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Die Wunde von Auschwitz berühren

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am22.01.2024
Seit über 30 Jahren lebt der deutsche Priester Manfred Deselaers in Auschwitz. Sein Einsatz für Versöhnung zwischen den Menschen ist seine Berufung. In diesem Buch teilt er seine Gedanken über Verantwortung, Gott und das Leid und erzählt aus seinem Leben. Er ist überzeugt: 'Wir können nicht alles Böse und alles Leid Gott in die Schuhe schieben, denn wir sind es, die für das, was in der Welt geschieht, verantwortlich sind.' Mit Beginn des Ukrainekriegs hat sein Einsatz für Versöhnung und gegen Hass neu an Aktualität gewonnen. Was ihm in diesen Zeiten Hoffnung gibt und warum er nicht aufhört, für Russland zu beten, erzählt er in diesem Buch.

Manfred Deselaers,  Dr. theol., geb. 1955, studierte in Tübingen und Chicago Theologie und wurde 1983 in Aachen zum Priester geweiht. Er lebt seit 1990 in Auschwitz/O?wi?cim und ließ sich in Yad Vashem zum Holocaust Educator ausbilden. Seit 1995 arbeitet er am katholischen 'Zent­rum für Dialog und Gebet', am Rande der Staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, seit 2010 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Für seinen Einsatz für die deutsch-polnische und die christlich-jüdische Versöhnung wurde er 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextSeit über 30 Jahren lebt der deutsche Priester Manfred Deselaers in Auschwitz. Sein Einsatz für Versöhnung zwischen den Menschen ist seine Berufung. In diesem Buch teilt er seine Gedanken über Verantwortung, Gott und das Leid und erzählt aus seinem Leben. Er ist überzeugt: 'Wir können nicht alles Böse und alles Leid Gott in die Schuhe schieben, denn wir sind es, die für das, was in der Welt geschieht, verantwortlich sind.' Mit Beginn des Ukrainekriegs hat sein Einsatz für Versöhnung und gegen Hass neu an Aktualität gewonnen. Was ihm in diesen Zeiten Hoffnung gibt und warum er nicht aufhört, für Russland zu beten, erzählt er in diesem Buch.

Manfred Deselaers,  Dr. theol., geb. 1955, studierte in Tübingen und Chicago Theologie und wurde 1983 in Aachen zum Priester geweiht. Er lebt seit 1990 in Auschwitz/O?wi?cim und ließ sich in Yad Vashem zum Holocaust Educator ausbilden. Seit 1995 arbeitet er am katholischen 'Zent­rum für Dialog und Gebet', am Rande der Staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, seit 2010 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Für seinen Einsatz für die deutsch-polnische und die christlich-jüdische Versöhnung wurde er 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451839672
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum22.01.2024
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse567 Kbytes
Artikel-Nr.12646257
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Erstes Gespräch:
Erste Berührung mit Auschwitz

»Meine Antwort muss nicht so groß sein,

wie das Böse in Auschwitz war.

Sie entspricht meinen Möglichkeiten.

Ich tue, was ich kann,

und so viel, wie ich kann.«

Wann warst du das erste Mal in Auschwitz?

1974. Es war ein Besuch im Rahmen der Vorbereitung auf einen anderthalbjährigen Aufenthalt in Israel mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Diese Organisation wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, 1958, auf Initiative deutscher Protestanten gegründet, von denen einige während des Krieges im Widerstand gewesen waren. Ihnen war bewusst, dass, wenn all dies vorbei sein würde, etwas unternommen werden muss, um die verwundeten Beziehungen zu den Völkern, denen großes Leid und Unrecht widerfahren war, zu heilen. Deshalb richteten die Christen, die sich um das Sühnezeichen scharten, an diese Völker die Bitte: »Erlaubt uns, bei euch etwas Gutes zu tun.« Zeigte sich die andere Seite offen für diese Bitte, wurden Freiwillige in das jeweilige Land geschickt, zum Beispiel nach Frankreich, Holland oder England. Man knüpfte auch Kontakte nach Polen, aber damals gab es noch die Berliner Mauer, die Teilung Europas in einen westlichen und einen östlichen Block, was die Sache nicht einfacher machte.

Und was haben die deutschen Freiwilligen dort getan?

In Frankreich haben sie zum Beispiel zwischen 1961 und 1962 die Versöhnungskirche in Taizé gebaut. Mit der Zeit begannen die jungen Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen auch in Pflegeheimen und Institutionen, die ehemalige KZ-Häftlinge und Holocaust-Überlebende unterstützten, zu arbeiten. In den 1960er-Jahren kamen Israel-Aufenthalte hinzu, wo wir uns in verschiedenen sozialen Einrichtungen engagierten. Ich habe damals mit behinderten Kindern gearbeitet.

Bevor man jedoch ins Ausland ging, um seinen Dienst anzutreten, besonders wenn es sich dabei um Israel handelte, musste man sich vorbereiten, um sich bewusst zu sein, warum und wozu man dorthin fuhr. Daher unser Besuch in Auschwitz. Wir verbrachten eine Woche in OÅwiÄcim und reisten auch durch Polen.

Welche Bilder sind dir von diesem ersten Aufenthalt in Erinnerung geblieben?

Das war noch in den kommunistischen Zeiten. Ich erinnere mich, dass es in der Stadt abends sehr schnell dunkel wurde, wenn die Geschäfte schlossen, da es nicht allzu viele Straßenlampen gab. Wir wohnten in einem Gebäude des ehemaligen Lagers. Es hatte den Deutschen als Registratur für neue Häftlinge gedient. Heute weiß ich, dass dort im September 1944 auch ein Gefangenentransport registriert wurde, der aus dem Durchgangslager Pruszków nach Auschwitz kam, unter ihnen Polen, die während des Warschauer Aufstands 1944 festgenommen worden waren. Mitte der 1960er-Jahre wurde in einem Teil des Gebäudes ein kleines Hotel für Museumsbesucher eingerichtet, insbesondere für ehemalige Häftlinge und ihre Angehörigen. Die Ausstattung der Zimmer war einfach. Auch wir wurden dort untergebracht.

Das ist lange her, aber ich werde es nie vergessen. Ich wohnte in einem Zimmer mit Blick auf das Lagertor, Stacheldraht, Lagerbaracken und -gebäude, in denen die Häftlinge festgehalten wurden.

Die ganze Zeit lag die Überzeugung in der Luft, dass dies ein sehr besonderer Ort ist, der zwar für niemanden mehr eine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben darstellt, aber von schrecklichen Dingen erzählt. Die so schrecklich sind, dass sie fast schon wieder irreal erscheinen, doch leider sind sie wirklich geschehen.

Wir wurden von Museumsmitarbeitern und ehemaligen Häftlingen über das Gelände des ehemaligen Lagers geführt. Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal Fotos von Häftlingen unmittelbar nach der Befreiung sah, die wie lebende Skelette aussahen. Sie sind mir am stärksten in Erinnerung haften geblieben. Stärker als die Haufen von Haaren, von denen fast alle nach ihrem ersten Besuch sprechen.

Von diesem ersten Aufenthalt erinnere ich mich an das Stammlager und natürlich an den Schriftzug »Arbeit macht frei« über dem Lagertor. Birkenau prägte sich mir erst bei meinem zweiten Besuch, einige Jahre später, deutlicher ins Gedächtnis ein. Von dem ersten Besuch erinnere ich mich vor allem an das Gras. Damals, in den 1970er-Jahren, wuchs in Birkenau zwischen den Ruinen hohes Gras. Wir mähten es und sagten uns: »Über Auschwitz darf kein Gras wachsen!«

Das verstehe ich nicht ganz.

Wenn man auf Deutsch sagt, dass Gras über etwas wächst, meint man damit, dass etwas mit der Zeit in Vergessenheit gerät. Wir mähten das Gras und wussten, das ungeheure Böse durfte nicht in Vergessenheit geraten.

Unsere Gruppe bestand aus etwa zwanzig Personen, und wir waren uns nicht in allem einig. Es gab Spannungen.

Welcher Art?

Es war eine äußerst heterogene Gruppe, die Hälfte Jungs, die Hälfte Mädchen, mit unterschiedlichen Sensibilitäten, sodass es zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten kam. Doch es ging auch um Grundsätzliches. Es gab Spannungen, die ganz konkret mit diesem Ort verbunden waren. Wenn zum Beispiel jemand allzu fröhlich war, herumscherzte, ermahnten ihn die anderen, sagten ihm, sein Verhalten sei unangemessen, und erinnerten ihn daran, wo wir waren. Im Gedächtnis geblieben ist mir auch einer von uns, der so etwas zu sagen pflegte wie: »Ja, es war schrecklich hier, aber man kann nicht immer nur davon sprechen, dass die Deutschen das getan haben, denn das haben Menschen getan, es sind die Konsequenzen des Handelns konkreter Personen, nicht eines Volkes.« Und wir stritten mit ihm darüber.

Warst du der Ansicht, das ganze Volk wäre verantwortlich?

Damals hatte ich mir noch keine klare Meinung dazu gebildet, es war alles noch zu neu für mich. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass die Sprüche dieses Jungen an diesem Ort, gelinde gesagt, fehl am Platz waren.

Ihr wurdet durch das Lager geführt, habt Gras gemäht und miteinander diskutiert. Was habt ihr noch gemacht? Eine Woche ist eine lange Zeit.

Wir haben auch im Museumsarchiv gearbeitet. Wir lasen Dokumente aus der Zeit des Krieges. Jeder bekam ein kleines Thema, das er oder sie bearbeiten musste. Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht mehr daran, welches Thema mir zugeteilt wurde.

Du hast gesagt, die Zeit in Auschwitz war eine Art Vorbereitung auf den Aufenthalt in Israel. Wie sollte das konkret geschehen?

Für mich war es das Wichtigste herauszufinden, was dort geschehen war. Denn - das muss ganz klar gesagt werden - vor diesem Besuch wusste ich überhaupt nichts über Auschwitz. Dieses Thema hatte für mich nicht existiert. Weder in der Schule noch zu Hause wurde darüber gesprochen.

Wirklich?

Ich gehöre zur ersten Nachkriegsgeneration. Ich hatte Lehrer, die den Krieg erlebt hatten, im Krieg gewesen waren und nicht darüber sprechen konnten. Der Zweite Weltkrieg war ein Tabuthema. Eine Art gesellschaftliches Trauma. Der Geschichtsunterricht in der Schule endete bei Bismarck - man könnte sagen: bei dem letzten deutschen Helden. Ich habe in Deutschland in der Bismarckstraße gewohnt. Natürlich ist Bismarck aus eurer Perspektive kein Held, aber das habe ich erst viele Jahre später in Polen erfahren.

Und zu Hause?

Zu Hause wurde auch nicht über den Krieg gesprochen. Gerade deshalb war der Besuch in Auschwitz für mich ein Schock. Plötzlich wurde ich mit der schrecklichen Wahrheit über die Vergangenheit konfrontiert. Viele Jahre später erzählte mir mein Vater, ich hätte ihm aus dem Lager einen Brief geschickt, in dem ich ihm heftige Vorwürfe gemacht hatte, dass weder er noch sonst jemand mir etwas davon erzählt hatte. Es sei so furchtbar und so wichtig, und ich hätte nichts gewusst! Mein Vater hatte große Angst, ich würde der kommunistischen Propaganda anheimfallen. So waren die Zeiten damals.

Dies änderte sich mit der 68er-Generation. 1968 lag der Krieg dreiundzwanzig Jahre zurück, und die unmittelbar nach dem Krieg Geborenen begannen, ins Erwachsenenalter einzutreten. Ich erinnere mich, dass in dem Jahr, in dem ich mein Abitur machte, der erste Vertreter dieser Generation an unserer Schule als Lehrer eingestellt wurde. Er hatte lange Haare und keine Angst, auch über unbequeme Themen zu sprechen. Das war eine völlig neue Welt.

Der erste Besuch in Auschwitz war für mich ein Schock. Ich musste mich dem stellen, lernen, damit zu leben. Für einen deutschen Jugendlichen, der gerade erst Abitur gemacht hatte, war es eine enorme Herausforderung, mit dieser schwierigen Wirklichkeit in Berührung zu kommen. Aber ich bin der Aktion Sühnezeichen dankbar, dass sie uns nach Auschwitz gebracht hat, denn dies war - wie sich später herausstellte - der Beginn eines für mich unerwarteten Weges.

Du hast mir einmal erzählt, dass du während deines zweiten Auschwitz-Aufenthaltes ein wichtiges inneres Erlebnis hattest.

Das war 1980. Ich war bereits Student. In Polen war gerade die unabhängige Gewerkschaft »SolidarnoÅc« gegründet worden, und ein Jahr später sollte das Kriegsrecht verhängt werden. Man spürte, dass etwas Außergewöhnliches in der Luft lag. Bei meinem zweiten Besuch wurden wir von Kazimierz SmoleÅ, einem ehemaligen Häftling, herumgeführt. Wir liefen lange durch Birkenau, etwa vier Stunden. Vom Lagertor zu den Krematorien und dann zurück auf die andere Seite des Lagers. Von diesem Weg erinnere ich mich nur an eine Sache.

Ich ging und dachte die ganze Zeit, dass es meinen Verstand übersteigt, dass meine Gefühle außerstande sind, diesen Ort zu erfassen, dass dies zu viel ist, dass ich mich hilflos fühle und nicht weiß, was ich tun soll. Und...

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Autor

Manfred Deselaers,  Dr. theol., geb. 1955, studierte in Tübingen und Chicago Theologie und wurde 1983 in Aachen zum Priester geweiht. Er lebt seit 1990 in Auschwitz/Oswiecim und ließ sich in Yad Vashem zum Holocaust Educator ausbilden. Seit 1995 arbeitet er am katholischen "Zent­rum für Dialog und Gebet", am Rande der Staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, seit 2010 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Für seinen Einsatz für die deutsch-polnische und die christlich-jüdische Versöhnung wurde er 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.Piotr Zylka ist Journalist, Publizist und Autor mehrerer Bücher. In den Jahren 2015-2020 Chefredakteur des katholischen Onlineportals Deon.pl. Er ist bekannt für sein Engagement in der Obdachlosenhilfe in Krakau bei der Stiftung "Zupa na Plantach".Andreas Volk, geb. 1971, ist Literaturübersetzer aus dem Polnischen und Englischen. 2013 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Vereinigung der polnischen Bühnenautoren und -komponisten ZAIKS und 2022 mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet.