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Alles beginnt mit einem Kuss

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am17.03.2014
Im Jahr 2003 wird Island von einem zerstörerischen Ausbruch des Vulkans Katla heimgesucht, ganze Landstriche werden unbewohnbar und selbst in Reykjavík sind die Auswirkungen spürbar. Dort führt das Künstlerpaar Elísabet und Láki ein ausschweifendes Leben. Die charismatische Elisabet spinnt einen Mythos um ihre eigene Person und behauptet, sie habe als junges Mädchen den Kuss der Erleuchtung empfangen, der sie verändert und zur Künstlerin gemacht habe. Während Láki das Spiel mitspielt, lehnt ihr 18jähriger Adoptivsohn Davíd die bizarren Geschichten seiner Mutter kategorisch ab. Er macht sie für seine chaotische Kindheit verantwortlich und glaubt, dass sie durch ihr Verhalten andere ins Unglück stürzt. Dies scheint sich zu bewahrheiten, als Elísabet ihre alte Schulfreundin Indi und deren Mann Jón wiedertrifft, die ihrem Bann verfallen und deren Leben völlig aus den Fugen gerät. Dreizehn Jahre später bekommt Davíd durch Zufall eine Kiste mit Unterlagen seines inzwischen verstorbenen Stiefvaters Láki in die Hände und beginnt nachzuforschen, was damals mit Indi und Jón wirklich geschah ...

Gudrún Eva Mínervudóttir, geboren 1976, studierte in Reykjavík Philosophie. Ihr Roman 'Der Schöpfer' fand international Beachtung. Für 'Alles beginnt mit einem Kuss' ist sie mit dem isländischen Literaturpreis ausgezeichnet worden. Sie zählt zu den bekanntesten jungen Autorinnen Islands.
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Produkt

KlappentextIm Jahr 2003 wird Island von einem zerstörerischen Ausbruch des Vulkans Katla heimgesucht, ganze Landstriche werden unbewohnbar und selbst in Reykjavík sind die Auswirkungen spürbar. Dort führt das Künstlerpaar Elísabet und Láki ein ausschweifendes Leben. Die charismatische Elisabet spinnt einen Mythos um ihre eigene Person und behauptet, sie habe als junges Mädchen den Kuss der Erleuchtung empfangen, der sie verändert und zur Künstlerin gemacht habe. Während Láki das Spiel mitspielt, lehnt ihr 18jähriger Adoptivsohn Davíd die bizarren Geschichten seiner Mutter kategorisch ab. Er macht sie für seine chaotische Kindheit verantwortlich und glaubt, dass sie durch ihr Verhalten andere ins Unglück stürzt. Dies scheint sich zu bewahrheiten, als Elísabet ihre alte Schulfreundin Indi und deren Mann Jón wiedertrifft, die ihrem Bann verfallen und deren Leben völlig aus den Fugen gerät. Dreizehn Jahre später bekommt Davíd durch Zufall eine Kiste mit Unterlagen seines inzwischen verstorbenen Stiefvaters Láki in die Hände und beginnt nachzuforschen, was damals mit Indi und Jón wirklich geschah ...

Gudrún Eva Mínervudóttir, geboren 1976, studierte in Reykjavík Philosophie. Ihr Roman 'Der Schöpfer' fand international Beachtung. Für 'Alles beginnt mit einem Kuss' ist sie mit dem isländischen Literaturpreis ausgezeichnet worden. Sie zählt zu den bekanntesten jungen Autorinnen Islands.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641121587
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum17.03.2014
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse17044 Kbytes
Illustrationenmit 32 illustrierten s/w-Seiten
Artikel-Nr.1366800
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Am besten stellt sich der Erzähler selbst kurz vor

Auf diesen Seiten werde ich eine Geschichte erzählen, die euch unglaublich vorkommen mag oder auch nicht. Sie handelt nicht von mir, nur insofern, als dass es um mein Bedürfnis geht herauszufinden, was wahr und was erlogen ist an den Vorkommnissen, die sich vor dreizehn Jahren zugetragen haben. Im Winter 2003, als der Ausbruch der Katla seinen Höhepunkt erreichte. Ich war damals achtzehn, orientierungslos und wütend.

Seinerzeit versuchte ich zu begreifen, was geschehen war, gab aber schließlich auf und beschloss - entgegen meiner inneren Überzeugung -, dass ich nichts damit zu tun hatte. Ich unterdrückte meine Neugier und konzentrierte mich auf anderes.

Doch dann, im letzten Jahr, an einem ähnlich düsteren und feuchten Herbstabend wie dem, den man heute durchs Fenster sieht, machte ein Anruf meinen Pakt mit der Welt zunichte.

»Ist das Davíd? Elísabetarson?«, fragte eine alte Frauenstimme.

»Das ist er«, antwortete ich.

»Hallo, mein Junge, hier ist María, Thorlákurs Mutter.«

Es machte nicht sofort Klick bei mir, da die Stimme anders war; älter und schwächer klang als in der Erinnerung. Ich hatte María ohnehin nicht oft gesehen, weil sie in Akureyri lebte und weder Mama noch Láki für lange Autofahrten zu haben waren. Zuletzt haben wir uns bei Lákis Beerdigung gesehen, aber da haben wir nicht miteinander gesprochen. Ich habe sie nur umarmt, und sie hat mir auf die Schulterblätter geklopft, ihr Gesicht ganz starr vor unterdrückter Trauer.

»Hallo María«, sagte ich.

»Ich rufe an, weil ich in eine betreute Altenwohnung ziehe.«

»Ja, das ist … Ist das okay für dich?«, fragte ich, peinlich berührt vom Alter. Vom Tod.

»Das muss es doch, nicht wahr?«, antwortete sie. »Meine Nichte hat mir beim Packen geholfen, aber ich tue mich so schwer mit den Sachen von Láki. Die nehme ich nicht mit ins Grab, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, sie wegzuwerfen. Und da du doch fast sein Sohn warst …«

»Ja«, antwortete ich.

»Soll ich sie dir nicht einfach schicken? Fornhagi 20, ist das die richtige Adresse?«

»Ja, also … danke. Was sind das denn für Sachen?«

»Hauptsächlich Zeichnungen, einige richtig gute. Du entscheidest, was du damit machst, aber ich dachte, dass du sie vielleicht zu schätzen weißt.«

Richtig getippt. Lákis Geschichten haben mir immer gefallen. Und ich hatte ihn gern, obwohl er für mich in erster Linie der Lakai meiner Mutter war. Er trat in mein Leben, als ich zwölf war, und wollte alles für mich tun. Nur Mama die Stirn zu bieten traute er sich nicht, noch weniger als andere.

Vielleicht ist es unnötig, extra zu erwähnen, dass ich nicht Elísabets leiblicher Sohn bin. Mama hat mich in Argentinien adoptiert, und wir sind von Land zu Land gezogen, bis sie den Entschluss fasste, sich hier in Island niederzulassen. Ich war neun, gerade frisch auf dem Flughafen in Keflavík gelandet, als ich zum ersten Mal Isländisch aus einem anderen Mund als dem meiner Mutter hörte. Das war natürlich ein Schock, aber man könnte genauso gut sagen, dass meine gesamte Kindheit ein einziger Dauerschock gewesen ist.

Ich bin klein und dunkel genug, dass man mir schon von weitem ansieht, dass ich kein »richtiger Isländer« bin, worauf man mich oft genug hingewiesen hat. Das hat mir aber eigentlich nie etwas ausgemacht. Sticheleien habe ich mir nie zu Herzen genommen. Und ich habe auch nie versucht, mich bei anderen beliebt zu machen. Nachdem wir hierhergezogen waren, habe ich mich vor allem darauf konzentriert, die versäumte Schulzeit aufzuarbeiten, und mein Leben drehte sich in nicht unerheblichem Maße darum, nachts genügend Schlaf zu bekommen - was nicht immer leicht war. In Elísabets Reich war immer Remmidemmi.

Védís, meine Frau, ist zum Glück ein Gemütsmensch. Sie arbeitet in einer Bank, und wenn sie frei hat, strickt sie gern, liest und hört Musik. Unsere beiden Töchter Ingibjörg und Sólveig haben das gelassene Temperament ihrer Mutter geerbt, vielleicht sind sie aber auch einfach ausgeglichen, weil wir so gut für sie sorgen.

Als Sozialarbeiter kann ich einen direkten Nutzen aus meiner persönlichen Erfahrung ziehen. Ich komme in Haushalte voller Probleme und versuche zu vermitteln, den Leuten zu zeigen, wie sie miteinander umgehen und sich um ihre Kinder kümmern sollten. Zusätzlich habe ich eine halbe Stelle in einem Heim für Jugendliche, die es zu Hause und in der Schule schwer haben. Mein Arbeitstag ist ziemlich lang. Was das angeht, bin ich ein »richtiger Isländer«: Ich finde es normal, kaum etwas anderes zu tun als zu arbeiten.

Etwa eine Woche nach dem Anruf aus Akureyri lag ein Paket für mich bei der Post bereit. Eine riesige Bananenkiste, vorn und hinten mit Chiquita bedruckt und sorgfältig mit einer zarten Kordel verschnürt. Einige Tage lang musste sie in meinem Kofferraum ausharren, bis sie mir am Samstagmorgen wieder einfiel, nachdem wir Kaffee getrunken und Zeitung gelesen hatten. Die Mädchen spielten in ihrem Zimmer, Védís lag mit einem Buch auf dem Sofa, und ich hatte nichts Besonderes vor.

Ich brachte die Küche in Ordnung und wischte den Tisch ab, bevor ich die Kiste daraufknallte und aus ihr herausfischte: Zeichnungen, Zeitungsausschnitte, Fotos von Mama und mir, der tobenden Katla und der aschgrauen Verwüstung im Osten, Entwürfe zu Bildergeschichten und ein paar einzelne Seiten, vollgeschrieben mit Lákis dichter Schrift.

Nachdem ich eine Weile darin geblättert hatte, erinnerte ich mich an die Sachen, die ich noch aufbewahrte, mir aber nicht mehr angesehen hatte, seit wir hergezogen waren. Vermutlich lagen sie in einem ähnlichen Karton in der Abstellkammer - dachte ich. Ich brauchte mehr als eine Stunde, um sie unter all dem Kram zu finden, und sie befanden sich in keinem Karton, sondern waren in diversen Plastiktüten überall in der Kammer verteilt.

Ich brachte die Tüten in die Küche und machte mich daran, alles zu sortieren, um das Gefühl zu haben, ich hätte die Dinge im Griff. Da waren Jóns Notizbücher, blaue Schreibhefte, fünf an der Zahl, und Indis Kalender, in den sie die Termine bei ihren Kunden mit Kuli eingetragen hatte. Dieser Kalender war im Grunde das bemerkenswerteste Objekt in der Sammlung, denn rund um die Termine und auch darüber hatte Indi mit Bleistift geschrieben, Seite um Seite, private Schilderungen, von denen ich zunächst dachte, es seien ihre Kindheitserinnerungen, doch schon nach kurzer Lektüre wurde mir klar, dass es hier nicht um die isländische Provinz ging, sondern um eine völlig andere, fremde Welt. Als ich das Buch zum ersten Mal entdeckt hatte (im Handschuhfach von Indis Auto, am Abend des Tages, an dem sie starb), hatte ich nicht aufhören können, darin zu lesen. Sie haben etwas Verstörendes und zugleich Hypnotisierendes, diese Schilderungen, die man weder Traum noch Dichtung nennen kann und die auch nichts mit Indis Jugendjahren zu tun haben, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag.

Aus den Tüten holte ich auch Bilder hervor, die Mama mir seinerzeit gegeben hatte: von ihr selbst, Láki, Jón und Indi. Und Zeitungsausschnitte vom Ausbruch der Katla, der fünfundzwanzig Monate dauerte - von Ende November 2001 bis Anfang 2004 - und diese Zeit komplett geprägt hat. Heute kommt es mir merkwürdig vor, wie schnell man sich an die Asche gewöhnte. An manchen Tagen wischte man sich den Schmutz aus den Augen, hustete ihn aus sich heraus oder zermahlte ihn zwischen den Zähnen. Der Rauch verdeckte den Himmel, doch alles drehte sich weiter um Politik und Wirtschaft, wie immer durchwirkt von persönlichen Niederlagen und Triumpfen. Menschen starben, und Kinder wurden geboren.

Meine jüngere Tochter Sólveig tapste zu mir in die Küche und machte große Augen, als sie den vergilbten Haufen auf dem Küchentisch sah. »Was machst du da, Papa?«, fragte sie und strich sich mit kleinen, rastlosen Fingern den schwarzen Pony aus der Stirn. Dieselben schwarzen Haare und grünen Augen wie meine, nur ihre Haut ist heller.

»Ich erinnere mich an Dinge zurück, die früher einmal passiert sind, bevor du geboren wurdest«, antwortete ich und nahm sie in den Arm. Ich zeigte ihr einige der harmloseren Zeichnungen von Láki und wunderte mich - wieder einmal, nachdem ich selbst Vater geworden war -, wie Elísabet es hatte über sich bringen können, mich so zu vernachlässigen.

»Das sind Adam und Eva«, sagte ich.

»Die sind ja ganz nackig!«, quiekte Sólveig und zeigte zwischen Adams Beine.

»Das ist König Blaubart, vor seinesgleichen musst du dich hüten, wenn du älter wirst. Und hier ist deine Oma Elísabet«, sagte ich und gab ihr ein Foto von Elísabet und Indi, lachend vor vollen Weingläsern.

»Ist die tot?«, fragte sie.

»Nein, Liebes«, antwortete ich.

»Ist das die da?«, fragte sie und zeigte auf Indi.

»Nein, die hieß Ingibjörg, wie deine Schwester.«

»Ist Ingibjörg dann nach ihr benannt, so wie ich nach Oma Sólveig benannt bin?«

»Ja, Liebes«, antwortete ich, und das war nicht gelogen. Ich habe meiner Erstgeborenen den Namen einer Frau gegeben, die ich so gut wie überhaupt nicht kannte. Das war das Mindeste an Achtung, wo Mama doch indirekt für ihr Ende verantwortlich war.

Natürlich kannte ich die Zusammenhänge nicht genau, aber ich wusste, dass diese Tragödie ein Einschnitt in Mamas Leben war. Kurz nachdem Indi gestorben war, trennten sich Mama und Láki, und einige Jahre...


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Autor

Gudrún Eva Mínervudóttir, geboren 1976, studierte in Reykjavík Philosophie. Ihr Roman "Der Schöpfer" fand international Beachtung. Für "Alles beginnt mit einem Kuss" ist sie mit dem isländischen Literaturpreis ausgezeichnet worden. Sie zählt zu den bekanntesten jungen Autorinnen Islands.
Weitere Artikel von
Wolff, Anika
Übersetzung