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Wir haben noch das ganze Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.06.20121. Auflage
Das Leben ist hip, tragisch und ohne Fußball und Freunde sinnlos WM-Finale 1998. Frankreich - Brasilien. Fiebrige Stimmung vor der Glotze zwischen Churchill, Juval, Amichai und Ofir. Die vier sind um die dreißig, Freunde seit Jugendtagen, sie gucken zusammen Fußball, quatschen, kiffen, sind füreinander da. Da verfällt einer auf eine kuriose Idee - drei Lebenswünsche auf einen Zettel zu schreiben, die Zettel zu verstecken und erst beim nächsten Finale die Wünsche preiszugeben ... Wird das Glück auf ihrer Seite sein? Vier Jahre später ist nichts, wie es war. Die Stimmung im Land ist explosiv, die Wünsche sind verweht, das Leben schmeckt anders. Eshkol Nevos neuer Roman über die Lust am Jungsein, die Innigkeit echter Freundschaft, weiß um die Zerbrechlichkeit des Lebens und ist doch voller Hoffnung und Wärme.  

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist< (2020). Nevo lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Ra'anana, Israel.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDas Leben ist hip, tragisch und ohne Fußball und Freunde sinnlos WM-Finale 1998. Frankreich - Brasilien. Fiebrige Stimmung vor der Glotze zwischen Churchill, Juval, Amichai und Ofir. Die vier sind um die dreißig, Freunde seit Jugendtagen, sie gucken zusammen Fußball, quatschen, kiffen, sind füreinander da. Da verfällt einer auf eine kuriose Idee - drei Lebenswünsche auf einen Zettel zu schreiben, die Zettel zu verstecken und erst beim nächsten Finale die Wünsche preiszugeben ... Wird das Glück auf ihrer Seite sein? Vier Jahre später ist nichts, wie es war. Die Stimmung im Land ist explosiv, die Wünsche sind verweht, das Leben schmeckt anders. Eshkol Nevos neuer Roman über die Lust am Jungsein, die Innigkeit echter Freundschaft, weiß um die Zerbrechlichkeit des Lebens und ist doch voller Hoffnung und Wärme.  

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist< (2020). Nevo lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Ra'anana, Israel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423408981
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.06.2012
Auflage1. Auflage
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse906 Kbytes
Artikel-Nr.1175911
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Es war Amichais Idee. Immer hatte er Ideen dieser Art, obwohl der offizielle Kreativdirektor unter uns ja eigentlich Ofir war, aber Ofir verplemperte seine ganze Kreativität in Werbespots für Banken und Cracker, und bei den Treffen der Clique nutzte er die Gelegenheit, banal zu sein, schwieg viel und sprach wenig, mit einfachen Worten im Haifajargon, und hin und wieder, wenn er ein bisschen zu viel getrunken hatte, umarmte er uns alle und meinte: Was ein Glück, dass wir einander haben, ihr habt ja keine Ahnung, was ein Glück. Von Amichai dagegen, der Abonnements des L.B.B.I an Herzkranke verschacherte, konnte man beim besten Willen nicht sagen, dass die Arbeit ihm viele emotionale Highlights bescherte, obschon es ihm ab und an gelang, aus seinen Verkaufsgesprächen irrwitzige Geschichten beizusteuern, die er zumeist von Holocaustüberlebenden gehört hatte. Alle paar Monate verkündete er, er werde in Kürze das L.B.B.I aufgeben und Shiatsu erlernen, und immer tauchte unverhofft etwas auf, das das Ganze vertagte: Einmal offerierten sie ihm Bonuszahlungen, einmal einen Dienstwagen. Und dann kam die Hochzeit mit Ilana der Elegischen dazwischen. Und dann die Zwillinge. Die ganze Lebensfreude, die in ihm pulsierte und Mühe hatte, sich bei seinen Treffen in den Seniorenheimen oder im Bett mit Ilana zu artikulieren, ließ er also an uns, seinen drei besten Freunden, in Form aller möglichen feierlichen Schnapsideen aus, wie zum Beispiel, anlässlich des zehnten Jahrestages unserer ersten Fahrt in den Luna-Gal-Vergnügungspark beim Golan-Strand am See Genezareth zu fahren oder sich für einen Karaokewettbewerb anzumelden und vorher, aber so richtig, die A-cappella-Version eines Beatles-Songs einzustudieren. Ausgerechnet die Beatles?, wunderte sich Churchill, und aus seinem Ton konnte man schon erraten, welches Schicksal dem neuesten Vorschlag beschieden sein würde. Warum nicht? Sie sind vier und wir sind vier, versuchte Amichai sich in Überzeugungsarbeit, aber seinem Ton war schon anzumerken, dass er die Chancen für gut hielt, dass auch aus diesem Vorstoß wie aus seinen Vorgängern nichts werden würde. Ohne Churchills Unterstützung war es schwer, bei uns Dinge auf die Beine zu stellen. Und wenn Churchill etwas oder jemanden plattmachte, dann tat er das in solch beiläufiger und präziser Form, dass man Mitleid mit den Verteidigern bekam, die im Gerichtssaal gegen ihn antreten mussten. Ohnehin, es war Churchill gewesen, der unsere Clique auf dem Gymnasium gegründet hatte. Nicht wirklich gegründet, richtiger zu sagen wäre, dass wir uns wie verirrte Schafe um ihn geschart hatten. Jeder einzelne Zug in seinem breiten Gesicht, das offene Schnürband an seinen Sportschuhen, sogar seine Art zu gehen - alles vermittelte das Gefühl, dass er wusste, was gut ist. Dass er einen inneren Kompass hatte, der ihn leitete. Keine Frage, wir alle simulierten in jenen Jahren Selbstvertrauen, aber Churchill besaß es wirklich. Die Mädels drehten Löckchen, wenn er an ihnen vorbeiging, obgleich er nicht gut aussehend im cineastischen Sinne des Wortes war, während wir ihn mit kommunistischem Abstimmungsergebnis zum Kapitän der Klassenfußballmannschaft wählten, obwohl es bessere Spieler gab als ihn. Dort, in der Mannschaft, erhielt er auch seinen Spitznamen. Vor dem Halbfinale gegen die 13c versammelte er uns alle und hielt eine flammende Rede: Alles, was wir dem Gegner entgegenzusetzen hätten, seien nur Blut, Schweiß und Tränen. Wir hätten fast geweint, als er fertig war, und haben uns danach schier umgebracht auf dem Platz, permanentes Pressing und schmerzhafte Grätschen auf Asphalt inklusive, was uns jedoch nicht davor bewahrte, null zu drei zu verlieren, wegen dreier schwerer Fehler von Churchill höchstpersönlich: Einmal spielte er den Ball dem gegnerischen Stürmer vor die Füße, einmal verlor er einen todsicheren Ball im Mittelfeld, und zum Dessert kassierte er noch ein spektakuläres Eigentor, als er versuchte, eine Ecke zu klären, und den Ball volley in das von mir gehütete Tor bugsierte.

Keiner von uns war nach dem Spiel sauer auf ihn. Wie kann man sauer sein auf einen, der eine Sekunde nach dem Abpfiff alle im Mittelkreis zusammenholt und, mit gesenkten Lidern, die Schuld auf sich nimmt? Wie kann man sauer sein auf jemanden, der als Wiedergutmachung die ganze Mannschaft zu einem Spiel von Maccabi Haifa einlädt, wobei alle wissen, dass er das Ganze aus eigener Tasche bezahlt, weil seine Eltern kein Geld haben? Wie kann man sauer sein auf jemanden, der derart einfühlsame Geburtstagsgrüße schreibt, der so gut zuhört, der am Schabbat zu deiner gottverlassenen Basis gefahren kommt, nur um dich während der Grundausbildung zu besuchen, der dich drei Monate lang in seiner Wohnung beherbergt, bis du in Tel Aviv alleine klarkommst, und dann noch darauf besteht, du sollst in seinem Bett schlafen und er auf dem Sofa?

Selbst nach dem, was mit Jaara passiert ist, hab ich es nicht geschafft, sauer auf ihn zu sein. Alle waren sicher, ich würde außer mir sein, würde vor Wut platzen. Amichai rief mich in dem Augenblick an, in dem er es gehört hatte, und meinte, Churchill hat richtig Mist gebaut, aber ich hab eine Idee: Komm, lass uns vier zum Paintball nach Bnei Zion fahren, und du verpasst ihm ein paar Farbkugeln. Mach einfach ein Sieb aus ihm, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich hab mit ihm geredet, und er ist einverstanden. Was sagst du?

Und Ofir stand mitten in einem Meeting zu einer Kampagne für dreilagiges Toilettenpapier auf und ging raus, nur um mir zu sagen: Baba, ich bin auf deiner Seite. Du hast alle Gründe. Aber ich, ich flehte, tu nichts, was du hinterher bereust. Du hast ja keine Ahnung, was für ein Glück das ist, dass wir einander haben, keine Ahnung hast du.

Um ehrlich zu sein, ihre Bitte um Erbarmen war völlig überflüssig. Ich schaffte es ohnehin nicht, die Wut in mir zu entfachen. Eines Nachts bin ich sogar zu seiner Wohnung gefahren, in der Hoffnung, die Dramatik dieser Tat würde mich anstacheln, und unterwegs hab ich laut vor mich hingesagt, Hurensohn, was für ein Hurensohn, aber als ich dann bei seinem Haus angekommen war, hatte ich es schon nicht mehr brennend eilig, raufzugehen. Kann sein, dass ich, hätte ich eine schlanke Silhouette sich in seiner Wohnung bewegen gesehen, die Faust geballt hätte, aber so saß ich nur im Auto, spritzte Wasser auf die Scheibe und betätigte die Scheibenwischer, spritzte und betätigte, bis ich zu guter Letzt, als ein erster langer Sonnenstrahl die Sonnenboiler auf dem Dach traf, von dort wegfuhr. Ich konnte mir nicht mich selbst vorstellen, wie ich ihn schlug. Obwohl er es verdient hätte. Und obwohl auf den Zetteln, die wir bei der letzten Weltmeisterschaft geschrieben hatten, alle meine drei Wünsche mit Jaara verbunden waren.

Auch das war eine Idee von Amichai, die Zettel.

Nachdem Emmanuel Petit das dritte gemacht hatte und bereits klar war, dass Frankreich den Pokal holen würde, sich ein leichtes Gefühl der Enttäuschung breitmachte, weil wir alle für Brasilien gewesen waren, nachdem die Burekas mit Tränengeschmack, die Ilana zubereitet hatte, komplett weggeputzt, alle Kerne geknackt und von der Melone mit Schafskäse nur noch ein letztes Stück übrig war, das keiner nehmen wollte - nach all dem meinte Ofir, wisst ihr was, gerade ist mir etwas klar geworden. Das ist die fünfte Weltmeisterschaft, die wir zusammen gucken. Und Churchill sagte, wie kommst du auf fünf? Maximum vier.

Also fingen wir an zu rekonstruieren.

Mexiko ´86 haben wir bei Ofirs Vater in Kiryat Tivon gesehen. Und als die naiven Dänen fünf zu eins gegen Spanien verloren, weinte Ofir dicke Kullertränen, worauf sein Vater zischte, das passiere, wenn ein Junge nur bei seiner Mutter aufwachse. Die Weltmeisterschaft ´90 haben wir jeder für sich in einer anderen Stadt in den Gebieten geguckt, aber an irgendeinem Schabbat konnten wir alle nach Hause und haben uns bei Amichai getroffen, um das Halbfinale zu sehen. Keiner konnte sich erinnern, was bei dem Spiel los war, denn Amichais kleine Schwester lief in einem roten Babydoll im Haus rum, und wir waren Soldaten und dem nicht gewachsen. ´94 waren wir bereits Studenten. Tel Avivniks. Churchill machte den Anfang, und in seinem Gefolge strömten wir alle in die große Stadt, auch, weil wir zusammenbleiben wollten, aber auch, weil Churchill predigte, nur dort könnten wir sein, was wir sein wollten.

Aber das Endspiel ´94 haben wir im Rambam-Krankenhaus geguckt! Erinnerte Ofir.

Richtig, sagte ich.

Bei einem Abendessen bei meinen Eltern hatte ich den schwersten Asthmaanfall meines Lebens bekommen. Im Verlauf der panischen Fahrt ins Krankenhaus hatte es Momente gegeben, in denen ich ernsthaft erwog zu sterben. Nachdem sie meinen Zustand mit Spritzen, Tabletten und Sauerstoffmaske so weit stabilisiert hatten, verordneten die Ärzte, ich hätte ein paar Tage im Krankenhaus zu bleiben. Zur Beobachtung.

Das Endspiel war am nächsten Tag. Italien gegen Brasilien. Ohne mir etwas zu erzählen, organisierte Churchill alle, sammelte sie mit seinem zerknautschten Käfer ein, und auf dem Weg machten sie Zwischenstopp beim Pancake in Kfar Witkin, um mir Icetea mit Pfirsichgeschmack zu kaufen, was meine kleine Perversion ist, und ein paar Wodka, weil wir damals so taten, als seien wir auf Wodka, und zehn Minuten, bevor das Spiel begann, kamen sie in mein Zimmer auf Station 9 der Inneren gestürmt (den Typ an der Information, der sie mit der Begründung aufzuhalten versuchte, die Besuchszeit sei bereits vorbei, bestachen sie mit einer Flasche Keglevich). Ich hätte fast den nächsten Anfall bekommen, als ich sie sah. Danach beruhigte ich mich wieder, atmete tief durch, aus dem Zwerchfell, und wir sahen zusammen auf dem winzigen...

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Kritik
»Sensationell. Ein Buch dass man seinem besten Freund schenkt. Unbedingt.«fishbookletters.de 16.08.2011mehr

Autor

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist