissenschaftlerleben eigentlich eingenommen hat.

Einen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage entnehme ich der Spezialisierung der jetzt in Bananenkisten schlummernden und auf die Verschickung wartenden Asylbücher: ihre fachliche Ausrichtung ist primär juristischer, politischer und geschichtlicher Art, ihre zeitliche Konzentration liegt auf den 1970er bis 1990er Jahren. So naturwüchsig sich diese Abgrenzung bei der Sammlung der Bücher damals ergeben hat, so konsequent wiederholte sie sich bei ihrer Aufbewahrung und jetzt noch einmal bei ihrer Aussortierung. Darin aber versteckt sich - das merke ich jetzt - nichts weniger als ein verzwickter Konflikt, der mein ganzes Leben und Streben über drei oder vier Jahrzehnte hinweg mitbestimmt, wenn nicht gesteuert haben muss: das gleichzeitig bedrängende, aber auch vorwärtstreibende Gefühl, dass der einsinnigen Konzentration auf die Geschichte der Hitler-Flüchtlinge und davon noch einmal auf die emigrierten Politikwissenschaftler, die sich in meinen Publikationen so eindeutig manifestiert hat, etwas ganz Elementares fehlte, nämlich die Reflexion auf die eigene Gegenwart.

Bestand dieser Defekt auf der ganzen Linie - oder hat er sich erst im Zug meiner beruflichen Etablierung eingestellt, also nachdem eine ebenso ungewisse wie produktive Ausgangslage überwunden war und ich endlich auf der Chemnitzer Politikprofessur gelandet war? Die Frage führt über die Höhen und Tiefen eines Forscherlebens, das spektakulär begann und unspektakulär endete, das aber immerhin soviel Konsequenz bot, dass eine klare Sachorientierung erkennbar wurde, die jedenfalls von der Fachwelt als Leistung erkannt, ja anerkannt wurde. Die lag aber eben nicht in der aktuellen Asylpolitik, d. h. in den drängenden, bisweilen aufdringlichen rechtlichen, soziologischen und politischen Zeitfragen, über die niemand hinwegsehen konnte, sondern in der historischen Distanz. Ich forschte und schrieb über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, und auch hier begegnete mir das Jahrhundert der Flüchtlinge , wie es notorisch genannt wurde, weniger als das große menschliche Drama, das es tatsächlich war, vielmehr interessierten mich seine akademischen Erscheinungsformen und deren längerfristige Folgen. Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration - das stellt sich heute als ein wohlbegrenztes, aber auch irgendwie esoterisches Spezialgebiet der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts dar.

Aber gab es nicht auch Lebens- und Arbeitsphasen, die diesem Eindruck widersprechen? In der Tat gab es Ausbruchsversuche aus dem akademisch eingehegten Gelände, und sie ereigneten sich nicht zufällig in den Jahren, die ich in den ebenso notorischen wie selbstquälerischen Tagebuchnotizen aus dieser Zeit immer wieder als meine Schattenkarriere bezeichnet habe. Sieht man sich nun aber diese Phasen unter dem Gesichtspunkt der Aktualität an, so erscheinen gerade sie unter den umgekehrten Vorzeichen: waren sie nicht eher meine Lichtjahre, standen also für einen politischen und intellektuellen Aufbruch? Und fügt man hinzu, was mir erst in der Erinnerung so richtig auffällt: dass ich nämlich - offenbar ohne zu wissen, welches Risiko darin steckte - die maßgeblichen Klippen meiner akademischen Qualifizierung mit riskanten politischen Themen übersprungen habe, dann gerät der defätistische Ton meines Rückblicks ins Wanken.

Um es kurz und konkret zu machen: Es wäre gewiss nichts als eine romantische Überhöhung, in der Themenwahl meiner Münchner Dissertation zur Frühgeschichte der Frankfurter Schule einen politischen Widerstandsakt zu vermuten. Doch eine gewisse Risikobereitschaft wird man mir nicht absprechen, wenn ich behaupte, dass ich mich mit dem Buch Geschichte und Herrschaft (1979) eher außerhalb des Mainstreams bewegte, wie er von meinem Doktorvater, von Kurt Sontheimer, gerade in den bleiernen Zeiten der späten 1970er Jahre vertreten wurde. Die Quittung dafür bestand in der definitiven Unmöglichkeit, mit solcher Qualifikation an der katholisch dominierten Ludwig-Maximilians-Universität auch nur einen temporären Job zu ergattern. So wie ich ins liberalere Berlin ausweichen musste, um eine berufliche Zukunft zu haben, erging es auch den anderen Mitdoktoranden in München, sofern sie ihre Interessen am langen Sommer der Theorie (Philipp Welsch) aufgewärmt hatten.

Ganz ähnlich kann man vielleicht einen Hang zum politischen Eskapismus am Werke sehen, als ich mich Mitte der 1980er Jahre am Berliner Otto-Suhr-Institut nicht in den normal science -Betrieb der politikwissenschaftlichen Bereichsforschung einreihen wollte, sondern mit einer vergangenheitspolitischen Arbeit zu Peter Weiss die Habilitation anstrebte und mithilfe der immer noch zahlreich präsenten Ex-68er auch absolvieren konnte. Aber wirklich aktuell-politisch entwickelte sich meine Arbeit erst mit dem Habilitationsvortrag, der sich die Rekonstruktion der bundesrepublikanischen Asylpolitik nach 1945 vornahm und aus dem breiten Stoff der Asylrechtsprechung die These herausdestillierte, dass die politische Praxis bei allem Wechsel der Regierungskonstellationen dem hohen Anspruch des Grundgesetzes durchgehend nicht gerecht geworden sei. Aus dem Umkreis dieser politisch-juristischen Themenstellung stammt das Gros der jetzt auf Abruf wartenden Asylbibliothek.

Aber die eigentliche asylpolitische Bewährungsprobe stand mir noch bevor; sie bestand in der...
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Autor

Alfons Söllner, geb. 1947, Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in Regensburg, München und Harvard, Promotion 1977 an der LMU München, Habilitation 1986 an der FU Berlin. Er ist Professor für politische Theorie und Ideengeschichte und lehrte bis 2012 an der Technischen Universität Chemnitz. Publikationen u.a.: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Ihre Akkulturation und Wirkungsgeschichte samt einer Bibliographie, Opladen 1996; Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006; (Hrsg.) Deutsche Frankreich- Bücher aus der Zwischenkriegszeit, Baden-Baden 2011; (Hrsg. zus. mit Michael Wildt) Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Hamburg 2018; Political Scholar. Zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018; ad Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Hamburg 2021.