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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am08.03.20141. Auflage
Zum hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns 1914: sämtliche Werke von Erich Maria Remarque zum Ersten Weltkrieg, durchgesehen und in neuer Ausstattung. Sämtliche Erzählungen über die Schicksale von Menschen, die der Hölle der Schützengräben entronnen sind und sich in der Normalität des Nachkriegsalltags zurechtfinden müssen. »Handlungsraffung, Aktion, schnörkelloser Bericht und die Witterung fürs Sensationelle - alles dies macht die Erzählungen zur spannend-unterhaltsamen, die pazifistische Botschaft nie aufdrängenden Prosa.« FAZ

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR4,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,99

Produkt

KlappentextZum hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns 1914: sämtliche Werke von Erich Maria Remarque zum Ersten Weltkrieg, durchgesehen und in neuer Ausstattung. Sämtliche Erzählungen über die Schicksale von Menschen, die der Hölle der Schützengräben entronnen sind und sich in der Normalität des Nachkriegsalltags zurechtfinden müssen. »Handlungsraffung, Aktion, schnörkelloser Bericht und die Witterung fürs Sensationelle - alles dies macht die Erzählungen zur spannend-unterhaltsamen, die pazifistische Botschaft nie aufdrängenden Prosa.« FAZ

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462308143
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum08.03.2014
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1402 Kbytes
Artikel-Nr.1381530
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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Jürgen Tamen


Das Trommelfeuer schwoll wieder an. Der Unterstand bebte. Dreck fiel spritzend in die Stille zwischen den Einschlägen. Dann wieder dumpfes, nervenzerreibendes Grollen. Plötzlich verdunkelte sich der Eingang: Die Essenholer! Und während wir gierig, froh etwas anderes tun zu können als das verrücktmachende Lauschenmüssen, über die Nudelsuppe herfielen, erzählten die anderen von draußen. Da hob mein Nachbar den Kopf. Der eine Essenholer sprach gerade ziemlich laut: »So hundert Meter von hier lag ein Köter, der hatte auch eins mitgekriegt. Heulte jämmerlich und wollte hinter uns herlaufen. Fiel aber wieder um. Blutete. Wo das Luder hergekommen ist, weiß der Deubel. Ist sicher nach vorn gelaufen beim Feuerüberfall. Im letzten Augenblick kriegte ich noch so ein Herrgottsläuschen in ein Kochgeschirr gebremst. Die schöne Suppe lief - -« Da hatte sich mein Nachbar erhoben. Eckig und ungeschickt. »Wo liegt der Hund?« fragte er rauh den geschmeidigen Berliner, der bereits die Scheußlichkeit eines zerrissenen Menschenkörpers anschaulich schilderte. Der sah verwundert und gestört auf. »Was fürn Hund?« »Der blutende -« »Ach so! Ja, du gehst gleich rechts um die Brustwehr, dann den Verbindungsgraben bis da, wo der 30,5 eingehauen ist. Etwas weiter runter muß er liegen.« Ohne ein Wort kroch Jürgen Tamen aus dem Unterstand heraus. Der Berliner sah ihm einen Augenblick verwundert nach. »Verrückt«, brummte er dann und erzählte weiter von dem zerrissenen Leichnam.

Damals fiel mir Jürgen Tamen zum ersten Male auf. Wir waren der Kompagnie erst 14 Tage zugeteilt, und ich hatte mich um den langen, schweigsamen Ostfriesen noch nicht recht gekümmert. Er saß immer still in der Ecke und beteiligte sich nicht an den allgemeinen Gesprächen.

Nach einer halben Stunde kam er wieder, den Hund im Arm. Ohne sich um das Gelächter der anderen zu kümmern, kroch er in seine Ecke und beschäftigte sich mit seinem Funde. Nur als der Berliner es zu arg machte, sagte er kurz und hart: »Halts Maul!« und sah ihn so an, daß dem das Schlucken verging. Ich hatte still zugesehen. Nun kroch ich zu ihm hinüber und gab ihm ein Verbandpäckchen, damit er den stark blutenden Hund verbinden konnte. Er sah mich einen Augenblick scharf an. Dann sagte er kurz: »Hat viel abgekriegt. Armes Vieh.« Ich half ihm beim Verbinden. Da fing er langsam an aufzutauen. »Auf meinem Hof habe ich auch ein ähnliches Vieh«, sagte er so zwischendurch, »paßt tadellos auf. Zwei Jahre war er damals. Jetzt - ja, jetzt ist er vier. Ob er wohl größer geworden ist? Ach ja -« Er versank ganz in Erinnerung, sein kantiges Gesicht wurde einen Augenblick weich und jung. »Meine Frau mag er gern. Ist nicht davon zu trennen. Parierte ihr besser als mir - -.« - »Wie lange wart ihr verheiratet«, fragte ich. Er erwachte und antwortete fast unfreundlich mit hartem Gesicht: »Ein halbes Jahr.« - Dann faßte er nach seinem Kragen, beugte die Stirn und verband schweigend weiter.

Ein paar Tage später wurden wir abgelöst. Hinter der Stellung hatten wir ungefähr vier Kilometer von der Linie unsere Baracken. Als wir abends im Dämmer zusammensaßen und Portionen und Post empfangen hatten, kam eine gemütliche Stimmung auf. Wir lagen auf unsern Strohsäcken, aßen, rauchten, lasen und erzählten. In der Mitte der Baracke saßen drei Skatbrüder um eine Tonne und droschen Skat. Ich las gerade einen veilchenblausehnsüchtigen Brief meiner Herzallerliebsten, da fiel ein Schatten auf das Blatt. Ich sah auf. Jürgen Tamen stand vor mir. Er hatte einen Brief in der Hand. Zwischen uns hatte sich in den letzten Tagen eine Art Gemeinschaft gebildet. Wir holten zusammen Essen und Brot. »Du, Studierter«, sagte er stockend, »weißt du -« »Was, Jürgen?« ermunterte ich ihn. »Ja« - er konnte nicht recht weiter, endlich preßte er hervor: »Wo liegt Deutschland?« Ich verstand ihn erst nicht recht. Hastig sprudelte er weiter: »Nach welcher Seite von hier aus? Nach da oder da? Oder wo?« Nun wußte ich, was er wollte, nahm meinen Kompaß, verglich und zeigte ihm dann mit der Hand: »Da, Jürgen, liegt unsere Heimat.« Ein Staunen und etwas Unfaßbares traten in seine Augen. Dann fuhr er sich rasch mit dem Handrücken über die Stirn und sagte langsam und schwer: »Heute ist mein Verlobungstag. Vor drei Jahren -.«

Er wendete sich und riß den Brief auf. Dann wandte er sich um und stand lange still.

Mit dem Gesichte so, daß er nach Deutschland sah.

Endlich riß er sich los und ging mit schweren Schritten hinaus.

Nachts wachte ich plötzlich durch ein seltsames Geräusch auf. Ich öffnete nur die Augen, blieb sonst ganz ruhig liegen. Da sah ich Jürgen Tamen halb aufgerichtet im Bette liegen, die Augen aufgerissen und das Gesicht verzerrt. Der Mondschein glomm durch die kleinen Fensterläden und fiel gerade auf sein Bett und sein Gesicht. Er lag in der oberen Bettstelle der bekannten Holzbettstellen, so daß ich ihn genau aus der Dunkelheit beobachten konnte. Er rüttelte an den Krampen der Bettlade. Plötzlich hörte er erschrocken auf und lauschte. Dann verzog sich das Gesicht wieder schmerzvoll. Er richtete sich auf und warf sich dann überwältigt in das Bettstroh. Mir war, als ob ich Schluchzen hörte. Es konnte aber auch der Wind sein, der unsere Baracke umsang. -

Endlich erhob er sich wieder halb und packte sein Bettstroh um, packte das Kopfkissen an das Fußende und legte sich dann langsam wieder zur Ruhe. Plötzlich begriff ich, warum er das tat; und eine unendliche Rührung zog durch mein Herz. Er hatte sich so gelegt, daß er nach der Heimat sah - -

Mit dem Gesicht nach Deutschland -

In dieser Nacht habe ich auch Sehnsucht und Heimweh gehabt. Ich habe die Zähne zusammengebissen, so schüttelte mich das Weh. Dann aber habe ich zu dem Schlafenden rechts über mir hinaufgesehen. Da wurde alles still.

Ich glaube, ich habe auch geweint. Das weiß ich nicht mehr so genau. Hab es später so oft müssen.

In dieser Nacht träumte ich von meiner braunen Herzallerliebsten -

Vier Wochen blieben wir in Ruhe. Jürgen Tamen erzählte manchmal von seinem Hof und seinem Weibe. Wenn dann in so eine Erzählung der dumpfe Einschlag einer verirrten Granate dröhnte, konnte er plötzlich ganz verwirrt und unfaßlich aufsehen. Ich habe durch den Blick dieser Augen damals allmählich den Krieg anders gedacht und gesehen als nur aus Jugendüberquellen und Abenteuerlust. Als ich später im Lazarett lag, habe ich im Fieber viel mit diesen Augen kämpfen müssen. Sie waren wie der unverstehende Blick eines gequälten Tieres.

Abends kam ich spät aus der Kantine nach Hause. Ich hatte einen langen Brief an meine Herzliebste bei Ölqualm und Skatgeschrei geschrieben; den trug ich glücklich in der Tasche. Vor unserer Baracke sah ich Jürgen Tamen. Er schien sehr erregt. Ich wollte ihn nicht beschämen, indem ich ihn überraschte; denn diese Menschen sind so scheu mit ihren Seelenschwingungen. Da hörte ich plötzlich seine Stimme. Sie war ganz anders als sonst, sie klang ganz gebrochen. »O du Heimatblümchen«, sagte er immerfort, »du liebes Veilchen.« Er hatte ein Veilchen gefunden, das trug er sorgsam wie eine Krone in seinen großen, harten Händen. Dann wendete er sich plötzlich um, so daß ich glaubte, er hätte mich gehört. Aber es war nicht so. Er hielt das Veilchen wie zum Gebet erhoben und sang ganz eigentümlich leise mit seltsamer Stimme das alte Lied, das er wohl in lange verschollenen Jugendjahren in der Schule seines Dorfes gelernt hatte: »Nach der Heimat möcht ich wieder -« Und da sah ich auch, weshalb er sich mir zugedreht hatte. Es war die Richtung, die ich ihm damals gezeigt hatte.

Er sang sein Lied in den märzdunkelfeuchten Abend mit dem Gesichte nach Deutschland.

Plötzlich brach er ab und errötete, obwohl er ganz allein war. Er machte ein paar große Schritte und ging dann langsam der Baracke zu. Als ich nachher zu ihm trat, war er sehr verschlossen und antwortete mir kaum. Dennoch hatte er ein eigenes Glänzen in den Augen. Er kramte in seinen Sachen herum und sagte nichts. Ganz spät kam er aber doch noch zu mir auf Strümpfen geschlichen. Ich war schon im Halbschlaf. »Da, probier mal die Wurst, - sie ist von zuhause«, flüsterte er. Ich murmelte nur ein paar schlaftrunkene Worte.

Ich wollte die Augen aufmachen - ; aber ich dachte gerade an meine braune Liebste - da blieb ich liegen.

In der Nacht brauste der Frühlingssturm mächtig um unsere Baracke. Die Fenster klapperten und die Bäume rauschten.

Am andern Morgen war Jürgen Tamen fort. Ich sah neben meinem Bette auf dem Spind eine große Mettwurst liegen. Jürgen hatte sie am Tage vorher bekommen. Daneben lag ein Meldezettel. Jürgen hatte ihn geschrieben. »Ich muß nach Hause. Lebe wohl und mach´s gut«, stand darauf. Ich verbarg ihn rasch; denn ich wollte nicht, daß Jürgen entdeckt würde. Als der Feldwebel kam und mich nach Jürgen fragte, tat ich, als wüßte ich nichts. Aber am Abend war es doch schon bekannt, daß Jürgen weggelaufen war.

Drei Tage später brachten sie ihn wieder. Er sah bleich aus und sprach mit keinem von uns. Wir mußten antreten und der Hauptmann las vor, daß Jürgen wegen Versuchs der Fahnenflucht mit Arrest bestraft sei. Aber abends mußten wir plötzlich noch in Stellung, so verblieb die Strafe.

In unserem Unterstand blieb Jürgen erst für sich. Als ich aber ganz harmlos und freundlich ihn um etwas bat, schloß er sich langsam wieder auf. Und da hörte ich, daß er nicht gewußt hätte, was er in jener Nacht getan hätte. Er hätte immerfort gedacht, daß die Frühjahrsbestellung jetzt sei. Und da hätte...
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Autor

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.Thomas F. Schneider, Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums an der Universität Osnabrück, veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Kriegs- und Antikriegsliteratur im 20. Jahrhundert und zur Exilliteratur. Er hat die Romane Erich Maria Remarques einer kritischen Durchsicht unterzogen und jeweils mit Anhang, Nachwort und weiterführender Literatur versehen.