Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Aufsätze, Reden, Gespräche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
528 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am25.09.20151. Auflage
«Es gibt keinen Text von Hans Joachim Schädlich, der mit den ethischen Fragen, die er auslöst, irgend etwas zu tun haben möchte. Sie sollen außerhalb der Texte verhandelt werden. (...) Schädlichs Modernität besteht darin, dass er seine Identität nur noch durch deren vollkommene Abwesenheit ausdrücken kann. (...) Die Moral selber ist nach wie vor ein Medium - wir haben kein anderes -, in dem die Menschen ihre Angelegenheiten verhandeln. Besonders dann, wenn sie als normative Instanz so gottlos abwesend ist wie in den Verhältnissen, die zu beschreiben Hans Joachim Schädlich hoffentlich nicht müde wird.» (Wilhelm Genazino) Schädlichs brillante Essays zu historischen, biographischen, gesellschaftlichen oder politischen Fragen begleiten nicht nur sein erzählerisches Oeuvre. Sie geben Auskunft über Leben und Werk und bringen einem den scheinbar so distanzierten Autor näher.

Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
mehr

Produkt

Klappentext«Es gibt keinen Text von Hans Joachim Schädlich, der mit den ethischen Fragen, die er auslöst, irgend etwas zu tun haben möchte. Sie sollen außerhalb der Texte verhandelt werden. (...) Schädlichs Modernität besteht darin, dass er seine Identität nur noch durch deren vollkommene Abwesenheit ausdrücken kann. (...) Die Moral selber ist nach wie vor ein Medium - wir haben kein anderes -, in dem die Menschen ihre Angelegenheiten verhandeln. Besonders dann, wenn sie als normative Instanz so gottlos abwesend ist wie in den Verhältnissen, die zu beschreiben Hans Joachim Schädlich hoffentlich nicht müde wird.» (Wilhelm Genazino) Schädlichs brillante Essays zu historischen, biographischen, gesellschaftlichen oder politischen Fragen begleiten nicht nur sein erzählerisches Oeuvre. Sie geben Auskunft über Leben und Werk und bringen einem den scheinbar so distanzierten Autor näher.

Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644538610
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum25.09.2015
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.10
Seiten528 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1148 Kbytes
Artikel-Nr.1548032
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


«Ich bin mit den Unmächtigen»

Gespräch mit Nicolas Born



Nicolas Born: Hans Joachim Schädlich, Sie sind Anfang Dezember 1977 mit Ihrer Familie von Ostberlin nach Hamburg umgezogen. Sie wollten das, und schließlich wollten die Herren in Partei, Kulturministerium und im Schriftstellerverband das auch. Nach Ihrer Übersiedelung haben Sie zunächst nicht reagiert auf alle freundlichen Angebote, Umstände und Hintergründe Ihres Umzugs darzulegen. Jetzt, wo wir hier ein erstes für die Veröffentlichung bestimmtes Gespräch führen, ist vielleicht das Interesse an Ihrer Person auf ein Maß geschrumpft, das sich vergleichen läßt mit dem Interesse an Ihrem Buch, an Ihren Erzählungen. Kann man das so sagen?

Hans Joachim Schädlich: Ich habe mich vor allem deshalb geweigert, schnelle Erklärungen oder Interviews abzugeben, weil ich in diesem Moment, aber auch früher am Beispiel anderer, genau gespürt habe, daß das Interesse vorwiegend oder hauptsächlich auf meine Person, oder auf die Person anderer, gerichtet war, und wie ich anzunehmen Grund habe, erst in zweiter Linie auf die Texte dieser Leute oder auf die Arbeit dieser Personen. Zwar läßt sich beides nicht voneinander trennen, und es ist auch nicht getrennt aufgefaßt worden, aber ich glaube doch, daß zunächst auf Grund der Konstellation in den beiden deutschen Staaten das Interesse an den persönlichen Umständen der Autoren, die aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen sind, überwog. Und ich möchte mein Literaturverständnis eher so interpretiert wissen, daß die Arbeit, die Texte der Leute von größerem Interesse sein sollen und sein müssen als die persönlichen Umstände. Es kommt noch hinzu, daß ich nicht dazu neige, die Lebens- und Arbeitsumstände in der DDR oder die Umstände der Ausreise in die Bundesrepublik oder während der ersten Wochen des Aufenthalts in der Bundesrepublik auf dem Markte wohlfeil anzubieten, sondern daß ich wie in anderen Dingen, die ich beobachte und erfahre, eher dazu neige, meine Erfahrungen zu verarbeiten in meiner Arbeit als Schreiber.

N. B.: Wie ist es zu dem Titel «Versuchte Nähe» gekommen? Können Sie den Titel erklären?

H.J. S.: Der Buchtitel ist der Titel einer Erzählung, die in dem Band enthalten ist. Aber ich glaube, daß der Buchtitel und der Titel dieser Erzählung im Ganzen gesehen auch meine Beobachterposition oder meine Position als Schreiber im weiteren Sinne erklären. Im engeren Sinne fasse ich den Titel, und das zum Teil im nachhinein, nicht etwa von vornherein konstruiert, so auf: Es handelt sich um die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Figur eines Würdenträgers, der in dieser Titelgeschichte eine Rolle spielt, und den Leuten, die ihn umgeben, und seinem Volk. Und diese Bestimmung besagt, daß dieser Würdenträger den Versuch unternimmt, sich denen, die ihm gegenüberstehen oder ihm gegenüber vorüberziehen, zu nähern. Zugleich enthält der Titel auch den Gedanken der Versuchung, die für den, der diesen Versuch unternimmt, in dem Versuch enthalten ist. Die Versuchung, die durch die Nähe zu denen entsteht, denen er sich gegenübersieht. Und diese Bestimmung gilt auch für mein Verhältnis zu dieser Erzählfigur oder im weiteren Sinne für mein Verhältnis zu den gesellschaftlichen Realitäten und Umständen, die mein Gegenstand in diesem Buche waren. Zuletzt enthält der Titel «Versuchte Nähe» durch die Kombination dieser beiden Begriffe auch den Begriff des Scheiterns, also des mißglückten Versuchs.

N. B.: Des Scheiterns auch in der Perspektive des Autors oder nur in der Perspektive der Person?

H.J. S.: In der Titelgeschichte in der Perspektive der Erzählfigur, bezogen auf den Gesamtgegenstand in gewisser Weise auch bezogen auf den Autor.

N. B.: Es ist auffällig, wie unauffällig in manchen Erzählungen die Personen handeln, wie betont unauffällig. Es macht den Eindruck, als ob diese Personen fast in einer perfekten Tarnung leben, anonym sind oder geworden sind bis zum Verschwinden, bis sie es zu einem Zeitpunkt einmal wagen, sich persönlich gegen alle Behauptungen zu behaupten - gegen alle Behauptungen von Institutionen, von sogenannter Realität, sich selbst zu behaupten, zu behaupten, daß sie nicht verschwunden, sondern da sind, als Wesen da sind, als Personen da sind. Das geht in Einzelbeispielen bis zum Affront oder zum versuchten Skandal, hier haben wir wieder das Wort. Wie absichtlich ist die Empfindlichkeit dieser Personen?

H.J. S.: Ich glaube, das ist nicht absichtlich, sondern es hat sich aus der Sache im einzelnen jeweils ergeben. Das hängt mit der Sicht auf die Gegenstände zusammen, und das hängt natürlich auch mit der sprachlichen Form zusammen, die ich selber wahrscheinlich nicht besonders gut bestimmen kann. Allgemein gesagt hat es mich immer berührt und interessiert, Dinge, die uns gewissermaßen vertraut erscheinen, durch die Suche von Worten oder Konstruktionen fremder zu machen, als sie uns erscheinen, nämlich so fremd, wie sie in Wirklichkeit sind, obgleich sie uns vertraut erscheinen. Wenn ich mich im nachhinein darüber äußern soll, habe ich für mich selbst das Gefühl, daß ich nach fremden Namen für scheinbar vertraute Dinge gesucht habe, um sie für mich selbst so fremd erscheinen zu lassen, wie sie mir in Wirklichkeit sind, und dadurch aber auch zu erkennen, wie sie eigentlich sind.

N. B.: Damit sind wir an einem Punkt angekommen, wo man es vielleicht nicht länger hinauszögern kann, von einer bestimmten Bewußtseinsdrangsalierung zu reden, die von gesellschaftlichen Institutionen und Personen und irgendwelchen inthronisierten Spitzbuben in aller Welt, in allen Systemen ausgeht. Diese Realität und diese Erfahrung haben doch auch einen Niederschlag in den Geschichten gefunden. Könnte man das vereinfachend auf die alte Polarität Geist und Macht zurückführen?

H.J. S.: Es ist mir gesagt worden, mein Ansatz als Schreiber in der DDR sei der Ansatz eines Mannes, der im Widerstand schreibe, im Widerstand gegen Verhältnisse, gegen Umstände. Ich akzeptiere zwar die Motivation der Frage, wie es denn nun sein solle, nachdem ich in einem anderen Land unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen lebe.

Obwohl ich die Motivation dieser Frage verstehe, finde ich die Frage dennoch falsch gestellt. Denn das Moment des Widerstands ist nicht der Impuls für meine Arbeit gewesen und wird es in dieser vordergründigen Form auch nie sein. Der eigentliche Impuls für die beobachtende und schreibende Tätigkeit ist in erster Linie das, was ich meine Wirklichkeit nenne, also die Wirklichkeit, in der ich mich befand oder jeweils befinde. Aber das ist keine Haltung, die auf die Arbeit eines Schriftstellers in der DDR beschränkt ist, sondern das ist eine generelle Grundhaltung, die ich für mich in Anspruch nehme und die sich in einer anderen Gesellschaft für mich in gleicher Weise realisiert. Denn, das versteht sich ja von selbst, die Gesellschaft in der Bundesrepublik enthält in vergleichbarer Weise, allerdings auf andere Art und auf anderer Ebene, Konflikte genug, also auch Stoffe, nämlich Konfliktstoffe, die dem Beobachter und Beschreiber mittelbar oder unmittelbar aufgehen.

N. B.: Sicher, es kann ja nicht sein, daß jemand nur aus Wut über die Gesellschaft oder über Institutionen zum Schreiben kommt. Doch glaube ich, daß bei uns die Zwänge immer größer, auch vernichtender werden, und daß dagegen immer größere natürliche Energien sich mobilisieren.

H.J. S.: Ein Schreibimpuls für mich war zunächst einfach das Bedürfnis, Gegenstände oder Umgebungen oder Zusammenhänge oder Verhältnisse, die ich nicht genau zu erkennen vermochte, durch den Schreibvorgang für mich persönlich durchschaubar und erkennbar zu machen. Das ist natürlich bei weitem nicht alles, aber ein wesentlicher Aspekt, daß es sich bei dem Schreibvorgang um einen Erkenntnisvorgang handelt. Aber damit wäre nicht genügend gesagt. Es kommt hinzu, daß ich mich, ich nenne es mit den Unmächtigen, nicht mit den Ohnmächtigen, sondern mit den Unmächtigen im Verhältnis zu den Mächtigen, identifiziere, und das im Grunde genommen unabhängig von dem Ort, an dem ich mich jeweils befinde, daß ich im Grunde genommen daraus einen starken Impuls beziehe, nicht im Sinne einer hinausgeschrienen Wut oder irgendeiner vordergründigen anklägerischen Gesellschaftskritik, sondern im Sinne einer ganz persönlichen Identifikation mit denen, die man die Betroffenen nennen könnte.

N. B.: Ich meine, daß in den Geschichten, jedenfalls was meine Lektüre anbetrifft, doch so etwas wie eine kalte Wut manchmal durchgreift, die für mich eine viel größere humane Substanz enthält als alle vordergründigen Solidaritätsbekenntnisse. Es ist ja alles sehr distanziert, es ist so, als habe der Autor überhaupt nichts zu tun mit dem, was in den Erzählungen vorgeht, als ob er selber aus der Tarnung heraus schriebe, aus der Tarnung heraus nicht nur beobachtete, sondern auch schriebe, um ja nicht aus der Rolle, in der sich die Personen befinden, die alle Rollen spielen, sich in eine bessere Position zu begeben als Autor. Habe ich das richtig gesehen?

H.J. S.: Ja. Das, was man die Wut nennen könnte, die man da heraushören oder herauslesen kann, die kommt, glaube ich, nicht in erster Linie von mir, sondern aus den Gegenständen, aus den Sachen. Von mir kommt eigentlich nur...

mehr

Autor

Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.