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Die Mitte der Welt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Carlsen Verlag GmbHerschienen am15.02.2010Auflage
Was immer ein normales Leben auch sein mag - der 17-jährige Phil hat es nie kennengelernt. Denn so ungewöhnlich wie das alte Haus ist, in dem er lebt, so ungewöhnlich sind auch die Menschen, die dort ein- und ausgehen - seine chaotische Mutter Glass, seine verschlossene Zwillingsschwester Dianne und all die anderen. Und dann ist da noch Nicholas, der Unerreichbare, in den Phil sich unsterblich verliebt.

Andreas Steinhöfel wurde 1962 in Battenberg geboren. Er ist Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher, wie z. B. »Die Mitte der Welt«. Für »Rico, Oskar und die Tieferschatten« erhielt er u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis. Nach Peter Rühmkorf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer hat Andreas Steinhöfel 2009 den Erich Kästner Preis für Literatur verliehen bekommen. 2013 wurde er mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk ausgezeichnet und 2017 folgte der James-Krüss-Preis. Zudem wurde er für den ALMA und den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Andreas Steinhöfel ist als erster Kinder- und Jugendbuchautor Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Serie über Rico und Oskar wurde sehr erfolgreich fürs Kino verfilmt. Zusätzlich zu seiner Autorentätigkeit arbeitet er als Übersetzer und Rezensent und schreibt Drehbücher. Seit 2015 betätigt er sich in seiner Filmfirma sad ORIGAMI als Produzent von Kinderfilmen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,99
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWas immer ein normales Leben auch sein mag - der 17-jährige Phil hat es nie kennengelernt. Denn so ungewöhnlich wie das alte Haus ist, in dem er lebt, so ungewöhnlich sind auch die Menschen, die dort ein- und ausgehen - seine chaotische Mutter Glass, seine verschlossene Zwillingsschwester Dianne und all die anderen. Und dann ist da noch Nicholas, der Unerreichbare, in den Phil sich unsterblich verliebt.

Andreas Steinhöfel wurde 1962 in Battenberg geboren. Er ist Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher, wie z. B. »Die Mitte der Welt«. Für »Rico, Oskar und die Tieferschatten« erhielt er u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis. Nach Peter Rühmkorf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer hat Andreas Steinhöfel 2009 den Erich Kästner Preis für Literatur verliehen bekommen. 2013 wurde er mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk ausgezeichnet und 2017 folgte der James-Krüss-Preis. Zudem wurde er für den ALMA und den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Andreas Steinhöfel ist als erster Kinder- und Jugendbuchautor Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Serie über Rico und Oskar wurde sehr erfolgreich fürs Kino verfilmt. Zusätzlich zu seiner Autorentätigkeit arbeitet er als Übersetzer und Rezensent und schreibt Drehbücher. Seit 2015 betätigt er sich in seiner Filmfirma sad ORIGAMI als Produzent von Kinderfilmen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783646920369
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum15.02.2010
AuflageAuflage
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1199 Kbytes
Artikel-Nr.1012786
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



GLASS

Eines nasskalten Aprilmorgens bestieg Glass, die linke Hand am Griff ihres Koffers aus abgewetztem Lederimitat, die rechte am Geländer einer wackeligen Gangway, einen Ozeanriesen, der im Hafen von Boston zum Auslaufen nach Europa bereitlag. Menschen wimmelten über den Pier, Wasser schlug aufgebracht gegen die Kaimauer. In der Luft hing ein stechender, übelkeiterregender Gestank, eine Mischung von verbranntem Teer und faulendem Fisch. Glass legte den Kopf in den Nacken und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die dickbauchigen Wolkenbänke, die sich über der Küste von Massachusetts stapelten. Nieselregen jagte gegen den dünnen Mantel, der ihre unmöglich mageren Beine umschlackerte. Sie war siebzehn Jahre alt und im neunten Monat schwanger.

Abschiedsrufe erklangen, weiße Taschentücher flatterten im Wind, Motoren erwachten zum Leben. Inmitten der wogenden Menschenmenge, die sich am Pier versammelt hatte, um Verwandten und Bekannten Lebewohl zu winken, stand ein Kind. Lachend erhob es eine Hand und deutete in den grauen Himmel. Hoch oben, auf salzigem Wind, tanzten Möwen wie die Papierfetzen bei einer Parade zur Feier des Unabhängigkeitstages. Die unschuldige Geste rührte Glass und reichte beinahe aus, ihren Entschluss, Amerika zu verlassen, ins Wanken zu bringen. Doch plötzlich hatte der Dampfer es eilig. Mit einem wehmütigen Tuten legte er ab und ließ den Hafen hinter sich. Sein Bug drückte tief ins Wasser. Glass wandte dem Festland den Rücken zu. Sie schaute nie zurück.

In den folgenden Tagen sahen die anderen Passagiere das Mädchen am Bug des stampfenden Schiffes stehen, den grotesk angeschwollenen Bauch gegen die Reling gepresst, den Blick unverwandt auf das Meer gerichtet. Glass hielt den neugierigen Blicken und dem Flüstern der Menschen trotzig stand. Niemand wagte es, sie anzusprechen.

Eine Woche nachdem sie Amerika für immer hinter sich gelassen hatte, spürte Glass auf der Zunge den Geschmack von salzigem Tang; am Mittag des achten Tages betrat sie die Alte Welt. Noch Stunden später hatte Glass das Gefühl, der Boden schwanke unter ihren Füßen. Vom Schiff aus hatte sie Stella mehrfach telegrafiert, dass sie auf dem Weg nach Visible sei, wo sie auf unbestimmte Zeit bleiben wolle. Ihre ältere Schwester, die sie zuletzt als kleines Mädchen gesehen hatte, deren letzter Brief aber keine vier Wochen alt war, hatte keine Antwort zurückgekabelt. Das war nicht zu ändern. Glass hatte nicht Tausende von Seemeilen hinter sich gebracht, um jetzt unverrichteter Dinge und hochschwanger wieder umzukehren.

Es dauerte den verbleibenden Tag und eine halbe Nacht, um den Rest der nach Süden führenden Strecke mit der Eisenbahn zurückzulegen - in Zügen, die immer kürzer, immer unbequemer und immer langsamer wurden. Nichts an der Landschaft, die da draußen an ihr vorbeizog, erinnerte Glass an Amerika. In Amerika war der Himmel weit, der Horizont endlos, bestenfalls begrenzt von beinahe unüberwindlichen, verschneiten Gebirgsketten, und die Flüsse waren träge, uferlose Ströme. Hier aber schien das Land zu schrumpfen, je weiter man sich von der Küste entfernte. So weit das Auge reichte, hatte alles - die mit Schnee überzuckerten Wälder, die froststarren Hügel und Berge sowie die dazwischen liegenden Dörfer und Städte - die überschaubaren Maße einer Spielzeuglandschaft, und selbst die breitesten Flüsse schienen in ihrem Lauf gezähmt. Nach dem letzten Umsteigen saß Glass, die Hände auf dem Bauch gefaltet, allein in ihrem überheizten Abteil, starrte müde zum Fenster hinaus in die tintenschwarze Nacht und überlegte, ob sie den richtigen Schritt getan hatte. Schließlich fiel sie in unruhigen Schlaf. Im Traum sah sie einen unscheinbar braunen Vogel, der von einem gewaltigen Adler mit goldenen Schwingen verfolgt wurde. Tief unter ihnen der Ozean, schossen Jäger und Gejagter in Zickzacklinien durch den sturmzerrissenen schwarzen Himmel, bis der kleine Vogel der Erschöpfung nachgab, seine Flügel an den Körper legte und sich fallen ließ. Wie ein Stein schlug er auf dem Meer auf, wo er zwischen aufgewühlten, blaugrauen Wellen versank.

Glass schreckte auf, als der Zug ruckend zum Stillstand kam. Unvermittelt krampfte sich ihr Unterleib zusammen, und zum ersten Mal befürchtete sie ernsthaft, dass bald die Wehen einsetzen könnten. Sie spähte nervös zum Fenster hinaus und erblickte in einem Halbkreis aus trübgelbem Licht ein kleines Bahnhofsgebäude sowie ein verwittertes, kaum lesbares Schild. Sie war angekommen.

Schneidende Kälte empfing sie auf dem Bahnsteig. Die wenigen Menschen, die ebenfalls den Zug verließen, flatterten durch die Dunkelheit wie aus dem Schlaf geschreckte Tauben. Von Stella war nichts zu sehen. Der Bahnhofsvorsteher, ein betagter, misstrauischer Mann, klärte Glass in einer aus harten Konsonanten bestehenden Sprache und heftig gestikulierend darüber auf, dass es am Ort keine Taxis gebe. Stellas Briefen zufolge war Visible leicht zu Fuß zu erreichen, es lag höchstens eine Viertelstunde außerhalb der Stadt, am Waldrand jenseits eines schmalen Flusses. Entnervt von den Blicken des alten Mannes, die wie neugierige Hände ihren Bauch abtasteten, und unablässig die lausige Kälte verfluchend, stapfte Glass in die Richtung, die ihr der Bahnhofsvorsteher gezeigt hatte, nachdem sie mehrfach Stellas Namen wiederholt hatte.

Sie hatte die Brücke, die den Stadtrand mit dem angrenzenden dichten Wald verband, kaum überquert, als ihr Unterleib sich wie ein Akkordeon ruckartig zusammenzog. Krämpfe jagten in Wellen durch ihren Körper, gefolgt von einer dumpfen, ziellosen Übelkeit. Glass atmete tief durch und zwang sich, ruhig einen Fuß vor den anderen zu setzen. Blindlings draufloszulaufen war sinnlos. Kurz hinter der Brücke hatte ein Waldweg die asphaltierte Straße abgelöst. Der Boden war fest gefroren, er lag unter einer dünnen, verharschten Schneedecke. Wenn sie jetzt rannte, wenn sie darauf ausrutschte, wenn sie stürzte ...

Aus dem Unterholz erklang ein leises Knacken. Für einen schreckerfüllten Augenblick glaubte Glass lang gestreckte, dahinhuschende Schatten neben sich zu sehen, streunende Hunde, Wölfe vielleicht, zusammengetrieben von Hunger und Kälte. Sie blieb wie angewurzelt stehen, hob abwehrbereit ihren Koffer, der ihr plötzlich viel zu klein erschien, und lauschte, in halb gläubiger, halb ungläubiger Erwartung eines drohenden Knurrens, in den Wald.

Nichts.

Die nächste Wehe ließ auf sich warten, und Glass marschierte weiter, von plötzlicher Wut auf sich selbst erfüllt. Nichts wusste sie über dieses Land, auf das sie sich so kurz entschlossen eingelassen hatte, nichts, nicht einmal, ob es hier Wölfe gab oder nicht. Und dann teilten sich die Baumreihen, und ihre Wut verebbte, als sich vor ihr Visibles Silhouette unvermittelt in den Nachthimmel erhob. Überrascht sog Glass Luft durch die zusammengebissenen Zähne. Nie hatte sie sich das Haus so groß vorgestellt, nie so wirklich ... nicht wie ein Schloss. Sie erkannte die Umrisse von Zinnen, Erkern und kleinen Schornsteinen, unzählige verriegelte Fenster, eine überdachte Veranda. Hinter zwei hohen Fenstern im Erdgeschoss brannte schwaches, orangerotes Licht.

Glass wollte eben einen erleichterten Schritt zwischen den Bäumen hindurch machen, als ohne Vorwarnung ihre Knie nachgaben. Sie sackten einfach ein, als hätte man ihr einen Teppich unter den Füßen fortgerissen. Glass stürzte nach vorn. Instinktiv riss sie die Arme hoch, der Koffer entglitt ihr, und noch ehe sie auf dem harten Boden aufschlagen konnte, schlossen sich ihre Hände um den Stamm einer vor ihr aufragenden jungen Birke. Warme Flüssigkeit rann an ihren Schenkeln herab, wurde sofort zu Eiswasser und versickerte in ihren kurzen Strümpfen. Die Innenflächen ihrer Hände schmerzten, sie hatte sich die Haut aufgerissen. Keuchend zog sie sich an der Birke empor. Die nächste Wehe fuhr durch ihren Körper wie ein Axthieb.

Glass umklammerte den Baumstamm, warf den Kopf in den Nacken und schrie auf. Undeutlich nahm sie wahr, dass jemand aus dem Haus gelaufen kam, eine junge Frau mit langen Haaren, in der Dunkelheit von dumpfem Rot, eine Farbe, die Stellas Haar nie besessen hatte. Und Glass´ nächster Schrei galt nicht dem winzigen Mädchen, das sich beinahe mühelos zwischen ihren Beinen in die Welt drängte, sondern den aufgeregten Worten dieser jungen Frau, denn Stella war tot, sie war tot, war tot, und es gab keine Möglichkeit, hier und jetzt eine Hebamme zu Hilfe zu rufen, denn die Telefonrechnungen waren seit langem nicht beglichen worden, die Leitung abgestellt. Also hastete die junge Frau zurück ins Haus und kam mit Decken wieder, in die sie das Mädchen bettete, während Glass sich weiterhin gegen den Baum stützte, wo sie so lange presste und keuchte und schrie, bis ein erster Sonnenstrahl den Horizont berührte und endlich auch der Junge, um so vieles widerwilliger als seine Zwillingsschwester, ihren Körper verließ.

So wurden Dianne und ich geboren: Nassen, kleinen Tieren gleich fielen wir auf verkrusteten Schnee, und dort wurden wir aufgehoben von Tereza, die uns fortan Freundin und Begleiterin sein sollte, Ratgeberin und zweite Mutter. Es war auch Tereza, die mir später Paleiko schenken sollte, den launischen Puppenmann aus schwarzem Porzellan.

Er ist etwas ganz Besonderes, Phil. Manchmal wird er mit dir sprechen und dir Fragen beantworten.

Warum heißt er so komisch?

Das ist ein Geheimnis.

Doch das war viele Jahre später, an einem warmen Sommertag, als keiner von uns an Schnee und Eis dachte. Glass, obwohl sie es besser wissen müsste, besteht noch heute darauf, jener weit zurückliegende Morgen sei ein magischer Moment...


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Autor

Andreas Steinhöfel wurde 1962 in Battenberg geboren. Er ist Autor zahlreicher, vielfach preisgekrönter Kinder- und Jugendbücher, wie z. B. »Die Mitte der Welt«. Für »Rico, Oskar und die Tieferschatten« erhielt er u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis. Nach Peter Rühmkorf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer hat Andreas Steinhöfel 2009 den Erich Kästner Preis für Literatur verliehen bekommen. 2013 wurde er mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk ausgezeichnet und 2017 folgte der James-Krüss-Preis. Zudem wurde er für den ALMA und den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Andreas Steinhöfel ist als erster Kinder- und Jugendbuchautor Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Serie über Rico und Oskar wurde sehr erfolgreich fürs Kino verfilmt. Zusätzlich zu seiner Autorentätigkeit arbeitet er als Übersetzer und Rezensent und schreibt Drehbücher. Seit 2015 betätigt er sich in seiner Filmfirma sad ORIGAMI als Produzent von Kinderfilmen.