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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.06.2014
In Oslo, in einer warmen Sommernacht tanzen Martin und Stella auf dem Dach eines neunstöckigen Hauses, fordern sich gegenseitig heraus, balancieren auf der Kante. Kurz liegen sie sich in den Armen, dann fällt Stella - hat ihr Mann versucht, sie zu halten, oder hat er sie gestoßen? Aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt Linn Ullmann die Geschichte der rätselhaften Stella, lässt Augenzeugen, Stellas Töchter, einen alten Freund und die ermittelnde Polizistin zu Wort kommen und flicht Träume, Erinnerungen und Legenden mit ein in diesen magischen Roman über die Liebe und das Leben.

LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt 'Das Verschwiegene' - unter dem Titel 'The Cold Song' u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für 'Die Unruhigen' erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.
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Produkt

KlappentextIn Oslo, in einer warmen Sommernacht tanzen Martin und Stella auf dem Dach eines neunstöckigen Hauses, fordern sich gegenseitig heraus, balancieren auf der Kante. Kurz liegen sie sich in den Armen, dann fällt Stella - hat ihr Mann versucht, sie zu halten, oder hat er sie gestoßen? Aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt Linn Ullmann die Geschichte der rätselhaften Stella, lässt Augenzeugen, Stellas Töchter, einen alten Freund und die ermittelnde Polizistin zu Wort kommen und flicht Träume, Erinnerungen und Legenden mit ein in diesen magischen Roman über die Liebe und das Leben.

LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt 'Das Verschwiegene' - unter dem Titel 'The Cold Song' u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für 'Die Unruhigen' erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641131678
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum09.06.2014
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1090 Kbytes
Artikel-Nr.1383074
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

CORINNE

Neulich nachts in der Straßenbahn fiel mein Blick plötzlich auf einen Mann, den ich zu kennen glaubte. Er saß ganz still ein paar Sitze vor mir und sah aus dem Fenster. Draußen gab es nicht viel zu sehen, die Straßen waren menschenleer, es war dunkel und nasskalt, nur gelegentlich rauschte ein Auto vorbei. Keine Fußgänger. Nur abwechselnd Schnee und Regen und das weiße, feuchte Licht der Straßenlaternen.

Zuerst sah ich ihn von hinten: Er trug eine braune Lederjacke, seine Haare waren dicht und schwarz, ein schöner Mann, dachte ich, einer, der aufrecht geht, ohne zu straucheln. Einen Augenblick lang glaubte ich, auf dem Sitz neben ihm säße ein kleines, rot gekleidetes Mädchen, aber dann schüttelte ich den Kopf über mich selbst. Hier war kein Kind. Das fehlte noch, bei diesem Wetter und zu dieser Tageszeit. In der Straßenbahn waren nur er und ich, und der Fahrer natürlich. Der Mann stand auf und ging zur vorderen Tür. Wir näherten uns einer Haltestelle.

»Martin Vold«, rief ich leise. »Sind Sie es?«

Der Mann drehte sich um. Es war ein fremdes Gesicht. Ich sah zwei kleine, grüne Augen und eine Narbe auf dem Kinn.

»Sie irren sich«, sagte er, als die Türen aufgingen. »Ich bin es nicht.«

»Nein«, sagte ich, »Sie sind es nicht. Trotzdem gute Nacht, und rutschen Sie auf dem Bürgersteig nicht aus. Es ist glatt draußen.«

»Danke gleichfalls«, sagte der Mann, »und auch Ihnen gute Nacht.«

 


Es ist noch kein halbes Jahr her, dass ich mit ihm zu tun hatte. Es war Anfang September letzten Jahres. Am Abend vor Stellas Beerdigung besuchte ich ihn in seinem Haus im Hamborgveien im Stadtteil Damefallene, setzte mich an den großen dunkelbraunen Esstisch im Wohnzimmer und verbrachte dort die Nacht mit ihm. Er bat mich, leise zu sprechen, damit wir die Kinder nicht weckten. Und dann saßen wir da. Er redete die meiste Zeit, und ich stellte Fragen. Das kann ich gut: Fragen stellen. Während wir da saßen, kam es mir so vor, als würden wir zusammen eine Geschichte schreiben, er und ich, und dass mir die eigentliche Geschichte, das, was wirklich vorgefallen war, darüber regelrecht entglitt. Dergleichen bin ich in meinem Beruf gewöhnt - dass Geschichten entgleiten, meine ich -, dennoch ist und bleibt es eine Niederlage. Ich sehe, ich lausche, ich spüre, ich weiß. Aber ich habe keine Macht über das, was passiert. Ich verhindere keine Tragödien.

 


Wo soll ich anfangen? Jener Mord, wenn es denn ein Mord war, ereignete sich am 27. August des Jahres 2000. Aber ich fange mit der Fußnote an, dem historischen Hintergrund, wenn Sie so wollen:

Am 23. Februar 1934 trifft einen zweiunddreißig Jahre alten Mann der Tod, als er vom Dach eines Häuserblocks am Frogner Platz in Oslo fällt. Er ist ein beliebter, schöner und begabter Schauspieler, der das Leben noch vor sich hat, der es liebt, im ersten Obergeschoss des Continentals zur Melodie des Reitermarsches Die Reise nach Jerusalem zu spielen, und der beschließt, sein Leben auf diese Weise zu beenden. Vier Tage später schreibt Johan Peter Bull, Dramaturg am Nationaltheater und Theatersekretär, in sein Tagebuch, er befürchte Unruhen bei der Abendvorstellung von Wenn wir Toten erwachen. Es kursieren Gerüchte über ein geplantes Pfeifkonzert, eine Demonstration gegen eine der unwiderstehlichen Schauspielerinnen des Nationaltheaters, die zur Zeit großen Erfolg in der Rolle der Irene hat. Manche sind der Meinung, dass die Schauspielerin ein Teil der Schuld am Tod ihres jungen Kollegen trifft, da die beiden eine Liebesbeziehung hatten. Die Polizei demonstriert Präsenz, doch die Vorstellung verläuft ruhig.

 


Anwesend im Publikum ist an jenem Abend der junge Bauernsohn Elias Vold, der Großvater Martin Volds. Elias stammt ursprünglich aus Schweden. Seine Eltern betrieben eine Straußenfarm bei Sundbyberg nahe Stockholm, doch schon als Fünfzehnjähriger war der Junge gezwungen, den Hof bei Sundbyberg zu verlassen und auf einen Hof in Høylandet zu ziehen - von Mutter und Vater in Schweden zu seinen beiden Onkeln in Norwegen -, ein Erlebnis, das ihn für den Rest seines kurzen Lebens geprägt hat. Die Onkel, die Rinder und Schafe hielten, schlugen ihn abwechselnd jeden Abend, und er musste hart für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Er vermisste seine Eltern, die nicht länger für ihn sorgen konnten: Wie ihre Kollegen überall auf der Welt wurden seine Eltern 1918 von der Straußenkrise überrascht. Der Preisverfall, der darauf zurückzuführen war, dass sich die Damen der Welt nicht länger in Hüten mit Straußenfedern bewundern lassen wollten, war die erste von drei großen Tragödien, die die Familie Vold heimsuchte. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass, wäre die Hutmode etwas stabiler gewesen, keine der drei Tragödien eingetroffen wäre und ich heute, im Winter 2001, nicht hier sitzen würde mit einem unaufgeklärten Todesfall in den Händen.

Die ehemals so florierende Straußenfarm in Sundbyberg wurde verkauft und von den Konkurrenten Svensk Bio und Skandia übernommen, die sich aus diesem Anlass zusammenschlossen und das legendäre Filmstudio Råsunda Filmstad aufbauten. Hier wirkten die Filmemacher Victor Sjöström und Mauritz Stiller samt Filmstars wie Tora Teje, Lars Hanson, Anders de Wahl, Karin Molander und Hilda Borgström. Greta Garbo beeindruckte 1924 in Gösta Berling. Sie sei »ein Versprechen für die Zukunft«, schrieb ein begeisterter Kritiker des Svenska Dagbladet. Ich kann mir vorstellen, dass Elias den Tag verflucht hat, an dem seine Eltern auf Strauße gesetzt haben statt auf Filme.

Aber lassen wir das. Als Elias erwachsen ist, läuft er seinen Onkeln und seiner Geliebten Harriet, auch Høylandets Schönste genannt, davon. Eine Straußenfeder ist alles, was er dabei hat, als er in den Bus von Høylandet nach Skogmo steigt, von dort weiter mit dem Zug nach Trondheim fährt, und dann mit einem weiteren Zug von Trondheim nach Oslo.

Und dies ist der Hintergrund für Elias' Anwesenheit im Publikum an jenem Abend im Februar 1934, um Wenn wir Toten erwachen und die unwiderstehliche Schauspielerin in der Rolle der Irene zu sehen, zum Glück nicht von Pfeifkonzerten oder anderen Demonstrationen beeinträchtigt. Später an diesem Abend schreibt Elias einen Brief an Harriet, in dem er ihr von der Vorstellung, dem ausgebliebenen Pfeifkonzert, den Gerüchten über die unglückliche Liebesbeziehung der beiden Schauspieler und dem Fall des jungen Schauspielers vom Dach eines Häuserblocks in Frogner erzählt - und noch etwas: Es werde einige Zeit dauern, bis er wieder nach Høylandet zurückkehre, schreibt er. Er könne gut verstehen, wenn Harriet nicht auf ihn warten würde. Er wolle sein Glück auf der Bühne versuchen, vielleicht sogar vor der Kamera, ja, nicht zuletzt vor der Kamera. Wer weiß, was einen Mann wie ihn erwartete? Er schließt den Brief mit ein paar umsichtig gewählten Zitaten aus Wenn wir Toten erwachen, da ihm im Nationaltheater bei der Abendvorstellung des 27. Februar 1934 und sozusagen unter Henrik Ibsens Einfluss die Idee gekommen war, die Beziehung zu seiner Geliebten in Høylandet zu beenden und ein neues Leben als Bühnenkünstler und Filmstar zu beginnen.

Leider hat Elias noch eine weitere Leidenschaft, nämlich, sich irgendwo zwischen Tøyen und Grefsen auf die Gleise zu legen und so lange wie möglich darauf liegen zu bleiben, ohne überfahren zu werden. Eines Tages bleibt er zu lange liegen. Er stirbt. Elias ist tot. In zwei geteilt. Die Filmgesellschaft Råsunda Filmstad ist Geschichte. Sein Leichnam wird nach Høylandet überführt, auch dieses Mal mit dem Zug von Oslo nach Trondheim und weiter mit dem Zug von Trondheim nach Skogmo und zum Schluss mit dem Bus von Skogmo nach Høylandet. Das Begräbnis findet in aller Stille statt. Seine Eltern sind tot, seine Onkel scheren sich nicht um ihn. Einzig die Geliebte Harriet, im achten Monat schwanger und mit Tränen, die ihr passend zum Anlass über das runde Gesicht laufen, ist zugegen, um ein letztes Mal Abschied von ihm zu nehmen.

 


Als das Begräbnis vorbei ist, kniet Harriet noch immer am Grab von Elias und flüstert mit dem Erdhügel, den dicken Bauch unter dem Wintermantel deutlich sichtbar, den langen hellen Zopf auf dem Rücken. Es herrscht Dämmerlicht. Ein eiskalter Winterwind zerrt an dem Blumenstrauß, den sie auf den Sarg gelegt hat. Sie macht keinerlei Anstalten aufzustehen, sondern bleibt auf Knien liegen, den Kopf fast im Grab, flüsternd und gestikulierend. Niemand möchte sie stören, obschon einzelne Passanten stehen bleiben und sie anstarren. Man fragt sich natürlich, was sie dem Toten Wichtiges mitzuteilen hat, ihm, der sie im Leben so schmählich im Stich gelassen hat.

 


Fünf Wochen später bringt Harriet einen gesunden Knaben zur Welt. Ich will der Ordnung halber bekennen, dass mich Harriets gesunder Knabe mitnichten interessiert. Ich habe versucht, mir ein Gesicht vorzustellen, einen Lebenslauf, eine Leidenschaft sogar, aber es ist mir nicht möglich. Das Einzige, was sich über ihn sagen lässt, ist, dass er Jesper heißt, dass er seinen schwedischen Großeltern Ehre erweist, indem er den Traum von der Straußenhaltung in großem Stil in Skandinavien wieder zum Leben erweckt, und dass er viele Jahre später in Høylandet die erste norwegische Straußenfarm gründet. So! Das war Jespers Geschichte! Ja, eine Sache noch, irgendwann in den Fünfzigerjahren heiratet Jesper Nora, und zusammen bekommen sie ihren Sohn Martin.

Winter 1990. Die eigentliche Geschichte beginnt ungefähr hier, sagen wir an einem Tag...

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Autor

LINN ULLMANN ist eine der bedeutendsten Autorinnen Skandinaviens. Ihre Romane sind vielfach preisgekrönt und in 30 Sprachen übersetzt, 2017 erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Doubloug -Preis für ihr Gesamtwerk. Bei Luchterhand erschien zuletzt "Das Verschwiegene" - unter dem Titel "The Cold Song" u.a. auf der Jahresbestenliste der New York Times und eines der Lieblingsbücher von James Wood (New Yorker). Für "Die Unruhigen" erhielt sie den Hörerpreis des Norwegischen Rundfunks, der Roman war für den Kritikerpreis und den Nordischen Literaturpreis nominiert. Eine Bühnenfassung davon hatte im Herbst 2018 am Königlichen Dramatischen Theater Stockholm unter der Regie von Pernilla August ihre Uraufführung.