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Sophie auf den Dächern

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Carlsen Verlag GmbHerschienen am30.10.2015Auflage
Seit einem Schiffsunglück im englischen Kanal ist Sophie Waise. Davon sind zumindest alle anderen überzeugt. Aber Sophie ist sich sicher, dass ihre Mutter noch lebt und folgt der einzigen Spur, die sie von ihr hat - nach Paris. Dort lernt sie Matteo kennen und eine Handvoll Kinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen auf den Dächern von Paris leben. Eine aufregende Suche beginnt und ein unvergessliches Abenteuer nimmt seinen Lauf. Doch wird Sophie ihre Mutter auf den Dächern von Paris wirklich finden?

Katherine Rundell, geboren 1987, wuchs in London, Simbabwe und Brüssel auf. Sie ist Fellow am All Souls College, Oxford. »Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer« ist schon ihr fünftes Buch bei Carlsen und wurde in England bereits vielfach ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR7,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextSeit einem Schiffsunglück im englischen Kanal ist Sophie Waise. Davon sind zumindest alle anderen überzeugt. Aber Sophie ist sich sicher, dass ihre Mutter noch lebt und folgt der einzigen Spur, die sie von ihr hat - nach Paris. Dort lernt sie Matteo kennen und eine Handvoll Kinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen auf den Dächern von Paris leben. Eine aufregende Suche beginnt und ein unvergessliches Abenteuer nimmt seinen Lauf. Doch wird Sophie ihre Mutter auf den Dächern von Paris wirklich finden?

Katherine Rundell, geboren 1987, wuchs in London, Simbabwe und Brüssel auf. Sie ist Fellow am All Souls College, Oxford. »Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer« ist schon ihr fünftes Buch bei Carlsen und wurde in England bereits vielfach ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783646927764
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum30.10.2015
AuflageAuflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2299 Kbytes
Artikel-Nr.1698420
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


ZWEI

In den Büros der Staatlichen Behörde für das Kindeswohl stand ein Aktenschrank; dieser Aktenschrank enthielt eine große rote Akte mit der Aufschrift: »Vormünder: Beurteilung des Charakters«. Die rote Akte enthielt eine kleinere blaue Akte mit der Aufschrift: »Maxim, Charles«. Darin stand: »Wie bei einem Gelehrten nicht anders zu erwarten, ist C. P. Maxim ein Bücherwurm; darüber hinaus ist er großzügig, fleißig und menschenscheu. Er ist ungewöhnlich groß, aber, wie den Berichten der Ärzte zu entnehmen ist, kerngesund. Er ist der festen Überzeugung, für ein Mädchen sorgen zu können.«

Vielleicht waren Charles´ Eigenschaften ansteckend, denn Sophie wurde nicht nur groß, sondern war auch großzügig und menschenscheu und außerdem ein Bücherwurm. Im Alter von sieben Jahren waren ihre Beine so lang und so dünn wie die eines Fohlens und sie hatte viele felsenfeste Überzeugungen.

Anlässlich ihres siebten Geburtstags backte Charles einen Schokoladenkuchen, der nicht ganz gelang, weil er in der Mitte einsackte. Sophie, die treue Seele, erklärte ihn trotzdem zu ihrem Lieblingskuchen. »Denn«, sagte sie, »man kann die Mulde mit extra Zuckerstuss füllen, und viel Zuckerstuss finde ich lecker.«

»Freut mich, das zu hören«, sagte Charles. »Wenn ich mich nicht irre, heißt es allerdings Zuckerguss. Ich gratuliere dir sehr herzlich zu deinem vermutlich siebten Geburtstag, mein lieber Schatz. Wie wäre es mit etwas Shakespeare zum Geburtstag?«

Sophie hatte die Angewohnheit, Teller zu zerbrechen, und deshalb hatte Charles den Kuchen auf dem Einband von Ein Sommernachtstraum serviert. Er wischte den Einband mit einem Ärmel ab und schlug das Buch in der Mitte auf. »Magst du mir einen Abschnitt mit Titania vorlesen?«

Sophie zog ein Gesicht. »Ich wäre lieber Puck.« Sie versuchte sich an ein paar Versen, tat sich aber schwer. Sie wartete, bis Charles wegschaute, dann ließ sie das Buch auf den Fußboden fallen und machte einen Handstand darauf.

Charles lachte. »Bravo!« Er klatschte Beifall auf dem Tisch. »Du bist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Elfen.«

Sophie purzelte gegen den Küchentisch, kam wieder auf die Beine und probierte es noch einmal vor der Tür.

»Großartig! Du wirst immer besser. Fast perfekt.«

»Nur fast?« Sophie kam ins Schwanken und schielte ihn von unten an. Ihre Augen begannen zu brennen, aber sie blieb kopfüber stehen. »Sind meine Beine nicht gerade?«

»Nicht ganz. Dein linkes Knie wackelt leicht. Aber kein Mensch ist vollkommen. Mit Ausnahme von Shakespeare und der ist schon lange tot.«

Sophie dachte später im Bett darüber nach. »Kein Mensch ist vollkommen«, hatte Charles gesagt, aber das stimmte nicht. Denn Charles war vollkommen. Seine Haare hatten die gleiche Farbe wie das Treppengeländer, und seine Augen strahlten etwas Magisches aus. Er hatte das Haus und alle seine Kleider von seinem Vater geerbt. Die Kleider stammten aus den teuren Schneiderläden in der Savile Row. Sie waren schön und kostbar und ganz aus Seide gewesen; inzwischen bestanden sie nur noch zu fünfzig Prozent aus Seide und zu fünfzig Prozent aus Löchern. Charles besaß keine Musikinstrumente, sang ihr aber vor. Und wenn Sophie nicht da war, sang er für die Vögel oder für die Kellerasseln, die ab und zu in die Küche krabbelten. Seine Stimme war hell und klar und wenn Sophie ihm lauschte, hatte sie das Gefühl zu fliegen.

Manchmal überfiel sie mitten in der Nacht die Angst, die das sinkende Schiff damals in ihr ausgelöst hatte, und dann hatte sie das verzweifelte Bedürfnis, auf irgendwelche Dinge zu klettern. Sie fühlte sich nur sicher, wenn sie kletterte. Charles gestattete ihr, oben auf dem Kleiderschrank zu schlafen. Er selbst schlief für den Fall der Fälle direkt davor auf dem Fußboden.

In Sophies Augen war Charles ein Rätsel. Er aß kaum etwas und schlief wenig und er lächelte seltener als andere Leute. Aber dort, wo sich bei anderen Menschen die Lunge befand, war in seinem Fall die Güte daheim und er war höflich bis in die Fingerspitzen. Wenn er gegen einen Laternenpfahl rannte, weil er wieder einmal im Gehen las, entschuldigte er sich und prüfte dann nach, ob der Laternenpfahl noch heil war.

Miss Eliot kam einmal pro Woche am Vormittag vorbei, »falls es Probleme gibt«. Sophie hätte erwidern können: »Welche Probleme?«, aber sie lernte bald, den Mund zu halten. Miss Eliot inspizierte das Haus, die in den Ecken abblätternde Farbe und die Spinnweben in der gähnend leeren Speisekammer, und schüttelte schließlich den Kopf.

»Was esst ihr eigentlich?«

Bei Sophie war das Essen zweifellos viel interessanter als bei ihren Freunden. Charles versäumte manchmal monatelang, Fleisch zu kaufen. Was Sophie betraf, so musste sie nur in die Nähe sauberer Teller kommen, und schon gingen sie in Scherben. Deshalb servierte Charles die knusprigen Pommes frites auf einem Weltatlas, der auf der Seite mit der Karte Ungarns aufgeschlagen war. Er selbst hätte ebenso gut nur von Keksen und Tee und einem Whisky vor dem Zubettgehen leben können. Sobald Sophie lesen konnte, füllte Charles den Whisky in eine Flasche, auf deren Etikett »Katzenpisse« stand, damit Sophie ihn nicht anrührte. Sie hatte trotzdem daran genippt und dann am Bauch der im Nebenzimmer schlafenden Katze gerochen. Die Gerüche waren verschieden, aber einer war so ekelhaft wie der andere.

»Wir haben Brot«, sagte Sophie. »Und Fischkonserven.«

»Ihr habt was?«, fragte Miss Eliot.

»Ich mag Fisch aus der Konserve«, sagte Sophie. »Und wir haben auch Schinken.«

»Ach, ja? Ich habe in diesem Haus noch nie eine Scheibe Schinken gesehen.«

»Wir essen täglich Schinken! Auf jeden Fall«, ergänzte Sophie, die sich oft als unerträglich ehrlich empfand, »hin und wieder. Außerdem Käse. Und Äpfel. Und ich trinke immer einen ganzen Liter Milch zum Frühstück.«

»Wie kann Mr Maxim zulassen, dass du dich so ernährst? Das ist doch keine Ernährung für ein Kind. Das ist nicht richtig.«

Tatsache war, dass sie prima zurechtkamen, aber für Miss Eliot war das unbegreiflich. Sophie vermutete, dass Miss Eliot »ordentlich« meinte, wenn sie »richtig« sagte. Sophie und Charles lebten nicht ordentlich, aber um glücklich zu sein, fand Sophie, war Ordnung nicht unbedingt erforderlich.

»Wissen Sie, Miss Eliot«, sagte Sophie, »Tatsache ist, dass ein Gesicht wie meines nie ordentlich aussieht. Charles sagt, ich hätte unordentliche Augen. Wegen der Sprenkel.« Sophies Haut war viel zu blass und bekam bei Kälte Flecken und ihre Haare waren schon immer etwas verfilzt gewesen. Sophie war das egal, denn sie meinte sich daran zu erinnern, dass ihre Mutter die gleichen Haare und die gleiche Haut gehabt hatte, und ihre Mutter, das wusste sie genau, war wunderschön. Ihre Mutter hatte nach Winterluft und Ruß geduftet, davon war sie fest überzeugt, und sie hatte eine Hose mit abgewetzten Knien getragen.

Vielleicht waren die Hosen der Ursprung all ihrer Probleme. Sophie war noch keine acht Jahre alt, da bat sie Charles um eine Hose.

»Eine Hose? Ist das nicht ziemlich unüblich für eine Frau?«

»Nein«, sagte Sophie. »Finde ich nicht. Meine Mutter trägt Hosen.«

»Sie trug Hosen, mein Kind.«

»Sie trägt Hosen. Schwarze. Aber ich hätte gern eine rote.«

»Ähem ... Möchtest du nicht lieber einen roten Rock?« Er schaute besorgt drein.

Sophie zog ein Gesicht. »Nein. Ich will eine Hose. Bitte.«

In den Läden gab es jedoch nichts Passendes, sondern nur graue kurze Hosen, wie Jungen sie trugen. »Grundgütiger!«, sagte Charles, »du siehst ja aus wie eine Mathestunde!« Also nähte er selbst vier Hosen aus bunter Baumwolle, schlug sie in Zeitungspapier ein und überreichte sie Sophie. Bei einer Hose waren die Beine unterschiedlich lang geraten. Sophie war begeistert. Miss Eliot war schockiert. »Mädchen«, sagte sie, »tragen keine Hosen.« Sophie beharrte darauf, dass sie es doch taten.

»Meine Mutter trug Hosen. Das weiß ich genau. Sie hat darin getanzt, während sie Cello spielte.«

»Vollkommen ausgeschlossen«, erwiderte Miss Eliot. Es war immer die gleiche Leier. »Frauen spielen kein Cello, Sophie. Außerdem kannst du das nicht wissen, weil du damals noch viel zu klein warst. Du solltest ehrlicher sein, Sophie.«

»Sie trug aber Hosen! Schwarze Hosen, die an den Knien etwas abgewetzt waren. Ich weiß auch noch, dass sie schwarze Schuhe trug.«

»Das bildest du dir ein, Liebes.« Miss Eliots Stimme klang wie ein zuknallendes Fenster.

»Nein, das tue ich nicht, glauben Sie mir!«

»Sophie ...«

»Ich bilde mir das nicht ein!« Sophie hätte gern hinzugefügt: »Du knollennasige, alte Hexe!«, aber sie hielt den Mund. Leider konnte man bei Charles nicht aufwachsen, ohne dass einem die Höflichkeit in Fleisch und Blut überging. Unhöflich zu sein war für Sophie so, als würde sie einen schmutzigen Schlüpfer...


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Autor

Katherine Rundell, geboren 1987, wuchs in London, Simbabwe und Brüssel auf. Sie ist Fellow am All Souls College, Oxford. »Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer« ist schon ihr fünftes Buch bei Carlsen und wurde in England bereits vielfach ausgezeichnet.Henning Ahrens, geb. 1964 in Peine, studierte Anglistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Göttingen, London und Kiel. Neben seiner Übersetzertätigkeit hat er eigene Romane und diverse Gedichtbände veröffentlicht und wurde bereits mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Henning Ahrens lebt in Frankfurt.