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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
313 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am13.02.20151. Auflage
Die Schönheit und die Grausamkeit Afrikas. Benjamin und seine Geschwister leben in der Nähe eines gefährlichen Flusses. Als ihr Vater die Familie verlassen muss, verstoßen sie gegen sein Verbot, sich dem Gewässer zu nähern. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten einer Tragödie. Ein faszinierendes Familiendrama und eine sprachmächtige Fabel über das Schicksal Nigerias. Von Afrikas neuem großen Erzähler. Vielfach preisgekrönt, übersetzt in 25 Sprachen. »Das beste zeitgenössische Buch, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ein moderner Klassiker.« Maxim Biller im Literarischen Quartett. »Das erstaunlichste Debüt eines neuen afrikanischen Autors.« Sigrid Löffler, Deutschlandradio.



Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan. Sein Debüt »Der dunkle Fluss« wurde in 25 Sprachen übersetzt. Der gefeierte Roman gewann zahlreiche Literaturpreise und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDie Schönheit und die Grausamkeit Afrikas. Benjamin und seine Geschwister leben in der Nähe eines gefährlichen Flusses. Als ihr Vater die Familie verlassen muss, verstoßen sie gegen sein Verbot, sich dem Gewässer zu nähern. Die Fische, die sie dort fangen, sind Vorboten einer Tragödie. Ein faszinierendes Familiendrama und eine sprachmächtige Fabel über das Schicksal Nigerias. Von Afrikas neuem großen Erzähler. Vielfach preisgekrönt, übersetzt in 25 Sprachen. »Das beste zeitgenössische Buch, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ein moderner Klassiker.« Maxim Biller im Literarischen Quartett. »Das erstaunlichste Debüt eines neuen afrikanischen Autors.« Sigrid Löffler, Deutschlandradio.



Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan. Sein Debüt »Der dunkle Fluss« wurde in 25 Sprachen übersetzt. Der gefeierte Roman gewann zahlreiche Literaturpreise und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841209122
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum13.02.2015
Auflage1. Auflage
Seiten313 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4798 Kbytes
Artikel-Nr.1546272
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

FISCHER

Wir waren Fischer.

Meine Brüder und ich wurden im Januar 1996 Fischer, nachdem unser Vater aus Akure weggezogen war, einer Stadt im Südwesten Nigerias, wo wir unser ganzes Leben zusammen verbracht hatten. Sein Arbeitgeber, die nigerianische Zentralbank, hatte ihn Anfang November des vorigen Jahres nach Yola versetzt, das im Norden lag, einen Kamelritt von mehr als tausend Kilometern entfernt. Ich erinnere mich noch an den Abend, als Vater mit dem Brief nach Hause kam, es war ein Freitag. An jenem Freitagabend und auch den ganzen Samstag lang berieten sich Vater und Mutter flüsternd wie Schreinpriester. Am Sonntagmorgen dann war Mutter nicht mehr dieselbe. Sie lief wie eine nasse Maus mit abgewandtem Blick durchs Haus. An diesem Tag ging sie nicht in die Kirche, sondern blieb zu Hause und wusch und bügelte mit undurchdringlicher, finsterer Miene Vaters Sachen. Keiner von beiden sagte ein Wort zu uns, und wir stellten keine Fragen. Meine Brüder Ikenna, Boja, Obembe und ich glaubten, dass Vater und Mutter so etwas wie die Herzkammern des Hauses waren und sie Stillschweigen bewahrten wie das Herz das Blut. Also bohrten wir besser nicht nach. An Tagen wie diesen verzichteten wir darauf, im Wohnzimmer fernzusehen. Wir saßen in unseren Zimmern, lernten oder taten, als lernten wir, verunsichert, aber ohne Fragen zu stellen. Stattdessen streckten wir unsere Fühler nach jedem nur erdenklichen Hinweis aus.

Gegen Einbruch der Dämmerung fielen dann die ersten Informationsbrocken aus Mutters Selbstgesprächen wie winzige Federn aus einem reich gefiederten Vogel: »Was ist das für ein Job, der einen Mann davon abhält, seine Söhne großzuziehen? Selbst wenn ich sieben Hände hätte, wie soll ich mich allein um die Kinder kümmern?«

Obwohl diese brennenden Fragen an niemand Spezielles gerichtet waren, waren sie sicherlich für Vaters Ohren bestimmt. Er saß allein im Wohnzimmersessel, das Gesicht hinter einer Ausgabe seiner Lieblingszeitung The Guardian verborgen, halb lesend, halb Mutter lauschend. Und obwohl er alles mitbekam, stellte er sich jedes Mal taub, solange das, was er als »feige Worte« bezeichnete, nicht direkt an ihn gerichtet war. Er widmete sich einfach weiter seiner Lektüre und schimpfte oder freute sich zwischendurch über etwas, das er gerade gelesen hatte: »Wenn es einen Funken Gerechtigkeit auf der Welt gibt, wird Abachas Frau, diese Hexe, bald um ihren Mann trauern.« »Wow, Fela ist ein Gott! Meine Güte!« »Reuben Abati sollte gefeuert werden!« Nur um den Eindruck zu erwecken, dass Mutters Klagen vergeblich waren und niemand sie beachtete.

Bevor wir an diesem Abend schlafen gingen, hatte Ikenna, der fast fünfzehn war und auf dessen Meinung wir uns meist verließen, die Vermutung geäußert, Vater würde versetzt. Boja, der ein Jahr jünger war und nicht als ahnungslos dastehen wollte, hatte behauptet, Vater würde wahrscheinlich ins Ausland gehen, in die »westliche Welt«, wie wir oft befürchteten. Obembe, mit seinen elf Jahren zwei Jahre älter als ich, hatte keine Meinung dazu. Genauso wenig wie ich. Aber wir wurden nicht lange auf die Folter gespannt.

Die Antwort kam am nächsten Morgen, als Vater plötzlich in Obembes und meinem Zimmer stand. Er legte die Brille auf den Tisch, eine Geste, mit der er um unsere Aufmerksamkeit bat. »Ich werde von jetzt an in Yola leben, und ich will nicht, dass ihr eurer Mutter Ärger macht.« Bei diesen Worten verzog er das Gesicht, so wie er es immer tat, wenn er uns Angst einjagen wollte. Er sprach langsam, dunkler und lauter als sonst, so dass sich jedes Wort tief in unseren Köpfen einnistete. Damit er, sollten wir ihm nicht gehorchen, uns mit nur einem kurzen Satz eindrücklich an diesen Moment erinnern konnte: »Was habe ich euch gesagt?«

»Ich werde sie regelmäßig anrufen, und sollte mir etwas zu Ohren kommen«, er hob warnend den Zeigefinger, »ich meine, irgendwelche Schandtaten, dann werdet ihr euer blaues Wunder erleben.«

Er sagte das mit so viel Nachdruck, dass die Adern an beiden Schläfen hervortraten. Einmal ausgesprochen, war eine solche Drohung meistens das letzte Wort. Er holte zwei Zwanzig-Naira-Scheine aus der Jackentasche und ließ sie auf unseren Schreibtisch fallen.

»Für euch beide«, sagte er und ging hinaus.

Während Obembe und ich noch auf dem Bett saßen und versuchten, uns einen Reim auf das alles zu machen, hörten wir Mutter vor dem Haus mit ihm sprechen, so laut, als wäre er schon weit weg.

»Eme, denk dran, deine Jungs werden jetzt ohne dich großwerden müssen«, rief sie. »Ich sag´s ja nur.«

Vater startete seinen Peugeot 504. Obembe und ich eilten aus dem Zimmer, aber er fuhr bereits durch das Tor und war weg.

Immer, wenn ich über unsere Geschichte nachdenke, darüber, dass wir nie wieder als die Familie zusammenlebten, die wir immer gewesen waren, wünschte ich - noch heute, zwei Jahrzehnte später -, er wäre damals nicht gegangen, er hätte dieses Versetzungsschreiben nie erhalten. Bevor der Brief kam, war alles in Ordnung gewesen: Vater fuhr jeden Morgen zur Arbeit, und Mutter, die einen Stand auf dem Markt hatte, wo sie frische Lebensmittel verkaufte, kümmerte sich um mich und meine fünf Geschwister. Alles ging seinen natürlichen Gang. Wir dachten nicht an gestern. Zeit spielte keine Rolle damals. In Trockenzeiten hingen tagsüber die Wolken am Himmel, die Luft war voller Staub, und die Sonne schien bis in den Abend hinein. Während der Regenzeit, wenn der sintflutartige Regen sich sechs ununterbrochene Monate lang in pulsierenden Gewitterstürmen entlud, sah es aus, als malte eine Hand unscharfe Bilder in den Himmel. Da alles einem bekannten, klaren Muster folgte, war kein Tag der Erinnerung wert, es zählte allein die Gegenwart und die absehbare Zukunft. Einblicke in die Zukunft kamen meist wie eine Lokomotive auf den Schienen der Hoffnung daher, mit schwarzer Kohle im Herzen und einem elefantösen Tuten. Manchmal erschien sie einem in Träumen oder Fantastereien wie ein Flüstern im Kopf - Ich werde später mal Pilot oder Präsident von Nigeria, ein reicher Mann, mit eigenem Helikopter -, denn die Zukunft war das, was wir aus ihr machten, eine leere Leinwand, auf die sich alles Mögliche projizieren ließ. Das alles war vorbei, als Vater wegzog.

Von nun an lebte er in Yola. Das grüne Telefon, auf dem bis dahin vor allem Mr. Bayo angerufen hatte, Vaters Jugendfreund, der in Kanada lebte, war die einzige Möglichkeit, ihn zu erreichen. Mutter wartete ungeduldig auf seine Anrufe und kreuzte die Tage, an denen sie telefonierten, auf dem Kalender in ihrem Zimmer an. Wenn Vater sich einmal nicht planmäßig meldete und Mutters Geduld erschöpft war, nachdem sie bis nach Mitternacht gewartet hatte, löste sie den Knoten an ihrer Wrappa, holte den zerknitterten Zettel hervor, auf den sie seine Telefonnummer gekritzelt hatte, und wählte sie immer wieder, bis er ranging. Wenn wir noch wach waren, hingen wir um sie herum, lauschten Vaters Stimme und drängten sie, ihn dazu zu bringen, uns mit in die neue Stadt zu nehmen. Doch Vater weigerte sich beharrlich. Yola, erklärte er, sei eine extrem unsichere Stadt, in der es immer schon großangelegte Gewaltaktionen vor allem gegen Angehörige unseres Volkes - der Ibo - gegeben habe. Wir ließen trotzdem nicht locker, bis im März die religiösen Unruhen blutig ausbrachen. Als Vater endlich ans Telefon ging, berichtete er - während man im Hintergrund vereinzelte Schüsse hörte -, wie er nur knapp dem Tod entkommen war, als die Randalierer seinen Bezirk angriffen, und dass im Haus gegenüber eine ganze Familie niedergemetzelt wurde. »Kleine Kinder, abgeschlachtet wie Hühner!«, hatte er gesagt und die Worte »kleine Kinder« auf eine Weise betont, dass kein vernünftiger Mensch es gewagt hätte, ihn noch mal darauf anzusprechen, uns zu sich zu holen.

Vater machte es sich zur Gewohnheit, uns jedes zweite Wochenende in seinem Peugeot 504 zu besuchen. Und so freuten wir uns auf die Samstage, wenn er draußen vor dem Tor hupte, und eilten ihm entgegen, um zu sehen, was er uns diesmal mitgebracht hatte. Während wir uns langsam daran gewöhnten, ihn nur noch alle paar Wochen zu sehen, veränderte sich etwas. Seine hünenhafte, Anstand und Besonnenheit ausstrahlende Gestalt schrumpfte nach und nach auf die Größe einer Erbse. Die von ihm etablierten Richtlinien - Selbstbeherrschung, Gehorsam, Fleiß und die obligatorische Siesta -, die lange Zeit unseren Alltag bestimmten, weichten immer mehr auf. Ein Schleier legte sich über seine scharfen Augen, die, wie wir glaubten, jedes noch so kleine Vergehen bemerkten. Im dritten Monat dann brach sein langer Arm, der oftmals warnend die Peitsche geschwungen hatte, ab wie ein müder Ast. Und wir rissen uns los.

Wir stellten die Bücher ins Regal und machten uns auf, die Welt zu erkunden. Wir wagten uns auf den öffentlichen Fußballplatz, wo die meisten Jungs aus der Nachbarschaft jeden Nachmittag spielten. Ein Rudel Wölfe, das uns nicht gerade willkommen hieß. Obwohl wir keinen von ihnen kannten, bis auf Kayode, der ein paar Straßen weiter wohnte, wussten sie genau, wer wir waren und sogar, wie unsere Eltern hießen. Sie verhöhnten uns und nannten uns trotz Ikennas atemberaubender Dribbelkünste und Obembes Glanzparaden »Amateure«. Außerdem hänselten sie uns, weil unser Vater für die Zentralbank arbeitete und ein reicher Mann sei und wir deswegen privilegiert seien. Sie dachten sich einen Spitznamen für ihn aus: Baba Onile, nach der Hauptfigur in einer bekannten Yoruba-Soap, einem Mann mit sechs Frauen und einundzwanzig Kindern. Vaters Wunsch, viele Kinder zu haben, war bei uns im Viertel zur Legende geworden. Zudem war es der Yoruba-Name der Gottesanbeterin,...
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Autor

Chigozie Obioma, 1986 in Nigeria geboren, studierte Englisch, Literatur und Kreatives Schreiben auf Zypern und an der University of Michigan. Sein Debüt »Der dunkle Fluss« wurde in 25 Sprachen übersetzt. Der gefeierte Roman gewann zahlreiche Literaturpreise und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize.