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Deutschland allein zu Haus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.06.20131. Auflage
Was wäre wenn? Osmans satirische Visionen Der überintegrierte »Deutschländer« Osman will es nicht glauben: Als er aus dem obligatorischen Familienurlaub in der Türkei zurückkehrt, sind die Neofaschisten bei den Wahlen zweitstärkste Partei geworden. Verzweifelt versucht er, ihre Forderung »Ausländer raus« zu ignorieren. Vor allem Onkel Ömer, der zum ersten Mal die Heimat seines Neffen besucht, darf nichts von der dramatischen Lage mitbekommen. Aber gibt es eine Alternative zur Flucht? 

Osman Engin, 1960 in der Türkei geboren, lebt seit 1973 in Deutschland. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik in Bremen wurde er freier Schriftsteller. Monatlich schreibt er Satiren für die Bremer Stadtillustrierte >BremerTitanictazKanaken-Gandhi< ist sein erster Roman.
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Produkt

KlappentextWas wäre wenn? Osmans satirische Visionen Der überintegrierte »Deutschländer« Osman will es nicht glauben: Als er aus dem obligatorischen Familienurlaub in der Türkei zurückkehrt, sind die Neofaschisten bei den Wahlen zweitstärkste Partei geworden. Verzweifelt versucht er, ihre Forderung »Ausländer raus« zu ignorieren. Vor allem Onkel Ömer, der zum ersten Mal die Heimat seines Neffen besucht, darf nichts von der dramatischen Lage mitbekommen. Aber gibt es eine Alternative zur Flucht? 

Osman Engin, 1960 in der Türkei geboren, lebt seit 1973 in Deutschland. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik in Bremen wurde er freier Schriftsteller. Monatlich schreibt er Satiren für die Bremer Stadtillustrierte >BremerTitanictazKanaken-Gandhi< ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423418294
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum01.06.2013
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1596 Kbytes
Artikel-Nr.1272986
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

8 Am nächsten Morgen hüpft Eminanim wie ein Reh quicklebendig aus dem Bett - ich bleibe steif wie eine Mumie liegen. Auf knochenharten Holzbrettern zu schlafen hat aus meiner Frau offensichtlich ein junges Mädchen und aus mir einen Invaliden gemacht. Ich bin für solch abartige Perversionen einfach nicht geschaffen! Jeder indische Fakir hätte seine helle Freude an diesen Latten gehabt, es gucken aus jedem Holzbrett gleich mehrere Nägel raus. Notgedrungen war ich die ganze Nacht hellwach, um mir durch diese rostigen Nägel keinen Tetanus einzufangen, während Philipp im Flur friedlich vor sich hin schnarchte. Ich bin zwar gegen Wundstarrkrampf geimpft, aber das ist schon viereinhalb Jahre her. Wer weiß, ob so eine mickrige Spritze wirklich zehn Jahre lang Schutz bietet, wie von den Ärzten großspurig versprochen wird.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Koffer und schleppen sie zum Busbahnhof, was kein wahres Vergnügen ist.

Kurze Zeit später sitzen wir in dem voll klimatisierten Überlandbus, der uns zu Onkel Ömer zurückbringen soll, falls der Fahrer während der Reise nicht an seinem Lenkrad festgekrallt jämmerlich erfriert. Draußen hat es 45 Grad - drinnen gefühlt minus 45! Dass die Türken auch immer und überall übertreiben müssen!

Aus dem Radio höre ich, dass die Wahlen in Deutschland die ganze Welt in Sorge versetzt hätten.

Mein kommunistischer Sohn Mehmet kennt bestimmt die Ergebnisse aller Parteien bis hinter das Komma. Er hat mir hoch und heilig versprochen, jeden Tag pünktlich um 8  Uhr nach Hause zu kommen und mit uns zu Abend zu essen, wenn ich per Briefwahl die Linken wählen würde. Er kaufte unserer Nachbarin von der zweiten Etage, Oma Fischkopf, auch ihre Stimme ab, dafür musste Mehmet ihr versichern, zwei Monate lang ihre Einkäufe nach Hause zu schleppen. Bei unserem Nachbarn Herrn Prizibilsky vom Erdgeschoss kam meine feministische Tochter Nermin Mehmet zuvor und hat dem alten Opa versprochen, für die nächsten zwölf Monate die Grabpflege für seine verstorbene Frau Berta auf dem Nordfriedhof zu übernehmen, wenn er die Grünen wählt.

Da soll noch einer sagen, die Ausländer hätten kein Wahlrecht in Deutschland! Sogar doppelt und dreifach!

»Mehmet, sag doch mal, wie sind denn die Wahlen in Deutschland ausgegangen?«, brülle ich wegen der vielen lauten Händygespräche um mich herum in mein Händy, obwohl es verboten ist, während der Fahrt zu telefonieren. Wenn man möchte, dass die Türken eine Sache voller Inbrunst machen, dann braucht man sie nur zu verbieten.

»Vater, wo seid ihr denn?«, brüllt er zurück.

»Wir fahren, dank deiner Mutter, frühzeitig von unserem Strandurlaub zurück ins Dorf und sitzen gerade im Bus.«

»Ich meine, wo wart ihr im Urlaub?«, fragt er vorwurfsvoll.

»In der Nähe von Akçay, das kennst du doch ...«

»Ist Akçay auf der anderen Seite des Mondes, oder was? Wie kannst du denn von den Wahlen noch nichts erfahren haben! Die ganze Welt redet doch über nichts anderes mehr!«

»Niemand hat mir was gesagt. Die Wahlen sind ja geheim, aber sind die Ergebnisse jetzt etwa auch geheim?«

»Also, die Assis sind leider die zweitstärkste Partei geworden!«

»War ja klar, dass die Sozis wieder Zweiter werden!«

»Nein, nicht die Sozis - die verdammten Nazis sind Zweiter geworden!«

»Die Nazis? Wir hatten doch abgemacht, dass du mich im Urlaub mit deinen blöden Witzen verschonst!«, brülle ich wohl etwas zu laut, sodass mich alle Händyplauderer tadelnd angucken.

»Nein, du hast schon richtig gehört: Diese verdammten Nazis sind in Deutschland jetzt endgültig die zweitgrößte Partei geworden! Fast gleichauf mit der CDU!«

Mangels Holz klopfe ich auf den Kopf des Vordermanns:

»Mehmet, verschrei´s nicht!«

»Doch, das stimmt leider!«

»Bei Allah, Millionen Deutsche können doch nicht gleichzeitig auf den Kopf gefallen sein! Oder ist denen was auf die Birne gekracht? Ist in letzter Zeit ein großer Satellit oder ein Komet in Deutschland runtergestürzt?«

»Osman, sei doch etwas leiser, verdammt!«, zischt meine Frau.

»Eminanim ... ich fasse es nicht, weißt du, was Mehmet eben gesagt hat?«

»Der ganze Bus weiß es, so rücksichtslos wie du rumgebrüllt hast! Es ist mir so was von peinlich!«

Jetzt weiß ich nicht so genau, ob ihr die Nazis peinlich sind - oder ich?

Bei der nächsten Pinkelpause an einem der großen Rastplätze kaufe ich alle möglichen Zeitungen und Zeitschriften.

Toll, sogar den Spiegel und die St. Pauli Nachrichten kann man hier bekommen. Ich denke mal, dass im Spiegel mehr über die Wahl steht als in den St. Pauli Nachrichten . Kommt natürlich drauf an, von welcher Wahl wir reden! Wenn es um die Wahl der originellsten Sextechniken ginge, dann wären die St. Pauli Nachrichten zweifellos die weitaus bessere Wahl.

»Einmal passen wir bei den Wahlen in Deutschland nicht auf, fahren stattdessen in den Urlaub und schon sind die Nazis die zweitstärkste Partei«, macht meine Frau sich Vorwürfe.

»Ach, sicherlich sind sie in einem gottverlassenen Kaff an der tschechischen oder polnischen Grenze, das niemanden interessiert, die zweitstärkste Partei«, beschwichtige ich sie.

»In Ostdeutschland haben sie sogar die absolute Mehrheit einkassiert. Im Bundestag liegen sie nur noch einen halben Prozentpunkt hinter der CDU, steht hier!«

»Wie viel hat denn die SPD bekommen?«

»Warte mal, ich find sie nicht! Ich glaube, die SPD wird bei den Splitterparteien aufgeführt«, meint sie und hält mir die Wahlanalyse aus dem Spiegel unter die Nase.

Schockiert lese ich diesen Wahnsinn doppelt und dreifach!

Diese irrsinnige Nachricht stimmt wirklich! Die CDU/CSU hat 26 Prozent und die Faschos haben 25,5 Prozent bekommen. Die SPD 18, die Grünen 8, die Linke 6 und die FDP ...??

»Wo ist denn die FDP geblieben??«, frage ich verwirrt.

»Mein Gott, bei diesen Ergebnissen machst du dir Sorgen um die blöde FDP?!«

»Daran siehst du, wie gut ich integriert bin. Alle Deutschen reden doch andauernd über die FDP, obwohl die ständig bei 1 bis 2 Prozent rumkrebsen. Das ist reine Nostalgie. Schau doch, was hier in der Zeitung steht: Die Kanzlerin sagte vor einiger Zeit: Gott hat die FDP nur erschaffen, um die CDU zu prüfen! Was wird sie denn jetzt sagen: Gott hat die NEP nur erschaffen, um Deutschland zu prüfen? «

»Unglaublich, die Wahlbeteiligung lag nur bei lächerlichen 24 Prozent!«, ruft Eminanim erschrocken. »Kein Wunder, dass die Nazis die zweitstärkste Partei geworden sind! Die Radikalen gehen natürlich alle geschlossen wählen ...«

»Waaass, nur 24 Prozent??«

Leider gibt es auf diesem Rastplatz im anatolischen Nirgendwo niemanden, den ich für das Wahldebakel in Deutschland verantwortlich machen kann!

Deshalb rufe ich meinen Kumpel Hans in Bremen an. Der hatte sich die ganze Zeit über die Rechtsradikalen lustig gemacht. Als die sich alle unter dem Namen Nationale-Einheits-Partei, NEP, zusammengeschlossen haben, witzelte er: »Ach, was kann ein DEPP denn schon ausrichten!«

»Na, Osman, wo seid ihr denn jetzt?«, fragt er sofort.

»Hans, vergiss es! Ich wollte dir nur sagen, dass der aktuelle Spiegel ganz anderer Meinung ist als du! Ich zitiere: Dass sich alle Rechtsradikalen in der Nationalen-Einheits-Partei zusammengeschlossen haben, hat bei diesem bemerkenswerten Ergebnis sicherlich eine wesentliche Rolle gespielt. Auch, dass die CDU/CSU diverse NEP-Parolen übernommen hat, war für die Rechten im Endeffekt von Vorteil. Die Menschen haben lieber das Original gewählt! «

»Na ja, wie sagt man so schön: Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient«, meint Hans ziemlich nüchtern. »Dann haben die Deutschen eben nichts Besseres verdient ...«

»Kann man euch denn nicht mal einen Moment aus den Augen lassen? Deshalb hatte ich mich bisher noch nicht getraut, eine Weltreise zu machen«, weise ich ihn sehr vorwurfsvoll zurecht. Wer versteht - der versteht!

»Wir Bremer sind die Einzigen, die bewusst gegen den Trend gewählt haben«, sagt er mit einem stolzen Unterton.

»Die Nazis sind bei uns nicht auf dem zweiten Platz?«, rufe ich etwas versöhnlicher.

»Doch, auf dem zweiten Platz sind sie schon, aber nicht hinter der CDU, sondern hinter der SPD. Aber was erwartest du denn, wenn nur 24 Prozent wählen gehen.«

»Bist du denn wählen gegangen?«

»Öhmm ... nicht direkt. Es nieselte ein bisschen und ich musste auch in meinem Schrebergarten so viel erledigen ...«

»Ja, ja, kenn ich, wenn es nicht regnen würde, hättest du nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt vor den Nazis gerettet! Du Vaterlandsverräter!«

»Ich hab meine Stimme wenigstens nicht verkauft! Du Wahlfälscher!«

»Ich hab sie nicht verkauft! Nur meinem Sohn geliehen!«

»Apropos Vaterlandsverräter. Osman, du ahnst nicht, was hier los ist. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, auten sich ganz normale Leute als glühende Faschos!«

»Tatsächlich? Wer denn zum Beispiel?«

»Zum Beispiel der Dünnebier, unser Personalchef.«

»Ist das etwa neu für dich? Das habe ich bei dem Kerl immer hundert Meter gegen den Wind gerochen, wenn der mal zur Abwechslung nicht allzu sehr nach diesem billigen Apfelkorn stank!«

Plötzlich ist die Verbindung weg - mein hoher Blutdruck...
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Kritik
»Seine Geschichten haben immer etwas Skurriles, lassen schmunzeln oder herzhaft lachen. Aber immer steckt ein Funken Wahrheit darin. Schließlich versteht Osman Engin es brillant, seine deutschen Mitmenschen zu beobachten.«Klaus Schneider, BR 2, Notizbuch 06.05.2013mehr