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Das große Lesebuch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am28.02.20121. Auflage
Mit Werkbeiträgen aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Für den großen Sprachkritiker Karl Kraus konnte der Stil beweisen, dass jemand ein Mörder ist. In der Katastrophe der Phrasen spiegelte sich für ihn die Katastrophe eines Weltkriegs - so wie er den Wortmeldungen unserer Analysten und Finanzmakler vielleicht schon die ganze Wirtschaftskrise abgelesen hätte. Dieser Band versammelt die wichtigsten Texte aus der von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift ?Die Fackel?.

Heinz Ludwig Arnold, geboren 1940 in Essen und gestorben 2011 in Göttingen, war freiberuflicher Publizist und Honorarprofessor der Universität Göttingen. Er war Herausgeber der Zeitschrift »Text+Kritik« sowie des ?Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur?. 2009 erschien die von ihm herausgegebene dritte, völlig neu bearbeitete Auflage des ?Kindler Literatur Lexikons?.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextMit Werkbeiträgen aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Für den großen Sprachkritiker Karl Kraus konnte der Stil beweisen, dass jemand ein Mörder ist. In der Katastrophe der Phrasen spiegelte sich für ihn die Katastrophe eines Weltkriegs - so wie er den Wortmeldungen unserer Analysten und Finanzmakler vielleicht schon die ganze Wirtschaftskrise abgelesen hätte. Dieser Band versammelt die wichtigsten Texte aus der von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift ?Die Fackel?.

Heinz Ludwig Arnold, geboren 1940 in Essen und gestorben 2011 in Göttingen, war freiberuflicher Publizist und Honorarprofessor der Universität Göttingen. Er war Herausgeber der Zeitschrift »Text+Kritik« sowie des ?Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur?. 2009 erschien die von ihm herausgegebene dritte, völlig neu bearbeitete Auflage des ?Kindler Literatur Lexikons?.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104019116
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum28.02.2012
Auflage1. Auflage
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1075 Kbytes
Artikel-Nr.1249299
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I. Sittlichkeit und Kriminalität



Sittlichkeit und Kriminalität




Tod um Ehbruch? - Nein!

Der Zeisig tut´s, die kleine goldne Fliege,

Vor meinen Augen buhlt sie.

Laßt Üppigkeit gedeihn!

»Lear«, IV. 6.




» - - Wenn ihr nur zehn Jahre lang hintereinander alle die hängen und köpfen laßt, die sich in diesem Stücke vergehn, so könnt ihr euch bei Zeiten danach umsehen, woher ihr mehr Köpfe verschreiben wollt. Wenn dies Gesetz zehn Jahre in Wien besteht, will ich das schönste Haus drin für einen Dreier per Tag mieten.«

Maß für Maß«, II. 1.




»Meiner Sendung Amt

Ließ manches mich erleben hier in Wien:

Ich sah, wie hier Verderbnis dampft und siedet

Und überschäumt. Gesetz für jede Sünde;

Doch Sünden so beschützt, daß eure Satzung

Wie Warnungstafeln in des Baders Stube

Da steht, und was verpönt, nur wird verhöhnt.«

»Maß für Maß«, V. 1.





»Bedenkt, mein werter Richter

(Von dem ich weiß, Ihr seid sehr streng in Tugend),

Ob in der Regung eigner Leidenschaft,

Wenn Zeit mit Ort gestimmt, und Ort mit Wunsch,

Ob, wenn des Blutes ungestümes Treiben

Das Ziel erreichen mochte, das Euch lockte, -

Ob Ihr nicht selber dann und wann gefehlt

In diesem Punkt, den Ihr an ihm verdammt,

Und dem Gesetz verfallen?«

»Maß für Maß«, II. 1.





»Könnten die Großen donnern

Wie Jupiter, sie machten taub den Gott:

Denn jeder winz´ge kleinste Richter würde

Mit Jovis Himmel donnern, - nichts als donnern!

O gnadenreicher Himmel!

Du mit dem scharfen Flammenkeile spaltest

Den unzerkeilbar knot´gen Eichenstamm,

Nicht zarte Myrten: Doch der Mensch, der stolze Mensch,

In kleine, kurze Majestät gekleidet,

Vergessend (was am mind´sten zweifelhaft)

Sein gläsern Element, - wie zorn´ge Affen,

Spielt solchen Wahnsinn gaukelnd vor dem Himmel,

Daß Engel weinen, die, gelaunt wie wir,

Sich alle sterblich lachen würden.«

»Maß für Maß«, II. 2.





»Der neue Richter

Weckt mir die längst verjährten Strafgesetze,

Die gleich bestäubter Wehr im Winkel hingen,

So lang, daß neunzehn Jahreskreise schwanden,

Und keins gebraucht je ward; und läßt aus Ruhmsucht

Nun dieses schläfrige vergess´ne Recht

Frisch wider mich erstehn: ja, nur aus Ruhmsucht!«

»Maß für Maß«, I. 3.





Du schuft´ger Büttel, weg die blut´ge Hand!

Was geißelst du die Hure? Peitsch dich selbst!

Dich lüstet heiß mit ihr zu tun, wofür

Dein Arm sie stäupt.

»Lear«, IV. 6.



I

Es gibt eine Art unproduktiver Empörung, die sich gegen jeden Versuch, sie literarisch auszudrücken, wehrt. Seit Monatsfrist würge ich an der alle Kulturillusion vernichtenden Schmach, die ein Doppelprozeß wegen Ehebruchs, seine Führung und seine journalistische Behandlung uns angetan hat. Der Zwang, zu jedem Ereignis ein Sprüchlein zu sagen, befeuert den nicht, den der Gedanke lähmt an ein Wirrsal von Unwahrscheinlichkeiten, einen Wettlauf von Brutalität und Heuchelei, an das Walten einer Gerechtigkeit, bei der Vernunft Unsinn, Wohltat Plage wird. Jetzt beruhigt die Aussicht, daß des Wahnsinns noch lange kein Ende sein, der Prozeß seine Fortsetzungen finden und der Ehemann das Protokoll im Buchhandel erscheinen lassen werde, das Gewissen des Publizisten, dem im Widerstreit zwischen Abscheu und Pflichtgefühl die Feder entglitten ist. Jetzt stachelt ihn wieder die Furcht vor der Erhaltung einer beschämenden Aktualität aus allen zögernden Stimmungen zu einem vernehmlichen Protest gegen jeden weiteren Versuch, unsere von tausend Sorgen belastete Öffentlichkeit mit den Eifersuchtsanfällen eines Bezirksothello zu belästigen.

Shakespeare hat alles vorausgewußt. Die Dialogstellen aus »Maß für Maß« und »Lear«, die ich zum Motto dieser Betrachtung wählte, enthalten das letzte Wort, das über die Moral, die jenen Prozeß ermöglichte und blähte, zu sagen ist, und selbst der Zufall, der den Dichter für die Eigenart einer moralverpesteten Stadt den Namen Wien finden ließ, mag den Glauben an die in alle Fernen reichende divinatorische Kraft des Genies bestärken. Ich habe den Ruf eines Heutigen: »O Gott, was bist du für ein Shakespeare!« nie für eine Gotteslästerung, wohl aber desselben Autors Behauptung, daß in der Westminsterabtei »Shakespeare und die anderen englischen Könige ruhen«, stets für eine Majestätsbeleidigung Shakespeares gehalten. Von ihm müßten die Moralbauherren aller Völker Werkzeug und Mörtel entlehnen, von seiner Höhe bietet jede Weltansicht, die konservative wie die fortschrittliche, ein dem Schöpfer wohlgefälliges Bild; dort ist Kultur, wo die Gesetze des Staates paragraphierte Shakespearegedanken sind, wo mindestens, wie im Deutschland Bismarcks, Gedanken an Shakespeare das Tun der leitenden Männer bestimmen. Nach seinen Erkenntnissen greife, wer berufen ist, zwischen Gut und Böse die kriminalistische Grenzwand zu errichten oder zu erneuern. Und er wird finden, daß die alte Mauer da und dort nicht die natürliche Linie zog, weil sie an den Hindernissen engstirniger Zeitalter: Schlagwortwahn und Heuchelei, vorbei mußte. So reift ein hundertjähriges Gesetz zur Menschenqual: Der Eifer, der da schützt, was des Menschenschutzes nicht bedarf, hatte es mit der Langmut gezeugt, die gewähren läßt, was dem gesunden Sinn strafwürdig scheint. Aus der Beschränktheit einer Generation erschaffen, hat es dennoch für alle Zeiten, die es währte, gelebt, weil es den Schlechtesten seiner Zeit genug getan.

Wessen Beruf es ist, vor den Gefahren zu warnen, die die Entwicklung der merkantilen Meinungspresse für die allgemeine Kultur und für das Wohl der Nationen heraufbeschwört, wer für die Erhaltung aller konservativen Gewalten gegenüber dem Einbruch einer traditionslosen Horde eintritt, wer selbst den Polizeistaat - und nicht nur im ästhetischen Sinne - der Etablierung einer Willkürherrschaft von der Journaille Gnaden vorzieht, wer es gradaus bekennt, daß er auf allen Gebieten öffentlicher Erörterung schon aus Ressentiment die Partei der Schlechten gegen die Schlechteren ergriffen, ja zuweilen selbst die gute Sache aus Abscheu gegen ihre Verfechter im Stich gelassen hat: der darf hoffen, daß auch ein Bekenntnis, das manchem unerwartet kommen mag, als unverdächtig gewertet und als der reine Ausdruck einer Überzeugung geachtet werde. Und so bekenne ich, daß ich den Standpunkt des Staatsfreundes, der von der Gesetzgebung immer wieder das verlangt, was der manchesterliche Schwindelgeist höhnisch »Bevormundung« nennt, ausschließlich dann beziehe, wenn ich das Geltungsgebiet ökonomischer Werte betrachte. Daß mir hier die strengste Überwachung geboten scheint, daß ich den neuen Formen neue Paragraphen an den Hals wünsche und nichts für dringlicher halte, als daß mit den tätigen Zerstörern der materiellen Wohlfahrt des Volkes auch die Helfer der Presse in der fester gezogenen Schlinge Platz fänden: dies betonen, hieße Eulen nach Athen, Bauernfänger auf die Börse und Zutreiber in die liberale Presse tragen. Aber mit der Sorge für die wirtschaftliche Sicherheit halte ich die Mission des Gesetzgebers beinahe für erfüllt. Er möge dann noch über der Gesundheit und Unverletzlichkeit des Leibes und des Lebens und über anderen greif- und umgrenzbaren »Rechtsgütern« seine Hand halten. Ich weiß nicht, wie viele ihrer das alte Strafgesetz schützt und ob das neue die Zahl vermehren oder vermindern wird. Aber es sind ihrer zu viele; und wenn Menschen über Menschen richten dürfen, so sollten sie stets der Grenzen ihres Erkenntnisvermögens eingedenk sein. Gerade ein Gesetz, das auch religiöse Gefühle behütet und die Beleidigung des Glaubens straft, dürfte sich nimmer vermessen, in die irdischem Einfluß verschlossenen Tiefen der Menschenbrust langen zu wollen. Und gerade konservative Geister, denen man »klerikale Gesinnung« nachsagt, müßten, anstatt die staatliche Justiz zur Überwachung psychischer Geheimwege anzutreiben, kein anderes Bestreben kennen, als darauf zu achten, daß neben der irdischen Gewalt, die straft, auch dem Vertreter der überirdischen, die ermahnt, Spielraum bleibe. Schon das Gut der »Ehre« ist bei beamteten Wächtern in zweifelhafter Hut, und mindestens wäre hier - unter Vermeidung der Gefahr einer Cliquengerichtsbarkeit - der Aufteilung in leichter faßbare Berufs- und Kreisehren das Wort zu sprechen, wäre dahin zu wirken, daß das Gesetz nicht vorweg ein vages »Ansehen«, in dem auch der ärgste Lump »herabgesetzt« werden kann, annehme, sondern den Nachweis des Ansehens - etwa durch Einführung von Leumundszeugen - zulasse, der erst den Nachweis der »Herabsetzung« und die Bestimmung ihres Grades ermöglicht. Von burlesker Wirkung ist ein Sühneverfahren, mittelst dessen der Millionendieb sich durch die unrichtige und unbeweisbare Beschuldigung, auch fünf Gulden gestohlen zu haben, gekränkt fühlen und durch Bestrafung des »Beleidigers« ein vollgültiges Zeugnis der Ehrenhaftigkeit sich verschaffen kann.

Aber wenn die Gesetzgebung, die mit Falstaff-Schläue an der Definierung des...


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Autor

Heinz Ludwig Arnold, geboren 1940 in Essen und gestorben 2011 in Göttingen, war freiberuflicher Publizist und Honorarprofessor der Universität Göttingen.Er war Herausgeber der Zeitschrift »Text+Kritik« sowie des >Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen GegenwartsliteraturKindler Literatur Lexikons