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Der siebte Mensch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am27.10.20161. Auflage
Der Klassiker zu Migration und Arbeit in Europa - so aktuell wie nie. Jetzt neu auflegt im FISCHER Taschenbuch! ?Der siebte Mensch? untersucht die Situation der Migranten und Wanderarbeiter - in Text und Bild, mit Geschichten und Erzählungen. Es war das erste Buch, das John Berger gemeinsam mit Jean Mohr ganz den Erfahrungen und Folgen der Migration widmete - und es ist wie ?Sehen? längst ein Klassiker der Moderne. Die Neuausgabe erscheint mit einem aktuellen Vorwort von John Berger. John Berger, der große europäische Erzähler und Essayist, feiert im November 2016 seinen 90. Geburtstag. Seine Essays zu Kunst und Fotografie sind aus der Ästhetik des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Meisterhaft finden seine Erzählungen und Romane eine sinnliche Antwort auf die Frage, wie wir heute leben. »Es gibt niemals genug von John Berger!« Tilda Swinton

John Berger, 1926 in London geboren, studierte Zeichnung und Malerei. Seine bahnbrechende Fernsehserie ?Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt? definierte unsere Art, Kunst zu betrachten, neu; das Buch zur Serie wurde zum Standardwerk. In ?Der siebte Mensch? beschäftigte er sich als einer der ersten mit dem Thema Migration. Mit seinen Romanen, Geschichten und Essays, seiner politischen Insistenz und seinem zärtlichen Blick auf die Wirklichkeit wurde er zu einer der eigenständigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts. John Berger starb Anfang 2017 in der Nähe von Paris.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDer Klassiker zu Migration und Arbeit in Europa - so aktuell wie nie. Jetzt neu auflegt im FISCHER Taschenbuch! ?Der siebte Mensch? untersucht die Situation der Migranten und Wanderarbeiter - in Text und Bild, mit Geschichten und Erzählungen. Es war das erste Buch, das John Berger gemeinsam mit Jean Mohr ganz den Erfahrungen und Folgen der Migration widmete - und es ist wie ?Sehen? längst ein Klassiker der Moderne. Die Neuausgabe erscheint mit einem aktuellen Vorwort von John Berger. John Berger, der große europäische Erzähler und Essayist, feiert im November 2016 seinen 90. Geburtstag. Seine Essays zu Kunst und Fotografie sind aus der Ästhetik des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Meisterhaft finden seine Erzählungen und Romane eine sinnliche Antwort auf die Frage, wie wir heute leben. »Es gibt niemals genug von John Berger!« Tilda Swinton

John Berger, 1926 in London geboren, studierte Zeichnung und Malerei. Seine bahnbrechende Fernsehserie ?Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt? definierte unsere Art, Kunst zu betrachten, neu; das Buch zur Serie wurde zum Standardwerk. In ?Der siebte Mensch? beschäftigte er sich als einer der ersten mit dem Thema Migration. Mit seinen Romanen, Geschichten und Essays, seiner politischen Insistenz und seinem zärtlichen Blick auf die Wirklichkeit wurde er zu einer der eigenständigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts. John Berger starb Anfang 2017 in der Nähe von Paris.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104901619
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum27.10.2016
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse16673 Kbytes
Artikel-Nr.1921571
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Nach der kapitalistischen Ethik ist Armut ein Zustand, von dem ein Einzelner oder eine Gesellschaft sich durch unternehmerisches Handeln befreit. Unternehmerisches Handeln wird nach dem Kriterium der Produktivität als Wert an sich beurteilt. Daher ist Unterentwicklung als ein Zustand abgeschlossener, unausweichlicher Armut dem Kapitalismus unvorstellbar. Doch der Kapitalismus hält nahezu die Hälfte der Welt in diesem Zustand. Dieser Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist einer der Gründe, warum der Kapitalismus und seine kulturellen Institutionen nicht länger sich selbst noch die Welt erklären können.

 

Die moderne ländliche Armut hat nicht einen natürlichen, sondern einen sozialen Grund. Das Land wird unfruchtbar durch den Mangel an Bewässerung oder Saatgut oder Dünger oder Gerät. Die Unproduktivität des Landes führt sodann zu Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung. Zum Beispiel: Ein kräftiger, gesunder Mann ist mitunter gezwungen, den ganzen Tag damit zu verbringen, zwei Rinder zu weiden. Die soziale Grundlage dieser Armut wird jedoch verschleiert. Die ökonomischen Beziehungen, die sich zwischen das Land und die Bauern drängen; das Anteil-Pachtsystem, das Landpachtsystem, das Kreditsystem, das Marktsystem - sind als Bestandteil der Unfruchtbarkeit des Landes anzusehen, als Bestandteil der unbestreitbaren Wahrheit, dass man aus Steinen kein Brot machen kann.



Spanischer Arbeiter in Frankfurt





Ernte bei Salamanca, Spanien



Diejenigen, die fortgingen, in der Stadt Erfolg hatten und wiederkommen, sind Helden. Er hat mit ihnen gesprochen. Sie nehmen ihn zur Seite, als zögen sie ihn in ihre Verschwörung. Sie lassen durchblicken, dass es Geheimnisse gibt, die nur denen offenbart und nur mit denen besprochen werden können, die dort gewesen sind. Ein solches Geheimnis betrifft Frauen. (Sie zeigen ihm farbige Fotografien von nackten Frauen, aber sie sagen nicht, wer sie sind.) Ein anderes betrifft gewisse Männer, die man nicht beleidigen, denen man nicht in die Quere kommen darf. Ein anderes handelt davon, wie lange es braucht, zu Fuß die Stadt zu verlassen. Ein anderes von den Gebäuden, die zu betreten absolut verboten ist. Überhaupt kein Geheimnis hingegen sind die Löhne, die Dinge, die man kaufen kann, der Betrag, den man sparen kann, die vielen verschiedenen Autos, die Art, wie die Frauen sich kleiden, was es zu essen und zu trinken gibt, die Stunden, die man gearbeitet hat, die Händel, die man gewonnen hat, die Schläue, die man bei allen Gelegenheiten braucht. Er erkennt, dass sie prahlen, wenn sie sprechen. Aber er räumt ihnen das Recht ein, zu prahlen, denn sie sind mit Geld und Geschenken zurückgekehrt, die der Beweis ihrer Leistung sind. Einige sind im eigenen Auto zurückgekommen.

 

Während er zuhört, stellt er sich vor, dass er ihrer Verschwörung beitritt. Dann wird er die Geheimnisse erfahren. Er wird wiederkommen und noch mehr vollbracht haben als sie, denn er ist imstande, härter zu arbeiten, gewitzter zu sein und schneller zu sparen als irgendeiner von ihnen.



Emigrant im Gespräch mit einem Dorfgenossen, Kalabrien, Italien





Vater und Sohn in Anatolien, Türkei



Unterentwickelt sein, heißt nicht einfach, beraubt oder ausgebeutet sein: es heißt, in einem künstlichen Stillstand gefangen sein. Unterentwicklung tötet nicht nur: die ihr wesentliche Stagnation leugnet das Leben und gleicht dem Tod. Der Emigrant will leben. Es ist nicht die Armut allein, die ihn zwingt auszuwandern. Durch seine eigene individuelle Anstrengung versucht er, jene Dynamik zu erreichen, die der Situation fehlt, in die er geboren wurde.

 

Eines Tages sagt er, dass er gehen wird. Bevor er es sagte, war die Entscheidung noch nicht wirklich gefallen. Als er es gesagt hat, ist es bekannt. Das Dorf weiß es. Und das Dorf steht nun zwischen ihm und dem Zurücktreten von seinem Wort. Einige versuchen, ihm abzuraten. Aber sie alle erkennen, dass er sich entschlossen hat. Bevor er es sagte, hatte er sich noch nicht entschlossen.



Vater und Sohn in einem sizilianischen Dorf



Er sagt jedem Lebewohl. Er lässt niemanden aus. Er kennt das Dorf, solang er lebt. Die Intensität, mit der er dies spürt, im Augenblick da er geht, ist beinah so stark wie die Kraft seines Willens. Indem er das Dorf verlässt, wählt er es als sein eigen. Die daraus folgende Verwirrung der Gefühle führt zu Fragen. Wird sein Onkel noch leben, wenn er zurückkehrt? Lebewohlsagen heißt, sich dem Willen des Himmels unterwerfen. Wer weiß, ob er triumphierend oder besiegt zurückkehren wird? Was die Stadt bieten kann, ist für diejenigen, die dort Erfolg haben, nicht für diejenigen, die scheitern. Er stellt sich vor, die Siegprämien der Stadt treiben auf schwarzem Wasser, in dem alle, die scheitern, ertrinken. Der Ausdruck auf den Gesichtern im Dorf, die ihm Lebewohl sagen, gibt ihm keine Antwort.



Straße vor dem Dorf, Anatolien, Türkei



Er gibt seine Anweisungen bezüglich des Landes, des Hauses, des Brunnens, der Tiere, als wollte er mit ein paar Sätzen noch einmal das tägliche Tun von Jahren verrichten.

 

Seine Mutter billigt seinen Entschluss. Es ist eine Angelegenheit der Familie, und die Familie wird ihren Vorteil haben. Aber sie hasst das »draußen«, wohin er zieht. Und als es so weit ist, dass er aus dem Haus geht, erinnert sie sich, wie er zur Welt kam. Im gleichen Raum dort oben, wo sie, ihr Mann und ihre Tochter immer noch schlafen. Da waren zwei Frauen, Nachbarinnen, die ihr halfen, kein Arzt. Das Baby war ein Knabe, und sein Name stand schon fest. Sie reichten ihn ihr, und als sie ihn an die Brust legte, hörte er auf zu schreien. Jetzt ist der Augenblick seines Aufbruchs. Die beiden Augenblicke vereinigen sich. Sie legt beide Hände um ihren Kopf und schwankt leicht auf den Füßen - er ruft bereits dem Pferd an der Deichsel des Karrens den Befehl zu -, und es ist, als hielte sie, indem sie den Kopf mit den Händen bedeckt, in beiden Ohren die Geräusche der fünfundzwanzig Jahre fest, welche die beiden Augenblicke scheiden.

 

Ohne das Beispiel einer revolutionären Partei scheinen die ökonomischen und sozialen Verhältnisse, die die ländliche Armut erzeugen und aufrechterhalten, unabänderlich zu sein. Daher tun diejenigen, die die meiste Initiative haben, das Einzige, was Hoffnung zu bieten scheint: Sie gehen.

 

Auf dem Karren der Familie bis zur nächsten Bushaltestelle, es bleibt nicht viel zu sagen. Sie kommen an vielen vorbei, die gehen, reiten, Kühe weiden. Die Straße selbst ist eine Folge von Geschichten, die Zuhörer zu beiden Seiten im Gras.

 

Dies ist die Straße, an der er als kleiner Junge mit seinen Brüdern versuchte, Haselnüsse und wilde Erdbeeren an das Auto zu verkaufen, das manchmal aus dem Marktflecken kam.

 

Obgleich es dem Monopolkapital gelingt, aus den meisten Menschen der Welt, direkt oder indirekt, Superprofite zu schlagen, verwandelt es nicht die meisten Menschen der Welt in industrielle Produzenten von Mehrwert ... Obgleich es alle Klassen und alle Nationen (außer denen, die aus seinem Reich ausgebrochen sind) den verschiedenen Formen ein und derselben Ausbeutung unterwirft, erhält und verstärkt es im höchsten Maß die Unterschiede zwischen diesen Gesellschaften. Obgleich die Vereinigten Staaten und Indien heute enger miteinander verwoben sind als jemals in der Vergangenheit, ist der Abstand, der die Technologie, die Lebenserwartung, die Alltagskultur, die Lebens- und Arbeitsweise der Einwohner beider Länder trennt, heute größer als noch vor einem Jahrhundert, als zwischen den beiden Ländern kaum irgendwelche Beziehungen bestanden.

 

Nur wenn wir begreifen, dass der Imperialismus das universelle Gesetz der ungleichen und kombinierten Entwicklung zur weitestmöglichen Anwendung bringt, können wir die Weltgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert verstehen.

 

An der Busstation springt er vom Karren und sagt ein letztes Lebewohl. An der Busstation - einer Gruppe von Holzhütten neben einer großen, offenen, mit Schlamm und Gras bedeckten Parkfläche - herrscht Gedränge. Die Wartenden sitzen oder liegen; andere bereiten sich auf den Aufbruch vor. Der Platz ist bedeckt mit dem Abfall der hier verbrachten Stunden. In der Luft eine irgendwie hängenbleibende Wolke von Klängen, bestehend aus Wörtern, die Reisen besprechen und erzählen. Da sind Familien auf der Fahrt vom Dorf in die Stadt oder von Dorf zu Dorf. Da sind Männer, die nach Hause kommen. Da sind andere Auswanderer. Da sind Soldaten. Er sitzt neben seinem Koffer und seinen Paketen, die mit vielfach verknoteter Kordel fest verschnürt sind. Die Pakete enthalten, was nicht mehr in den Koffer passte, was ihm noch nachträglich einfiel, und letzte Geschenke. Drinnen ist jeder Gegenstand - Käse oder Rasierapparat - sorgfältig in Tuch eingeschlagen.



Herrenklub, Sevilla, Spanien





Herrenklub, Sevilla, Spanien



Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt ... Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schifffahrt, den Landkommunikationen eine unermessliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, in dem Industrie, Handel, Schifffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien, drängte sie alle vom Mittelalter her überlieferten Klassen in den Hintergrund ... Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft...
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Autor

John Berger, 1926 in London geboren, studierte Zeichnung und Malerei. Seine bahnbrechende Fernsehserie >Sehen. Das Bild der Welt in der BilderweltDer siebte MenschEine andere Art zu erzählen