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Die Bibliothek des Monsieur Proust

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
120 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am21.10.20131. Auflage
In Prousts Werk lesen alle: Bedienstete und ihre Herrschaft, Kinder und Eltern, Künstler, Ärzte, Gesellschaftsmenschen. Aber auch Proust selbst war ein großer Leser, stand im Ruf, alles gelesen und nichts davon vergessen zu haben. In seiner »Suche auf der verlorenen Zeit« werden Schriftsteller und Literatur auf vielfältige Weise Teil dieses großen Romans, wird die Literatur gewissermaßen zu einem Hauptprotagonisten. Proust definiert seine Figuren über ihre Lektüren und ihren literarischen Geschmack: »Um seine Figuren zu charakterisieren, drückt Proust ihnen ein Buch in die Hand«, schreibt Anka Muhlstein. Anka Muhlstein zeigt in ihrem kleinen Proust-Buch die zentrale Bedeutung von Literatur für Leben und Werk von Marcel Proust auf und entschlüsselt auf unterhaltsame Art Anspielungen, Motive, Zitate, Handlungs- und Charakterzüge. Entstanden ist so eine fundierte Einführung in Prousts großen Roman und zugleich ein amüsantes Vademecum für jeden, der Bücher liebt.

Anka Muhlstein wurde in Paris geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Autor und Anwalt Louis Begley, lebt die Historikerin und Autorin seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextIn Prousts Werk lesen alle: Bedienstete und ihre Herrschaft, Kinder und Eltern, Künstler, Ärzte, Gesellschaftsmenschen. Aber auch Proust selbst war ein großer Leser, stand im Ruf, alles gelesen und nichts davon vergessen zu haben. In seiner »Suche auf der verlorenen Zeit« werden Schriftsteller und Literatur auf vielfältige Weise Teil dieses großen Romans, wird die Literatur gewissermaßen zu einem Hauptprotagonisten. Proust definiert seine Figuren über ihre Lektüren und ihren literarischen Geschmack: »Um seine Figuren zu charakterisieren, drückt Proust ihnen ein Buch in die Hand«, schreibt Anka Muhlstein. Anka Muhlstein zeigt in ihrem kleinen Proust-Buch die zentrale Bedeutung von Literatur für Leben und Werk von Marcel Proust auf und entschlüsselt auf unterhaltsame Art Anspielungen, Motive, Zitate, Handlungs- und Charakterzüge. Entstanden ist so eine fundierte Einführung in Prousts großen Roman und zugleich ein amüsantes Vademecum für jeden, der Bücher liebt.

Anka Muhlstein wurde in Paris geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Autor und Anwalt Louis Begley, lebt die Historikerin und Autorin seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458733621
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum21.10.2013
Auflage1. Auflage
Seiten120 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1310782
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




I
Erste Eindrücke und nachhaltige Einflüsse




Wie las Proust? Als Kind so wie wir alle: aus Neugier auf die Handlung und die Personen. Aber von Anfang an war Lesen für ihn ein sehr ernsthaftes Unternehmen, und daß Erwachsene es für einen Zeitvertreib hielten, empörte ihn. In Unterwegs zu Swann erinnert er sich, wie abfällig seine Großtante vom Lesen sprach: »>Was, du amüsierst dich mit Lesen, es ist doch schließlich nicht SonntagamüsierenKindereien nachgehenseine Zeit vertrödeln1] Für den kleinen Marcel Proust war das Lesen kein Spaß, sondern geradezu traumatisch. Er weinte jedesmal, wenn er ein Buch zu Ende gelesen hatte, und konnte nicht einschlafen, untröstlich darüber, daß er die Personen, die ihm ans Herz gewachsen waren, verlassen sollte: »diese Wesen, für die man außer Atem geraten [war] und für die man geschluchzt hatte, würde man niemals wiedersehen, man würde nichts weiter über sie erfahren … Man hätte so gern gehabt, daß das Buch weiterginge …«[2]

Damals lasen Kinder keine eigens für junge Leser geschriebenen Bücher. Sie lasen Werke berühmter Autoren, meist in bebilderten und manchmal gekürzten Ausgaben. Prousts Großmutter und Mutter ließen ihm viel Freiheit bei der Wahl seiner Bücher, ganz wie die fiktive Familie in der Recherche. Die Großmutter des Erzählers hielt »zwar schlechte Lektüre für ebenso unzuträglich wie Bonbons und Kuchen, glaubte andererseits aber nicht, daß das große Wehen des Genius auf den Geist sogar eines Kindes einen gefährlicheren und weniger belebenden Einfluß habe als frische Luft und kräftiger Wind auf seinen Körper«.[3] Der kleine Junge im Roman ist eines Abends so verstört, daß seine Mutter widerstrebend zustimmt, die Nacht über bei ihm zu bleiben, und da er vor lauter Aufregung nicht einschlafen kann, liest sie ihm François le Champi von George Sand vor, eine merkwürdige Wahl.

François le Champi handelt von einem Findelkind, einem kleinen Jungen, den Madeleine, die gute Ehefrau eines Müllers, aufzieht. Als er groß genug ist, um Arbeit zu finden, geht der Junge fort, kommt aber zurück, um die inzwischen verwitwete Madeleine zu heiraten, verwandelt also kindliche Anhänglichkeit in eheliches Glück. Marcel versteht die Handlung nicht - daß seine Mutter alle Liebesszenen überschlägt, hilft ihm nicht gerade weiter -, aber daß die Geschichte so befremdlich ist, macht sie für ihn noch spannender. Und obwohl er sich als Erwachsener über Sands Banalität ausließ und ihr Werk geringer schätzte als das vieler ihrer Zeitgenossen, war der kleine Marcel, der hier wie in anderen Fällen offenbar im selben Körper wohnt wie sein Autor, doch von dieser ersten Lektüre tief beeindruckt. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen den beiden: Der Erzähler löst sich von seiner Fixierung auf die Mutter und verliebt sich in eine ganze Reihe junger Mädchen, während Proust sein Leben lang leidenschaftlich an die Mutter gebunden blieb. Die enge Bindung erklärt vielleicht, warum er sich entschloß, die Gefühlslage seines jungen Helden mit der Geschichte einer fast inzestuösen Beziehung zu erläutern.

Ganz am Ende des Romans sieht der Erzähler plötzlich François le Champi auf einem Bücherbord in der Bibliothek des Prinzen von Guermantes, und der bloße Anblick des Buches weckt die Erinnerung an »das Kind, das ich damals gewesen und das durch dieses Buch in mir wiedererstanden war, denn da es von mir nichts kannte als dieses Kind, hatte das Buch auf der Stelle das Kind herbeigerufen, es wollte nur von seinen Augen angeschaut, nur von seinem Herzen geliebt werden und zu ihm allein sprechen. Daher hatte denn auch dieses Buch, aus dem meine Mutter mir in Combray bis zum frühen Morgen vorgelesen hatte, für mich den ganzen Reiz jener Nacht bewahrt … [so daß] tausend Nichtigkeiten aus Combray, die ich seit langem schon nicht mehr wahrgenommen hatte, von selbst aufflatterten und sich eine nach der anderen in einer unendlich langen, flimmernden Kette von Erinnerungen an die magnetisch gewordene Federspitze hefteten … mit den gleichen Eindrücken vom Wetter draußen im Garten, den gleichen Träumen, die es damals von den Ländern und vom Leben hegte, der gleichen Angst vor dem morgigen Tag.«[4] Von allen Autoren, deren Bücher Proust als Kind las, ist George Sand die einzige, die er in der Recherche kommentiert, aber in seinen Briefen an die Mutter und die Großmutter nennt er auch viele andere, so wie in seinem ersten Roman, Jean Santeuil, den er jedoch nicht veröffentlichte.

Der junge Proust war ein begeisterter Leser. Wie viele andere Kinder auch bewunderte er Théophile Gautiers Capitaine Fracasse, einen Abenteuerroman, der im siebzehnten Jahrhundert unter Ludwig XIII. spielt. Er liebte den Rhythmus der Geschichte, die Dialoge, die komische Anspielung auf Shakespeare, einen »bekannten englischen Dichter«, und es gefiel ihm, daß der Autor sich ganz offen in die Erzählung einmischte, denn, so sagt er in Jean Santeuil, »ein Schriftsteller, den wir verehren, wird für uns zu einer Art von Orakel, das wir gern über alles befragen würden«.[5] Daß Proust selbst häufig auktoriale Betrachtungen in die Recherche einfließen läßt, wissen wir. Ein anderer in der Familie beliebter Autor war Alexandre Dumas, den er in Briefen an die Mutter und den Bruder oft erwähnt und sein Leben lang zum Zeitvertreib las. Kann man ihn auch anders lesen? »Ich mag Romane ohne Liebesgeschichten, ohne düstere Leidenschaften, aber mit vielen Duellen, Polizisten, Königen und Königinnen, Humor und siegreichen Unschuldigen.«[6] Mit einem anderen Roman von Dumas, Harmental, war er nicht zufrieden, er bedauerte, daß gewisse Wenden und Verwicklungen in der Handlung »zu schmerzlichen Konflikten in einem Roman [führten], in dem ich lieber nur heitere Neugier, Triumph und Schlemmerei gefunden hätte.«[7]

Aber schon als Kind las Proust, von seiner Großmutter ermutigt, ernsthaft. Er schrieb ihr, wie traurig und wunderbar er Balzacs Eugénie Grandet gefunden habe, und schickte ihr in demselben Brief reichlich Corneille-, Racine- und Molière-Zitate, vielleicht um ihr zu demonstrieren, wie vertraut er - für einen Teenager ganz ungewöhnlich - mit den Klassikern war. Später, in der Recherche, wird er die Technik des Zitierens und der Verfremdung seiner Zitate zur Perfektion bringen. Ein andermal parodiert er den Stil Homers, indem er die unsterblichen Götter und Göttinnen, die er erwähnt, mit schmückenden Beiwörtern versieht, zum Beispiel vom feueräugigen Pluto und von Artemis mit der makellosen Haut spricht (ein Tic, mit dem er viele Jahre später seine Romanfigur Bloch, den pedantischen jungen Intellektuellen, ausstattet). In der Recherche ruft sich Marcel ins Gedächtnis, daß er gewöhnlich vor einem Spaziergang nach Méséglise den Mittelalterhistoriker Augustin Thierry las. Im wirklichen Leben erinnerte Proust seine Mutter daran, wie glücklich er damals, in dem Jahr, als ihn Thierry so fesselte, in Illiers gewesen sei, der kleinen Stadt in der Normandie, in der die Familie ihre Ferien verbrachte; im Roman wird Illiers zu Combray. Stark von den Romantikern beeinflußt, machte Thierry die Vergangenheit auf eine Art lebendig, die den Bedürfnissen junger Leser sehr entgegenkam. An diese Lektüre erinnerte sich Proust in seiner Beschreibung Combrays, des Ortes, der die Vergangenheit, besonders das Mittelalter, dem Kind, das der Erzähler war, so lebhaft vor Augen führte. Dafür gibt es Gründe: Zum einen ist das Kind gebannt von den Bildern der Merowingerprinzessin Genoveva von Brabant, die seine über der Nachttischlampe angebrachte Laterna Magica an die Zimmerwand projiziert, ein Geschenk, das ihn von seiner Angst ablenken sollte.1 Zum anderen ist es sonntags in der Kirche während der Messe ganz geblendet von der Leuchtkraft der bunten Glasfenster, die Genovevas Nachkommen darstellen. Die mittelalterliche Aura, von der die kleine Stadt umhüllt ist, entzückt ihn. Und er entdeckt in der Sprache und im Verhalten der dort lebenden Bauern und Handwerker eine Achtung für Traditionen, die nicht aus Büchern stammen, sondern »aus einer uralten, aber unmittelbaren, ununterbrochenen, durch mündliche Weitergabe bis zur Unkenntlichkeit entstellten, jedoch lebendigen Überlieferung«.[8] Als das Kind die Köchin seiner Tante, Françoise, zum erstenmal sieht, »unter den Röhrenfalten einer blendend weißen Haube, die so starr und zerbrechlich schien, als wäre sie aus gesponnenem Zucker«, kommt sie ihm vor wie eine »Heilige in ihrer Nische«.[9] Als er sie besser kennt, fällt ihm auf, daß sie »von Ludwig dem Heiligen sprach, als habe sie ihn persönlich gekannt, meist so, daß meine Großeltern dabei schlecht wegkamen, weil sie nicht so >gerecht10] Als der Erzähler nach Combray kommt, wird die Verbindung zwischen ferner Vergangenheit und Gegenwart spezifisch und konkret, denn der Pfarrer am Ort erklärt ihm, daß die Äbte von Combray und die Herren von Guermantes, die direkten Vorfahren des Herzogs und der Herzogin von Guermantes, in der Dorfkirche begraben sind.

Daß der Erzähler und Proust in ihrer Kindheit die gleichen Bücher liebten, ist nicht überraschend. In diesem Fall mag der Leser in der Romanperson ausnahmsweise mit Recht den Autor erkennen. Proust sagte...

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Autor

Anka Muhlstein wurde in Paris geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Autor und Anwalt Louis Begley, lebt die Historikerin und Autorin seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.